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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 4 Ss 606/03 OLG Hamm

Leitsatz: Zum erforderlichen Umfang der tatsächlichen Feststellungen bei Nötigung im Straßenverkehr

Senat: 4

Gegenstand: Revision

Stichworte: Nötigung im Straßenverkehr, Vorsatz, Zeugenaussagen zu wenig differenziert, unklarer Lebenssachverhalt

Normen: StGB 240

Beschluss: Strafsache gegen F. B.,
wegen Nötigung in drei Fällen.

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der kleinen Strafkammer II des Landgerichts Detmold vom 2. September 2003 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 16. 12. 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft einstimmig beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Detmold zurückverwiesen.

Gründe:
I. Der Angeklagte ist durch das Amtsgericht Lemgo am 13. Mai 2003 wegen Nötigung in drei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 60 Tagessätzen in Höhe von je 25,00 EUR sowie zu einem dreimonatigen Fahrverbot verurteilt worden.
Gegen dieses Urteil hat er rechtzeitig Rechtsmittel eingelegt, das zutreffend als Berufung behandelt worden ist. Das Landgericht hat durch das angefochtene Urteil die Berufung mit der Maßgabe verworfen, daß der einzelne Tagessatz auf 22,00 EUR herabgesetzt wird.
Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit der Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.
II.
Die jedenfalls mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts in zulässiger Weise begründete Revision des Angeklagten hat zumindest vorläufigen Erfolg. Die getroffenen Feststellungen sind zum Teil nicht rechtsfehlerfrei aus dem Beweisergebnis herausgearbeitet worden und tragen zudem die Verurteilung des Angeklagten nicht.
Das Landgericht hat seiner Entscheidung folgenden Sachverhalt zugrundegelegt:
"Zur Sache haben sich die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen in vollem Umfang bestätigt:
Am 25. September 2002 gegen Mittag befuhr der Angeklagte mit dem Sattelzug mit dem amtlichen Kennzeichen XXXXXXXXXX unter anderem die Extertalstraße aus Richtung Rinteln in Richtung Barntrup. Es handelte sich um einen Sattelschlepper, beladen mit Steinen und einem Gewicht von 40 t. Die Zugmaschine hat 460 PS.
1. Der Zeuge Ho. fuhr mit seinem Pkw zunächst hinter dem Sattelzug her. Die Straße ist hier etwa 11 Meter breit einschließlich der auf beiden Seiten vorhandenen Mehrzweckstreifen. In Extertal-Bremke zwischen der Gaststätte Bögerhof und der DEA-Tankstelle überholte der Angeklagte einen vor ihm fahrenden Pkw der Marke Audi, der etwa 60 km/h fuhr. In diesem Bereich existiert eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 70 km/h. Der Angeklagte überholte hier trotz erkennbaren Gegenverkehrs. Infolge des Überholmanövers waren die beiden entgegenkommenden Pkw gezwungen, auf den Mehrzweckstreifen auszuweichen, um einen Frontalunfall zu meiden.
2. Etwa ein Kilometer vor der Ortschaft Nalhof überholte der Zeuge Ho. den vor ihm fahrenden Audi und anschließend den Sattelschlepper des Angeklagten. Der Zeuge befand sich nun unmittelbar vor dem Lkw. Bei Ankunft in der geschlossenen Ortschaft Nalhof setzte der Zeuge seine Geschwindigkeit auf die vorgeschriebenen 50 km/h herab. Dem Angeklagten war dieses Tempo zu langsam. Deshalb fuhr er mit seinem Sattelschlepper ganz dicht auf das Fahrzeug des Zeugen auf. Die Entfernung war nur noch so groß, dass der Zeuge das Kennzeichen des Lkw nicht mehr in seinem Innenspiegel sehen konnte. Zweimal betätigte der Angeklagte die Lichthupe, um dem Zeugen zu einer höheren Geschwindigkeit zu veranlassen. Diese Lichthupe sah der Zeuge in seinem Außenspiegel. Deshalb sah sich der Zeuge veranlasst, seine Geschwindigkeit auf 60 bis 70 km/h heraufzusetzen, um von dem Lkw nicht gar so stark bedrängt zu werden. Er hatte zunächst versucht, mit der eingeschalteten Warnblickanlage und dem rechten Fahrtrichtungsanzeiger den Angeklagten auf die Geschwindigkeitsbegrenzung aufmerksam zu machen. Diese Warnzeichen konnten ihn jedoch nicht dazu bewegen, den Abstand zu vergrößern.
3. Nach Durchfahren der geschlossenen Ortschaft beschleunigte der Zeuge auf ca. 100 km/h. Der Angeklagte fuhr weiter hinter ihm her. Beide näherten sich der Lichtzeichenanlage L 758/Sternberger Straße/Breslauer Straße. Hier ist die Geschwindigkeit auf 70 km/h begrenzt. Der Zeuge verringerte vor der Rotlicht zeigenden Ampel seine Geschwindigkeit und ließ sein Fahrzeug auf die Kreuzung zurollen. Er befuhr die Spur für den Geradeausverkehr. Der Angeklagte fuhr mit seinem Sattelzug auf der dort ebenfalls vorhandene Linksabbiegerspur. Als der Zeuge noch eine Geschwindigkeit von ca. 5 - 10 km/h fuhr, befand sich der Angeklagte auf der Linksabbiegerspur mit seinem Führerhaus auf Höhe des Pkw des Zeugen. In diesem Moment bremste der Angeklagte sein Fahrzeug recht stark ab und zog den Sattelschlepper nach rechts in Richtung des Pkw des Zeugen. Möglicherweise wollte er noch vor dem Zeugen auf die Geradeausspur fahren. Möglicherweise wollte er dem Pkw-Fahrer auch nur "eine Lektion erteilen". Jedenfalls blieb dem Zeugen nichts anderes übrig, als seinen Pkw in Richtung des dort glücklicherweise vorhandenen Mehrzweckstreifens zusteuern, um eine Kollision mit dem Lkw zu vermeiden. Der Angeklagte blieb nun vor der Rotlicht zeigenden Ampel auf der Linksabbiegerspur stehen. Als die Ampel grün zeigte, fuhr der Zeuge mit seinem Pkw geradeaus weiter. Unmittelbar nach der Kreuzung hielt er an und verließ sein Fahrzeug. Durch das Fahrmanöver des Angeklagten hatte er große Angst bekommen und wollte seinen Pkw auf etwaige Beschädigungen untersuchen. Der Zeuge sah zurück zur Kreuzung.
Dort stand noch der Sattelschlepper des Angeklagten der wegen seines Gewichts und möglicherweise entgegenkommender Fahrzeuge nicht so schnell links abbiegen konnte. Der Zeuge notierte sich nun dessen Kennzeichen. Auf dem Windabweiser der Zugmaschine sah er in großen Buchstaben "KRENZ", den Namen des damaligen Arbeitgebers des Angeklagten.
Der Zeuge fuhr zunächst einige Meter weiter. Nun überlegte er sich aber, dass er dieses seiner Ansicht nach gefährliche Fahrverhalten des Angeklagten zur Anzeige bringen musste. Er wendete deshalb und suchte die nächstgelegene Polizeidienststelle, deren Standort ihm nicht bekannt war. Etwa 15 Minuten nach dem letzten Vorfall vor der Ampelkreuzung traf er dort ein und schilderte seine Beobachtungen. Als Tatzeit gab er 11:55 Uhr an."
Der Angeklagte hat sich dahin eingelassen, die Ampelkreuzung L 758/Sternberger Straße/Breslauer Straße gar nicht befahren zu haben. Ob und wie er sich zu den anderen Tatvorwürfen eingelassen hat, ist nicht mitgeteilt. Das Landgericht hat seine Feststellungen einerseits darauf gestützt, daß das vorgeworfene Verhalten auf der Linie liege, die gegen den Angeklagten bereits im Jahre 2001 zu zwei Bußgeldbescheiden (Unterschreitung des Mindestabstandes von 50 Metern auf Autobahnen als Führer eines Lkw von mehr als 3,5 t und qualifizierter Rotlichtverstoß, der nur mit der Regelgeldbuße, jedoch nicht mit einem Fahrverbot geahndet worden sein soll) geführt habe, andererseits auf die Aussage des Zeugen Ho., der den Sachverhalt so wie festgestellt geschildert habe.
Eine Verurteilung wegen Nötigung setzt voraus, daß der Täter einen anderen Menschen mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wobei die Tat nur dann rechtswidrig ist, wenn die Anwendung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist. Der Vorsatz des Täters muß sich nicht nur auf die objektiven Tatbestandsmerkmale sondern auch auf die Umstände beziehen, die das Übel als empfindlich und das Vorgehen des Täters als verwerflich und rechtswidrig erscheinen lassen (Tröndle/Fischer, StGB, 51. Aufl., § 240 Rdnr. 53 a).
Die bisher getroffenen Feststellungen lassen eine Verurteilung wegen Nötigung in drei Fällen nicht zu.
Die Erwägung, die dem Angeklagten vorgeworfenen Taten lägen auf der Linie des Verhaltens, das bereits zu den beiden Bußgeldbescheiden geführt habe, ist nicht tragfähig. Schon angesichts des Umstandes, daß das Landgericht keine näheren Feststellungen zu den beiden Ordnungswidrigkeiten getroffenen hat, überschreitet das Landgericht mit dieser Schlußfolgerung die Grenzen der freien richterlichen Überzeugungsbildung. In besonderem Maße gilt das, wenn tatsächlich im Fall des qualifizierten Rotlichtverstoßes von einem Regelfahrverbot abgesehen worden sein sollte, weil dies mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Augenblicksversagen des Angeklagten bei Begehung der damaligen Ordnungswidrigkeit vorausgesetzt haben dürfte.
Die Angaben des Zeugen Ho. sind nach dem bisherigen Beweisergebnis zu wenig differenziert, um eine tragfähige Beweisgrundlage für die getroffenen Feststellungen zum objektiven und vor allem zum subjektiven Tatbestand zu bilden und damit die ergangene Verurteilung zu tragen.
a) Im Fall 1. fehlen hinreichend konkrete Feststellungen zur Situation und zum Fahrverhalten der entgegenkommenden Fahrzeuge. So ist schon unklar, in welchem Abstand sich die entgegenkommenden Fahrzeuge befunden haben, als sich der Angeklagte zum Überholen des vor ihm fahrenden Pkw Audi entschlossen hat. Nach den bisherigen Feststellungen besteht insbesondere die Möglichkeit, daß sich der Angeklagte lediglich hinsichtlich der für den Überholvorgang benötigten Strecke verschätzt hat. Bedeutung für eine Verurteilung wegen Nötigung dürfte auch haben, wie die entgegenkommenden Fahrzeuge ausweichen mußten, insbesondere ob ein scharfes und abruptes Ausweichen zur Verhinderung eines Unfalles erforderlich war, was dann gegebenenfalls die erforderlichen Feststellungen zur subjektiven Tatseite ermöglichen könnte. Die dazu getroffenen Feststellungen sind jedoch konturenlos und insoweit nicht aussagekräftig. Andererseits können die entgegenkommenden Fahrzeuge auch durch ihr vorangegangenes Fahrverhalten objektiv oder für den Angeklagten subjektiv signalisiert haben, ihm freiwillig ein Überholen ermöglichen zu wollen. Ein solches Fahrverhalten, das auf Straßen mit Seitenstreifen häufig zu beobachten ist, dürfte einer Verurteilung wegen Nötigung in objektiver und subjektiver Hinsicht dann in jedem Fall entgegenstehen.
b) Im Fall 2. liegt zwar eine Verurteilung des Angeklagten wegen Nötigung nahe, aber auch hier fehlen letztlich nähere Feststellungen zum Tatgeschehen. Es bleibt letztlich unklar, ob der Zeuge Ho., während er von dem Angeklagten in der geschilderten Weise bedrängt worden sein soll, gleichbleibend mit einer Geschwindigkeit von 50 km/h gefahren ist. Es ist auch nicht feststellbar, welchen Abstand der Angeklagte zum Fahrzeug des Zeugen Ho. unterschritten hat, daß dieser im Innenspiegel das Kennzeichen des Lkw nicht mehr hat erkennen können. Letztlich sind konkrete Feststellungen dazu aber erforderlich, um überprüfen zu können, ob der Angeklagte den Zeugen Ho. mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat. Ebenfalls ist nicht hinreichen dargelegt, warum die Annahme gerechtfertigt ist, das Betätigen der Lichthupe sei erfolgt, um den Zeugen zu einer höheren Geschwindigkeit zu nötigen. Eine Verurteilung wegen Nötigung setzt jedenfalls eine nähere Darstellung des Geschehensablaufs und konkretere Feststellungen zum Abstand voraus.
c) Die Feststellungen im Fall 3. rechtfertigen die insoweit ergangene Verurteilung ebenfalls nicht. Weder das Fahrverhalten des Zeugen Ho., noch das des Angeklagten noch die Örtlichkeiten sind in einer Weise beschrieben, die den Vorwurf einer Nötigung in objektiver und vor allem subjektiver Hinsicht rechtfertigen. Insbesondere dann, wenn die vom Landgericht für möglich gehaltene Alternative richtig oder zugunsten des Angeklagten zugrundezulegen ist, der Angeklagte habe dem Zeugen Ho. nur eine "Lektion erteilen" wollen, liegt die Annahme einer Nötigung sogar eher fern. Weiterer Aufklärungsbedarf hinsichtlich der Angaben des Zeugen Ho. könnte sich zudem ergeben, wenn das Ende der geschlossenen Ortschaft Naldorf und die Lichtzeichenanlage L 758/Sternberger Straße/Breslauer Straße einige Kilometer auseinanderliegen, da der Zeuge Ho. seinen Pkw auf dieser Strecke auf 100 km/h beschleunigt haben will. Falls der Angeklagte seinen mit 40 t schwer beladenen Lkw höchstens mit der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h gefahren haben sollte, was gegebenenfalls ohne weiteres der Diagrammscheibe entnommen werden könnte, könnte das Veranlassung zu weiterer Sachaufklärung geben, da der Zeuge Ho. dann die Lichtzeichenanlage deutlich früher als der Angeklagte erreicht haben dürfte.
Das angefochtene Urteil war somit mit den getroffenen Feststellungen aufzuheben, und die Sache war zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Detmold zurückzuverweisen, § 354 Abs. 2 StPO. Diese wird auch über die Kosten der Revision zu entscheiden haben, da der Erfolg des Rechtsmittels noch nicht feststeht.


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