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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 4 Ss OWi 585/03 OLG Hamm

Leitsatz: Der Tatrichter kann zwar im Einzelfall von der Verhängung eines Regelfahrverbotes absehen, wenn eine erhebliche Härte oder zumindest eine Vielzahl für sich genommen gewöhnlicher und durchschnittlicher Umstände vorliegen, die das Tatgeschehen aus dem Rahmen typischer Begehungsweise im Sinne einer Ausnahme herausheben. Er muss jedoch für seine Entscheidung eine eingehende, auf Tatsachen gestützte Begründung geben. Diese darf sich insbesondere nicht nur in einer unkritischen Wiedergabe der Einlassung des Betroffenen erschöpfen

Senat: 4

Gegenstand: Rechtsbeschwerde

Stichworte: Absehen vom Fahrverbot,; Umfang der Ausführungen; Würdigung der Einlassung

Normen: StPO 267

Beschluss: Bußgeldsache gegen M. K.,
wegen fahrlässiger Geschwindigkeitsüberschreitung innerorts.

Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Arnsberg gegen das Urteil des Amtsgerichts Warstein vom 22. Juli 2003 hat der 4 . Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 20. 01. 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 79 Abs. 5 und 6 OWiG beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den getroffenen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Warstein zurückverwiesen.

Gründe:
I.
Das Amtsgericht Warstein hat den Betroffenen wegen "fahrlässigen Verstoßes gegen §§ 41 Abs. 2, 49 Abs. 3 Ziffer 4 StVO in Verbindung mit § 24 StVG" zu einer Geldbuße von 200,00 EUR verurteilt. Nach den getroffenen Feststellungen befuhr der Betroffene am 14. Dezember 2002 um 12.07 Uhr mit dem Pkw Opel, amtliches Kennzeichen xx in Warstein die B 55 und überschritt dabei die, wie sich aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe noch hinreichend ergibt, innerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h infolge Fahrlässigkeit um 34 km/h. Von der Verhängung des Regelfahrverbotes hat das Amtsgericht gegen Erhöhung der Regelgeldbuße abgesehen.
Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der örtlichen Staatsanwaltschaft mit der in zulässiger Weise erhobenen Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Sie ist - so auch die Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft vom 8. Januar 2004 - ausweislich der Rechtsbeschwerdebegründung konkludent auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt worden.
II.
Die Rechtsbeschwerde hat im Umfang der Anfechtung jedenfalls vorläufig Erfolg.
1. Der Senat ist an einer Sachentscheidung im vorliegenden Fall nicht gehindert, obwohl das angefochtene Urteil bis heute nicht wirksam an die Staatsanwaltschaft Arnsberg zugestellt worden ist. Die Zustellungsverfügung der Vorsitzenden vom 29. Juli 2003, mit der die Zustellung des vollständig abgefaßten Urteils gemäß § 41 StPO an die Staatsanwaltschaft angeordnet worden ist, war unwirksam, weil zu diesem Zeitpunkt das Hauptverhandlungsprotokoll noch nicht fertiggestellt war (vgl. § 273 Abs. 4 StPO). Auf diesen Mangel ist die Staatsanwaltschaft Arnsberg durch die Generalstaatsanwaltschaft hingewiesen worden. Daraufhin ordnete die Vorsitzende die förmliche Zustellung nunmehr an den Verteidiger des Betroffenen an. Eine Zustellungsanordnung an die örtliche Staatsanwaltschaft unterblieb. Damit ist der Lauf der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist für die Staatsanwaltschaft Arnsberg nicht in Lauf gesetzt (vgl. § 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 345 Abs. 1 S. 2 StPO). Angesichts des Umstandes, daß die Staatsanwaltschaft Arnsberg die Rechtsbeschwerde wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat, eine zulässige Rechtsbeschwerdebegründung vorliegt und die Rechtsbeschwerde Erfolg hat, konnte der Senat bereits jetzt in der Sache entscheiden.
2. Die Erwägungen des Amtsgerichts zum Rechtsfolgenausspruch weisen durchgreifende Rechtsfehler auf. Das angefochtene Urteil unterliegt deshalb insoweit mit den getroffenen Feststellungen der Aufhebung.
Das Amtsgericht hat seinen Rechtsfolgenausspruch wie folgt begründet:
"Der Betroffene hat sich damit einer fahrlässigen Ordnungswidrigkeit gemäß §§ 3 Abs. 3, 41 Abs. 2, 49 Abs. 3 Ziffer 4 StVO in Verbindung mit § 24 StVG schuldig gemacht. Der Bußgeldkatalog sieht in Ziffer 11.3.6 die Verhängung einer Geldbuße in Höhe von 100,00 _ sowie die Verhängung eines Fahrverbotes von 1 Monat vor.
Unter den Voraussetzungen von § 4 Abs. 4 Bußgeldkatalogverordnung kann von der Verhängung eines Fahrverbotes unter gleichzeitiger Erhöhung der Regelbuße dann abgesehen werden, wenn im Einzelfall dadurch ausnahmsweise in nachhaltiger Eiwirkung auf dem Betroffenen erreicht werden kann.
Der Handlungsunwert den von den Betroffenen begangenen Verkehrsordnungswidrigkeit ist durchschnittlich hoch. Zwar ist der Betroffene in der Ortsgeschwindigkeitsüberschreitung von 84 km/h schuldig, diese liegt jedoch lediglich 3 km/h über der Grenze, bei der nach dem Bußgeldkatalog die Verhängung eines Fahrverbotes vorgesehen ist.
Dennoch liegen hier besondere persönliche Umstände vor, die es rechtfertigen, ausnahmsweise von der Verhängung eines Fahrverbotes unter gleichzeitiger Erhöhung der Regelbuße abzusehen. Die Verhängung des Fahrverbotes würde für den Betroffenen eine erhebliche besondere persönliche und berufliche Härte bedeuten. Zwar müssen die unterschiedlichen wirtschaftlichen oder beruflichen Auswirkungen eines Fahrverbotes bei einem Regelfahrverbot grundsätzlich hingenommen werden. Solche Nachteile sind für den Betroffenen kalkulierbar und geben ihm Veranlassung, schon im eigenen Interesse grobe Pflichtverstöße zu vermeiden und sein Verhalten entsprechend auszurichten. Sie sind jedoch dann beachtlich, wenn das Regelfahrverbot bei einer durch besondere Umstände veranlassten Gesamtschau zu unangemessen harte Sanktion führen würde. Eine solche unangemessen harte Sanktion durch die Verhängung eines Fahrverbotes liegt hier vor. Der Betroffene ist Arzt für Allgemeinmedizin und Psychotherapie. Seine Praxis befindet sich in Soest. Dort nimmt er am sogenannten allgemeinen Notdienst der Ärzte teil, d.h. den Notdienst für mittwochs nachmittags sowie samstags und sonntags. Zusätzlich führt er jedoch einen psychiatrischen Notdienst durch, bei dem er ständig erreichbar sein muss und im Notfall auch seine Patienten aufsuchen muss. Der Bezirk, in dem der Betroffene, der der einzige Arzt für Psychotherapie in Soest ist, zu versorgen hat reicht von Werl über Hamm bis Geseke und Arnsberg. Er hat jeweils Fahrstrecken von etwa. 40 bis 50 km/h zu absolvieren. Der Notdienst für die Ärzte wird jeweils zu Beginn eines Jahres festgelegt. Desgleichen werden die jeweiligen Urlaubszeiten der Ärzte zweimal jährlich festgelegt, nämlich einmal Ende November und Ende Mai. Der Betroffene selbst hatte seinen letzten Urlaub Ende April bis Anfang Mai. Ein weiterer Urlaub ist für dieses Jahr nicht geplant, zudem ist die Herbeiführung einer Vertretungsregelung problematisch. Die Verhängung des Fahrverbotes würde damit für den Betroffenen eine unangemessene Härte bedeuten. Er wäre nicht mehr in der Lage, insbesondere den zusätzlichen psychiatrischen Notdienst wahr zu nehmen. Er hat auch glaubhaft gemacht, dass dies nicht durch eine Vertretungsregelung aufgefangen werden kann, zumal der Betroffene der einzige Arzt für Psychotherapie in Soest ist. Daneben gibt es lediglich Kollegen mit ambulanter Therapiezulassung. Der Betroffene selbst wird zudem oft von den Kollegen hinzugezogen, sobald es um die Beurteilung psychiatrischer Fälle geht. Angesichts des flächenmäßig großen Bezirkes erscheint die Aufrechterhaltung des psychiatrischen Notdienstes bei Verhängung des Fahrverbotes praktisch nicht durchführbar. Der Betroffene kann auch nicht darauf verwiesen werden, seinen Urlaub einzusetzen. Er hat glaubhaft gemacht, dass die Urlaubsregelung für die Ärzte zweimal jährlich im Voraus festgelegt wird um eine Vertretung sicher zu stellen. Diese Termine sind bereits verstrichen; ein weiterer Urlaub des Betroffenen selbst ist nicht geplant. Zudem hat er weiter ausgeführt, dass im Hinblick auf eine notwendig werdende Vertretung durch andere Ärzte ein vierwöchiger Urlaub nicht unproblematisch ist. Bei dieser Sachlage hält es das Gericht daher unter Zurückstellung einiger Bedenken für vertretbar, ausnahmsweise von der Verhängung des Regelfahrverbotes bei gleichzeitiger Erhöhung der Regelbuße abzusehen.
Das Gericht ist davon überzeugt, dass sich der Betroffene in diese Verurteilung bereits zu Warnung gereichen lässt und auch zukünftig die Vorschriften der Straßenverkehrsordnung ohne die Einwirkung eines Fahrverbotes einhalten wird. Der Betroffene hat den Ordnungswidrigkeitenverstoß unumwunden eingeräumt und Einsicht in sein Fehlverhalten gezeigt.
Im Ergebnis ist es daher ausnahmsweise gerechtfertigt unter angemessener Erhöhung des Bußgeldes von der Verhängung eines Fahrverbotes abzusehen."
Das Amtsgericht kann zwar im Einzelfall von der Verhängung eines Regelfahrverbotes absehen, wenn eine erhebliche Härte oder zumindest eine Vielzahl für sich genommen gewöhnlicher und durchschnittlicher Umstände vorliegen, die das Tatgeschehen aus dem Rahmen typischer Begehungsweise im Sinne einer Ausnahme herausheben (vgl. BGHSt 38, 125, 134; OLG Hamm, VRS 90, 392, 394). Der Richter muß jedoch nach übereinstimmender Rechtsprechung der Obergerichte die Grundentscheidung des Verordnungsgebers für Verkehrsverstöße der vorliegenden Art respektieren und für seine Entscheidung eine eingehende, auf Tatsachen gestützte Begründung geben. Diese darf sich insbesondere nicht nur in einer unkritischen Wiedergabe der Einlassung des Betroffenen erschöpfen (vgl. z.B. OLG Hamm, 2. Senat, ZAP-EN-Nr. 200/98 = MDR 1998, 593 = VRS 95, 138; OLG Hamm, 3. Senat, Beschlüsse vom 24. Mai 1998 - 3 Ss OWi 160/98 - und vom 11. August 1998 - 3 Ss OWi 697/98 -; OLG Hamm, 4. Senat, Beschlüsse vom 7. Mai 1998 - 4 Ss OWi 426/98 -; vom 28. November 2000 - 4 Ss OWi 969/00 - und vom 6. Mai 2003 - 4 Ss OWi 331/03 -).
Keiner der vom Amtsgericht angeführten Gründe ist für sich genommen oder zusammen mit den anderen geeignet, die Entscheidung über das Absehen von der Verhängung des Regelfahrverbotes rechtsfehlerfrei zu begründen.
Das gilt zunächst für den Umstand, der Betroffene habe die Grenze für die Verhängung eines Fahrverbotes "lediglich" um 3 km/h überschritten. Bei einer von der Bußgeldkatalogverordnung erfaßten Geschwindigkeitsüberschreitung, für die ein Fahrverbot vorgesehen ist, ist ein grober bzw. beharrlicher Pflichtenverstoß indiziert, dessen Ahndung, abgesehen von besonderen Ausnahmefällen, in der Regel die Anordnung eines Fahrverbotes bedarf (Hentschel, StVR, 37. Auflage, § 25 StVG Rdnr. 19 m.w.N; vgl. auch OLG Hamm, 4. Senat, Beschluß vom 7. Mai 1998 - 4 Ss OWi 426/98 -). Der Umstand, daß eine Geschwindigkeitsüberschreitung in der Nähe einer solchen festgelegten Grenze liegt, kann somit keine Bedeutung erlangen.
Die weiteren Erwägungen des Amtsgerichts zum Vorliegen einer beruflichen und persönlichen Härte halten einer sachlich-rechtlicher Überprüfung gleichfalls nicht Stand. Die Erwägungen des Amtsgerichts beruhen auf unkritisch übernommenen Angaben des Betroffenen, ohne diese zu hinterfragen. Damit lassen sie die maßgeblichen Umstände außer Betracht.
Bei den Erwägungen im Zusammenhang mit dem allgemeinen ärztlichen Notdienst fehlen insbesondere überprüfte Feststellungen dazu, wie oft der Betroffene während der Dauer eines Monats am allgemeinen Notdienst der Ärzte teilzunehmen hat. Dabei ist weiter zu berücksichtigen, daß die Zeit der Vollstreckung des Fahrverbotes unter Berücksichtigung des sogenannten Vollstreckungsaufschubs gemäß § 25 Abs. 2 a StVG möglicherweise in eine Zeit gelegt werden kann, in dem Notdienste nur in geringem Umfang anfallen. Das Amtsgericht hat hier zudem fehlerhaft darauf abgestellt, die Herbeiführung einer Vertretungsregelung sei "problematisch", jedoch nicht geprüft, ob die Herbeiführung einer Vertretungsregelung oder ein Tausch des Notdienstes unmöglich ist. So erscheint es insbesondere wenig wahrscheinlich, daß ein Notdiensttausch völlig unmöglich sein soll. Da der Dienstplan über den allgemeinen Notdienst - so die ungeprüften Feststellungen - zu Jahresbeginn festgelegt werden soll, würde das bedeuten, daß die beteiligten Ärzte wichtige, jedoch nicht vorhersehbare Termine nicht wahrnehmen könnten, wenn ein Tausch unmöglich wäre. Ähnliches gilt für die Urlaubspläne des Betroffenen. Der Senat hält die Annahme, der Betroffene könne seine Urlaubspläne aufgrund der Notdiensteinteilung nicht abändern, zumindest solange für lebensfremd, bis das Gegenteil durch eine Beweisaufnahme überzeugend festgestellt ist. In diesem Zusammenhang kann auch keine maßgebliche Rolle spielen, welche Vorstellungen der Betroffene ursprünglich hinsichtlich seines Urlaubs hatte. Wenn ein Fahrverbot für ihn nur während des Urlaubs zu verbüßen sein sollte, wäre er ggfls. gehalten, seine Urlaubsüberlegungen an die Zeit der möglichen Vollstreckung des Fahrverbotes anzupassen.
Die Annahme einer persönlichen Härte, weil der Betroffene den psychiatrischen Notdienst nicht wahrnehmen könne, stellt sich ebenfalls als rechtsfehlerhaft dar. Auch insoweit fehlen überprüfte Feststellungen zur Häufigkeit der Einteilung und zur Häufigkeit von erforderlichen Hausbesuchen. Ganz abgesehen davon hat sich das Amtsgericht auch nicht mit der Frage befaßt, ob der Betroffene evtl. notwendig werdenden Fahrten unbedingt selbst durchführen muß oder sich nicht durch Familienangehörige, einen notfalls einzustellenden Ersatzfahrer oder durch Inanspruchnahme von Taxen vornehmen kann. Daß alle diese Möglichkeiten nicht gegeben sein sollen, ist ebenfalls nur schwer vorstellbar. Bedeutung hätte in diesem Zusammenhang auch, wenn sich das Vorbringen der Staatsanwaltschaft als zutreffend herausstellen sollte, daß die Ehefrau des Betroffenen gemeinsam mit dem Betroffenen als Psychotherapeutin in einer Praxis arbeitet, da sie dann - entweder im Tausch mit ihrem Ehemann oder in Vertretung desselben - zumindest den psychiatrischen Notdienst für ihn wahrnehmen könnte.
Das angefochtene Urteil war daher im Rechtsfolgenausspruch mit den Feststellungen aufzuheben, und die Sache war in diesem Umfang zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen.


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