Aktenzeichen: 4 Ss 259/04 OLG
Hamm
Leitsatz: Zum Umfang der Informations- und
Umgrenzungsfunktion der Anklage bei einem Verstoß gegen das AuslG.
Senat: 4
Gegenstand: Revision
Stichworte: Ausländergesetz; unerlaubte Einreise,
Anklage, Umfang der Anklage, Umgrenzungsfunktion
Normen:
AuslG 58; AuslG. 92
Beschluss:Strafsache
gegen M.S.
wegen
Verstoßes gegen das BtMG
Auf die Revision des Angeklagten gegen
das Urteil der 16. kleinen Strafkammer des Landgerichts Münster vom 24.
Februar 2004 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 22. 07. 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am
Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht nach Anhörung der
Generalstaatsanwaltschaft und des Angeklagten bzw. seines Verteidigers
einstimmig beschlossen:
1. Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde
liegenden Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen eines -
tatmehrheitlich begangenen - Verstoßes gegen das AuslG verurteilt worden
ist.
Insoweit wird das Verfahren gemäß § 206 a StPO auf
Kosten der Landeskasse eingestellt.
Es wird davon abgesehen, die dem
Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen der Landeskasse
aufzuerlegen.
2. Im Übrigen wird die Revision auf Kosten des
Angeklagten verworfen.
3. Es wird klarstellend festgestellt, dass der
Angeklagte damit wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit
Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und einem Verstoß gegen
§§ 58 Abs. 1, 92 Abs. 1 Nr. 6 AuslG zu einer Freiheitsstrafe von
einem Jahr und elf Monaten verurteilt ist.
Gründe:
I.
Die
Staatsanwaltschaft hat dem Angeklagten mit der Anklageschrift vom 23. September
2003 zur Last gelegt, in Gronau am 18. August 2003 durch dieselbe
Handlung
1. Betäubungsmittel (Haschisch) in nicht geringer Menge
unerlaubt eingeführt zu haben,
2. mit Betäubungsmitteln
(Haschisch) in nicht geringer Menge unerlaubt Handel getrieben zu
haben,
3. entgegen § 58 Abs. 1 Nr. 1 u. 2 AuslG in das Bundesgebiet
eingereist zu sein.
Gegenstand des ausländerrechtlichen Vergehens
war die Einreise des Angeklagten aus den Niederlanden nach Deutschland mit
einer durch die zuvor erfolgte Ausreise ungültig gewordenen Duldung am 18.
August 2003, §§ 58 Abs. 1, 92 Abs. 1 Nr. 6 AuslG.
Mit
Beschluss vom 30. September 2003 hat das Amtsgericht Ahaus die Anklage
unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen und das Hauptverfahren
eröffnet.
Durch Urteil des Amtsgerichts Ahaus vom 10. Oktober 2003
ist der Angeklagte wegen des angeklagten Verstoßes gegen das
Betäubungsmittelgesetz zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zwei
Monaten und wegen eines tatmehrheitlich begangenen Verstoßes gegen
§§ 58 Abs. 1, 92 Abs. 1 Nr. 6 AuslG zu einer Freiheitsstrafe von zwei
Monaten verurteilt worden, woraus eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren
und drei Monaten gebildet worden ist.
Bezüglich des
ausländerrechtlichen Vergehens hat das Amtsgericht folgende Feststellungen
getroffen:
"Durch die Bezirksregierung Braunschweig wurde der Angeklagte
am 06.06.2002 dem Landkreis Cuxhaven zugewiesen. Zuletzt am 27.05.2003
erstellte der Landkreis Cuxhaven dem Angeklagten eine Duldung mit
Aufenthaltsbeschränkung auf dem Bereich des Landkreises Cuxhaven mit
vorübergehender Aufenthaltsgestattung für Bremerhaven bis zum
26.08.2003. Trotz dieser Aufenthaltsbeschränkung lebte der Angeklagte
zusammen mit der Zeugin K. in Münster im Haus I.platz. Am 18.08.2003
reiste der Angeklagte aus den Niederlanden kommend ohne erforderliche
Aufenthaltsgenehmigung und ohne erforderlichen Pass mit der Eisenbahn von
Enschede über die niederländisch-deutsche Grenze nach
Gronau."
Das Landgericht Münster hat mit Urteil vom 24. Februar
2004 die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung des
Angeklagten mit der Maßgabe verworfen, dass die Gesamtfreiheitsstrafe auf
zwei Jahre reduziert wird.
Nach Auffassung der Strafkammer hat sich der
Angeklagte wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG in Tateinheit mit
unerlaubtem Handeltreiben von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
gemäß § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG sowie wegen eines tateinheitlich
begangenen Verstoßes gegen das Ausländergesetz gemäß
§§ 58, 92 Abs. 1 Nr. 6 AuslG und mindestens eines tatmehrheitlich
begangenen Verstoßes gemäß §§ 58, 92 Abs. 1 Nr. 6
AuslG strafbar gemacht.
Die Einzelstrafen sind auf ein Jahr 11 Monate
für den ersten Komplex und zwei Monate für den tatmehrheitlich
begangenen Verstoß gegen das Ausländergesetz festgesetzt worden,
woraus eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren gebildet worden ist. Gegen
dieses Urteil richtet sich die rechtzeitig eingelegte und form- und
fristgerecht begründete Revision des Angeklagten, mit der die allgemeine
Sachrüge erhoben worden ist.
II.
Das Rechtsmittel führt zu
einem Teilerfolg.
Der Senat ist dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft
gefolgt, die Folgendes ausgeführt hat:
"Die bei einer bei Vorliegen
einer zulässigen Revision von Amts wegen gebotene Überprüfung
der Verfahrensvoraussetzungen (Kuckein, StraFo 1997, 33) ergibt, dass ein
Verfahrenshindernis besteht, soweit der Angeklagte wegen eines tatmehrheitlich
begangenen Verstoßes gegen das Ausländergesetz verurteilt worden
ist.
Anklage und Eröffnungsbeschluss sind Verfahrensvoraussetzungen.
Sie bestimmen Umfang und Grenzen der Verhandlung, denn Gegenstand der
Urteilsverkündung ist gemäß § 264 Abs. 1 StPO allein die
in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der
Hauptverhandlung darstellt. Die Anklage ist danach maßgebend dafür,
was dem Gericht zur Überprüfung und Entscheidung unterbreitet ist;
der Eröffnungsbeschluss, der endgültig bestimmt, welche Taten das
Gericht untersucht, kann nur solche Taten zum Gegenstand haben, die in der
Anklage enthalten sind und auf die sich der Verfolgungswille der
Staatsanwaltschaft bezieht (Meyer-Goßner, StPO, 46. Auflg., § 264
Rdn. 7 a m.w.N.; Dahs/Dahs, Die Revision im Strafprozess, 6. Auflg. Rdnr. 97 f
m.w.N.). Das Fehlen von Anklage und/oder Eröffnungsbeschluss oder der
Umstand, dass Anklage und/oder Eröffnungsbeschluss sich jedenfalls nicht
auf die Tat erstrecken, die Gegenstand der Urteilsfindung gewesen ist, stellen
vom Revisionsgericht stets zu prüfende absolute Verfahrenshindernisse dar
(Meyer-Goßner, a.a.O., § 264 Rdn. 12; Dahs/Dahs, a.a.O., Rdn.
98).
Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von
Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie wegen eines
tatmehrheitlich begangenen Verstoßes gegen das Ausländergesetz
verurteilt.
Hinsichtlich des Verstoßes gegen das Ausländergesetz
hat das Amtsgericht festgestellt, der Landkreis Cuxhaven habe zuletzt am
27.05.2003 dem Angeklagten eine Duldung mit einer Aufenthaltsbeschränung
auf den Landkreis Cuxhaven mit vorübergehender Aufenthaltsgestattung
für Bremerhaven bis zum 26.08.2003 ausgestellt. Trotzdem habe der
Angeklagte zusammen mit der Zeugin K. in Münster gelebt.
Das
Landgericht Münster hat ergänzend zur Klarstellung festgestellt, dass
der Angeklagte seit Juni 2003 in der Wohnung der Zeugin K. in Münster
wohnte und dieser Aufenthalt lediglich für die Dauer einer - im Zeitraum
von Juni 2003 bis zur Festnahme des Angeklagten am 18.08.2003 liegenden - Woche
von einer Besuchserlaubnis gedeckt war, wobei der Besuchserlaubnis eine
Zäsurwirkung zugekommen sei.
Diese Tat war aber nicht Gegenstand der
unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage der
Staatsanwaltschaft Münster vom 23.09.2003
(Bl. 67 ff d.A.). Gegenstand
der Anklage war vielmehr ausschließlich die am 18.08.2003 unternommene
Ausreise des Angeklagten in die Niederlande, die zur Folge hatte, dass die
durch den Landkreis Cuxhaven ausgestellte Duldung des Angeklagten erloschen
war, und seine am selben Tag erfolgte Wiedereinreise in das Bundesgebiet
illegal war.
Damit steht fest, dass die vom Amtsgericht sowie Landgericht
festgestellte Tat, der Angeklagte habe gegen die durch den Landkreis Cuxhaven
ausgestellte Aufenthaltsbeschränkung verstoßen, die zudem zeitlich
vor der dem Angeklagten erteilten, eine Woche gültigen Besuchserlaubnis
gelegen haben soll, und sich rechtlich als ein Verstoß gegen § 92
Abs. 1 Nr. 3 AuslG oder § 85 Nr. 2 AsylvfG darstellen würde, nicht
mehr von Anklage und Eröffnungsbeschluss umfasst war.
Dem steht auch
nicht entgegen, dass es sich bei einem Verstoß gegen eine
Aufenthaltsbeschränkung um ein Dauerdelikt handelt (zu vgl. OLG Stuttgart
Justiz 2001, 497 - 499), und dieses Delikt am 18.08.2003 noch andauerte.
Der
Verstoß gegen die Aufenthaltsbeschränkung durch das Verlassen des
Landkreises Cuxhaven bzw. Bremerhaven und die Fahrt in die Niederlande, um dort
Betäubungsmittel zu erwerben, stellen keine prozessual einheitliche Tat
mit der Folge, dass der Verstoß gegen die Aufenthaltsbeschränkung
von der Anklage erfasst wäre, dar. Dazu genügt es nicht, dass der
Täter im Zuge der Verwirklichung eines Gesamtplanes oder aufgrund einer
einheitlichen Grundhaltung tätig geworden ist, dasselbe Rechtsgut verletzt
hat oder die Vorgänge durch eine bloße zeitliche oder örtliche
Aufeinanderfolge gekennzeichnet sind. Mehrere selbständige Handlungen
bilden nach übereinstimmender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur
erst dann eine Tat im Sinne des § 264 StPO, wenn darüber hinaus die
einzelnen Handlungen unter Berücksichtigung ihrer strafrecechtlichen
Bedeutung auch innerlich derart miteinander verknüpft sind, dass der
Unrechts- und Schuldgehalt der einen nicht ohne die Umstände, die zu der
anderen Handlung geführt haben, berücksichtigt werden kann und ihre
getrennt Würdigung und Aburteilung als unnatürliche Aufspaltung eines
einheitlichen Lebensvorganges erscheinen würde (BGH NJW 1981, 997). Eine
solche Konstellation ist im vorliegenden Fall nicht gegeben. Insbesondere
besteht eine über einen punktuellen örtlichen und zeitlichen
Zusammenhang hinausgehende innere Verknüpfung zwischen dem Verstoß
gegen die Aufenthaltsbeschränkung und die Fahrt des Angeklagten in die
Niederlande nicht. Nach den Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils,
ergänzt durch die Feststellungen des landgerichtlichen Urteils, ist der
Angeklagte, der seit Juni 2003 in der Wohnung der Zeugin K. in Münster
lebte, am 18.08.2003 in der Innenstadt von Münster durch einen Landsmann
angesprochen und gebeten worden ist, in Holland etwas abzuholen, woraufhin der
Angeklagte mit der Bahn nach Enschede fuhr.
Die Fahrt des Angeklagten in die
Niederlande, der ein neuer Tatentschluss zugrunde liegt, ergibt sich somit auch
nicht zwangsläüfig aus dem Verstoß gegen die
Aufenthaltsbeschränkung und war auch nicht durch diesen bedingt. Nach den
Feststellungen des Amtsgerichts hat der Angeklagte die Fahrt in die Niederlande
lediglich bei Gelegenheit seines rechtswidrigen Aufenthalts in Münster
vorgenommen.
Im Übrigen ist die Revision des Angeklagten nicht
begründet.
Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts
gebotenen Überprüfung des angefochtenen Urteils im
Rechtsfolgenausspruch deckt Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht
auf.
Die Berufung des Angeklagten ist gem. § 318 StPO zulässig
auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt worden (Bl. 152 d.A.). Die
Beschränkung ist auch in wirksamer Weise erfolgt, weil das angefochtene
Urteil des Amtsgerichts Ahaus ausreichende Feststellungen zu den Taten
enthält, die noch so vollständig, klar und widerspruchsfrei sind,
dass sie eine zuverlässige Grundlage für die Entscheidung über
den Rechtsfolgenausspruch bilden (Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl., §
318 Rdnr. 16 m.w.N.).
Insbesondere tragen die Feststellungen des
Amtsgerichts Ahaus auch die Verurteilung des Angeklagten wegen eines
Verstoßes gegen § 92 Abs. Nr. 6 AuslG.
Dem Urteil des
Amtsgerichts Ahaus ist zu entnehmen, dass dem Angeklagten durch den Landkreis
Cuxhaven eine Duldung mit Aufenthaltsbeschränkung erteilt worden war und
der Angeklagte aus dem Bundesgebiet in die Niederlande gereist war, was zur
Folge hatte, dass die bestehende Duldung nach § 56 Abs. 4 AuslG erloschen
war. Schließlich ist den Feststellungen des Amtsgerichts auch zu
entnehmen, dass der Angeklagte am 18.08.2003 wieder ? nachdem die Duldung
erloschen war - in das Bundesgebiet einreiste.
Auch die
Strafzumessungserwägungen halten rechtlicher Überprüfung Stand.
Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Ein Eingriff
des Revisionsgerichts ist in der Regel nur dann möglich, wenn die
Zumessungserwägungen in sich fehlerhaft snd oder die verhängte Strafe
gegen anerkannte Strafzwecke verstößt. Solche Fehler liegen hier
jedoch nicht vor, zumal der Tatrichter nicht gehalten ist, sämtlichen
Strafzumessungsgründe anzugeben.
Auch die Ausführungen, mit
denen die Kammer eine Strafaussetzung zur Bewährung abgelehnt hat, halten
rechtlicher Überprüfung Stand.
Im Hinblick auf die beantragte
Einstellung des Verfahrens kann allerdings die erkannte Gesamtfreiheitsstrafe
keinen Bestand haben, so dass zur Klarstellung festzustellen ist, dass der
Angeklagten zu der durch die Kammer wegen des Vorwurfes der unerlaubten Einfuhr
von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit
unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
und mit einem Verstoß gegen das Ausländergesetz verhängte
Einzelstrafe von einem Jahr und elf Monaten verurteilt worden ist."
Dem
schließt sich der Senat vollumfänglich an.
III.
Die
Kosten- und Auslagenentscheidungen beruhen auf den §§ 467 Abs. 1 u. 3
S. 2 Nr. 2, § 473 Abs. 1 StPO.
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