Aktenzeichen: 3 Ws 276/04 OLG Hamm
Leitsatz: Der Senat hält an seiner Rechtsprechung fest, nach der die dem Nebenkläger im Berufungsrechtszug entstandenen notwendigen Auslagen in den Fällen, in denen der Angeklagte mit seinem auf das Strafmaß beschränkten Rechtsmittel vollen Erfolg erzielt, in entsprechender Anwendung des § 472 Abs. 1 StPO dem Angeklagten aufzuerlegen sind, soweit es nicht unbillig wäre, den Angeklagten damit ganz oder teilweise zu belasten.
Senat: 3
Gegenstand: Beschwerde
Stichworte: Kostenentscheidung; Anfechtbarkeit: nebenkläger, Berufungrechtzug; Kostentragungspflicht des Angeklagten
Normen: StPO 464 b; StPO 472
Beschluss: Strafsache
gegen P.R.
wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen u.a., (hier: sofortige Beschwerde des Nebenklägers M.S. gegen die unterbliebene Auslagenentscheidung des Landgerichts Essen im Urteil vom 25. März 2004).
Auf die sofortige Beschwerde des Nebenklägers M.S. vom 31. März 2004 gegen die hinsichtlich der Nebenklage unterbliebene Auslagenentscheidung im Urteil des Landgerichts Essen vom 24. März 2004 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 29. 06. 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Angeklagten bzw. seines Verteidigers beschlossen:
Die Auslagen des Nebenklägers M.S. im Berufungsverfahren vor der Jugendkammer des Landgerichts Essen werden dem Angeklagten auferlegt.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der in diesem Verfahren entstandenen notwendigen Auslagen des Nebenklägers trägt die Staatskasse.
Gründe:
I.
Nachdem das gegen den Angeklagten ergangene Urteil des Amtsgerichts - Schöf-
fengericht - Gelsenkirchen-Buer vom 29. Mai 2001 im Berufungsverfahren durch das Urteil des Landgerichts Essen vom 4. März 2002 aufgehoben und das Verfahren zuständigkeitshalber an das Bezirksjugendgericht - Jugendschöffengericht - Gelsenkirchen verwiesen worden war, ist der Angeklagte durch Urteil dieses Gerichts vom 2. Dezember 2003 wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in 15 Fällen, davon in fünf Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch eines Kindes, ferner der Beleidigung in zwei Fällen schuldig gesprochen worden. Die zunächst gegen ihn verhängte Jugendeinheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten hat die Jugendkammer des Landgerichts Essen im Berufungsurteil vom 24. März 2002 auf zwei Jahre ermäßigt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt.
Hinsichtlich der notwendigen Auslagen der drei zugelassenen Nebenkläger fehlt es aus einer ausdrücklichen Entscheidung im Urteilstenor. Das Berufungsgericht hat in den Urteilsgründen hierzu Folgendes ausgeführt:
Die Nebenkläger tragen ihre im Berufungsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen selbst.
Auch bei entsprechender Anwendung des § 472 Abs. 1 StPO können die notwendigen Auslagen der Nebenkläger dem Angeklagten nicht aus Billigkeitsgründen auferlegt werden, da der Angeklagte bereits in erster Instanz geständig war, alsbald nach Einlegung des Rechtsmittels die Beschränkung der Berufung auf den Strafausspruch erfolgt ist und der Angeklagte mit seiner Berufung vollen Erfolg hat.
Eines ausdrücklichen Ausspruchs darüber, daß die Nebenkläger ihre notwendigen Auslagen selbst tragen, bedurfte es nicht, da die Nebenkläger bei Fehlen einer anderweitigen Regelung ihre notwendigen Auslagen ohne weiteres selbst tragen.
Hiergegen wendet sich der Nebenkläger M.S. mit seiner sofortigen Beschwerde, mit der er rügt, dass die Kostenentscheidung des Landgerichts unvollständig sei; die notwendigen Auslagen seiner Nebenklage seien dem Angeklagten aufzuerlegen.
Der Angeklagte verteidigt die unterbliebene Auferlegung der Nebenklagekosten auf ihn. Er beantragt in Übereinstimmung mit dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft, die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.
II.
Die gemäß § 464 Abs. 3 S. 1 StPO statthafte und auch sonst zulässige sofortige Beschwerde des Nebenklägers hat auch in der Sache vollen Erfolg.
Die Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde scheitert nicht an der Vorschrift des § 464 Abs. 3 S. 1, 2. Halbsatz StPO: Danach ist die sofortige Beschwerde gegen eine Entscheidung über die Kosten und notwendigen Auslagen unzulässig, wenn eine Anfechtung der in Absatz 1 des § 464 StPO genannten Hauptentscheidung durch den Beschwerdeführer nicht statthaft ist. Teilweise wird diese Bestimmung in der Rechtsprechung sowie in der Kommentarliteratur dahin ausgelegt, dass in den Fällen, in denen infolge wirksamer Berufungsbeschränkung auf die Straffrage der Schuldspruch rechtskräftig geworden ist, der Nebenkläger wegen der Rechtsmittelbeschränkung des § 400 Abs. 1 StPO nicht mehr die Möglichkeit habe, das Fehlen einer ihn begünstigenden Auslagenentscheidung im Berufungsurteil mit der sofortigen Beschwerde anzufechten (vgl. OLG Frankfurt, NStZ-RR 1996, 128 m.w.N.; Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl., Rdnr. 17 zu § 464; KK-Franke, StPO, 4. Aufl.,
Rdnr. 8 zu § 864). § 400 Abs. 1 StPO bestimme nämlich u.a., dass der Nebenkläger das Urteil nicht mit dem Ziel anfechten könne, dass eine andere Rechtsfolge der Tat verhängt werde. Sei demnach ein mit der Berufung angefochtenes Urteil durch wirksame Rechtsmittelbeschränkung im Schuldspruch rechtskräftig und habe das Berufungsgericht nur noch über die den Angeklagten betreffenden Rechtsfolgen zu verhandeln und zu entscheiden, sei das hierauf ergangene Urteil auch in der Kosten- und Auslagenentscheidung der Anfechtung der Nebenklage entzogen (vgl. OLG Frankfurt, a.a.O., KK-Franke, a.a.O.).
Demgegenüber vertritt der Senat in ständiger Rechtsprechung (vgl. Beschluss des Senats vom 22.09.1994 - 3 Ws 458/94 -; Beschluss des Senats vom 18.09.2001 - 3 Ws 372/01 -) die Auffassung, dass die Bestimmung des § 400 Abs. 1 StPO nicht zur Begründung der Zulässigkeit der sofortigen Beschwerde des Nebenklägers gegen die unterlassene Kosten- und Auslagenentscheidung des Berufungsurteils herangezogen werden kann. § 464 Abs. 3 S. 1, 2. Halbsatz StPO knüpft nämlich den Ausschluss der Beschwerdebefugnis ausdrücklich an die fehlende Statthaftigkeit einer Anfechtung der Hauptentscheidung durch den Beschwerdeführer. Die be-
schränkte Rechtsmittelbefugnis des Nebenklägers gemäß § 400 Abs. 1 StPO beruht nämlich gerade auf dessen fehlender Beschwer im Einzelfall, nämlich in den Fällen, in denen es allein um die Verhängung der Rechtsfolge der Tat geht bzw. in denen es bereits an einem Anschlussdelikt fehlt. Dies führt vorliegend zur Zulässigkeit der Beschwerde.
Die notwendigen Auslagen des Nebenklägers waren gemäß § 472 Abs. 1 StPO dem Angeklagten aufzuerlegen.
Der Senat hält an seiner Rechtsprechung fest, nach der die dem Nebenkläger im Berufungsrechtszug entstandenen notwendigen Auslagen in den Fällen, in denen der Angeklagte mit seinem auf das Strafmaß beschränkten Rechtsmittel vollen Erfolg erzielt, in entsprechender Anwendung des § 472 Abs. 1 StPO dem Angeklagten aufzuerlegen sind, soweit es nicht unbillig wäre, den Angeklagten damit ganz oder teilweise zu belasten. Insoweit wird Bezug genommen auf die Ausführungen des Senats im Beschluss vom 10. Februar 1998 - 3 Ws 575/97 (veröffentlicht in NStZ-RR 1998, 221 ff.). Die Gründe, aus denen der Senat bei der Entscheidung über die notwendigen Auslagen des Nebenklägers im Rechtsmittelzug bei einem auf das Strafmaß beschränkten erfolgreichen Rechtsmittels des Angeklagten die Grundsätze des § 472 Abs. 1 StPO für sachgerecht erachtet hat, treffen weiterhin zu; zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat auf die vorgenannte Entscheidung Bezug, zumal die Anwendbarkeit dieses Grundsatzes auf den vorliegenden Fall auch von keinem der Verfahrensbeteiligten in Zweifel gezogen worden ist.
Die Auferlegung der Nebenklagekosten auf den Angeklagten, der wegen einer Tat verurteilt worden ist, die den Nebenkläger betrifft, hat gemäß § 472 Abs. 1 StPO zu erfolgen, denn es liegen keine Gründe vor, die es unbillig erscheinen lassen, den Angeklagten hiermit zu belasten, § 472 Abs. 1 S. 2 StPO. Entgegen den Ausführungen der Berufungskammer in den Urteilsgründen des angefochtenen Urteils und entgegen der Auffassung des Angeklagten in seiner Gegenerklärung vom 18.06.2004 bedarf es nicht der Billigkeitsgründe, die die Auferlegung der Nebenklagekosten auf den Angeklagten gebieten; vielmehr ist bei Verurteilung wegen eines den Nebenkläger betreffenden Deliktes die Feststellung von Billigkeitsgründen erforderlich für das Absehen von der Auferlegung der notwendigen Auslagen der Nebenklage auf den Angeklagten.
Solche Gründe sind vorliegend jedoch nicht gegeben. Zwar hat der Angeklagte mit seinem Rechtsmittel, das auf den Strafausspruch beschränkt worden war, vollen Erfolg; die von ihm im Berufungsverfahren erstrebte Verhängung einer Jugendstrafe zur Bewährung ist durch das Urteil der Berufungskammer erfolgt. Auch hat sich der Angeklagte nach anfänglichem Leugnen - vor dem Schöffengericht Gelsenkirchen-Buer hatte die Verteidigung deshalb noch Freispruch beantragt - später geständig gezeigt und die Berufung auf die Straffrage beschränkt. Diese Umstände reichen jedoch nicht aus, um von der regelmäßigen Folge der Belastung des verurteilten Angeklagten mit den notwendigen Auslagen des Nebenklägers gemäß § 472 Abs. 1 S. 1 StPO abzusehen. Für den Nebenkläger war die Rechtswirksamkeit der durch den Angeklagten erklärten Berufungsbeschränkung nicht unzweifelhaft feststellbar; die Fälle, in denen sich die erklärte Beschränkung der Berufung auf die Straffrage in der Berufungsinstanz aus verschiedensten Gründen als unwirksam herausstellt, sind nicht selten und für den beteiligten Nebenkläger häufig nicht sicher einschätzbar. Die Berufungsbeschränkung allein erscheint deshalb als ausschlaggebendes Kriterium für eine abweichende Billigkeitsentscheidung nicht geeignet. Auch das Verteidigungsverhalten des Angeklagten war nicht von vornherein konstant geständig. Noch im gerichtlichen Verfahren hat der Angeklagte vor dem Schöffengericht Gelsenkirchen die Vorwürfe vehement bestritten, weshalb eine umfangreiche Beweisaufnahme durchgeführt worden ist. Dass der Angeklagte später dauerhaft geständig bleiben würde, konnte der Nebenkläger deshalb ebenfalls nicht sicher annehmen. Auf Seiten des Nebenklägers bestand mithin auch noch im Berufungsverfahren und nach Beschränkung der Berufung auf die Straffrage ein billigenswertes Interesse daran, sich an dem Verfahren zu beteiligen. Die Ausführungen des Angeklagten in der Gegenerklärung vom 18.06.2004 rechtfertigen eine andere Beurteilung nicht. Besondere Umstände, nach denen die Billigkeit es erfordert, den Angeklagten von den notwendigen Auslagen des Nebenklägers für die Berufungsinstanz freizustellen, sind vorliegend nicht feststellbar. Die Auslagenentscheidung war deshalb wie geschehen noch nachträglich zu treffen.
Die Kostenentscheidung folgt aus einer analogen Anwendung von § 473 Abs. 3, 4 StPO.
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