Aktenzeichen: 1 Ss 680/03 OLG Hamm
Leitsatz: Zur Frage, wann sich das tatrichterliche Urteil mit den Voraussetzungen des § 21 StGB befassen muss
Senat: 1
Gegenstand: Revision
Stichworte: verminderte Schuldfähigkeit; Darstellung in den Urteilsgründen; Auseinandersetzung; Anforderungen
Normen: StGB 21; StPO 267
BeschlussStrafsache
gegen S.H.
wegen Diebstahls
Auf die Revision der Angeklagten gegen das Urteil der VIII. kleinen Strafkammer des Landgerichts Dortmund vom 29. August 2003 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 09. 03. 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Dortmund zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Dortmund hat die Angeklagte wegen Diebstahls in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt. Die hiergegen von der Angeklagten eingelegte, wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung hat die Strafkammer mit dem angefochtenen Urteil verworfen. Dagegen richtet sich die Revision der Angeklagten, mit der sie ohne nähere Ausführungen die Verletzung materiellen Rechts rügt.
II.
Die zulässige Revision der Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg und führt zur Aufhebung des landgerichtlichen Urteils.
1. Nicht zu beanstanden ist allerdings, dass die Gründe des angefochtenen Urteils keine Ausführungen über das strafbare Verhalten, das der Angeklagten zur Last gelegt wird, enthalten und dass diese auch nicht durch eine ausdrückliche oder auch nur schlüssige Bezugnahme auf die Schuldfeststellungen des erstinstanzlichen Urteils mitgeteilt werden. Darin ist ein Rechtsfehler zu Lasten der Angeklagten - der bei seiner Bejahung zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führen würde nicht zu sehen. Bundesgerichtshof hat in seiner auf Vorlage des Oberlandesgerichts Hamburg ergangenen Entscheidung vom 6. Juli 2000 - 5 StR 149/00 - (vgl. NStZ-RR 2001, 202) zur Frage des unerlässlichen Begründungsumfangs eines Berufungsurteils ausgeführt, dass er eine Wiederholung der den Schuldspruch tragenden Feststellungen oder auch nur eine ausdrückliche, mehr oder weniger konkrete Bezugnahme auf das angefochtene Urteil hinsichtlich des rechtskräftigen Schuldspruchs gänzlich für entbehrlich halte, es vielmehr allein auf die ausreichende Feststellung der den rechtskräftigen Schuldspruch tragenden Feststellungen im erstinstanzlichen Urteil ankomme. Dem schließt sich der Senat unter Aufgabe seiner früheren engeren Rechtsauffassung in Übereinstimmung mit den übrigen Strafsenaten des hiesigen Oberlandesgerichts nunmehr ausdrücklich an.
Die demnach maßgeblichen tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts tragen die Verurteilung der Angeklagten wegen Diebstahls in zwei Fällen. Die Beschränkung der Berufung ist somit unwirksam.
2. Das - infolgedessen nur noch den Rechtsfolgenausspruch betreffende - Urteil ist jedoch aufzuheben, weil die Ausführungen der Strafkammer zur Strafbemessung durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnen.
Die Strafzumessung ist zwar grundsätzlich Sache des Tatrichters. Der Eingriff des Revisionsgerichts ist aber u.a. dann möglich und erforderlich, wenn die Strafzumessungserwägungen fehlerhaft sind (vgl. BGHSt 29, 319, 320). Das ist hier der Fall, weil die Strafkammer einen für die Strafzumessung wesentlichen Gesichtspunkt unberücksichtigt gelassen hat. Denn sie hat sich nicht mit der Möglichkeit einer verminderten Schuldfähigkeit der Angeklagten i.S.v. § 21 StGB auseinandergesetzt. Das hätte sich nach den Feststellungen, die die Strafkammer zur Person der Angeklagten und - ergänzend - zu den von ihr begangenen Taten getroffen hat, sowie nach den Erwägungen, die zur Einzel- und Gesamtstrafenbildung und zur Frage der Strafaussetzung zur Bewährung angestellt worden sind, indes aufgedrängt. Hierzu heißt es in dem angefochtenen Urteil nämlich u.a. wie folgt:
Die Angeklagte ist seit vielen Jahren drogenabhängig. Die von ihr am 13.10.2000 und 10.04.2001 verübten Diebstähle dienten allein dazu, sich finanzielle Mittel für den Drogenkonsum zu beschaffen. ...
Zugunsten der Angeklagten ist dabei zu berücksichtigen, dass sie die Taten eingeräumt hat, diese schon längere Zeit zurückliegen, das Diebesgut am 13.12.2000 sofort wieder an den Eigentümer zurückgelangt ist und zwischen den Diebstählen insofern ein Zusammenhang besteht, als beide Taten der Finanzierung der Drogensucht der Angeklagten dienten. ...
Die Angeklagte ist bereits in erheblicher Weise strafrechtlich in Erscheinung getreten. Sie ist Bewährungsversagerin. Zu den Tatzeiten stand sie allein in drei anderen Verfahren unter laufender Bewährung. Auch zuvor mussten schon mehrfach Strafaussetzungen zur Bewährung und Zurückstellungen widerrufen werden. Die Chance, die ihr durch die Aussetzung des Verfahrens in der Hauptverhandlung vom 05.07.2002 eingeräumt worden ist, hat die Angeklagte nicht genutzt. Die Kammer verkennt zwar nicht, dass bei der Angeklagten insoweit Ansätze zu einer Veränderung vorhanden waren, als sie sich erstmals einer stationären Therapie unterzogen hat. Diese hat sie jedoch ohne ärztliches Einverständnis abgebrochen, und anschließend hat sie erneut Heroin konsumiert. ....
Bei dieser Sachlage hätte die Frage einer verminderten Schuldfähigkeit nicht unerörtert bleiben dürfen, da Anhaltspunkte für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB gegeben waren. Die Strafkammer hätte, ggf. unter Hinzuziehung eines Sachverständigen, prüfen müssen, ob die Unrechtseinsichtsfähigkeit der Angeklagten bei Begehung der Taten erheblich vermindert i.S.v. § 21 StGB war. Das Fehlen jeglicher Auseinandersetzung mit dieser Frage in dem angefochtenen Urteil stellt bei der gegebenen Sachlage einen durchgreifenden Rechtsfehler dar. Deswegen war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache gemäß § 354 Abs. 2 StPO zur neuen Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Aktenzeichen: 4 Ss 688/03 OLG Hamm
Leitsatz: Zur gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr bei Zufahren auf einen Polizeibeamten
Senat: 1
Gegenstand: Revision
Stichworte: gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr, Zufahren auf einen anderen Menschen; Intensität des Eingriffs; Vorsatz
Normen: StGB 315c; StPO 267
Beschluss: Strafsache
gegen H.S.
wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr.
Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der Strafkammer II des Landgerichts Detmold vom 11. November 2003 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 19. 02. 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht und die Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft, des Angeklagten und seines Verteidigers gem. § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Detmold zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Blomberg hat den Angeklagten am 02. September 2003 wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Zugleich ist dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen und sein Führerschein eingezogen worden. Die Verwaltungsbehörde ist angewiesen worden, dem Angeklagten vor Ablauf von 20 Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.
Das Landgericht hat die dagegen gerichtete Berufung des Angeklagten mit der Maßgabe verworfen, dass die Sperrfrist noch ein Jahr und sechs Monate beträgt, und zur Sache folgende Feststellungen getroffen:
Am 11. Juli 2003 gegen 10.30 Uhr befuhr der Angeklagte mit seinem Pkw Daimler Benz die Detmolder Straße in Barntrup-Selbeck. Hier führten die Polizeibeamten P. und A mittels einer Laserpistole eine Geschwindigkeitskontrolle durch. Der Angeklagte wurde bei zulässigen 50 km/h mit einer Geschwindigkeit von 84 km/h gemessen. In einer Bushaltebucht wurde er angehalten. Der Zeuge POK A führte ihm die Aufnahme des Kontrollgerätes vor. Der Zeuge POK P. kontrollierte die Fahrzeugpapiere und den Führerschein des Angeklagten. Dieser war sehr erbost über die Kontrolle. Er zweifelte die Richtigkeit der Messung ebenso wie eine Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit an. Von Anfang an reagierte er aggressiv und sah sein Fehlverhalten in keiner Weise ein. Mehrfach schüttelte er sich, um etwas ruhiger zu werden. Das gelang ihm jedoch nicht. Während der gesamten Kontrolle lief der Motor des 150 PS starken Fahrzeugs. Der Zeuge P. hatte darauf verzichtet, den Angeklagten zu bitten, den Motor abzuschalten. Er wollte die Situation nicht noch weiter eskalieren lassen. Nach Beendigung der Kontrolle begab sich der Angeklagte wieder zu seinem Pkw und setzte sich auf den Fahrersitz. Der Zeuge POK P. hatte ihn dorthin begleitet und wollte sich zu seinem etwa 20 Meter vor dem Pkw befindlichen Kollegen begeben. Zu diesem Zweck ging er von seinem Standort an der Fahrertür schräg vor den Pkw Mercedes entlang. Als er sich etwa mittig vor dem Fahrzeug in ca. zwei Meter Entfernung befand, fuhr der Angeklagte mit dem Automatik Pkw los. Er hielt genau auf den Zeugen POK P. zu, der in seinem Sichtbereich ging. Dabei nahm er billigend in Kauf, den Zeugen zumindest zu gefährden. Er war noch immer sehr erbost über die Kontrolle. Es konnte nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachgewiesen werden, dass er den Polizeibeamten überfahren wollte. Der Zeuge POK P. hatte die Bewegung des Fahrzeugs aus den Augenwinkeln bemerkt. Nur durch einen schnellen Sprung Richtung Gehweg konnte er verhindern, überfahren zu werden. Der Zeuge A hatte von seinem Standort aus all dieses beobachtet. Nunmehr sprang er vor dem Pkw des Angeklagten und forderte ihn mit Rufen und wilden Handbewegungen zum Anhalten auf. Der Angeklagte hielt auch sofort an, wobei nicht genau festgestellt werden konnte, ob er wegen der Anhalteversuche des Zeugen POK A oder von sich aus anhielt. Jedenfalls kam er noch innerhalb der Bushaltebucht zum Stehen, nachdem er wenige Meter gefahren war.
Abweichend von den getroffenen Feststellungen hatte sich der Angeklagte ausweislich des angefochtenen Urteils dahin eingelassen, er sei nach der Kontrolle ganz normal angefahren. Er habe das Lenkrad nach links eingeschlagen, um von der Bushaltebucht auf die Straße zu fahren. Der Zeuge POK A sei in diesem Moment etwa zwei bis drei Meter vor der Front seines Autos und nur einen Schritt vom Bordstein entfernt gewesen. Er, der Angeklagte, hätte problemlos an dem Polizeibeamten vorbeifahren können, ohne diesen auch nur ansatzweise zu gefährden.
Das Landgericht hat die Einlassung, soweit sie im Widerspruch zu den getroffenen Feststellungen steht, als widerlegt angesehen.
Hiergegen richtet sich die in zulässiger Form erhobene Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.
II.
Das angefochtene Urteil unterliegt auf die Sachrüge hin der Aufhebung.
Die von der Strafkammer getroffenen Feststellungen sind lückenhaft und nicht geeignet, die Verurteilung wegen eines vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr zu tragen. Insbesondere fehlen Feststellungen zu der von dem Angeklagten gefahrenen Geschwindigkeit, die in Anbetracht der festgestellten Fahrtstrecke von nur wenigen Metern und des sofortigen Abbremsens zum Stillstand noch innerhalb der Bushaltebucht sehr gering gewesen sein dürfte. Davon ausgehend, liegt es nahe bzw. kann möglicherweise nicht ausgeschlossen werden, dass der Angeklagte die Vorstellung hatte, ohne weiteres noch vor dem vor seinem Fahrzeug befindlichen Zeugen P. bremsen oder diesem ausweichen zu können, und sein Anfahren möglicherweise lediglich dem Zweck diente, den Polizeibeamten wegen der vermeintlich unberechtigten Geschwindigkeitskontrolle zu erschrecken bzw. ihn zu nötigen, zur Seite zu springen. Der Tatbestand des § 315 b Abs. 1 Nr. 3 StGB setzt eine grobe Einwirkung in den Verkehrsablauf von einigem Gewicht voraus, durch den Leib oder Leben eines anderen Menschen gefährdet werden (vgl.
BGHSt 26, 176, 178; BGH VRS 65, 142). Bei Verstößen geringen Gewichts scheidet, wenn der Fahrzeugführer das Geschehen wegen nur geringer Geschwindigkeit, entsprechend kurzem Bremsweg und der Möglichkeit zum rechtzeitigen Ausweichen beherrschen kann, die Tatbestandsmäßigkeit aus (vgl. BGH VRS 65, 142); ggf. bleibt allerdings eine Strafbarkeit nach § 240 StGB. Ob dem im vorliegenden Fall so war, hat die Strafkammer nicht hinreichend geklärt. Der nur ca. zwei Meter betragende Abstand zwischen dem anfahrenden Fahrzeug des Angeklagten und dem Zeugen P. ist allein kein tragfähiges Indiz für einen bedingten Gefährdungsvorsatz des Angeklagten.
Der aufgezeigte Mangel zwingt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mit den zugrundeliegenden Feststellungen und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Detmold, die auch über die Kosten des Rechtsmittels zu entscheiden haben wird.
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