Aktenzeichen: 3 Ws 108/04 OLG Hamm
Leitsatz: Zur Auferlegung der Kosten und Auslagen auf die Staatskasse bei Teilerfolg der Berufung des Angeklagten
Senat: 3
Gegenstand: Beschwerde
Stichworte: Berufung; Kostentragungspflicht; Teilerfolg; Auferlegung auf die Staatskasse; Revision;
Normen: StPO 473
Beschluss: Strafsache
gegen H.O.
wegen Betruges,
(hier: sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen die Kosten und Auslagenentscheidung des Berufungsurteils des Landgerichts Essen).
Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 11.12.2003 gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung des Urteils der XIII. kleinen Strafkammer des Landgerichts Essen vom 05.12.2003 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 18. 03. 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:
Die Kosten- und Auslagenentscheidung im Urteil des Landgerichts Essen vom 05.12.2003 wird aufgehoben und wie folgt neu gefasst:
1. Die Kosten des Beruf ungsverfahrens und die dem Angeklagten im Berufungsrechtszug erwachsenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt, jedoch mit Ausnahme derjenigen Kosten sowie gerichtlichen und außergerichtlichen Auslagen, die bei einer alsbald nach Urteilszustellung erklärten Rechtsmittelbeschränkung vermeidbar gewesen wären; letztere hat der Angeklagte zu tragen.
2. Die Kosten des Revisionsverfahrens sowie die in diesem Verfahren dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die in diesem Verfahren dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Gründe:
I.
Der Beschwerdeführer wurde durch Urteil des Amtsgerichts Gelsenkirchen-Buer vom 09.11.2000 wegen Betruges und wegen gemeinschaftlichen Betruges zu Einzelfreiheitsstrafen von je 10 Monaten und zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Seine gegen dieses Urteil gerichtete Berufung hat der Beschwerdeführer in der Berufungshauptverhandlung am 07.11.2001 vor dem Landgericht Essen auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt und den Antrag gestellt, gegen ihn eine schuldangemessene Strafe zu verhängen, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird. Durch Urteil der IV. kleinen Strafkammer des Landgerichts Essen vom 07.11.2001 wurde das angefochtene Urteil des Amtsgerichts Gelsenkirchen-Buer im Rechtsfolgenausspruch dahin abgeändert, dass die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe auf ein Jahr ermäßigt und die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wird.
Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft Essen am 08.11.2001 Revision zu Ungunsten des Beschwerdeführers eingelegt. Mit der erhobenen Sachrüge wandte sie sich gegen die dem Beschwerdeführer gewährte Strafaussetzung zur Bewährung. Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit ihrer Stellungnahme vom 03.06.2002 die Revision auf den Ausspruch über die Strafaussetzung zur Bewährung beschränkt. Durch Urteil des Senats vom 10.07.2002 (3 Ss 408/02) wurde das Urteil des Landgerichts Essen vom 07.11.2001 im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Essen zurückverwiesen.
Die XIII. kleine Strafkammer des Landgerichts Essen hat durch Urteil vom 05.12.2003 unter Verwerfung der Berufung des Beschwerdeführers im Übrigen das Urteil des Amtsgerichts Gelsenkirchen-Buer vom 09.11.2000 im Rechtsfolgenausspruch mit der Maßgabe abgeändert, dass die Gesamtfreiheitsstrafe auf ein Jahr ermäßigt und die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wird. Die erstinstanzlich verhängten Einzelfreiheitsstrafen von jeweils 10 Monaten wurden auf jeweils 8 Monate reduziert. Die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens hat die Strafkammer dem Beschwerdeführer auferlegt. Sie hat jedoch die Berufungsgebühr um 50 % ermäßigt und in diesem Umfang der Landeskasse die Kosten des Berufungsverfahrens und die dem Beschwerdeführer insoweit erwachsenen not-
wendigen Auslagen auferlegt. Zur Begründung wird in den Urteilsgründen ausge-
führt, die Kostenentscheidung beruhe auf § 473 Abs. 3 StPO i.V.m. § 473 Abs. 4 StPO. Sie trage dem Umstand Rechnung, dass der Beschwerdeführer sein Rechts-
mittel erst nachträglich beschränkt habe und sein so beschränktes Rechtsmittel erst infolge zwischenzeitlich eingetretenen Zeitablaufs erfolgreich gewesen sei.
Gegen die vorgenannte Kosten- und Auslagenentscheidung richtet sich die sofortige Beschwerde des Verurteilten.
II.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig und hat in der Sache zum ganz überwiegenden Teil Erfolg.
1. Die Entscheidung des Landgerichts über die Kosten und Auslagen des Berufungsverfahrens hält einer rechtlichen Überprüfung nicht Stand. Vielmehr waren die Kosten des Berufungsverfahrens und die dem Beschwerdeführer insoweit entstandenen notwendigen Auslagen gemäß § 473 Abs. 3 StPO i.V.m. § 473 Abs. 1 StPO mit der aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Einschränkung der Staatskasse aufzuerlegen.
Der Angeklagte hat seine gegen das Urteil des Amtsgerichts Gelsenkirchen-Buer vom 09.11.2000 gerichtete Berufung in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht Essen am 07.11.2001 auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt.
Gemäß § 473 Abs. 3 StPO trägt die Staatskasse die notwendigen Auslagen eines Angeklagten, wenn dessen auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränktes Rechtsmittel vollen Erfolg hat. Die Staatskasse trägt in diesem Falle auch die Verfahrenskosten. Dies ist gesetzlich zwar nicht ausdrücklich bestimmt, aber in der Rechtsprechung als selbstverständlich anerkannt (vgl. BGHSt 19, 226 = NJW 1964, 873; OLG Hamm, NStZ-RR 1999, 95). Die Vorschrift des § 473 Abs. 3 StPO gilt unmittelbar zunächst bei einem von vornherein beschränkten Rechtsmittel. Nach der herrschenden Meinung richtet sich aber bei vollem Erfolg eines nachträglich beschränkten Rechtsmittels die Kosten- und Auslagenentscheidung ebenfalls nach § 473 Abs. 3 StPO und nicht nach § 473 Abs. 4 StPO, allerdings mit der Einschränkung, dass § 473 Abs. 1 StPO auf die in der nachträglichen Beschränkung liegende Teilrücknahme des Rechtsmittels (§ 302 StPO) entsprechende Anwendung findet. Der Angeklagte hat in diesem Fall hinsichtlich des zurückgenommenen Teils seines Rechtsmittels diejenigen Kosten und Auslagen zu tragen, die bei einer von vornherein, d.h. alsbald nach Urteilszustellung beschränkten Rechtsmitteleinlegung vermeidbar gewesen wären (vgl. Franke in KK, StPO, 5. Aufl., § 473 Rdnr. 6 m.w.N.; Hilger in L-R, StPO, 25. Aufl., § 473 Rdnr. 38 ff.; Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl.,
§ 473 Rdnr. 20; Senatsbeschluss vom 10.02.1998 - 3 Ws 575/97 -, veröffentlicht in NStZ-RR 1998, 221; OLG Hamm, NStZ-RR 1999, 95). Ob und in welchem Umfang gerichtliche oder außergerichtliche Auslagen dem Angeklagten tatsächlich zur Last fallen, bleibt dem Kostenfestsetzungsverfahren gemäß § 464 b StPO vorbehalten (vgl. OLG Hamm, NStZ-RR 1999, 95; Meyer-Goßner, a.a.O.).
Im vorliegenden Verfahren hatte der Beschwerdeführer mit seiner auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Berufung Erfolg.
Der Erfolg eines Rechtsmittels wird grundsätzlich ermittelt durch einen Vergleich der angefochtenen Entscheidung und des Anfechtungsziels einerseits und den mit Hilfe des Rechtsmittels schließlich erreichten Ergebnissen andererseits (vgl. Hilger in L-R, StPO, 25. Aufl., § 473 Rdnr. 22). Vollen Erfolg hat ein Rechtsmittel, wenn das erstrebte Ziel im Wesentlichen erreicht wird (vgl. Hilger, a.a.O., § 473 Rdnr. 24; Franke, KK, StPO, 5. Aufl., § 473 Rdnr. 4; Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., § 473 Rdnr. 21).
Dies trifft auf die Berufung des Beschwerdeführers zu. Er hat im Ergebnis eine erhebliche Milderung der erstinstanzlich gegen ihn verhängten Gesamtfreiheitsstrafe, nämlich eine Ermäßigung dieser Strafe um 20 % erreicht. Ob ein wesentlicher Erfolg einer Strafmaßberufung, bei der die angestrebte Milderung in das Ermessen des Gerichtes gestellt wird, erst bei einer Herabsetzung der Strafe um mindestens 1/4 anzunehmen ist (so wohl Paulus in KMR, StPO, lose Blattkommentar, Stand: Juli 1993, § 473 Rdnr. 29; Krehl in Heidelberger Kommentar, StPO, 3. Aufl., § 473 Rdnr. 13; Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., § 473 Rdnr. 21; Hilger in L-R, StPO, 25. Aufl., § 473 Rdnr. 35) bedarf im vorliegenden Verfahren keiner abschließenden Erörterung. Denn der Beschwerdeführer hat mit dem von ihm eingelegten Rechtsmittel der Berufung nicht nur eine erhebliche Milderung der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe, sondern auch die von ihm angestrebte Gewährung einer Strafaussetzung zur Bewährung erreicht, so dass jedenfalls im Endergebnis von einem im Wesentlichen erfolgreichen Rechtsmittel des Beschwerdeführers und damit von einem vollen Erfolg der von ihm beschränkt eingelegten Berufung auszugehen ist.
Anlass zu einer anderen Beurteilung des Erfolges der (beschränkten) Berufung des Beschwerdeführers ergibt sich auch nicht aufgrund der Erwägung der XIII. kleinen Strafkammer des Landgerichts Essen in der angefochtenen Kostenentscheidung, das beschränkte Rechtsmittel des - damaligen - Angeklagten sei erst infolge des zwischenzeitlich eingetretenen Zeitablaufs erfolgreich gewesen. Denn abgesehen davon, dass nach den Gründen des Berufungsurteils vom 05.12.2003 jedenfalls die Herabsetzung sowohl der Einzelfreiheitsstrafen als auch der Gesamtfreiheitsstrafe, die in erster Instanz verhängt worden sind, jedenfalls nicht ausschließlich auf dem inzwischen eingetretenen Zeitablauf beruht, sondern u.a. auch auf Schadenswiedergutmachungsleistungen des damaligen Angeklagten und die Rückgabe der betrügerisch erlangten Gegenstände an die Geschädigten gestützt worden ist, beurteilt sich der Erfolg eines Rechtsmittels nach zutreffender Ansicht, der sich der Senat anschließt, danach, ob das mit dem Rechtsmittel angestrebte Ziel erreicht worden ist. Entscheidend ist das Ergebnis des Rechtsmittels, nicht dagegen die Gründe, die zu diesem Ergebnis geführt haben. Eine andere Lösung wäre nicht vereinbar mit dem Wesen der Berufungshauptverhandlung, die eine neue Tatsacheninstanz darstellt und in der Veränderungen in tatsächlicher Art stets zu berücksichtigen sind (vgl. Hilger in L-R, StPO, 25. Aufl., § 473 Rdnr. 23; Paulus in KMR, StPO, lose Blattkommentar, Stand: Juli 1993, § 473 Rdnr. 21; im Ergebnis ebenso Krehl in Heidelberger Kommentar, StPO, 3. Aufl., § 473 Rdnr. 8). Der Gegenmeinung, die in Anlehnung an den in § 473 Abs. 5 StPO enthaltenen Rechtsgedanken auch bei Erreichung des angestrebten Rechtsmittelziels einen Erfolg i.S.d. § 473 StPO verneint, wenn die Abänderung des angefochtenen Urteils allein auf eine Veränderung der Umstände durch Zeitablauf zurückzuführen ist (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., § 473 Rdnr. 31; Franke in KK-StPO, 5. Aufl., § 473 Rdnr. 4; OLG Zweibrücken NStZ 1991, 602, 603; OLG Düsseldorf JurBüro 1996, 200), vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Die Vorschrift des § 473 Abs. 5 StPO regelt den Fall, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis auf ein Rechtsmittel hin nur deshalb nicht aufrechterhalten wird, weil ihre Voraussetzungen wegen der Dauer der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111 a Abs. 1 StGB oder dieser gemäß § 69 a Abs. 6 StGB gleichgestellten Maßnahmen nicht mehr vorliegen. Durch diese Regelung sollte eine damals streitige kostenrechtliche Frage zum Zwecke der Entlastung der Strafjustiz klargestellt werden und die Zahl der Berufungen und Revisionen verringert werden, die - wenn eine vorläufige Maßnahme im oben genannten Sinn getroffen ist - in der Absicht oder Hoffnung eingelegt werden, mit Hilfe des rechtsmittelbedingten Zeitablaufs die im Urteil der Vorinstanz angeordnete endgültige Entziehung der Fahrerlaubnis (§§ 69 Abs. 1, 69 b Abs. 1 StGB) in Wegfall zu bringen (vgl. BT-Drs. 10/1313, S. 15, 41, 42). Dieser besondere Charakter der Vorschrift, die in erster Linie auf eine Entlastung der Praxis abzielt, keine gesetzliche Definition des Begriffes Erfolges, des Teilerfolges und der Erfolglosigkeit eines Rechtsmittels enthält, sondern für einen speziellen Fall die Erfolglosigkeit des Rechtsmittels lediglich fingiert, lässt keine Rückschlüsse für die Lösung anderer Fälle zu, in denen die Frage des Erfolges streitig ist (vgl. Hilger in L-R, StPO, 25. Aufl., § 473 Rdnr. 53, 54 sowie derselbe in NStZ 1991, 604). Eine Definition der vorgenannten Begriffe wurde durch die Formulierung gilt als erfolglos bewusst vermieden, da sie im Zusammenhang mit der beabsichtigten Regelung in § 473 Abs. 5 StPO sachlich als nicht notwendig angesehen wurde, sie aber weitreichende, unübersehbare, gegebenenfalls unerwünschte Folgen in Bezug auf andere kostenrechtliche Bestimmungen hätte haben können (vgl. BT-Drs. 10/1313, 42).
2. Auch die Entscheidung des Landgerichts Essen vom 05.12.2003, dass der Angeklagte die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen hat, kann keinen Bestand haben.
Denn die Staatsanwaltschaft Essen war mit dem von ihr eingelegten Rechtsmittel der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Essen vom 07.11.2001 im Endergebnis erfolglos. Die auf die Revision erfolgte Zurückverweisung der Sache an das Landgericht Essen gemäß § 354 Abs. 2 StPO durch Urteil des Senats vom 10.07.2002 stellte nur einen vorläufigen Erfolg des Rechtsmittels dar. Maßgebend für den Rechtsmittelerfolg selbst ist erst die abschließende Sachentscheidung (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., § 473 Rdnr. 7; Hilger in L-R, StPO, 25. Aufl., § 473
Rdnr. 22).
Im vorliegenden Verfahren hat die nach Zurückverweisung der Sache erneut durchgeführte Berufungshauptverhandlung zu einer Verurteilung des Angeklagten im früheren Umfang (Einzelfreiheitsstrafen von je acht Monaten, Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr unter Strafaussetzung zur Bewährung) geführt. Die Revision der Staatsanwaltschaft Essen erweist sich damit im Endergebnis als unbegründet und damit erfolglos. Die Kosten des Revisionsverfahrens sind daher gemäß § 473 Abs. 1 StPO der Staatskasse aufzuerlegen. Diese hat darüber hinaus auch gemäß § 473 Abs. 2 S. 1 StPO die dem Angeklagten im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
III. Die Kosten- und Auslagenentscheidung betreffend das Beschwerdeverfahren folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 473 S. 3 StPO. Da das Rechtsmittel des Angeklagten in ganz überwiegendem Maß Erfolg hatte, hat der Senat keinen Anlass zu einer Anwendung der Vorschrift des § 473 Abs. 4 StPO gesehen.
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