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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 3 Ss 218/04 OLG Hamm

Leitsatz: Stützt der Tatrichter den Schuldspruch auf ein Sachverständigengutachten, ist in den Urteilsgründen eine verständliche, in sich geschlossene Darstellung der dem Gutachten zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen, der wesentlichen Befundtatsachen und der das Gutachten tragenden fachlichen Begründung erforderlich.

Senat: 3

Gegenstand: Revision

Stichworte: Sachverständigegutachten; erforderlicher Umfang der Begründung; Beweiswürdigung;

Normen: StGB 315 c; StPO 267

Beschluss: Strafsache
gegen mit weiteren Nachweisen
wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Rahden vom 3. März 2004 und den Antrag auf Aufhebung des Beschlusses des Amtsgerichts Rahden vom 18.08.2003 über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 07. 09. 2004 durch den Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht auf Antrag bzw. nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und nach Anhörung des Angeklagten bzw. seines Verteidigers
gemäß § 349 Abs. 4 stop beschlossen:

1.
Das angefochtene Urteil wird nebst den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Rahden zurückverwiesen.

2.
Der Antrag auf Aufhebung des Beschlusses des Amtsgerichts Rahden vom 18.08.2003 über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis wird als unbegründet zurückgewiesen.

Gründe:

I.
Durch das angefochtene Urteil des Amtsgerichts Rahden vom 3. März 2004 ist der Angeklagte wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 13,00 € verurteilt worden; seine Fahrerlaubnis ist ihm entzogen und sein Führerschein eingezogen worden. Ferner ist gegen den Angeklagten eine Sperrfrist von 9 Monaten für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis angeordnet worden.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit der Revision, mit der er die Verletzung materiellen Rechtes rügt. Darüber hinaus begehrt er die Aufhebung des Beschlusses des Amtsgerichts Rahden vom 18.08.2003, durch den ihm die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen gem. §§ 69 StGB, 111 a StPO vorläufig entzogen worden ist. Offenbar irrtümlich hat der Angeklagte das Beschlußdatum falsch mit 17.7.2003 angegeben.

II.
1.
Die Revision ist zulässig und hat in der Sache einen zumindest vorläufigen Erfolg. Die Überprüfung des Schuldausspruchs des angefochtenen Urteils hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand, weil die getroffenen Feststellungen unzureichend und lückenhaft sind. Eine revisionsrechtliche Überprüfung des Vorliegens der Voraussetzungen zur Erfüllung des objektiven und des subjektiven Tatbestandes des § 315 c StGB ist auf der Grundlage dieser unzureichenden Feststellungen nicht möglich. Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 26.08.2004 gem. § 349 Abs. 3 StPO unter Beantragung der Aufhebung des Urteils - folgendes ausgeführt:

„Das Gericht hat nicht in dem erforderlichen Umfang dargelegt, aufgrund welcher Beweismittel es zur Annahme der festgestellten Geschwindigkeit und der darauf basierenden Erfüllung der objektiven Tatbestandsmerkmale des § 315 c StGB gelangt ist. Es hat lediglich ausgeführt, ein Polizeibeamter habe als Zeuge angegeben, der Angeklagte müsse mit schätzungsweise 150 km/h gefahren sein, jedoch keine Feststellungen dazu getroffen, wie der Zeuge zu seiner Geschwindigkeitsschätzung gelangt ist. Das Urteil teilt hierzu weder den Standort des Zeugen noch die Sichtverhältnisse, die Entfernung zum Pkw, die Dauer seiner Beobachtung und die sonstigen Umstände mit. Unter diesen Umständen kann nicht festgestellt werden, welcher Beweiswert der Schätzung des Polizeibeamten zuzumessen ist. Zwar hat das Gericht darüber hinaus noch einen Sachverständigen zu der Geschwindigkeit des Angeklagten angehört. Es hat jedoch nicht einmal ansatzweise die wesentlichen Feststellungen des Sachverständigen oder die Anknüpfungstatsachen seines Gutachtens dargestellt, sondern lediglich ausgeführt, sondern lediglich das Ergebnis des Gutachtens mitgeteilt und als überzeugend bezeichnet. Stützt jedoch der Tatrichter den Schuldspruch auf ein Sachverständigengutachten, ist in den Urteilsgründen eine verständliche, in sich geschlossene Darstellung der dem Gutachten zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen, der wesentlichen Befundtatsachen und der das Gutachten tragenden fachlichen Begründung erforderlich (Senatsbeschluss vom 30.04.1999 - 3 Ss 385/99 -, OLG Hamm, Beschluss vom 16.06.2000 - 2 Ss OWi 537/00 -).

Auch der weitere Zeuge, den der Angeklagte überholt hat, hat nach den Feststellungen des Amtsgerichts lediglich angegeben, er selbst sei schneller als die erlaubten 70 km/h gefahren. Diese Angaben lassen auch in Verbindung mit den übrigen vom Gericht angeführten Zeugenaussagen keine sicheren Schlüsse auf die Geschwindigkeit und auf eine konkrete Gefährdung Dritter zu. Zudem wird aus der Beweiswürdigung nicht deutlich, ob auch die in dem Fahrzeug des Angeklagten befindlichen Beifahrer, auf deren Gefährdung die Verurteilung gestützt wird, als Zeugen Angaben gemacht haben. Da sich der Angeklagte nicht zur Sache eingelassen hat, wäre eine umfassende Beweiswürdigung erforderlich gewesen. Wegen der Lückenhaftigkeit kommt es auf die weitere Frage, ob sich bereits aus dem äußeren Geschehensablauf, wie ihn das Gericht festgestellt hat, ein grob verkehrswidriges und rücksichtsloses Verhalten des Angeklagten ableiten lässt, was jedoch zu bejahen sein dürfte, nicht an.

Schließlich fehlen Ausführungen dazu, warum es sich bei der angenommenen Tat nicht um eine Jugendverfehlung handeln könne. Nach den Feststellungen lässt sich insoweit nicht ausschließen, dass die Tat auf typisches Imponiergehabe und jugendlichen Leichtsinn zurückzuführen war. Daher hätte es näherer Ausführungen zu dieser Frage bedurft.

Schließlich hat zwar die Staatsanwaltschaft Bielefeld zutreffend Anklage gegen den zur Tatzeit heranwachsenden Angeklagten vor dem Jugendrichter erhoben, vor dem ausweislich des Protokolls auch die Verhandlung stattgefunden hat. Gleichwohl ist in der Urschrift des Urteils das erkennende Gericht als Strafrichter bezeichnet.“

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Prüfung an und macht sie zum Gegenstand seiner Entscheidung.
Ergänzend weist der Senat für die neue Hauptverhandlung noch auf folgendes hin: Sofern sich entsprechend den Feststellungen des angefochtenen Urteils in der erneuten Hauptverhandlung wiederum erweist, daß der Angeklagte beim Zufahren auf den Kreuzungsbereich der L 770 anstatt anzuhalten erneut beschleunigte, bedarf es der Prüfung, ob es sich noch um ein einheitliches Geschehen im Sinne einer Tat handelt oder ob materiell-rechtlich eine zweite Tat nach § 315 c StGB in Betracht kommt.

2.
Der Antrag auf Aufhebung des Beschlusses des Amtsgerichts Rahden vom 18.08.2003 bleibt indessen in der Sache ohne Erfolg. Zwar kann das mit der Sache befaßte Revisionsgericht die Anordnung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis grundsätzlich entsprechend § 126 Abs. 3 StPO aufheben, wenn es das angefochtene Urteil aufhebt; vorliegend ist aber davon auszugehen, daß der Tatrichter im Zuge der erneuten Hauptverhandlung alsbald wiederum zu einer Sachentscheidung gelangt, die die endgültige Entziehung der Fahrerlaubnis rechtfertigt. Gründe, die geeignet wären, die Anordnung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis aufzuheben, liegen nach dem derzeitigen Sachstand nicht vor.


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