Aktenzeichen: 2 Ss 243/04 OLG Hamm
Leitsatz: Hat das Tatgericht auf Freispruch erkannt,
obwohl nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten weiterhin
erhebliche Verdachtsmomente bestanden, muss es in seiner Beweiswürdigung
und deren Darlegung alle für und gegen den Angeklagten sprechenden
Umstände und Erwägungen einbeziehen und in einer Gesamtwürdigung
betrachten (
Senat: 2
Gegenstand:
Revision
Stichworte: Beweiswürdigung;
Verdachtsmomente; Freispruch; Ausführungen im Urteil; Abwägung
Normen: StPO 216; StPO 267
Beschluss: Urteil
2 Ss 243/2004 OLG Hamm Verkündet am 15. September 2004
4
Ns 37 Js 273/00 LG Bochum
30 b Ls 37 Js 273/00
AK 40/00 erw. AG
BochumJustizangesstellte als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle des
Oberlandesgerichts
Strafsache
gegen M.S.
wegen Steuerhehlerei
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft Bochum gegen das Urteil
der 4. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bochum vom 12. Januar 2004 hat der
2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm in der Revisionshauptverhandlung
vom
15. 09. 2004, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht als Vorsitzender,
Richter am Oberlandesgericht und
Richterin am Oberlandesgericht
als
beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt
Mit der Sachrüge führt die Revision aus, das
angefochtene Urteil genüge nicht den nach der höchstrichterlichen
Rechtsprechung bestehenden Begründungsanforderungen an ein freisprechendes
Erkenntnis. Die Feststellungen der Kammer seien lückenhaft, da sie
Umstände unberücksichtigt gelassen habe, die für die
Überzeugungsbildung von Bedeutung sein konnten. Es fehle vollständig
die Erörterung der persönlichen Verhältnisse des Angeklagten
sowie eine Auseinandersetzung mit der einschlägigen Vorstrafe aus dem
Urteil des Amtsgerichts Neubrandenburg. Insbesondere Letztere stelle ein
weiteres Indiz für eine Tatbeteiligung des Angeklagten dar und hätte
seitens der Kammer in die Beweiswürdigung mit einbezogen werden
müssen.
Darüber hinaus habe sich die Kammer nicht mit der Frage
auseinander gesetzt, ob die getroffenen Feststellungen nicht zumindest eine
Verurteilung des Angeklagten wegen Beihilfe zu der Tat des Mitangeklagten und
wegen Steuerhehlerei Verurteilten H. tragen.
Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm ist der Revision unter näherer Begründung beigetreten.
II.
Die zulässige Revision der Staatsanwaltschaft Bochum
ist auch in der Sache begründet und führt zur Aufhebung des
angefochtenen Urteils mit den Feststellungen sowie zur Zurückverweisung
der Sache an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bochum, § 354
Abs. 2 Satz 1 StPO.
Die Revision der Staatsanwaltschaft Bochum hat bereits mit der Sachrüge Erfolg, einer Erörterung der Verfahrensrüge bedarf es daher nicht.
Das Landgericht hat sich trotz bestehender Verdachtsmomente nicht
davon zu überzeugen vermocht, dass der Angeklagte am Tattag, dem 19. April
2000, in der Halle auf dem Betriebsgelände XXXXXXXXin Recklinghausen
unversteuerte und unverzollte Zigaretten angeliefert hat, die dann u. a. von
den Mitangeklagten und wegen Steuerhehlerei verurteilten H. und B. zum
Weiterverkauf übernommen wurden.
Der Tatrichter hat sich lediglich
darauf beschränkt, aufgrund sich widersprechender Zeugenaussagen nicht
ausschließen zu können, dass der Angeklagte sich entsprechend seiner
Einlassung zum Tatzeitpunkt in Holland auf einem Campingplatz in Winterswijk
aufgehalten habe und demzufolge trotz bestehender Verdachtsmomente als
Täter ausscheide.
Diese Beweiswürdigung der Kammer hält
sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand.
Zwar muss das
Revisionsgericht grundsätzlich hinnehmen, wenn der Tatrichter einen
Angeklagten freispricht, weil er Zweifel an dessen Täterschaft nicht zu
überwinden vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters; das
Revisionsgericht hat insoweit nur zu beurteilen, ob dem Tatrichter bei der
Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in
sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung
widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder
gesicherte Erfahrungssätze verstößt (vgl. BGHR StPO § 261
Überzeugungsbildung 33 m. w. Nachw.). Rechtlich zu beanstanden sind die
Beweiserwägungen auch dann, wenn sie erkennen lassen, dass das Gericht
überspannte Anforderungen an die zur Verurteilung erforderliche
Überzeugungsbildung gestellt und dabei nicht beachtet hat, dass eine
absolute, das Gegenteil denknotwendig ausschließende und von niemandem
anzweifelbare Gewissheit nicht erforderlich ist. Vielmehr genügt ein nach
der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige
Zweifel nicht aufkommen lässt. Dabei haben solche Zweifel außer
Betracht zu bleiben, die realer Anknüpfungspunkte entbehren und sich
lediglich auf die Annahme einer bloß gedanklichen, abstrakt-theoretischen
Möglichkeit gründen (vgl. Urteil des BGH vom 06. August 2003 in 2 StR
180/03, ).
Vorliegend erweist sich die Beweiswürdigung des angefochtenen
Urteils als lückenhaft. Zwar können und müssen die Gründe
auch eines freisprechenden Urteils nicht jeden irgendwie beweiserheblichen
Umstand ausdrücklich würdigen. Das Maß der gebotenen Darlegung
hängt von der jeweiligen Beweislage und insoweit von den Umständen
des Einzelfalles ab. Dieser kann so beschaffen sein, dass sich die
Erörterung bestimmter einzelner Beweisumstände erübrigt. Um
einen solchen Fall handelt es sich hier aber nicht. Das Tatgericht hat vielmehr
auf Freispruch erkannt, obwohl nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung gegen den
Angeklagten weiterhin erhebliche Verdachtsmomente bestanden haben. Bei einer
solchen Sachlage muss es in seiner Beweiswürdigung und deren Darlegung
alle für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände und
Erwägungen einbeziehen und in einer Gesamtwürdigung betrachten (vgl.
BGH, NStZ-RR 2000, 171; BGH, NStZ-RR 2003, 369).
Dem wird das angefochtene
Urteil jedoch nicht gerecht. Es hat nämlich Umstände
unberücksichtigt gelassen, die für die Überzeugungsbildung von
Bedeutung sein konnten.
So lässt das Urteil jegliche
Auseinandersetzung mit dem strafrechtlich relevanten Vorleben des Angeklagten
und seiner möglichen Verstrickung in den Zigarettenschmuggel des
Mitangeklagten H. vermissen. Eine diesbezügliche Erörterung
drängte sich vorliegend auf, nachdem der Angeklagte sich dahin eingelassen
hatte, den Mitangeklagten H. bereits seit sechs Jahren zu kennen und um dessen
Schmugglertätigkeit zu wissen.
Für die Beweiswürdigung
begründet deshalb die rechtskräftige Verurteilung des Angeklagten
wegen eines gleichgelagerten Deliktes (hier: Steuerhinterziehung) durch das
Amtsgericht Neubrandenburg nicht nur ein gravierendes Indiz für die
Täterschaft des Angeklagten auch im vorliegenden Fall (vgl. hierzu BGH,
NStZ RR 2002, 338,339), sondern die der rechtskräftigen Verurteilung
zugrunde liegenden Feststellungen begründen möglicherweise auch
Schlussfolgerungen auf eine mögliche Tatbeteiligung des Angeklagten im
hier zu entscheidenden Fall.
Zudem hatte der Angeklagte eingeräumt, die in der fraglichen
Halle aufgefundenen ausgehöhlten Holzbalken dort gelagert zu haben, da er
diese angeblich beim Hausbau in Holland verwende. Auch damit hatte sich die
Kammer nicht befasst, obwohl solche Balken nach den Feststellungen des
Landgericht gewöhnlich für den Schmuggel von Zigaretten benutzt
werden.
Schließlich finden sich neben der bloßen Wiedergabe der
Einlassung des Angeklagten im Urteil keine Angaben dazu, woher der Angeklagte
die Kenntnis von den illegalen Zigarettengeschäften des H. erlangt hatte
und in welchem möglichen Zusammenhang er der Angeklagte mit dem
Zigarettenschmuggel des H. stand. Aus diesen fehlenden Angaben hätten sich
möglicherweise Erkenntnisse über die dem Angeklagten vorgeworfene
Tatbeteiligung ergeben, die bei der vorzunehmenden Gesamtwürdigung andere
Schlussfolgerungen und damit eine andere Beurteilung zugelassen hätten.
Die Staatsanwaltschaft rügt des weiteren zu Recht, dass die
Kammer sich nicht mit der Frage auseinander gesetzt hat, ob die von ihr
getroffenen Feststellungen nicht zumindest eine Verurteilung des Angeklagten
wegen Beihilfe zu der Tat des H. tragen. Der Angeklagte hat nach eigenen
Angaben wohlwissend um die Schmugglertätigkeit des Mitangeklagten H. den
anderweitig Verfolgten X zu der fraglichen Halle gefahren, damit dieser dort
Ladetätigkeiten für den Mitangeklagten H. verrichtet.
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