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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 1 Ws 76/04 OLG Hamm

Leitsatz: Zur Besorgnis der Befangenheit des im Verfahren über die Bewilligung von Strafaussetzung zur Bewährung bestellten Sachverständige, wenn dieser sein Gutachten verzögert erstellt

Senat: 1

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Sachverständiger; Befangenheit; Ablehnung; verzögerte Gutachtenerstellung

Normen: StPO 24; StGB 57

Beschluss: Strafsache
gegen S.L.
wegen Totschlags, (hier: Ablehnung einer im Aussetzungsverfahren tätigen Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit).

Auf die Beschwerde des Verurteilten vom 26. Januar 2004 gegen den Beschluss der 4. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Dortmund vom 16. Januar 2004 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 16. 03. 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und
die Richterin am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:
Die Beschwerde wird auf Kosten des Verurteilten als unbegründet verworfen.
Gründe:
I.
Der Verurteilte verbüßt zurzeit nach den Vorschriften des Strafvollzugs für Erwachsene eine Jugendstrafe von neun Jahren sechs Monaten, die das Landgericht Wuppertal mit Urteil vom 11. November 1998 (11/98 XV/No.) gegen ihn wegen Totschlages verhängt hat. Nach den zugrunde liegenden Feststellungen der 4. Jugendkammer des Landgerichts Wuppertal hatte der zur Tatzeit 20 Jahre alte Verurteilte die zu seinem Bekanntenkreis gehörende 18-jährige K.E. am frühen Morgen des 27. Januar 1996 aus Wut und Enttäuschung über seine Zurückweisung seitens des Opfers durch sieben Schläge mit einer Hantelstange auf den Kopf und mehrfache Stiche in den Hals des Opfers vorsätzlich getötet. Die erkennende Strafkammer verneinte eine Schuldunfähigkeit oder erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Verurteilten und stützte sich dabei auf die Ausführungen des von der Kammer mit der psychiatrischen Begutachtung des Verurteilten beauftragten Sachverständigen Prof. Dr. E.. Dieser war zu der Feststellung gelangt, dass bei dem Verurteilten zwar eine Persönlichkeitsstörung, die von deutlichen narzisstischen und schizoiden Zügen gekennzeichnet sei, vorliege, diese Persönlichkeitsstörung aber noch nicht voll ausgereift sei und daher keinen relevanten Einfluss auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Verurteilten gehabt habe.

Der Verurteilte befindet sich seit seiner vorläufigen Festnahme am 9. Februar 1996 ununterbrochen in Haft. Mit Rechtskraft des Urteils des Landgerichts, die am 3. Februar 1999 eintrat, ging die zuvor angeordnete Untersuchungshaft in Strafhaft über. 2/3 der verhängten Jugendstrafe waren am 9. Juni 2002 verbüßt. Das Strafende ist für den 9. August 2005 notiert.

Die mit der Frage der Reststrafenaussetzung befasste Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Dortmund beauftragte am 26. März 2002 den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. med. B. R. aus Dortmund mit der Erstellung eines schriftlichen Gutachtens im Rahmen der gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 2 StGB vorzunehmenden Gefährlichkeitsprognose. In seinem psychiatrischen Gutachten vom 29. Mai 2002 vertrat der Sachverständige die Auffassung, dass von einer durchgreifenden Nachreifung und Festigung der Persönlichkeit des Verurteilten derzeit nicht ausgegangen werden könne und daher ein deutliches Rückfallrisiko anzunehmen sei. An dieser Einschätzung hielt der Sachverständige trotz der von dem Verteidiger des Verurteilten vorgebrachten Einwendungen auch im Anhörungstermin vor der Strafvollstreckungskammer vom 18. November 2002 fest. In diesem Anhörungstermin beantragte der Verteidiger des Verurteilten die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens und schlug als Sachverständige die Diplom-Psychologin Prof. Dr. phil. N. aus Waltrop vor. Die Strafvollstreckungskammer folgte diesem Antrag und beauftragte die Sachverständige Prof. Dr. N. mit Schreiben vom 4. Dezember 2002 mit der Erstellung eines schriftlichen Gutachtens zur Frage einer fortbestehenden Gefährlichkeit des Verurteilten.

Auf eine Sachstandsanfrage der Strafvollstreckungskammer, die auf Veranlassung des Verteidigers des Verurteilten erfolgte, teilte die Sachverständige dem Landgericht Dortmund mit Schreiben vom 27. April 2003 mit, dass sie wegen verschiedener bereits eingegangener Verpflichtungen den Verurteilten bislang noch nicht habe untersuchen können. Die Exploration werde nunmehr am 23. Mai 2003 erfolgen. Nachdem der Verteidiger des Verurteilten mit Schriftsatz vom 25. Juni 2003 erneut bei der Strafvollstreckungskammer nach dem Stand der Ausarbeitung des Gutachtens gefragt hatte, richtete die Strafvollstreckungskammer am 1. Juli 2003 eine zweite Sachstandsanfrage an die Sachverständige. Diese teilte der Kammer daraufhin am 15. Juli 2003 telefonisch mit, dass sie zur Fertigung des Gutachtens Unterlagen von Prof. Dr. E. benötige. Sie werde den Vorgang zum Monatsende zurücksenden.

Nachdem das schriftliche Gutachten Anfang August 2003 noch nicht bei Gericht eingegangen war, erkundigte sich die Strafvollstreckungskammer mit Schreiben vom 11. August 2003 erneut bei der Sachverständigen nach dem Sachstand. Mit Schreiben vom 22. August 2003, dem Landgericht Dortmund am 27. August 2003 per Fax übermittelt, legte die Sachverständige ihr unter dem 22. August 2003 erstelltes, schriftliches Gutachten vor. In diesem Gutachten, das u.a. auf gutachterliche Ausführungen des im Erkenntnisverfahren tätigen Sachverständigen Prof. Dr. E. sowie auf Äußerungen eingeht, die der für den Verurteilten in der Justizvollzugsanstalt Castrop-Rauxel als Betreuer zuständige Vollzugsbedienstete W. bei einer mit der Sachverständigen geführten Unterredung getätigt hatte, gelangte die Sachverständige zu der Feststellung, dass aufgrund einer weiterhin vorhandenen Persönlichkeitsproblematik die durch die Tat zutage getretene Gefährlichkeit des Verurteilten fortbestehe.

In dem daraufhin anberaumten Anhörungstermin vom 1. Dezember 2003, an dem auch die Sachverständige Dr. N. zur Erläuterung ihres schriftlichen Gutachtens teilnahm, überreichte der Verteidiger des Verurteilten der Strafvollstreckungskammer einen unter dem 1. Dezember 2003 gefertigten Schriftsatz, mit dem die Sachverständige Dr. N. wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt wurde. Als Gründe für die von dem Verurteilten darin geltende gemachte Besorgnis der Befangenheit der Sachverständigen wurden die eingetretenen Verzögerungen bei der Erstellung des Gutachtens sowie die ohne Rücksprache mit dem Gericht vorgenommene Kontaktaufnahme der Sachverständigen mit Prof. E. und dem „Betreuer“ W. genannt.

Mit Beschluss vom 16. Januar 2004 hat die 4. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Dortmund das Ablehnungsgesuch gegen die Sachverständige als unbegründet zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss richtet sich die mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 26. Januar 2004 erhobene Beschwerde des Verurteilten, der die Strafvollstreckungskammer nicht abgeholfen hat.

II.
Die gemäß § 304 Abs. 1 StPO statthafte und in zulässiger Weise eingelegte Beschwerde ist unbegründet. Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Dortmund hat das gemäß §§ 454 Abs. 2, 74 StPO zulässige Ablehnungsgesuch des Verurteilten vom 1. Dezember 2003 mit dem angefochtenen Beschluss zu Recht als unbegründet zurückgewiesen. Der von dem Verurteilten geltend gemachte Ablehnungsgrund der Besorgnis der Befangenheit (§§ 74 Abs. 1, 24 Abs. 1 u. 2 StPO) liegt nicht vor. Es ist kein Grund gegeben, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit der Sachverständigen Prof. Dr. N. zu rechtfertigen. Der Ablehnungsgrund der Besorgnis der Befangenheit würde nur dann vorliegen, wenn vom Standpunkt des Verurteilten aus verständigerweise ein Misstrauen gegen die Unparteilichkeit der Sachverständigen gerechtfertigt erscheinen würde; es müssen insoweit vernünftige Gründe vorgebracht werden, die jedem beteiligten Dritten einleuchten (zu vgl. Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., § 74 Rdnr. 4 m.w.N.). Solche vernünftigen und einleuchtenden Gründe, die geeignet sind, ein Misstrauen gegen die Unparteilichkeit der Sachverständigen Prof. Dr. N. zu rechtfertigen, hat der Verurteilte nicht vorgetragen.

Soweit der Verurteilte die geltend gemachte Besorgnis der Befangenheit der von ihm selbst bzw. von seinem Verteidiger vorgeschlagenen Sachverständigen daraus ableitet, dass die Sachverständige ihr Gutachten erst mit erheblicher Verspätung - nämlich ca. 8 Monate nach der Beauftragung seitens der Strafvollstreckungskammer - erstellt und vorgelegt habe, vermag diese im Hinblick auf das im Aussetzungsverfahren geltende Beschleunigungsgebot (vgl. BVerfG NStZ 2002, 333) bedenkliche zeitliche Verzögerung bei verständiger Würdigung aus Sicht des Verurteilten ein Misstrauen gegen die Unparteilichkeit der Sachverständigen nicht zu begründen. Allein aus dem Umstand, dass es bei der Exploration des Verurteilten und der anschließenden Erstellung des schriftlichen Sachverständigengutachtens zu zeitlichen Verzögerungen gekommen ist, ergibt sich nicht die Befürchtung, dass der im Aussetzungsverfahren nach § 57 Abs. 1 StGB, § 454 Abs. 2 StPO mit der Frage einer fortbestehenden Gefährlichkeit des Verurteilten befasste Sachverständige sein Gutachten unter dem Einfluss sachfremder Erwägungen so abfasst, dass es zu einer Ablehnung der bedingten Entlassung wegen Unvertretbarkeit des Erprobungsrisikos kommt. Aus der maßgeblichen Sicht eines verständigen Verurteilten besteht zwischen dem Zeitpunkt der Erstellung des Gutachtens und dem Inhalt der Gefährlichkeitsprognose des Sachverständigen keinerlei Sachzusammenhang. Die von dem Verurteilten insoweit vorgebrachte Argumentation, ein mit der Erstellung eines Gefährlichkeitsgutachtens nach § 454 Abs. 2 StPO, §§ 57, 57 a StGB „in Verzug geratener“ Sachverständiger neige aus Sicht eines Verurteilten zu einer negativen Prognosebeurteilung, um damit die bei der Gutachtenerstellung eingetretene zeitliche Verzögerung - weil letztlich „unschädlich“ - in einem milderen Licht erscheinen zu lassen, ist nicht schlüssig und ließe sich auch umkehren. Aus Sicht der Strafvollstreckungsbehörde ließe sich ebenso gut argumentieren, dass eine von dem Sachverständigen zu vertretende Verzögerung bei der Gutachtenerstattung die Befürchtung weckt, dass der Sachverständige, um den Unmut des Verurteilten über die eingetretene Verzögerung auszuräumen bzw. zu „kompensieren“, eher zu einer für den Verurteilten günstigen Täterprognose, die eine vorzeitige Entlassung des Verurteilten ermöglicht, neigt. Jeder Sachverständige, der sein Gefährlichkeitsgutachten mit zeitlicher Verzögerung erstellt, wäre dann befangen. Dass diese Argumentation, die der des Verurteilten vergleichbar ist, nicht einleuchtet, liegt auf der Hand. Bezeichnenderweise hat der Verurteilte sein Ablehnungsgesuch auch nicht bereits zu einem Zeitpunkt gestellt, als es zu den von ihm beanstandeten Verzögerungen bereits gekommen und damit nach seiner Argumentation der Ablehnungsgrund der Besorgnis der Befangenheit bereits geschaffen war, sondern erst nach Vorlage des letztlich für ihn ungünstigen Gutachtens der Sachverständigen Prof. Dr. N., die ebenso wie zuvor der Sachverständige Dr. med. R. von einer fortbestehenden Gefährlichkeit bzw. einem erhöhten Rückfallrisiko bei dem Verurteilten ausgeht.

Auch die Tatsache, dass die Sachverständige Prof. Dr. N. ohne diesbezügliche gerichtliche Aufforderung Unterlagen von Prof. Dr. E. angefordert und diese bei der Gutachtenerstellung berücksichtigt hat, sowie der Umstand, dass die Sachverständige Erkundigungen über den Verurteilten bei dessen „Betreuer“ in der Justizvollzugsanstalt W. eingeholt und die auf diesem Weg erhaltenen Auskünfte in dem Sachverständigengutachten vom 22. August 2003 verwertet hat, begründen eine Besorgnis der Befangenheit der Sachverständigen nicht. Es handelte sich dabei um eine übliche Vorgehensweise, die von § 80 StPO gedeckt ist. Die Sachverständige war zur Einholung von Auskünften und zur Heranziehung von Krankengeschichten und anderen Unterlagen auch ohne Mitwirkung des Gerichts im Rahmen ihres Sachverständigenauftrags befugt. Die Beiziehung des schriftlichen Gutachtens des im Erkenntnisverfahren mit der Begutachtung des Verurteilten beauftragten Sachverständigen Prof. Dr. E., das sich nicht bei dem der Sachverständigen übersandten Vollstreckungsheft befand, war im Übrigen ebenso zweckmäßig wie eine Fremdanamnese über den Betreuer des Verurteilten, um so insbesondere Erkenntnisse über das aktuelle Verhalten des Verurteilten im Strafvollzug wie beispielsweise über seine Reaktion auf das negative Prognosegutachten des Sachverständigen Dr. R. zu gewinnen. Keinesfalls war die Kontaktaufnahme der Sachverständigen zu Prof. Dr. E. und zu dem Betreuer des Verurteilten, die im übrigen offengelegt wurde, bei verständiger Sicht geeignet, ein Misstrauen des Verurteilten in die Unparteilichkeit der Sachverständigen hervorzurufen oder zu verstärken.

Nach alledem war die Beschwerde des Verurteilten mit der Kostenfolge des § 473 Abs. 1 StPO als unbegründet zurückzuweisen.


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