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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 2 Ss 21/04 OLG Hamm

Leitsatz: Die erforderliche Mitwirkung eines Verteidigers wegen Unfähigkeit der Selbstverteidigung ergibt sich dann, wenn der Nebenkläger an der Hauptverhandlung teilnimmt und dieser sich anwaltlichen Beistandes bedient.

Senat: 2

Gegenstand: Revision

Stichworte: Pflichtverteidiger; Beiordnung; Nebenkläger; anwaltlich vertreten, Unfähigkeit der Selbstverteidigung

Normen: StPO 140

Beschluss: Strafsache
gegen S.T.
wegen gefährlicher Körperverletzung

Auf die (Sprung-)Revision des Angeklagten vom 23. August 2003 gegen das Urteil des Amtsgerichts Recklinghausen vom 18. August hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 09. 02. 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft einstimmig gem. § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:

Das Urteil des Amtsgerichts Recklinghausen vom 18. August 2003 wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Recklinghausen zurückverwiesen.

Gründe:
I.
Das Amtsgericht - Jugendschöffengericht - Recklinghausen hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung im Zustand verminderter Schuldfähigkeit zu einer Jugendstrafe von sechs Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist, verurteilt. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit der form- und fristgerecht eingelegten Sprungrevision. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben.

II. Das Rechtsmittel ist zulässig. Es hat auch in der Sache - zumindest vorläufig - Erfolg. Die Generalstaatsanwaltschaft hat ihren Aufhebungsantrag wie folgt begründet:

„Die Rüge der Revision, das Tatgericht habe seine Aufklärungspflicht dadurch verletzt, dass es entgegen §§ 38 Abs. 3, 50 Abs. 3 JGG einen Vertreter der Jugendgerichtshilfe nicht herangezogen hat, geht fehl, weil diese Rüge nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügt. Das Tatgericht verletzt zwar in der Regel seine Aufklärungspflicht, wenn es die Jugendgerichtshilfe nicht heranzieht. Vorliegend ist jedoch ausweislich der Urteilsfeststellungen die Jugendgerichtshilfe beteiligt worden, denn der Bericht der Jugendgerichtshilfe ist mit dem Angeklagten erörtert worden. In einem solchen Falle kommt ein Verstoß gegen § 244 Abs. 2 StPO nur unter der Voraussetzung in Betracht, dass konkrete greifbare Anhaltspunkte die Annahme nahe legen, die Jugendgerichtshilfe habe von einer Teilnahme der Hauptverhandlung abgesehen, obgleich sie Erkenntnisse habe oder gewinnen könnte, die für den Ausspruch über die Rechtsfolgen der Tat von Bedeutung sind (zu vgl. NStZ-RR 2003, 344). Konkrete greifbare Anhaltspunkte für eine solche Möglichkeit hat die Revision indes nicht vorgetragen. Die Rüge scheitert deshalb schon am Mangel der umfassenden Darlegung der Rügetatsachen.

Auch die Rüge der Revision, das Gericht habe seine Aufklärungspflicht dadurch verletzt, dass ein Sachverständigengutachten zur Frage der Schuldunfähigkeit nicht eingeholt worden ist, geht fehl, da auch diese Rüge nicht in zulässiger Form erhoben worden ist. Die Revision hat bereits nicht ausreichend dargelegt, welches Ergebnis von der unterbliebenen Beweiserhebung zu erwarten gewesen wäre und welche Umstände das Gericht zu weiteren Ermittlungen hätten drängen müssen. Eine Aufklärungsrüge, die ein günstiges Ergebnis - wie im vorliegenden Fall - nur für möglich erachtet, ist jedoch unzulässig (zu vgl. Meyer-Goßner, StPO, 46. Auflg., Rdn. 81 zu § 244).

Der Angeklagte macht jedoch mit seiner in zulässiger Form erhobenen Verfahrensrüge zu Recht den absoluten Revisionsgrund der §§ 140 Abs. 2, 338 Nr. 5 StPO geltend, weil die Hauptverhandlung gegen ihn ohne den Beistand eines Verteidigers und somit in Abwesenheit einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, stattgefunden hat.

Insoweit ist unerheblich, dass der Angeklagte in der Hauptverhandlung nicht (noch einmal) die Beiordnung eines Pflichtverteidigers beantragt hat. Denn der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO gilt auch dann, wenn die Voraussetzungen der Generalklausel des § 140 Abs. 2 StPO vorliegen, ein Verteidiger aber nicht bestellt worden ist (zu vgl. NStZ-RR 1998, 243 m.w.N.).

Die Mitwirkung eines Verteidigers war in der Hauptverhandlung am 18.08.2003 vor dem Amtsgericht Recklinghausen gemäß § 140 Abs. 2 StPO notwendig, weil der Angeklagte unfähig war, sich selbst zu verteidigen. Die erforderliche Mitwirkung eines Verteidigers wegen Unfähigkeit der Selbstverteidigung ergibt sich vorliegend aus § 140 Abs. 2 Halbsatz 2 StPO. Danach ist einem Angeklagten dann ein Pflichtverteidiger beizuordnen, wenn ersichtlich ist, dass er sich nicht selbst verteidigen kann, namentlich, weil dem Verletzten nach §§ 397 a, 400 g Abs. 3, 4 StPO ein Rechtsanwalt beigeordnet worden ist. Insbesondere in diesen Fällen geht das Gesetz, was der Regelung in § 140 Abs. 2 Halbsatz 2 StPO entnommen werden kann, davon aus, dass ein Angeklagter in seiner Fähigkeit, sich selbst zu verteidigen, erheblich beeinträchtigt sein kann (zu vgl. OLG Hamm, Senatsbeschluss vom 08.09.1998 - 2 Ss 1075/98 -; StV 1/99, 11, 12). Dies beruht darauf, dass er sich einem am Verfahren beteiligten Verletzten gegenübersieht, der sich des fachkundigen Rates eines Rechtsanwalts bedienen kann. Vorliegend hat das Amtsgericht Recklinghausen den Geschädigten als Nebenkläger zugelassen. Es hat dem Verletzten zwar keinen Rechtsanwalt beigeordnet, doch hat dieser sich, worauf die Revision zutreffend hinweist, - auch in der Hauptverhandlung - anwaltlichen Rates bedient. Die Beiordnung eines Verteidigers kann aber auch dann geboten sein, wenn der Verletzte sich auf eigene Kosten eines Rechtsanwalts als Beistand bedient. Auch dann wird dem Angeklagten in der Regel ein Pflichtverteidiger beizuordnen sein (zu vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., Rdn. 31 zu § 140, KK a.a.O., Rdnr. 24 zu § 114).

Damit sind die Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 Halbsatz 2 StPO erfüllt, so dass dem Angeklagten ein Pflichtverteidiger beizuordnen ist.

Es sind vorliegend auch keine Gründe erkennbar, die es gerechtfertigt erscheinen lassen, von diesem Erfordernis abzusehen. Zwar wird nicht unbedingt in jedem Fall ein Verletztenbeistand die Beiordnung eines Pflichtverteidigers für den Angeklagten wegen Unfähigkeit der Selbstverteidigung nach sich ziehen. Dem Gesetzeswortlaut „namentlich" lässt sich jedoch entnehmen, dass in den Fällen des Vorliegens eines Beistandes für den Verletzten die Beiordnung eines Pflichtverteidigers für den Angeklagten der zwingende Grundsatz sein wird, wovon nur in Ausnahmefällen wird abgesehen werden können (zu vgl. OLG Hamm, Senatsbeschluss vom 08.09.1998 - 2 Ss 1075/98 -). Hier sind jedoch keine besonderen Umstände ersichtlich, die es gerechtfertigt erscheinen lassen könnten, dem Angeklagten einen Pflichtverteidiger nicht beizuordnen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass das Gericht aufgrund des „aggressiven Impulsdurchbruchs" von einer verminderten Schuldfähigkeit gemäß § 21 StGB ausgegangen ist und wegen der Schwere der Schuld Jugendstrafe verhängt hat.

Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers war deshalb erforderlich. Dem steht auch nicht entgegen, dass der Angeklagte einen Wahlverteidiger mandatiert hatte, denn beim Ausbleiben des Wahlverteidigers ist im Falle notwendiger Verteidigung zwingend ein Pflichtverteidiger zu bestellen (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 26.09.1996 - 3 Ss 1079/96 -; BGHSt, Beschluss vom 24.01.1961 - 1 StR 132/60 -).

Da der aufgezeigte Verfahrensfehler bereits zur Aufhebung der Verurteilung und Zurückverweisung führt, kommt es auf die erhobene Sachrüge nicht mehr an, obgleich auch die Feststellungen im angefochtenen Urteil zur Schwere der Schuld rechtlichen Bedenken begegnen.“

Diesen überzeugenden und in jeder Hinsicht zutreffenden Ausführungen tritt der Senat nach eigener Sachprüfung bei.

Zusätzlich weist er darauf hin, dass die von der Generalstaatsanwaltschaft zutreffend zitierte Entscheidung des Senats vom 8. September 1998 (2 Ss 1075/98 - StV 1999, 11) gerade im Jugendgerichtsverfahren von Bedeutung ist, wenn sich dort der Geschädigte des Beistands und der Vertretung eines Rechtsanwalts bedient. Es widerspricht dem Grundsatz des „fair trial“, dann den angeklagten Jugendlichen oder Heranwachsenden ohne anwaltlichen Beistand zu lassen.

Der Senat weist im Übrigen darauf hin, dass die auch die verhängte Rechtsfolge - sechs Monate Jugendstrafe - erheblichen Bedenken begegnet. Ob angesichts der Gesamtumstände tatsächlich zu Recht das Merkmal der „Schwere der Schuld“ bejaht worden ist, kann zunächst offen bleiben. Jedenfalls wird sich der nun zur Entscheidung berufene Tatrichter mit der Frage auseinander zu setzen haben, warum gegen den Angeklagten noch mit inzwischen rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts Recklinghausen vom 5. März 2003 (vgl. die Revisionsentscheidung des Senats vom 26. September 2003 - 2 Ss 519/2003) wegen gefährlicher Körperverletzung eine jugendrichterlicher Weisung verhängt werden konnte, nun aber sofort eine Jugendstrafe verhängt werden musste. Auch liegt unter Berücksichtigung des Gesamtverhaltens des Angeklagten die Annahme schädlicher Neigungen eher nahe als die der „Schwere der Schuld“.


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