Aktenzeichen: 1 VAs 11/04 OLG Hamm
Leitsatz: Eine Verlegung in den Strafvollzug eines anderen Bundeslandes zur Aufrechterhaltung oder Intensivierung persönlicher und familiärer Beziehungen kommt nur dann in Betracht, wenn sie als Behandlungsmaßnahme und zur Resozialisierung aufgrund besonderer Umstände unerlässlich erscheint.
Senat: 1
Gegenstand: Justizverwaltungssache
Stichworte: Verlegung; Strafgefangener; anderes Bundesland; Einigung; Gründe, familiäre Belange
Normen: StVollstrO 26; StVollzG 8
Beschluss: Justizverwaltungssache
betreffend den Strafgefangenen C.K.
wegen Rechtmäßigkeit von Maßnahmen der Justizbehörden, (hier: Übernahme des Strafvollzuges durch die Justizverwaltung des Landes NRW).
Auf den Antrag des Betroffenen vom 24. Februar 2004 auf gerichtliche Entscheidung nach den §§ 23 ff. EGGVG hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 13. 05. 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung des Justizministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen beschlossen:
Der Antrag des Betroffenen wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Verfahrens werden bei einem Gegenstandswert von 2.500,00 dem Betroffenen auferlegt.
Gründe:
I.
Der Betroffene verbüßt zurzeit in der Justizvollzugsanstalt Tegel eine (Gesamt-) Freiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten, die das Landgericht Dresden gegen ihn mit Urteil vom 20. August 2002 wegen verschiedener Verstösse gegen das Betäubungsmittelgesetz verhängt hat. Anschließend ist eine (Rest-) Freiheitsstrafe aus einem Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 27. April 1999, das den Betroffenen wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge am 27. April 1999 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt hatte, gegen ihn zu vollstrecken. Gemeinsamer 2/3-Termin ist am 18.10.2005, das Strafende ist auf den 11. Juli 2008 notiert.
Erstmals mit Schreiben vom 17. Oktober 2002 beantragte der Betroffene, der zuletzt in seiner Heimatstadt Dresden gewohnt, sich dann aber nach Berlin umgemeldet hatte, seine Verlegung in eine Justizvollzugsanstalt des Landes Nordrhein-Westfalen. Der Betroffene begründete seinen Antrag mit den familiären Kontakten zu seinen im Rheinland lebenden vier Geschwistern mit ihren Familien. Er bekundete seine Abbsicht, nach seiner Haftentlassung seinen ständigen Wohnsitz in der Nähe seiner Geschwister aufzunehmen.
Die Justizvollzugsanstalt Tegel stufte die Beziehung des Betroffenen zu seinen Geschwistern in ihrer Stellungnahme vom 13. November 2002 als förderungswürdig ein und befürwortete dessen Verlegungsantrag. Die Senatsverwaltung für Justiz in Berlin teilte dem Betroffenen mit Schreiben vom 30. April 2003 mit, dass das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen einer Verlegung unter Hinweis darauf nicht zugestimmt habe, dass die angestrebte Verlegung jedenfalls derzeit lediglich einer Besuchserleichterung dienen würde und Besuchskontakte zu den Geschwistern zunächst durch Besuchsüberstellungen gemäß § 8 Abs. 2 StVollzG gefördert werden könnten.
Mit Anwaltsschreiben vom 27. Oktober 2003 beantragte der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen bei der Berliner Senatsverwaltung für Justiz erneut die Verlegung des Betroffenen in eine Justizvollzugsanstalt des Landes Nordrhein-Westfalen. In diesem Schreiben wird geltend gemacht, dass der Betroffene seine stärksten familiären und sozialen Kontakte zu seinen vier im Rheinland lebenden Geschwistern unterhalte, die auch bereit seien, sich in verstärkter Form um den Betroffenen zu kümmern und an dessen Resozialisierung mitzuarbeiten. Dem Antrag waren entsprechende schriftliche Stellungnahmen der vier Geschwister des Betroffenen beigefügt. Die Justizvollzugsanstalt Tegel befürwortete in ihrer Stellungnahme vom 9. Dezember 2003 im Hinblick auf die aus ihrer Sicht förderungswürdigen Kontakte und Bindungen des Betroffenen zu seinen Geschwistern erneut die daraufhin auch von der Berliner Senatsverwaltung für Justiz unterstützte Verlegung des Betroffenen in eine Justizvollzugsanstalt des Landes Nordrhein-Westfalen.
Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hat mit Bescheid vom 16. Januar 2004, dem Betroffenen und seinem Verfahrensbevollmächtigten zugegangen am 2. Februar 2004, eine Übernahme des Verurteilten abgelehnt, da diese ausschließlich der Besuchserleichterung dienen würde. Zur Begründung ist in dem Bescheid weiter Folgendes angeführt:
Eine Verlegung zur Aufrechterhaltung persönlicher und familiärer Beziehungen käme nach der einschlägigen Rechtsprechung nur dann in Betracht, wenn sie als Behandlungsmaßnahme und zur Resozialisierung aufgrund besonderer Umstände unerlässlich erschiene. Darüber hinaus müssten ausnahmsweise im Einzelfall besondere, vom Durchschnittsfall abweichende Erschwerungen des Kontakts zu Ihren Angehörigen vorliegen. In den mir vorliegenden
Stellungnahmen der JVA Tegel vom 13.11.2002 und vom 09.12.2003 werden die familiären Bindungen zu Ihren Geschwistern zwar als förderungswürdig eingeschätzt; besondere Umstände, die zum jetzigen Zeitpunkt eine Verlegung nach Nordrhein-Westfalen zur Resozialisierung unerlässlich erschienen ließen, sind jedoch nicht ersichtlich.
Darüber hinaus ist anzumerken, dass Sie ausweislich der Gefangenenpersonalakte am 11.09.2002 in der JVA Zwickau ordnungsgemäß über die Möglichkeit einer Verlegung gemäß § 24 Abs. 1 StVollstrO belehrt worden sind und daraufhin selbst schriftlich eine Verlegung nach Berlin beantragt haben. In einem Schreiben an den Vorsitzenden Richter der 4. Strafkammer am Landgericht Dresden vom 25.08.2002 haben Sie außerdem unter Hinweis darauf, dass Ihre Verwandten in Nordrhein-Westfalen lebten und Sie in Dresden keine familiären Bindungen hätten, den Wunsch vorgetragen, nach Berlin verlegt zu werden, da dort eine Familie A. wohne, mit der Sie schon viele Jahre befreundet seien und die Sie während der Haft betreuen sowie Ihnen bei der Resozialisierung behilflich sein werde. ... In der JVA Tegel erhalten Sie regelmäßig (über 40 Besuche zwischen November 2002 und November 2003) Besuche von Herrn A. sowie von mehreren Personen aus Dresden, darunter auch Ihre ehemalige Lebensgefährtin.
Gegen diese Entschließung richtet sich der Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung nach den §§ 23 ff. EGGVG, der am 1. März 2004 bei dem Oberlandesgericht Düsseldorf einging und von dort aus am 2. März 2004 dem Oberlandesgericht Hamm übermittelt wurde. Der Betroffene vertritt die Auffassung, dass aufgrund der dokumentierten Bereitschaft seiner Geschwister, ihm bei der Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu helfen, eine Verlegung in eine Vollzugsanstalt im Rheinland dem Resozialisierungsgebot am ehesten entspreche und deshalb das Ermessen des Landes Nordrhein-Westfalen bei der Entscheidung über den Verlegungsantrag auf Null reduziert sei. Die Besuchskontakte zwischen ihm - dem Betroffenen - und seinen Geschwistern seien aufgrund der derzeitigen räumlichen Verhältnisse unzumutbar erschwert. Eine mögliche Besuchsüberstellung sei unangemessen. Im Übrigen habe er einen Tauschpartner in der Justizvollzugsanstalt Essen gefunden, der in die Justizvollzugsanstalt Tegel wechseln wolle.
II.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist nach den §§ 23 ff. EGGVG zulässig, bleibt in der Sache jedoch ohne Erfolg.
1. Für die hier beantragte Verlegung eines Strafgefangenen von einem Bundesland in ein anderes fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage. In verfahrensrechtlicher Hinsicht bedarf es gemäß § 26 Abs. 2 S. 3 StVollstrO in jedem Fall einer Einigung der obersten Vollzugsbehörden beider Bundesländer. Verweigert aber die zuständige oberste Aufsichtsbehörde für die Vollzugsanstalten eines Bundeslandes die von einem anderen Bundesland beantragte bzw. befürwortete Aufnahme eines Strafgefangenen, so ist dann dem betroffenen Gefangenen gegen die ablehnende Entschließung der Rechtsweg nach §§ 23 ff. EGGVG eröffnet (vgl. KG, ZfStrVo 1995, 112; OLG Rostock, Beschluss vom 4. Dezember 2003 - VAs 6/03 -; OLG Stuttgart, NStZ 1997, 103; st. Rspr. des Senats, vgl. Senatsbeschluss vom 30. August 2001 - 1 VAs 40/2001, veröffentlicht in NStZ 2002, 53 = ZfStrVo 2002, 315; Senatsbeschlüsse vom 11. Februar 2003 - 1 VAs 94/02 - sowie vom 22. Dezember 2003
- 1 VAs 50/03 -).
Der Antrag des Betroffenen ist auch innerhalb der Monatsfrist des § 26 Abs. 1 EGGVG bei dem in Nordrhein-Westfalen für Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG aufgrund des Landesgesetzes vom 8. November 1960 (GV NW 352) ausschließlich und landesweit zuständigen Oberlandesgericht Hamm eingegangen.
2. Der Antrag des Betroffenen ist jedoch unbegründet, weil die Verweigerung der Zustimmung zur Übernahme des Betroffenen in den Strafvollzug des Landes Nordrhein-Westfalen rechtlich nicht zu beanstanden ist und den Betroffenen nicht in seinen Rechten verletzt. Aus § 26 Abs. 2 S. 3 StVollstrO ergibt sich zwar, dass länderübergreifende Verlegungen möglich sind und der Einigung der obersten Vollzugsbehörden beider Länder, damit also in jedem Fall der Zustimmung der aufnehmenden Landesjustizverwaltung, bedürfen. In materiell-rechtlicher Hinsicht richtet sich die Verlegung eines Strafgefangenen von einem Bundesland in ein anderes nach vergleichbaren Kriterien, wie sie sich aus der für Verlegungen innerhalb eines Bundeslandes geltenden Regelung des § 8 StVollzG ergibt. Nach § 8 Abs. 1 StVollzG kann der Gefangene abweichend vom Vollstreckungsplan in eine andere für den Vollzug von Freiheitsstrafe zuständige Anstalt u.a. dann verlegt werden, wenn die Behandlung des Gefangenen oder seine Eingliederung nach der Entlassung hierdurch gefördert wird (§ 8 Abs. 1 Nr. 1 StVollzG). Bei ihrer somit dem Resozialisierungsprinzip (§ 2 StVollzG) und dem Wiedereingliederungsgrundsatz (§ 3 Abs. 3 StVollzG) Rechnung zu tragenden Entschließung steht der zuständigen Behörde ein Ermessen zu. Der Gefangene hat demnach keinen Rechtsanspruch auf Verlegung, wohl aber einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung (vgl. KG ZfStrVo 1995, 112; Senat, Beschluss vom 30. August 2001, in NStZ 2002, 53). Damit unterliegt die hier angefochtene Entscheidung einer gerichtlichen Nachprüfbarkeit nur insoweit, ob das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen bei seiner ablehnenden Entscheidung das ihr zustehende Ermessen nicht oder fehlerhaft ausgeübt hat. Beides ist jedoch nicht der Fall. Das Justizministerium Nordrhein-Westfalen hat die für eine mögliche Verlegung des Betroffenen maßgeblichen sachlichen Gesichtspunkte ermittelt und bei seiner Ermessensentscheidung berücksichtigt, ohne dass sich ein Ermessensfehlgebrauch feststellen lässt. Die persönliche und familiäre Situation des Betroffenen, insbesondere dessen Kontakte zu den im Rheinland wohnenden vier Geschwistern, die die Wiedereingliederung des Betroffenen fördern wollen, ist von der obersten Aufsichtsbehörde über die Vollzugsanstalten des Landes Nordrhein-Westfalen hinreichend beachtet und gewürdigt worden. Art. 6 GG stellt die Familie zwar unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Dadurch wird jedoch kein selbstständiger Anspruch des Strafgefangenen begründet, zu einem bestimmten Zeitpunkt in eine dem Wohnsitz der Familie nahe gelegenen Vollzugsanstalt verlegt zu werden (zu vgl. OLG Hamm ZfStrVo 1988, 310; NStZ 2000, 464; NStZ 2002, 53; OLG Koblenz, ZfStrVo 1990, 373; Arloth/Lückemann, StVollzG, § 8 Rdnr. 5). Eine Verlegung zur Aufrechterhaltung oder Intensivierung persönlicher und familiärer Beziehungen kommt nur dann in Betracht, wenn sie als Behandlungsmaßnahme und zur Resozialisierung aufgrund besonderer Umstände unerlässlich erscheint. Es müssen ausnahmsweise im Einzelfall besondere, vom Durchschnittsfall abweichende Erschwerungen des Kontaktes zu den Angehörigen vorliegen, um einen Verlegungsantrag ausreichend zu begründen (OLG Rostock, NStZ 1997, 381; OLG Koblenz, ZfStrVo SH 1978, 87; OLG Hamm, ZfStrVo 1988, 310; Senatsbeschluss vom 22. Dezember 2003 - 1 VAs 50/03 -). Das Vorliegen solcher besonderen Umstände hat das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen in seiner angefochtenen Entscheidung rechtsfehlerfrei verneint. Erschwernisse bei der Abwicklung des Besuchsverkehrs, insbesondere eine weite Anreise der Angehörigen, rechtfertigen die Verlegung eines Strafgefangenen in Abweichung vom Vollstreckungsplan allein nicht. Die familiären und persönlichen Beziehungen des Betroffenen zu seinen im Rheinland lebenden Geschwistern können durch gelegentliche Überstellungen zu Besuchszwecken in eine Vollzugsanstalt nahe dem Wohnsitz der Angehörigen aufrechterhalten werden. Im Übrigen ist in der angefochtenen Entscheidung zutreffend darauf hingewiesen worden, dass der Betroffene, der zunächst in der Justizvollzugsanstalt Zwickau einsaß, Mitte September 2002 nach Belehrung über die Möglichkeit einer Verlegung seine Verlegung in eine Berliner Justizvollzugsanstalt unter Hinweis darauf beantragt hatte, dass dort eine befreundete Familie wohne. Die Kontakte des Betroffenen zu seinen in Düsseldorf, Essen und Neuss lebenden Geschwistern stellten und stellen somit - auch aus der damaligen Sicht des Betroffenen - nicht die alleinigen sozialen Kontakte dar, die der Betroffene auch während der Haftzeit nicht zuletzt durch Besuchskontakte aufrechterhalten wollte. So erhält der Betroffene in der Justizvollzugsanstalt Tegel regelmäßig Besuche, überwiegend von einer befreundeten Familie A., sowie von seiner ehemaligen Lebensgefährtin aus Dresden. Zwischen November 2002 und November 2003 haben über 40 solcher Besuchstermine stattgefunden. Auch unter Berücksichtigung dieser Umstände erscheint eine Verlegung des Betroffenen nach Nordrhein-Westfalen zur Wiedereingliederung und Resozialisierung nicht unerlässlich, zumal der jetzt 61 Jahre alte Betroffene zum Entlassungszeitpunkt Rentner sein wird und deshalb keine Notwendigkeit besteht, in Wohnsitznähe zu seinen Geschwistern Maßnahmen zur beruflichen Reintegration zu ergreifen.
Nach alledem war der Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet zurückzuweisen.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 30 EGGVG, 30, 130 KostO.
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