Aktenzeichen: 3 Ws 148/04 OLG Hamm
Leitsatz: Zur Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Jugendgerichtsverfahren
Senat: 3
Gegenstand: Beschwerde
Stichworte: Pflichtverteidiger; Beiordnung, Jugendgerichtsverfahren; Schwere der Tat; Schwierigkeit der Sache
Normen: StPO 140, JGG 68
Beschluss: Strafsache
gegen A.E.
wegen Körperverletzung u.a.,
(hier: Beschwerde gegen die Ablehnung der Beiordnung eines Pflichtverteidigers).
Auf die Beschwerde der Angeklagten vom 24.02.2004 gegen den Beschluss der III. Strafkammer - Jugendkammer - des Landgerichts Essen vom 17.02.2004 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 23. 03. 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:
Die Beschwerde wird auf Kosten der Beschwerdeführerin als unbegründet verworfen.
Gründe.
I. Das Amtsgericht - Jugendschöffengericht - Gladbeck hat durch Urteil vom 11.12.2003 gegen die Angeklagten wegen gemeinschaftlich mit der Mitangeklagten Urlitzki begangener Beleidigung und Körperverletzung einen Dauerarrest von zwei Wochen verhängt sowie die Auflage erteilt, 60 Sozialstunden abzuleisten. Gegen dieses Urteil hat die Angeklagte Berufung eingelegt. Durch Beschluss vom 17.02.2004 hat der Vorsitzende der III. Strafkammer - Jugendkammer - des Landgerichts Essen den Antrag der Angeklagten, ihr Rechtsanwalt D. aus Gladbeck als Pflichtverteidiger beizuordnen, zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss richtet sich die mit Schriftsatz des Rechtsanwalts D. vom 24.02.2004 eingelegte Beschwerde der Angeklagten, der das Landgericht mit Verfügung vom selben Tag nicht abgeholfen hat.
II. Die sofortige Beschwerde ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.
Gemäß § 68 Nr. 1 JGG ist dem Beschuldigten immer dann ein Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn auch einem Erwachsenen ein solcher zu bestellen wäre. Das Jugendgerichtsgesetz verweist daher auf die Vorschrift des § 140 StPO. Gemäß § 140 Abs. 2 StPO ist die Bestellung eines Pflichtverteidigers erforderlich, wenn wegen der Schwere der Tat oder der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann.
Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin ist im vorliegenden Verfahren ein Fall der notwendigen Verteidigung unter dem Gesichtspunkt der Schwierigkeit der Rechtslage nicht gegeben. Als schwierig ist die Rechtslage anzusehen, wenn bei Anwendung des materiellen oder des formellen Rechts auf den konkreten Sachverhalt bislang nicht ausgetragene Rechtsfragen entschieden werden müssen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., § 140 Rdnr. 27 a). Zwar wird die Strafkammer in dem anhängigen Berufungsverfahren zu klären haben, ob das Hauptverfahren durch das Amtsgericht - Jugendschöffengericht - Gladbeck wirksam eröffnet worden ist. Denn in den Akten befindet sich lediglich eine Ausfertigung eines Eröffnungsbeschlusses vom 29.10.2003, der - jedenfalls nach vorläufiger Beurteilung - durch einen Richter nicht unterzeichnet worden ist. Ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen bei einer solchen Fallkonstellation eine wirksame Eröffnung des Hauptverfahrens gegeben sein kann, ist jedoch grundsätzlich geklärt (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., § 207 Rdnr. 11; Senatsbeschluss vom 11.02.2003 - 3 Ss 1114/02 -; OLG Hamm VRS 98/199). Hinzu kommt, dass die Prüfung der Frage, ob im vorliegenden Verfahren ein wirksamer Eröffnungsbeschluss ergangen ist, nicht von etwaigen Anregungen oder Anträgen der Verfahrensbeteiligten abhängig ist, sondern der Strafkammer von Amts wegen obliegt. Die Argumentation des Verteidigers der Angeklagten in seinem Schriftsatz vom 12.02.2004, die Angeklagte selbst sei nicht in der Lage, entsprechende Anträge an das Gericht zu richten, dies nicht zuletzt, da ihr Akteneinsicht verwehrt sei und sie daher nicht selbst recherchieren könne, ob ein Verfahrenshindernis vorliege, gibt daher keinen Anlass zu einer anderen Beurteilung.
Die Bestellung eines Pflichtverteidigers ist vorliegend auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Schwere der Tat geboten. Die Schwere der Tat beurteilt sich vor allem nach der zu erwartenden Rechtsfolgenentscheidung. Zu berücksichtigen sind dabei auch die Verteidigungsfähigkeit des Angeklagten sowie sonstige schwerwiegende Nachteile, die er infolge der Verurteilung zu gegenwärtigen hat (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., § 140 Randnummern 23 - 25 m.w.N.). Nach heute überwiegender und zutreffender Ansicht wird jedenfalls bei einer Straferwartung von mindestens einem Jahr ohne Strafaussetzung zur Bewährung ein Fall der notwendigen Verteidigung i.S.d. § 140 Abs. 2 StPO bejaht. Eine solche Straferwartung ist auch im Jugendstrafverfahren für die Prüfung der Pflichtverteidigerbestellung zugrunde zu legen (vgl. Urteil des Senats vom 14.05.2003 - 3 Ss 1163/02 -). Denn in § 68 Nr. 1 JGG wird hinsichtlich der Voraussetzungen für eine Pflichtverteidigerbestellung uneingeschränkt auf das allgemeine Strafrecht verwiesen und lediglich in § 68 Nr. 4 JGG für den Fall, dass gegen den Jugendlichen Untersuchungshaft oder eine einstweilige Unterbringung nach § 126 a StPO vollstreckt wird, eine abweichende Regelung getroffen.
Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin rechtfertigt daher der Umstand, dass das erstinstanzliche Verfahren vor dem Jugendschöffengericht verhandelt worden ist und nunmehr eine erneute Verhandlung vor der Berufungskammer ansteht, für sich allein nicht die Annahme, es sei ein Fall notwendiger Verteidigung gegeben. Maßgebend ist vielmehr die konkrete Straferwartung, die hier deutlich unter der vorgenannten Grenze liegt, da gegen die Beschuldigte erstinstanzlich lediglich ein Dauerarrest von zwei Wochen verhängt und ihr die Auflage erteilt worden ist, 60 Sozialstunden abzuleisten.
Schließlich ist die Beiordnung eines Pflichtverteidigers hier auch nicht deshalb geboten, weil die Mitangeklagte U. durch eine Verteidigerin vertreten ist. Ob dies, wie die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 15.03.2004 ausgeführt hat, bei einem unverteidigten Jugendlichen dazu führen kann, dass er in seiner Verteidigungsmöglichkeit erheblich eingeengt wird, bedarf keiner abschließenden Entscheidung. Im vorliegenden Fall ergeben sich dafür jedenfalls keine Anhaltspunkte, zumal es sich bei der Angeklagten um eine 17-jährige und damit bereits fast erwachsene Jugendliche handelt, die darüber hinaus bereits zweimal einschlägig strafrechtlich in Erscheinung getreten ist und damit bereits über eine gewisse Gerichtserfahrung verfügt.
Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge aus § 473 Abs. 1 StPO als unbegründet zu verwerfen.
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