Aktenzeichen: 1 Ws 154/04 OLG Hamm
Leitsatz: Zur (Aufhebung) der akustischen Besuchsüberwachung nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils, wenn der Angeklagte Revision eingelegt hat und die Beute noch nicht wieder auff´getaucht ist.
Senat: 1
Gegenstand: Beschwerde
Stichworte: akustische Überwachung; Aufhebung; erstinstanzliches Urteil; Gefahr für die Sicherheit und Ordnung
Normen: StPO 119
Beschluss: Strafsache gegen N.H.
wegen Diebstahls,
(hier: Beschwerde der Angeklagten gegen die Ablehnung der Aufhebung der akustischen Besuchsüberwachung).
Auf die Beschwerde der Angeklagten vom 17. März 2004 gegen die Entscheidung des Vorsitzenden der 9. Strafkammer des Landgerichts Dortmund vom 11. März 2004 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 02. 06. 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:
Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Beschwerde - an den Vorsitzenden der 9. Strafkammer des Landgerichts Dortmund zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Das Landgericht hat die Angeklagte in der Hauptverhandlung vom 3. April 2004 wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, da die Angeklagte dagegen Revision eingelegt hat. Gegen die Angeklagte wird in diesem Verfahren der Vorwurf erhoben, sie habe gemeinsam mit zwei weiteren Mittätern aus dem Tresor einer Commerzbank-Filiale in Dortmund nach Aufbrechen eines Schlüsselkastens insgesamt 405.565,- entwendet. Die Tatbeute konnte bislang nicht aufgefunden werden. Sie soll von einem der Mitangeklagten an einem unbekannten Ort versteckt worden sein.
Wegen dieser Tat wurde die Angeklagte am 14. August 2003 festgenommen und befindet sich seitdem im Vollzug der Untersuchungshaft. Gegen sie besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr, weil zu befürchten ist, dass sich die Angeklagte bei einem möglichen Zugriff auf die Tatbeute unter Berücksichtigung der zu erwartenden vollstreckbaren Freiheitsstrafe dem Verfahren durch die Flucht entziehen wird.
Mit Schreiben vom 8. März 2004 hat die Angeklagte beantragt, bei Besuchsterminen die akustische Besuchsüberwachung aufzuheben, weil nach der Urteilsverkündung vom 4. März 2004 Verdunkelungsgefahr nicht mehr bestehe. Der Vorsitzende der Strafkammer hat diesen Antrag abschlägig beschieden und dazu u.a. nur Folgendes ausgeführt:
Unsere Haftfortdauerentscheidung gründet sich ohnehin nicht auf Verdunkelungsgefahr. Das von Ihnen gestohlene Geld ist aber nach wie vor verschwunden.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde der Angeklagten vom 17. März 2004, in der sie u.a. Folgendes ausführt:
Sie begründen Ihre Ablehnung damit, dass keine Verdunkelungsgefahr mehr besteht, aber das von mir gestohlene Geld noch immer verschwunden ist. ... Darüber hinaus haben weder mein Lebenspartner Herr R.M. noch meine Familie mit dem vorliegenden Verfahren etwas zu tun. Ich bitte nochmals, meinem Antrag vom 8. März 2004 stattzugeben.
Der Vorsitzende der Strafkammer hat der Beschwerde ohne weitere Begründung nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen, weil ohne die akustische Besuchsüberwachung die nicht anders abzuwendende Gefahr bestehe, dass die Beute möglicherweise endgültig in Sicherheit gebracht werden könnte.
II.
Die gemäß § 304 Abs. 1 StPO statthafte Beschwerde hat auch in der Sache jedenfalls vorläufig Erfolg. Der Vorsitzende der Strafkammer hat mit der angefochtenen Entscheidung zu Unrecht die Aufhebung der akustischen Besuchsüberwachung abgelehnt.
1. Gesetzliche Grundlage der Besuchsüberwachung im Vollzug der Untersuchungshaft ist § 119 Abs. 3 StPO i.V.m. Nr. 27 der UHaftVollzO. Nach dieser Bestimmung dürfen einem Untersuchungsgefangenen nur solche Freiheitsbeschränkungen auferlegt werden, die der Zweck der Untersuchungshaft oder die Ordnung in der Vollzugsanstalt erfordert.
Zweck der Untersuchungshaft - und nur über diesen Aspekt ist vorliegend zu befinden, weil die Ordnung der Anstalt durch das Begehren der Angeklagten soweit ersichtlich nicht berührt wird - ist es, die Durchführung eines geordneten Strafverfahrens zu gewährleisten und die spätere Strafvollstreckung sicherzustellen (vgl. dazu BVerfGE 32, 87, 93). Im Einzelnen dient die Untersuchungshaft dabei den Zielen, die Anwesenheit des jeweiligen Beschuldigten im Strafverfahren zu gewährleisten, Störungen der Tatsachenermittlungen durch Beweisvereitelung- oder -erschwerung zu verhindern und die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehender Maßregeln zu sichern.
Dabei dürfte sich in der Regel der Zweck der Untersuchungshaft aus dem im Haftbefehl genannten Haftgrund ergeben. Dennoch können, wenn sich - wie hier - der Haftbefehl allein auf den Haftgrund der Fluchtgefahr stützt, bei den nach § 119 Abs. 3 StPO zu treffenden Beschränkungen auch Erwägungen im Hinblick auf eine mögliche Verdunkelungsgefahr Berücksichtigung finden. In diesem Fall müssen allerdings konkrete Hinweise dafür bestehen, dass im Rahmen eines Besuchsverkehrs Verdunkelungshandlungen abgesprochen werden könnten (vgl. dazu ausführlich OLG Hamm StV 98, 35).
Daraus folgt bereits, dass die - sehr knappe - Begründung des Vorsitzenden der Strafkammer (Das von Ihnen gestohlene Geld ist aber nach wie vor verschwunden) die Ablehnung des Antrags auf Aufhebung der akustischen Besuchsüberwachung jedenfalls nicht trägt.
2. Die Strafkammer hat das Verfahren inzwischen durch Urteil abgeschlossen und die Angeklagte zu einer mehrjährigen vollstreckbaren Freiheitsstrafe verurteilt. Die schriftlichen Urteilsgründe liegen dem Senat nicht vor, jedoch schließt die tatrichterliche Entscheidung die Verdunkelungsgefahr nicht grundsätzlich aus, denn die Angeklagte hat Revision eingelegt, so dass die Möglichkeit einer Urteilsaufhebung und Zurückverweisung gegeben ist. Dem Senat ist auch nicht bekannt, ob sich das Rechtsmittel der Angeklagten gegen die Feststellungen der Strafkammer zum Tatgeschehen im engeren Sinne richtet oder ob lediglich der Umfang ihrer Tatbeteiligung angegriffen wird. Somit ist jedenfalls nicht erkennbar, in welcher Weise der weitere Verbleib der Tatbeute oder deren Sicherung durch Dritte das Strafverfahren noch beeinflussen könnte, denn die Unklarheit über den Aufbewahrungsort des gestohlenen Geldes hat offensichtlich die Strafkammer nicht gehindert, die Schuld der Angeklagten mit einer zur Verurteilung ausreichenden Sicherheit festzustellen. Soweit darüber hinaus ein öffentliches oder privates Interesse daran bestehen mag, die Tatbeute sicherzustellen und an den rechtmäßigen Eigentümer zurückzuführen, werden dadurch jedenfalls Interessen des vorliegenden Strafverfahrens nicht berührt.
3. Aber auch im Übrigen vermag der Senat Gründe für eine Aufrechterhaltung der akustischen Besuchsüberwachung nicht zu erkennen, denn bei verfassungskonformer Auslegung des § 119 Abs. 3 StPO hat der Richter bei seiner Entscheidung stets der Tatsache Rechnung zu tragen, dass ein Untersuchungsgefangener noch nicht rechtskräftig verurteilt ist und deshalb nur unvermeidlichen Beschränkungen unterworfen werden darf (OLG Köln, StV 95, 259).
Die Anordnung der akustischen Besuchsüberwachung stellt einen ganz erheblichen Eingriff in den persönlichen, durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Lebensbereich sowohl des Gefangenen als auch des Besuchers dar (BVerfG StV 93, 592). Der Richter hat daher stets zu prüfen, ob im Einzelfall überhaupt konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein nicht akustisch überwachter Besuch eine Gefährdung des Haftzwecks mit sich bringt. Der Umstand allein, dass ein möglicher Missbrauch eines Freiheitsrechtes nicht völlig auszuschließen ist, reicht bei einer den Grundrechten Rechnung tragenden Auslegung des § 119 Abs. 3 StPO nicht aus, um dem Ge-
fangenen Beschränkungen aufzuerlegen (BVerfG a.a.O.). Hinzu kommt, dass die Angeklagte ihren Antrag im Rahmen des Beschwerdeverfahrens dahingehend konkretisiert hat, die akustische Besuchsüberwachung jedenfalls bei Besuchen von nahen Familienangehörigen und ihres Lebensgefährten aufzuheben und deshalb auch der Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG tangiert ist.
Die Angeklagte hat, soweit ersichtlich, bislang nicht versucht, die Durchführung des Strafverfahrens durch unlauteres Handeln zu beeinflussen. Ob sich nach Durchführung der Hauptverhandlung dahingehende Verdachtsmomente ergeben haben, entzieht sich der Kenntnis des Senats. Solche sind jedenfalls der angefochtenen Entscheidung nicht zu entnehmen.
Allerdings sieht sich der Senat gehindert, in der Sache selbst zu entscheiden. Zwar ist gemäß § 309 Abs. 2 StPO die eigene Sachentscheidung durch das Beschwerdegericht die Regel. Davon sind jedoch Ausnahmen anerkannt, wenn etwa der Vorderrichter seine Entscheidung entgegen § 34 StPO nicht oder völlig unzureichend begründet hat.
Eine vergleichbare Konstellation liegt auch hier vor. Die angefochtene Entscheidung enthält keine nähere Auseinandersetzung mit den gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung einer akustischen Besuchsüberwachung. Auch der Hinweis darauf, dass die Tatbeute bislang nicht aufgefunden werden konnte, ist für sich genommen unerheblich. Andererseits kann der Senat den vorliegenden Fall nur nach Aktenlage beurteilen, während die Strafkammer aufgrund der bereits durchgeführten Hauptverhandlung einen weitaus umfassenderen Eindruck von der Persönlichkeit der Angeklagten gewonnen haben wird. Hinzu kommt, dass vorliegend noch darüber zu befinden sein wird, hinsichtlich welcher Personen die akustische Besuchsüberwachung aufgehoben werden könnte. Bei der Überprüfung der Zulässigkeit von Beschränkungen ist in aller Regel die Person des Besuchers notwendig mit einzubeziehen, so dass eine generelle Aufhebung nur dann in Betracht kommen kann, wenn unabhängig von der Person des Besuchers eine konkrete Gefährdung der Haftzwecke von vornherein ausgeschlossen sein könnte. Eine solch weitreichende Feststellung wird sich aber nur in Ausnahmefällen treffen lassen.
Die angefochtene Entscheidung war deshalb aufzuheben und die Sache an den Vorsitzenden der 9. Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen.
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