Aktenzeichen: 3 Ss 425/04 OLG Hamm
Leitsatz: Zur Beweiswürdigung beim unerlaubten
Entfernen vom Unfallort
Senat: 3
Gegenstand: Revision
Stichworte:
unerlaubtes Entfernen vom Unfallort; Beweiswürdigung, Zirkelschluss
Normen: StGB 142; StPO 261
Beschluss: Strafsache
gegen E.F.
wegen
Verkehrsunfallflucht pp.
Auf die Revision der Angeklagten gegen das Urteil der IV. kleinen Strafkammer des Landgerichts Essen vom 09.06.2004 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 16. 11. 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil der IV. kleinen Strafkammer des Landgerichts Essen vom 09.06.2004 - 24 Ns (81/03) - aufgehoben.
Die Angeklagte wird freigesprochen.
Die Kosten des Verfahrens und die der Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Gelsenkirchen-Buer hat die
Angeklagte am 09.04.2003 wegen Verkehrsunfallflucht zu einer Geldstrafe von 30
Tagessätzen zu 50,- verurteilt und gegen sie wegen einer
fahrlässigen Verkehrsordnungswidrigkeit eine Geldbuße von 35,-
verhängt.
Die Berufung der Angeklagten hat das Landgericht
Essen mit dem hier angefochtenen Berufungsurteil vom 09.06.2004 verworfen.
Gegen das in ihrer Anwesenheit verkündete Urteil hat die Angeklagte mit am
16.06.2004 bei dem Landgericht Essen eingegangenem Schriftsatz ihres
Verteidigers Revision eingelegt und die Revision nach Zustellung des
schriftlichen Urteils an den Verteidiger am 05.08.2004 mit am 24.08.2004 bei
dem Landgericht eingegangenem weiteren Schriftsatz des Verteidigers
begründet.
II.
Die zulässige Revision der Angeklagten hat auch in
der Sache Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und
zum Freispruch der Angeklagten, § 354 Abs. 1 StPO.
1. Die Verurteilung der Angeklagten wegen unerlaubten Entfernens
vom Unfallort gemäß § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB hält im
Ergebnis rechtlicher Überprüfung nicht Stand.
Die
Beweiswürdigung des Landgerichts ist sowohl zum äußeren als
auch zum inneren Tatbestand des unerlaubten Entfernens vom Unfallort
rechtsfehlerhaft. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen lassen
nicht erkennen, dass naheliegende Anhaltspunkte für eine abweichende
Beurteilung von der Kammer gesehen und bedacht worden sind. Die Feststellungen
zum inneren Tatbestand, nämlich dazu, dass die Angeklagte das ihr zur Last
gelegte Unfallereignis auch bemerkt haben soll, sind auf bloße
Vermutungen sowie auf einen Zirkelschluss gestützt.
a) Das Landgericht hat festgestellt, dass die Angeklagte beim Rückwärtsfahren in eine Parkbucht mit dem rechten hinteren Rücklicht ihres Fahrzeugs gegen den rechten Außenspiegel des in der benachbarten Parkbucht abgestellten Fahrzeugs des Geschädigten X. gefahren war. Dadurch sei es zu einer Anstoßsituation beider Fahrzeuge mit nur sehr geringer Überdeckung zwischen Rücklichtglas und Spiegel im Sinne einer streifenden Berührung gekommen, durch die Kontaktspuren am Rücklichtglas des Fahrzeugs der Angeklagten entstanden seien. Möglicherweise sei das Rücklichtglas auch leicht gesplittert. Der Außenspiegel an der rechten Fahrzeugseite des Fahrzeugs des Geschädigten sei bei dieser Anstoßsituation abgebrochen und heruntergefallen. Dies habe die Angeklagte im Spiegel ihres Fahrzeugs gesehen, gleichwohl aber ihre Fahrt fortgesetzt, ohne sich um den Schaden zu kümmern. Das gesamte Fahrmanöver der Angeklagten sei aus einer Entfernung von ungefähr 15 bis 20 m durch die Zeuginnen S. und K. aufmerksam verfolgt worden. Die Zeuginnen hätten die Angeklagte bei ihrem Fahrmanöver beobachtet. Die Zeuginnen hätten gesehen, wie die Angeklagte in die unmittelbare Nähe des Fahrzeugs des Geschädigten geriet. Ein Geräusch hätten die Zeuginnen dabei nicht gehört.
Die Kammer hat sich rechtsfehlerhaft nicht mit der naheliegenden Möglichkeit auseinandergesetzt, dass es entgegen den von ihr getroffenen Feststellungen bei dem von den Zeuginnen beobachteten Fahrmanöver der Angeklagten deshalb nicht zu einem Anstoß des Fahrzeugs der Angeklagten gegen das Fahrzeug des Geschädigten gekommen ist, weil die Zeuginnen kein Anstoßgeräusch vernommen hatten. Das vom Landgericht festgestellte Anstoßereignis kann nämlich nicht ohne eine auch aus einer Entfernung von 15 m deutlich wahrnehmbare Geräuschentwicklung vonstatten gegangen sein. Das Landgericht hat festgestellt, dass an dem Rücklichtglas der Angeklagten Kontaktspuren nämlich zumindest erkennbare Streifschäden, wenn nicht sogar eine Splitterung, entstanden seien. Vor allem aber ist nach den Feststellungen der Berufungskammer der Außenspiegel des Fahrzeugs des Geschädigten abgebrochen und zu Boden gefallen. Das Entstehen von Streifschäden, das Abbrechen eines Außenspiegels sowie das Herunterfallen des Spiegels kann aber nach der Lebenserfahrung nicht lautlos geschehen sein. Insbesondere bei dem Spiegel handelt es sich um einen hohlen Metallkörper, der dann, wenn er abgebrochen wird und auf den asphaltierten Boden des Parkplatzes fällt, Geräusche verursachen muss. Solche Geräusche sind nach der Lebenserfahrung aus einer Entfernung von nur etwa 15 bis 20 m auch zu hören, insbesondere dann, wenn, wie die Berufungskammer ebenfalls festgestellt hat, sich kein anderes Fahrzeug in der Nähe des Unfallortes bewegt hat und die beiden Zeuginnen das Geschehen aufmerksam beobachtet haben. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hätten die Zeuginnen ein bei einem derartigen Unfall entstehendes Geräusch hören müssen. Nach den Feststellungen der Berufungskammer hatten sie tatsächlich jedoch nichts gehört. Die Beweiswürdigung der Kammer lässt damit einen naheliegenden Anhaltspunkt für eine zugunsten der Angeklagten abweichende Beurteilung im Rahmen der Beweiswürdigung außer Acht (BGH NStZ-RR 2003, 49, 50). Gleichzeitig verstößt sie gegen die allgemeine Lebenserfahrung und damit gegen die Denkgesetze und ist auch deshalb rechtsfehlerhaft.
b) Darüber hinaus hat die Kammer festgestellt, dass die
Angeklagte im Spiegel ihres Fahrzeuges gesehen habe, dass durch die
Berührung ihres Wagens der Außenspiegel an der Beifahrerseite des
Wagens des Zeugen X. abgebrochen und heruntergefallen war. Die Kammer teilt
hier nicht mit, worauf sie diese Annahme stützt. Es bleibt bereits offen,
wie die Kammer zu der Feststellung gelangt, dass die Angeklagte zum Zeitpunkt
des Anstoßes in den rechten Außenspiegel geschaut haben soll.
Sollte die Kammer dies deshalb angenommen haben, weil sie davon ausgegangen
ist, dass die Angeklagte den Unfall bemerkt hat, würde es sich um einen
Zirkelschluss handeln. Denn bemerkt haben kann die Angeklagte den Unfall nur
dann, wenn sie zuvor in den rechten Außenspiegel geschaut hat. Ein
Anstoßgeräusch war nämlich nach den Feststellungen der Kammer
nicht zu hören. Konkrete Anhaltspunkte für diese Feststellungen teilt
die Kammer nicht mit. Letztlich hat sie hierzu keinerlei
Tatsachenfeststellungen getroffen und die dadurch entstandene Lücke in
ihren Feststellungen durch eine bloße Vermutung geschlossen (vgl. BGH,
a.a.O.). Die Kammer hat auch nicht festgestellt, dass der Anstoß für
die Angeklagte auf andere Weise als durch den Blick in den Rückspiegel
wahrnehmbar gewesen wäre. Wie ausgeführt konnte sie ein wahrnehmbares
Anstoßgeräusch nicht feststellen, sie hat auch keine Feststellungen
dazu getroffen, dass sich eine mögliche Berührung der Fahrzeuge
derart auf das Fahrzeug der Angeklagten übertragen hätte, dass diese
den Anstoß deshalb hätte wahrnehmen müssen.
Insgesamt wird
die Beweiswürdigung der Strafkammer zum inneren Tatbestand daher allein
durch die Überzeugung der Berufungskammer, nicht aber durch
diese Überzeugung stützende konkrete Feststellungen zum
tatsächlichen Geschehensablauf gestützt. Dies ist rechtsfehlerhaft
(BGH, NJW 1999, 1562).
2. Soweit die Angeklagte wegen einer fahrlässigen Verkehrsordnungswidrigkeit nach §§ 1 Abs. 2, 49 Abs. 1 Nr. 1 StVO zu einer Geldbuße verurteilt worden ist, ist die Verfolgung dieser Ordnungswidrigkeit darüber hinaus bereits verjährt. Die Ordnungswidrigkeit wurde am 15.10.2002 begangen. Die dreimonatige Frist für die Verfolgungsverjährung gemäß § 26 Abs. 3 StVG lief damit am 15.01.2003 ab. Die Verjährung ist dann am 18.10.2002 gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 1 OWiG mit der ersten Vernehmung der Betroffenen unterbrochen worden und endete danach am 18.01.2003. Bis zu diesem Zeitpunkt ist keine weitere Unterbrechung der Verjährung erfolgt. Die nächste Unterbrechungshandlung stellt der Erlass des Strafbefehls am 13.02.2003 dar, der allerdings bereits nach Ablauf der Verfolgungsverjährung erfolgt ist.
3. Die Verurteilung der Angeklagten kann danach keinen Bestand haben. Eine Zurückverweisung der Sache zu erneuter tatrichterlicher Prüfung ist aber nicht angebracht. Der Senat kann durch Freispruch in der Sache selbst entscheiden (§ 354 Abs. 1 StPO; vgl. BGH NStZ 1999, 1562, 1564 auch soweit Verjährung eingetreten ist, vgl. Meyer-Goßner, StPO, 46. A., § 260 Rn. 44 m.w.N.). Es kann nämlich ausgeschlossen werden, dass bei einer Zurückverweisung in einer erneuten Hauptverhandlung Tatsachen festgestellt werden können, die für eine Verurteilung tragfähig wären und über bloße Vermutungen hinausgingen. Insbesondere ist ausgeschlossen, dass noch weitere Feststellungen zu einem Anstossgeräusch bei der Annäherung des Fahrzeugs der Angeklagten an das Fahrzeug des Geschädigten sowie zu Unfallspuren an dem Fahrzeug der Angeklagten selbst getroffen werden können. Die Zeuginnen X und X haben sich nach den Urteilsgründen dahin festgelegt, trotz gezielter Beobachtung des Fahrmanövers der Angeklagten aus nächster Nähe keine entsprechenden Geräusche vernommen zu haben. Weitere Personen haben sich nach den Urteilsfeststellungen zur fraglichen Zeit nicht in der Nähe der beteilgten Fahrzeuge befunden. Auch wies das Fahrzeug der Angeklagten danach keinerlei Unfallspuren auf. Ein Austausch des Rücklichts ist vom Landgericht nur vermutet, nicht aber belegt worden. Es ist nicht erkennbar, wie heute noch zuverlässig festgestellt werden könnte, ob die Angeklagten seinerzeit unmittelbar nach dem ihr zur Last gelegten Unfallgeschehen ihr Rücklichtglas ausgetauscht hatte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 3, Abs. 4 StPO
analog.
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