Aktenzeichen: 2 Ss 208/04 OLG Hamm
Leitsatz: Bestehen Anhaltspunkte dafür, dass das Fernbleiben des Angeklagten im Berufungshauptverhandlungstermin entschuldigt sein kann, muss das Gericht dem im Rahmen seiner Amtsaufklärungspflicht durch Ermittlungen im Freibeweis nachgehen.
Senat: 2
Gegenstand: Revision
Stichworte: Berufungsverwerfung; Ausbleiben des Angeklagten, genügende Entschuldigung; Erkrankung; Erkundigungspflicht des Gerichts
Normen: StPO 329
Beschluss: Strafsache
gegen G.B.
wegen Betruges
Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 4. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bochum vom 8. Januar 2004 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 14. 06. 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Amtsgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bochum zurückverwiesen.
Gründe:
Der Angeklagte ist erstinstanzlich durch Urteil des Amtsgerichts Recklinghausen vom 29. Januar 2002 wegen eines Verstoßes nach dem GmbH-Gesetz und wegen Betruges in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt worden.
Durch das angefochtene Urteil ist die Berufung des Angeklagten gemäß § 329 Abs. 1 StPO verworfen worden. Dieses Urteil ist der Pflichtverteidigerin des Angeklagten am 10. Februar 2004 zugestellt worden.
Zwischenzeitlich waren der Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung durch Beschluss der Strafkammer vom 19. Januar 2004 sowie die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Angeklagten durch Senatsbeschluss vom 11. März 2004 (2 Ws 63/04) verworfen worden.
Mit Schriftsatz vom 16. Februar 2004 hatten sich für das Revisionsverfahren weitere Verteidiger für den Angeklagten gemeldet und nach Akteneinsicht die Revision mit Schriftsatz vom 3. März 2004, welcher per Fax am selben Tag und im Original am 5. März 2004 beim Landgericht Bochum eingegangen war, begründet. Zugleich war Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Revision beantragt worden.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat ihren Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache wie folgt begründet:
Die Revision des Angeklagten ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Der gleichzeitig gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Frist zur Anbringung der Revisionsanträge und der Revisionsbegründung ist daher gegenstandslos.
Die Revision des Angeklagten hat mit der formgerecht erhobenen Verfahrensrüge, die Voraussetzungen des § 329 Abs. 1 StPO hätten nicht vorgelegen, (vorläufig) Erfolg.
An die Zulässigkeit der Rüge der Verletzung des § 329 Abs. 1 StPO sind strenge Anforderungen nicht zu stellen, zumal das Revisionsgericht an die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils, die in der Revisionsbegründung nicht wiederholt zu werden brauchen, gebunden ist (Senatsbeschlüsse vom 07.10.1999 - 2 Ss 1011/99 - und 22.01.2003 - 2 Ss 669/03 - m.w.N.). Ergibt sich, dass Entschuldigungsgründe vorgebracht worden sind, so ist es ausreichend, wenn ausgeführt wird, das Berufungsgericht habe das Ausbleiben des Angeklagten nicht als unentschuldigt ansehen dürfen (Senatsbeschluß vom 22.01.2003 - 2 Ss 669/03 - m.w.N). Diesen Anforderungen genügt die Revisionsbegründung.
Nach § 329 Abs. 1 StPO ist, wenn der Angeklagte trotz ordnungsgemäßer Ladung und Belehrung über die Folgen seines Ausbleibens in der Berufungshauptverhandlung ausbleibt, die Verwerfung seiner Berufung nur zulässig, wenn das Ausbleiben nicht genügend entschuldigt ist. Dabei ist nach übereinstimmender obergerichtlicher Rechtsprechung (zu vgl. Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., § 329 Rdn. 18 m.w.N.) nicht entscheidend, ob der Angeklagte sich genügend entschuldigt hat, sondern ob er genügend entschuldigt ist. Eine Erkrankung entschuldigt das Ausbleiben eines Angeklagten nicht erst dann, wenn er verhandlungsunfähig ist. Es genügt vielmehr, dass das Erscheinen wegen der Erkrankung unzumutbar ist (zu vgl. BayObLG, NStZ-RR 2003, 87 f. m.w.N.). Bestehen Anhaltspunkte dafür, dass das Fernbleiben entschuldigt sein kann, muss das Gericht dem im Rahmen seiner Amtsaufklärungspflicht durch Ermittlungen im Freibeweis nachgehen. Diese Anhaltspunkte können sich aus Erklärungen des Verteidigers oder aus vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen wie Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ergeben (Meyer-Goßner, a.a.O., Rdn. 18, 19 m.w.N.). Im Rahmen seiner Amtsaufklärungspflicht hat das Gericht solche Beweise zu erheben, die sofort zur Verfügung stehen (Meyer-Goßner, a.a.O., Rdn. 20). Das heißt, dass es solche Ermittlungen anzustellen hat, die nur zu einer geringfügigen Verzögerung der Entscheidung führen, nicht aber solche, die im Ergebnis einer gerade zu vermeidenden Aussetzung der Hauptverhandlung gleichkommen (BayObLG, a.a.O. m.w.N.). Danach sind jedenfalls solche Ermittlungen geboten, die eine Entscheidung noch in derselben Hauptverhandlung zulassen (BayObLG, a.a.O. m.w.N.).
Diesen Anforderungen ist das Berufungsgericht nicht gerecht geworden. Das Gericht war zwar bemüht, durch eine telefonische Nachfrage bei dem Arzt, der eine der vorgelegten Bescheinigungen ausgestellt hatte, seiner Verpflichtung nachzukommen, jedoch rechtfertigte dessen möglicherweise nur vorübergehende Abwesenheit nicht den weiteren Aufklärungsverzicht. Unter Anwendung der Grundsätze der Unerreichbarkeit des Beweismittels i.S. des § 244 Abs. 3 S. 2 StPO hätte es das Landgericht nicht bei einem einmaligen Versuch belassen dürfen. Dass der die Bescheinigung ausstellende Arzt am Hauptverhandlungstag zu keinem Zeitpunkt erreichbar gewesen wäre, ergibt sich aus den Urteilsfeststellungen nicht. Hinsichtlich des die übrigen Bescheinigungen ausstellenden Arztes unternahm das Landgericht im Übrigen keine Bemühungen um eine weitere Aufklärung.
Angesichts der durch die Erklärung der Verteidigerin und der vorgelegten Bescheinigungen bestehenden Anhaltspunkte für ein entschuldigtes Fernbleiben des Angeklagten und der unterbliebenen weiteren Sachaufklärung hinsichtlich des in Betracht kommenden Entschuldigungsgrundes, hätten sich die bestehenden Zweifel zugunsten des Angeklagten auswirken müssen (KK-Ruß, StPO, 5. Aufl., § 329 Rdn. 9). Dass das Gericht Zweifel an der Richtigkeit des Vortrags hegt, rechtfertigt die Verwerfung gem. § 329 StPO allein nicht (zu vgl. BayObLG, a.a.O. m.w.N). Dass die Entschuldigung nur vorgeschoben war, ergibt sich nicht zweifelsfrei aus den Urteilsgründen.
Es ist nicht auszuschließen, dass das angefochtene Urteil auf der Verkennung der vorgenannten Grundsätze beruht und das Landgericht bei ihrer Beachtung weitere Ermittlungen angestellt hätte, die dazu geführt hätten, dass das Ausbleiben des Angeklagten als entschuldigt angesehen worden wäre.
Dem tritt der Senat bei.
Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bochum zurückzuverweisen.
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