Aktenzeichen: 1 Ws 104/04 OLG Hamm
Leitsatz: Zur Gestattung eines so genannten
Langzeitbesuchs und zur Abgrenzung des Langzeitbesuchs von einem
längeren Besuch in der Justizvollzugsanstalt
Senat: 1
Gegenstand: Beschwerde
Stichworte:
Normen: StPO 119
Beschluss: Strafsache
gegen M.G.
wegen
erpresserischen Menschenraubes u.a.
Auf die Beschwerde des Angeklagten vom 22. März 2004 gegen
den Beschluss des Vorsitzenden der V. Strafkammer des Landgerichts
Dortmund vom 5. März 2004 hat der 1. Strafsenat des
Oberlandesgerichts Hamm am 06. 05. 2004 durch den Vorsitzenden Richter am
Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und
den Richter am
Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen.
Die Beschwerde wird auf Kosten des Beschwerdeführers als unbegründet verworfen.
Im Übrigen wird die Sache dem Vorsitzenden der V. Strafkammer des Landgerichts Dortmund erneut zur Entscheidung über den Antrag des Angeklagten auf Ausweitung der Besuchserlaubnis seiner Verlobten J.M. vorgelegt.
Gründe:
I.
Der Angeklagte befindet sich aufgrund des
Haftbefehls des Amtsgerichts Dortmund vom 2. April 2003 (58 Gs 150 Js 137/03 -
26/03 -) seit dem 3. April 2003 in Untersuchungshaft, die zur Zeit in der
Justizvollzugsanstalt Dortmund vollstreckt wird. Die V. große Strafkammer
des Landgerichts Dortmund hat den Angeklagten mit Urteil vom 29. Januar 2004
(KLs 183 Js 181/03 14 (V) G 5/03) wegen erpresserischen Menschenraubes in
Tateinheit mit schwerer räuberischer Erpressung und unerlaubtem Besitz
einer halbautomatischen Kurzwaffe sowie wegen Urkundenfälschung zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Die Kammer
hat zugleich die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet. Das Urteil vom 29.
Januar 2004 ist noch nicht rechtskräftig.
Mit Schreiben vom 9. Februar 2004 wandte sich der Angeklagte an den Vorsitzenden der V. Strafkammer des Landgerichts Dortmund und wies darauf hin, dass seine Verlobte J.M. ihn lediglich alle zwei Wochen für jeweils nur eine halbe Stunde besuchen dürfe. Wörtlich heißt es in diesem Schreiben u.a.:
Und eine halbe Stunde ist mir und meiner Verlobten nicht ausreichend. Und auch immer mit der Anwesenheit eines Beamten. Drum bitte ich nochmals um längere Besuchszeiten.
Zuvor hatte sich die Verlobte des Angeklagten bereits mit Schreiben vom 4. Februar 2004 an den Strafkammervorsitzenden gewandt und einen Langzeitbesuch beantragt.
Der Strafkammervorsitzende holte eine Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt Dortmund ein, die am 19. Februar 2004 schriftlich abgegeben wurde und sich über die in der dortigen Justizvollzugsanstalt zur Durchführung von Langzeit- und Familienbesuchen (Besuche ohne akustische und optische Besuchsüberwachung) geltenden Bestimmungen verhält. In dieser Stellungnahme heißt es u.a.:
Langzeit- und Familienbesuche sind immer Sonderbesuche und werden in der Regel alle 14 Tage gewährt. Untersuchungsgefangene benötigen immer einen Besuchsschein oder eine Dauerbesuchserlaubnis. Die JVA Dortmund verfügt über zwei Langzeitbesuchsräume, die so eingerichtet sind, dass es zu Intimitäten kommen kann. Desweiteren besteht auch eine Familienbegegnungsstätte, die für eine große Anzahl von Besuchern eingerichtet ist. Diese Art von Besuchen werden weder akustisch noch optisch überwacht.
Es dürfen keine besonderen Sicherungsmaßnahmen angeordnet sein wegen Fluchtgefahr oder Gewalttätigkeiten. Das Gericht muss die akustische und optische Besuchsüberwachung aufgehoben haben. Bei dem Gefangenen dürfen während der Haftzeit keine Rauschmittel, unerlaubte Medikamente, Alkohol oder Ausbruchswerkzeuge gefunden worden sein. Bei Untersuchungshaft muss das zuständige Gericht dem Langzeit- oder Familienbesuch zugestimmt haben.
Am 23.01.04 wurden dem Gefangenen beim Besuch Drogen übergeben. Daraufhin wurde für Frau J.W. ein Besuchsverbot bis zum 06.02.04 verhängt.
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 5. März 2004 hat der Vorsitzende der V. Strafkammer des Landgerichts Dortmund wie folgt entschieden:
Der Antrag des Untersuchungsgefangenen, ihm Langzeitbesuche mit seiner Verlobten J.W. zu gestatten, wird zurückgewiesen.
Zur Begründung der ablehnenden Entscheidung heißt es in dem Beschluss, dass der Angeklagte und seine Verlobte die Voraussetzungen für Langzeitbesuche, wie sich aus der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt vom 19. Februar 2004 ergebe, nicht erfüllen würden. So seien dem Angeklagten am 23. Januar 2004 bei einem Besuch Drogen übergeben und der Verlobten daraufhin ein zeitlich befristetes Besuchsverbot erteilt worden. Eine Aufhebung der akustischen und optischen Besuchsüberwachung werde derzeit abgelehnt.
Gegen diese Entscheidung wendet sich der Angeklagte mit seiner an den Strafkammervorsitzenden gerichteten schriftlichen Eingabe vom 22. März 2004, mit der er die Versagung einer Langzeitbesuchserlaubnis für seine Verlobte beanstandet und darum bittet, ihm noch eine Chance zu geben, um nicht den Kontakt zu seiner Verlobten zu verlieren.
Der Strafkammervorsitzende hat die Eingabe des Angeklagten vom 22. März 2004 als Beschwerde gegen den Beschluss vom 5. März 2004 angesehen und der Beschwerde aus den Gründen des angefochtenen Beschlusses nicht abgeholfen.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.
II.
1. Die gegen die Versagung der Gestattung von
Langzeitbesuchen seiner Verlobten gerichtete Beschwerde des Angeklagten ist
gemäß § 119 Abs. 6 StPO, Nr. 73, 74
Untersuchungsvollzugsordnung (UVollzO), 304 ff. StPO zulässig, in der
Sache aber unbegründet. Das Recht eines Untersuchungsgefangenen, Besuche
zu empfangen, richtet sich nach § 119 Abs. 3 StPO i.V.m. Nr. 24 ff.
UVollzO. Danach dürfen dem Untersuchungsgefangenen nur solche
Beschränkungen auferlegt werden, die der Zweck der Untersuchungshaft oder
die Ordnung in der Vollzugsanstalt erfordern. Es ist unvermeidliche Folge der
Untersuchungshaft, dass der Untersuchungsgefangene Besuch von außerhalb
der Anstalt lebenden Personen nur in begrenztem Umfang erhalten kann. Die
Gestattung von Langzeitbesuchen, einer Besuchsform, die gesetzlich nicht
ausdrücklich geregelt ist, stellt einen Ausnahmefall dar, denn zur
Unterbindung der Flucht- und Verdunkelungsgefahr (vgl. § 112 Abs. 2 StPO)
sowie aus Sicherheitsgründen bedarf es regelmäßig einer
Besuchsüberwachung gemäß Nr. 27 UVollzO, wie sie im
übrigen auch bei Strafgefangenen im Regelfall durchgeführt wird
(§ 27 StVollzG). Insbesondere im Hinblick auf den mit der
Besuchsüberwachung verbundenen personellen Aufwand wird einem
Untersuchungsgefangenen in der Regel lediglich alle zwei Wochen ein Besuch von
30 Minuten Dauer gestattet (Nr. 24, 25 UVollzO). Ein Langzeitbesuch erstreckt
sich dagegen, wie sich aus der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt Dortmund
ergibt, über mehrere Stunden und findet in speziellen
Langzeitbesuchsräumen statt, die weder akustisch noch optisch
überwacht werden und daher bei Untersuchungsgefangenen der besonderen
richterlichen Genehmigung bedürfen. Aufgrund der sich aus der fehlenden
Überwachung solcher Langzeitbesuche ergebenden, den Zweck der
Untersuchungshaft und die Anstaltsordnung regelmäßig
gefährdenden Möglichkeit, dass es bei einem nicht überwachten
Langzeitbesuch zu Verdunkelungshandlungen, fluchtvorbereitenden Maßnahmen
oder zur Übergabe verbotener Gegenstände (Waffen, Drogen u.a.) kommt,
besteht allenfalls bei einem kleinen Kreis von Untersuchungsgefangenen die
erforderliche Eignung zum Empfang von Langzeitbesuchen. Es ist daher
sachgerecht und steht in Einklang mit § 119 Abs. 3 StPO, dass die
Justizvollzugsanstalt Dortmund, wie sich aus ihrer schriftlichen Stellungnahme
vom 19. Februar 2004 ergibt, die Durchführung von Langzeit- und
Familienbesuchen sowohl bei Strafgefangenen als auch bei
Untersuchungshäftlingen von besonderen Voraussetzungen, die in der Person
des Gefangenen bzw. Untersuchungsgefangenen erfüllt sein müssen,
abhängig macht. Zu diesen Voraussetzungen gehört u.a., dass bei dem
Gefangenen während der Haftzeit keine Rauschmittel, unerlaubte
Medikamente, Alkohol oder Ausbruchswerkzeuge gefunden worden sein dürfen.
Nur dann erscheint es vertretbar, das mit einem nicht überwachten
Langzeitbesuch verbundene Risiko, dass es zur Übergabe von Rauschmitteln
oder Ausbruchswerkzeugen kommt, einzugehen. Aus der Mitteilung der
Justizvollzugsanstalt Dortmund geht hervor, dass die Verlobte des Angeklagten
anlässlich ihres Besuches am 23. Januar 2004 in der Justizvollzugsanstalt
Dortmund versucht hat, dem Angeklagten Drogen zu übergeben. Dies stellt
der Angeklagte in seiner Beschwerdeschrift auch nicht in Abrede. Angesichts
dieses Vorfalls besteht die konkrete Befürchtung, dass es bei einem nicht
überwachten Langzeitbesuch der Verlobten zur Übergabe von am oder im
Körper versteckten, eingeschmuggelten Drogen an den Angeklagten kommen
wird. Bereits aus diesem Grund durfte ein Langzeitbesuch der Verlobten, den der
Angeklagte im Übrigen erstmals mit der Beschwerdeschrift unter Bezugnahme
auf den Inhalt des angefochtenen Beschlusses erwähnt und damit erst im
Beschwerdeverfahren beantragt hat, abgelehnt werden. Die Beschwerde des
Angeklagten, mit der er sich gegen die Nichtgestattung von Langzeitbesuchen
seiner Verlobten wendet, war daher mit der Kostenfolge des § 473 Abs. 1
StPO als unbegründet zu verwerfen.
2. Im Übrigen war die Sache erneut dem Vorsitzenden der V. großen Strafkammer des Landgerichts Dortmund zur Entscheidung über den ursprünglichen Antrag des Angeklagten, ihm für die Besuche seiner Verlobten längere Besuchszeiten einzuräumen, vorzulegen. Dieser ursprüngliche Antrag, den der Angeklagte mit seiner Beschwerde nicht fallen gelassen hat, ist bislang von dem gemäß § 126 Abs. 2 StPO für Haftentscheidungen zuständigen Vorsitzenden der Strafkammer nicht beschieden worden. Der Antrag auf Bewilligung längerer Besuchszeiten ist nicht deckungsgleich mit dem Antrag auf Gestattung von Langzeitbesuchen, über den der Strafkammervorsitzende in dem angefochtenen Beschluss entschieden hat, ohne dass der Angeklagte selbst bis dahin einen dahingehenden Antrag überhaupt gestellt hatte. Erstmals in der Beschwerdeschrift erwähnt der Angeklagte die Besuchsform des Langzeitbesuches wie sie in der schriftlichen Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt Dortmund vom 19. Februar 2004 näher beschrieben und vom Strafkammervorsitzenden zur Grundlage seiner angefochtenen Entscheidung vom 5. März 2004 gemacht worden ist. In seinem schriftlichen Antrag vom 9. Februar 2004 hatte der Angeklagte dagegen lediglich zum Ausdruck gebracht, dass er mit einer Besuchszeit für seine Verlobte von lediglich einer halben Stunde alle zwei Wochen nicht einverstanden sei und daher nochmals um längere Besuchszeiten bitte. Mit diesem bislang nicht beschiedenen Antrag verfolgte - und verfolgt - der Angeklagte das Ziel, häufigere und längere Besuche von Seiten seiner Verlobten zu erhalten als die bislang in Anlehnung an Nr. 24 und 25 UVollzO gestatteten zweiwöchentlichen Besuche von jeweils 30 Minuten Dauer. Aus den in Nr. 24 Abs. 1 S. 3 und Nr. 25 S. 2 UVollzO getroffenen Regelungen ergibt sich, dass der für Haftentscheidungen zuständige Richter bzw. Staatsanwalt häufigere und/oder längere Besuche bei einem Untersuchungsgefangenen zulassen kann. Ein dahingehendes Begehren hatte der Angeklagte gestellt. Was die noch ausstehende Entscheidung des Strafkammervorsitzenden über diesen noch nicht erledigten Antrag des Angeklagten betrifft, weist der Senat vorsorglich auf Folgendes hin:
Beschränkungen des Besuchsverkehrs ergeben sich insbesondere
aus Gründen der Ordnung in der Anstalt (§ 119 Abs. 3 StPO). Im
Hinblick auf die räumliche und personelle Ausstattung der
Justizvollzugsanstalt ist es aus organisatorischen Gründen notwendig, die
- grundsätzlich überwachten - Besuche der Untersuchungsgefangenen
wegen des damit verbundenen Zeit- und Personalaufwandes auf ein vertretbares
Maß festzusetzen. Dieser Grundsatz hat in Nr. 24 und 25 UVollzO seine
Ausprägung gefunden, wonach in der Regel mindestens alle zwei Wochen ein
Besuch von jeweils 30 Minuten Dauer zugelassen wird. Auf der anderen Seite
kommt dem Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) als wertentscheidender
Grundsatznorm auch im Haftvollzug besondere Bedeutung zu. Daraus folgt, dass
die zuständigen Gerichte und Behörden die erforderlichen und
zumutbaren Anstrengungen unternehmen müssen, um im angemessenen Umfang
Besuche von Ehegatten, Verlobten und Kindern von Untersuchungsgefangenen zu
ermöglichen (vgl. BVerfG StV 1994, 585; NJW 1993, 3059). Beantragt
daher ein Untersuchungsgefangener, ihm über die allgemein gewährte
Mindestbesuchszeit hinaus für Besuche des Ehegatten, der Verlobten,
Lebensgefährtin oder von Kindern eine erhöhte Besuchszeit zu
gewähren, so haben den dargestellten Grundsätzen gemäß die
Justizvollzugsanstalten und die Gerichte zu prüfen, inwieweit es -
grundsätzlich nach Maßgabe der gegebenen Raum- und
Personalkapazität - möglich und für die Justizverwaltung
zumutbar ist, dem Antrag zu entsprechen (OLG Düsseldorf StV 1996, 323;
NStE Nr. 2, 22, 24 u. 26 zu § 119 StPO). Den Gerichten ist es dabei
verwehrt, eine lediglich auf die Personalausstattung gestützte
anstaltseigene Begrenzung der Besuchszeit ohne weiteres hinzunehmen; sie
müssen vielmehr der Frage nachgehen, inwieweit es die angemessen zu
beachtenden Belange der Allgemeinheit zulassen, von der Anstalt die
Organisierung zusätzlicher Besuchszeiten zu verlangen. Ergibt eine solche
Prüfung, dass weitere Besuche möglich sind, so sind diese
Kapazitäten vorrangig für Besucher aus dem durch Art. 6 Abs. 1 GG
geschützten Personenkreis zu nutzen (vgl. BVerfG StV 1994, 585; OLG
Düsseldorf, StV 1996, 323).
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