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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 3 Ss Owi 56/04 OLG Hamm

Leitsatz: Zur ausreichenden Begründung der Verfahrensrüge, mit der geltend gemacht wird, der Tatrichter habe den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid zu Unrecht verworfen

Senat: 3

Gegenstand: Rechtsbeschwerde

Stichworte: Vewerfungsurteil; Ausbleiben des Betroffenen; genügende Entschuldigung; Erkrankung; Begründung der Verfahrensrüge

Normen: OwiG 74 Abs 2. StPO 344 Abs. 2

Beschluss: Bußgeldsache
gegen J.M.,
wegen Verkehrsordnungswidrigkeit.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Essen vom 22. September 2003 hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 02. 03. 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Amtsgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde wird auf Kosten des Betroffenen als unbegründet verworfen.

Gründe:
I.
Gegen den Betroffenen ist durch Bußgeldbescheid der Stadt Essen vom 10. Oktober 2002 eine Geldbuße in Höhe von 150,- Euro sowie ein Fahrverbot von einem Monat Dauer verhängt worden, da er die zulässige Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 49 km/h überschritten hatte.

Auf den Einspruch des Betroffenen hat das Amtsgericht Hauptverhandlungstermin auf den 22. September 2003 anberaumt. Zu diesem Termin ist der Betroffene nicht erschienen. Das Amtsgericht hat daraufhin mit dem angefochtenen Urteil den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid der Stadt Essen vom 10. Oktober 2002 verworfen und zur Begründung ausgeführt, dass die von der Verteidigerin vorgetragenen Gründe keine genügende Entschuldigung seien, weil weder über die genaue Erkrankung noch über die Verhandlungsunfähigkeit des Betroffenen genügenden Erkenntnisse vorlägen und die alleinige Angabe der Verteidigerin, er habe starke Schmerzen ohne ein entsprechendes Attest keine ausreichende Entschuldigung im Sinne des § 74 OWiG sei.
Gegen das seiner Verteidigerin am 1. Oktober 2003 zugestellte Urteil wendete sich der Betroffene mit am 7. Oktober 2003 bei dem Amtsgericht eingegangenem Schreiben seiner Verteidigerin vom 6. Oktober, mit der sie die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragte und für den Fall der Verwerfung des Wiedereinsetzungsantrags gleichzeitig Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Essen vom 22. September 2003 eingelegt hat.
Zur Begründung wurde ausgeführt, der Betroffene sei am Terminstage verhandlungsunfähig erkrankt gewesen und ein diesbezügliches Attest würde schnellstmöglich nachgereicht.
Der Betroffene hat mit Anwaltsfax vom 16. Oktober 2003 eine Bescheinigung eines Zahnarztes vorgelegt, wonach er am 22.9.2003 in der Zeit von 9.00 bis 12.00 Uhr in der Praxis behandelt worden und die Behandlung wegen akuter Schmerzen dringend erforderlich gewesen sei. Die Erkrankung selbst wurde nicht bezeichnet.
Das Amtsgericht hat mit mittlerweile rechtskräftigem Beschluss vom 17. Oktober 2003 das Wiedereinsetzungsgesuch zurückgewiesen.

Mit Schriftsatz vom 30. Oktober 2003 wurde die Rechtsbeschwerde mit der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet.

II.
Die Rechtsbeschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt worden, erweist sich jedoch gleichwohl hinsichtlich der Verletzung formellen Rechts als unzulässig, weil sie den Begründungserfordernissen des § 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 StPO nicht entspricht.
Die von der Rechtsbeschwerde gerügte Verletzung des § 74 Abs. 2 OWiG kann entweder dadurch begründet sein, dass das Amtsgericht hinsichtlich des Entschuldigtseins des Betroffenen bekannte Umstände nicht oder rechtsfehlerhaft gewürdigt hat, oder dadurch, dass es durch die pflichtwidrig versäumte Feststellung der tatsächlichen Grundlagen eines gegebenen Entschuldigungsgrundes seine Aufklärungspflicht nach § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 244 Abs. 2 StPO verletzt hat. Beides ist mit einer den Vorschriften des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 OWiG entsprechenden Verfahrensrüge geltend zu machen, deren Gegenstand entweder die fehlerhafte Anwendung des § 74 Abs. 2 OWiG durch Verkennung seines Regelungsgehaltes, also durch einen Subsumtionsfehler, oder die unzureichende Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts sein kann (OLG Köln, NStZ-RR 1999, 337; Senge, in: KK-OWiG, § 74 Rdnr. 63 f m.w.N.; Göhler, OWiG, 13. Aufl., § 74 Rdnr. 48 b).
Im Rahmen dieser Verfahrensrüge müssen gemäß § 344 Abs. 2 S. 2 StPO i.V.m.
§ 79 Abs. 3 OWiG die den behaupteten Verfahrensverstoß begründenden Tatsachen so vollständig und genau dargelegt werden, dass das Revisionsgericht aufgrund der Rechtfertigungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen werden (Senat, Beschluss vom 17.02.1998 - 3 Ss OWi 722/97 OLG Hamm; OLG Hamm, 4. Senat für Bußgeldsachen, Beschluss vom 25.03.1998 - 4 Ss OWi 716/98 OLG Hamm; Beschluss vom 23.03.1999 - 4 Ss OWi 248/99 OLG Hamm; Beschluss vom 15.02.2000 - 4 Ss OWi 88/00 OLG Hamm -; OLG Hamm, 5. Senat für Bußgeldsachen, Beschluss vom 02.03.1999 - 5 Ss OWi 56/99 OLG Hamm).
Dabei hängt der Umfang der Darlegungspflicht des Beschwerdeführers nach § 344 Abs. 2 S. 2 StPO allerdings weiter davon ab, ob der Verfahrensfehler sich aus dem Inhalt des angefochtenen Urteils ergibt oder nicht (OLG Köln, VRS 72, 442, 443). Wenn der Tatrichter tatsächliche Feststellungen dazu getroffen hat, ob und wie der Betroffene sein Ausbleiben entschuldigt hat, ist das Rechtsbeschwerdegericht an die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils hierzu gebunden und darf diese Feststellungen nicht im Wege des Freibeweises nachprüfen oder ergänzen (BGHSt 28, 384, 387 f).
Bei Beachtung dieser Grundsätze ist die Verfahrensrüge hier bereits nicht zulässig ausgeführt. Die Angaben der Rechtsbeschwerde zu der angeblichen Verletzung der Aufklärungspflicht durch den Tatrichter sind in sich völlig unsubstantiiert.
Erforderlich wäre der Vortrag der Rechtsbeschwerde gewesen, dass der Tatrichter durch die Verteidigung über konkrete Tatsachen zu Art und Ausmaß der Erkrankung informiert worden war, jedenfalls aber die Mitteilung des behandelnden Arztes, um dem Tatrichter ggf. Nachfragen zum tatsächlichen Vorliegen des entsprechenden Entschuldigungsgrundes zu ermöglichen (vgl. OLG Köln, NStZ-RR 1999, 337).
Dagegen reicht die undifferenzierte und auch nicht auf ärztlicher Einschätzung beruhende Behauptung einer Erkrankung nicht aus, um dem Tatrichter einen schlüssigen und überprüfbaren Hinweis darauf zu geben, dass tatsächlich eine Verhinderung des Betroffenen gegeben war. Eine solche Behauptung ist daher nicht geeignet, dem Gericht Kenntnis von einem Entschuldigungsgrund zu verschaffen (OLG Köln, VRS 98, 217, 218). Hier hatte der Betroffene durch seine Verteidigerin nach dem Inhalt der Rechtsbeschwerde dem Gericht weder mitgeteilt, welcher Art seine Krankheit war, noch hatte er kundgetan, dass die Erkrankung überhaupt durch einen Arzt festgestellt worden war. Damit fehlt es hier an einer hinreichenden Substantiierung der Verfahrensrüge.

Die zusätzlich erhobene Sachrüge ermöglicht hier lediglich die Überprüfung des angefochtenen Urteils auf das Vorliegen von Verfahrenshindernissen, da das Verwerfungsurteil gemäß § 74 Abs. 2 ein Prozessurteil ohne sachlich-rechtlichenInhalt ist (Senatsbeschluss vom 13.06.1996, 3 Ss OWi 603/96; Göhler, OWiG, 13. Aufl., § 74 Rdnr. 48 b).
Verfahrenshindernisse sind jedoch vorliegend nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 OWiG.

Aktenzeichen: 2 Ss 73/04 OLG Hamm

Leitsatz: Vom Tatrichter sind bei einem Verstoß gegen das BtM-Gesetz konkrete Feststellungen zum Wirkstoffgehalt zu treffen oder es ist von der für den Angeklagten günstigsten Qualität auszugehen, die nach den Umständen in Betracht kommt.

Senat: 2

Gegenstand: Revision

Stichworte: Feststellungen; Umfang; Verstoß gegen das BtM-Gesetz; konkrete Feststellungen; Wirkstoffgehalt

Normen: StPO 267

Beschluss: Strafsache
gegen M.E.
unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln

Auf die (Sprung-)Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts
- Schöffengerichts - Lüdenscheid vom 27. November 2003 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 04. 03 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Amtsgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Lüdenscheid zurückverwiesen.

G r ü n d e :
I.
Das Amtsgericht - Schöffengericht - Lüdenscheid hat den Angeklagten mit Urteil vom 27. November 2003 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Die Einziehung des sichergestellten Heroins sowie eines Geldbetrages von 365,- € wurde angeordnet. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte mit am 1. Dezember 2003 beim Amtsgericht Lüdenscheid eingegangenen Schriftsatz seines ehemaligen Verteidigers Berufung eingelegt. Nach Zustellung des schriftlichen Urteils an den ehemaligen Verteidiger am 19. Dezember 2003 hat der Angeklagte mit am 19. Januar 2004 eingegangenen Schriftsatz seines jetzigen Verteidigers das Rechtsmittel als Revision bezeichnet und begründet. Der Angeklagte rügt die Verletzung sachlichen Rechts und beantragt, das Urteil mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Lüdenscheid zu verweisen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat ebenfalls beantragt, das angefochtene Urteil mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Lüdenscheid zurückzuverweisen.

II.
Die (Sprung-)Revision des Angeklagten ist zulässig und hat auch in der Sache - zumindest vorläufigen - Erfolg.

Die Überprüfung des Urteils auf die allein erhobene Sachrüge hin lässt einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erkennen. So hat das Amtsgericht keine eindeutigen Feststellungen zu dem dem Angeklagten zur Last gelegten Schuldumfang getroffen. Vorliegend wird dem Angeklagten vorgeworfen, in zwei Fällen mit Betäubungsmitteln unerlaubt Handel getrieben zu haben. Dabei hat das Amtsgericht festgestellt, dass es sich um Heroin handelte und auch Angaben zur jeweiligen Menge des Heroins gemacht. Es fehlen jedoch Angaben zu dessen Qualität bzw. zu dessen zumindest vorhandenem Wirkstoffgehalt. Insoweit sind die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen lückenhaft und nicht ausreichend.

Neben der Art und der Menge des Betäubungsmittels, auf das sich die Tat bezieht, ist insbesondere dessen Qualität von wesentlicher Bedeutung für die Strafzumessung. Für den Schuldumfang ist es erheblich, welche betäubungsmittelrelevanten Wirkstoffmengen sich in dem jeweiligen Betäubungsmittelgemisch befunden haben (vgl. Körner, BtMG, 5. Aufl., § 29 Rn. 425; OLG Köln, VRS 100, 187, 189; jew. m.w.N.). Vom Tatrichter sind daher konkrete Feststellungen zum Wirkstoffgehalt zu treffen oder es ist von der für den Angeklagten günstigsten Qualität auszugehen, die nach den Umständen in Betracht kommt. Ist eine genaue Bestimmung des Wirkstoffgehalts nicht möglich, ist die Qualität des Betäubungsmittels unter Berücksichtigung anderer hinreichend sicher feststellbarer Tatumstände wie beispielsweise Herkunft, Preis und Beurteilung der Betäubungsmittel durch Tatbeteiligte sowie letztlich des Grundsatzes „in dubio pro reo“ zu ermitteln (vgl. Körner, a.a.O., § 29 Rn. 425, 433, § 29 a Rn. 97; OLG Köln, a.a.O.). Von genaueren Feststellungen darf lediglich dann abgesehen werden, wenn auszuschließen ist, dass eine genaue Angabe des Wirkstoffgehalts das Strafmaß zugunsten des Angeklagten hätte beeinflussen können (vgl. Körner, a.a.O., § 29 a Rn. 85). Hiervon kann im vorliegenden Fall angesichts der jeweils verhängten nicht unerheblichen Einzelfreiheitsstrafen von sechs und neun Monaten jedoch nicht ausgegangen werden. Da die jeweiligen Heroinmengen sichergestellt wurden, dürften sich zudem die Wirkstoffgehalte und damit die Qualität des Heroins noch feststellen lassen.

Das angefochtene Urteil konnte somit keinen Bestand haben, so dass es mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsmittels - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Lüdenscheid zurückzuverweisen war (§ 354 Abs. 2 StPO).


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