Aktenzeichen: 3 Ws 185/04 OLG Hamm
Leitsatz: Zur Freiheitsberaubung im Amt durch den Mitarbeiter eines Ausländeramtes
Gericht: OLG Hamm
Senat: 3
Gegenstand: Beschwerde, Klageerzwingungsverfahren
Stichworte: Klageerzwingungsverfahren, Anordnung der Anklageerhebung, Freiheitsberaubung im Amt, Vollstreckung gegen Unschuldige
Normen: StPO 172 Abs. 2, StPO 175, StGB 239, StGB 345
Beschluss: Ermittlungsverfahren (Klageerzwingungsverfahren) gegen D. W., Stadtverwaltung D, Amt 32,
wegen Freiheitsberaubung
(hier: Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 172 Abs. 2 StPO),
Antragsteller: Herr S. F., . Türkei
Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt ,
Auf den Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 1. April 2004 gegen einen Bescheid des Generalstaatsanwalts in Hamm vom 12. März .2004 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung des Generalstaatsanwalts und des Beschuldigten beschlossen:
Die Einstellungsentscheidung der Staatsanwaltschaft Essen vom 16. September 2003 und die bestätigende Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft vom 12. März 2004 werden aufgehoben.
Die Erhebung der öffentlichen Klage gegen den Beschuldigten D. W. wegen Freiheitsberaubung in Tateinheit mit Vollstreckung gegen Unschuldige gemäß §§ 239 Absatz 1, 345 Absatz 1, 52 StGB wird angeordnet (§ 175 StPO).
Die Durchführung dieses Beschlusses nach Maßgabe der nachfolgenden Gründe obliegt der Staatsanwaltschaft Essen.
Gründe: I. Der Antragsteller hat durch seinen Bevollmächtigten Rechtsanwalt aus mit Schriftsatz vom 22. Oktober 2002 bei dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen Anzeige wegen des Verdachts der Freiheitsberaubung erstattet.
Danach soll der Antragsteller durch den Beschuldigten als Mitarbeiter des Ausländeramtes der Stadt D. zur Anordnung von Sicherungshaft (Abschiebehaft) dem Amtsgericht in D. zugeführt worden sein. Trotz Ablehnung des Antrages auf Sicherungshaft durch das Amtsgericht D. soll der Beschuldigte im Anschluss an die Haftvorführung zur Verhinderung der Fortsetzung einer Straftat des illegalen Aufenthaltes auf Anweisung des Beschuldigten im Wege der Amtshilfe gemäß § 35 PolG durch die Polizei festgenommen und bis zum nächsten Morgen, den 19.9.2000 in Haft genommen worden sein. Um 11.45 Uhr soll er sodann auf dem Luftwege abgeschoben worden sein.
Im Zuge der daraufhin von der Staatsanwaltschaft angestellten Ermittlungen hat sich der Beschuldigte durch seinen Verteidiger durch Schriftsatz vom 21.8.2003 dahingehend eingelassen, dass es der üblichen Verwaltungspraxis der Ausländerbehörden der Bundesrepublik Deutschland entspräche, den Betreffenden zur Sicherung der Durchführbarkeit der Abschiebungsverfügung in Polizeigewahrsam zu geben. § 13 FEVG impliziere, dass eine vorläufige, auf Freiheitsentziehung hinaus laufende Verwaltungsmaßnahme gesetzlich vorgesehen sei.
Gerade deshalb entspräche es auch regelmäßiger Übung der Ausländerbehörden, illegale im Bundesgebiet aufhältige Personen vorläufig festnehmen zu lassen, um innerhalb der genannten Frist eine einstweilige richterliche Anordnung gemäß § 11 FEVG herbeizuführen.
Im Zeitpunkt der Zuführung des Betreffenden Zwecks Ingewahrsamnahme bei der Polizei habe die ablehnende Entscheidung des Amtsgerichts D. der Ausländerbehörde noch nicht vorgelegen. Diese sei erst später per Telefax bei der Stadtverwaltung eingegangen. Der Beschuldigte habe am Tage der Ingewahrsamnahme keine Kenntnis von dem Beschluss des Amtsgerichts D. erlangt.
Die Staatsanwaltschaft Essen hat das Verfahren mit Verfügung vom 16. September 2003 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
Zur Begründung führt sie aus, dass insbesondere aufgrund der glaubhaften Einlassung des Beschuldigten W. ein hinreichender Tatverdacht für eine Freiheitsberaubung durch den Beschuldigten nicht mit der für eine Anklageerhebung erforderlichen Sicherheit festgestellt werden könne.
Weiter führt sie aus:
"Zutreffend ist jedoch, dass im vorliegenden Fall das Amtsgericht D. einen bereits zuvor von der Ausländerbehörde gestellten Antrag auf Anordnung der Abschiebehaft noch am 18.9.2000 abgelehnt habe.
Allerdings haben die Ermittlungen ergeben, dass diese Entscheidung der Ausländerbehörde D. an besagtem Tag erst um 16.47 Uhr per Telefax übermittelt wurde. Die Festnahme ihres Mandanten erfolgte jedoch nach den Unterlagen der hiermit im Wege der Amtshilfe betrauten Polizeibeamten der Polizei D. bereits um 12.30 Uhr. Insoweit hatte der Beschuldigte W. zu dem Zeitpunkt als er die Festnahme anordnete noch keine Kenntnis von der negativen Entscheidung des Amtsgerichts D. Ob der Beschuldigte am Tattage später noch Kenntnis von der Entscheidung des Amtsgerichts erlangt hat und ihn womöglich eine Rechtspflicht traf, die sofortige Freilassung Ihres Mandanten anzuordnen, ist zumindest zweifelhaft.
Der Beschuldigte gibt an, dass er sich nicht mehr erinnern könne, wann genau er von der Entscheidung des Amtsgerichts erfahren hatte. Aufgrund der vorgerückten Tageszeit ist es jedenfalls durchaus vorstellbar, dass die Ausländerbehörde D. zum Zeitpunkt des Faxeinganges bereits nicht mehr besetzt war.
Selbst wenn der Beschuldigte noch am selben Tage Kenntnis von der ablehnenden Entscheidung des Amtsgerichts erlangt haben sollte, so ist jedoch zumindest ein vorsätzliches Handeln bzw. Unterlassen des Beschuldigten mit der Folge einer vorsätzlichen Freiheitsberaubung in Frage zu stellen.
Nach der glaubhaften Einlassung des Beschuldigten und aufgrund der Gesamtumstände muss davon ausgegangen werden, dass der Beschuldigte die ganze Zeit über davon ausging, dass sein Verhalten auf Grund des unzweifelhaft bestehenden illegalen Aufenthaltes Ihres Mandanten rechtmäßig war. (wird weiter ausgeführt) Dass die Erwägungen des Beschuldigten insofern jedenfalls in materiell rechtlicher Hinsicht korrekt waren, zeigt die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom selben Tag, in der der Antrag Ihres Mandanten auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Abschiebeverfügung der Ausländerbehörde D. aus eben diesen Gründen abgelehnt worden ist..."
Auf der Grundlage dieser Erwägungen kommt die Staatsanwaltschaft Essen zu dem Ergebnis, dass dem Beschuldigten W. "im Ergebnis eine Straftat nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachgewiesen werden" könne.
Gegen die Einstellung des Verfahrens hat der Antragsteller unter dem 24. September 2003 Beschwerde eingelegt, die mit Bescheid des Generalstaatsanwalts vom 12. März 2004 - bei dem Antragsteller eingegangen am 18. März 2004 - zurückgewiesen worden ist.
Hiergegen richtet sich dessen Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 1. April 2004, der am 2. April 2004 bei dem Oberlandesgericht eingegangen ist. Der Generalstaatsanwalt hat beantragt, den Antrag als unbegründet zu verwerfen.
Der Beschuldigte, der gemäß § 175 Satz 1 StPO i.V.m. § 173 Abs. StPO angehört worden ist hat keine Erklärung abgegeben.
II. Der fristgerecht angebrachte Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist, in Übereinstimmung mit der Stellungnahme des Generalstaatsanwalts, zulässig.
Er entspricht den Voraussetzungen des § 172 Abs. 3 S. 1 StPO. Danach muss ein Klageerzwingungsantrag eine aus sich heraus verständliche und vollständige Darstellung des dem Ermittlungsverfahren zugrunde liegenden Sachverhalts unter Angabe der Beweismittel, welche die Erhebung der öffentlichen Klage begründen sollen, enthalten. Die Sachdarstellung muss ferner den Gang des Ermittlungsverfahrens, den Inhalt der angegriffenen Bescheide und die Gründe für deren angebliche Unrichtigkeit im Wesentlichen umfassen. Schließlich muss dem Antrag zu entnehmen sein, dass die Beschwerdefristen des § 172 Abs. 1 und 2 StPO eingehalten sind (vgl. zu allem Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., § 172 Rdnr. 27 - 30 mit zahlreichen weiteren Hinweisen). Diesen Erfordernissen wird der vorliegende Antrag gerecht.
III. Der Antrag ist, entgegen der Auffassung des Generalstaatsanwalts, auch begründet. Das Ergebnis der Ermittlungen gibt Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage, weil danach bei vorläufiger Bewertung der Tat eine Verurteilung des Beschuldigten W. wegen Freiheitsberaubung in Tateinheit mit vorsätzlicher Vollstreckung gegen Unschuldige zu erwarten ist.
A) Es ist hinreichend wahrscheinlich, dass der Beschuldigte nach der Haftvorführung beim Amtsgericht D. am 18.9.2000 durch seine Anordnung, den Antragsteller zur Verhinderung der Fortsetzung einer Straftat, hier des illegalen Aufenthaltes, durch die anwesende Polizei in Gewahrsam zu nehmen und ihn bis zur Abschiebung am 19.9.2000 in den Hafträumen der Polizei in M. festhalten ließ, eine Straftat der Freiheitsberaubung gemäß § 239 Abs. 1 StGB begangen hat.
Durch die Anordnung der Ingewahrsamnahme gegenüber dem Antragsteller und die Inanspruchnahme von Vollzugshilfe durch die anwesenden Polizeibeamten mit anschließender Verbringung in eine Gewahrsamszelle hat der Beschuldigte den Antragsteller sowohl "in sonstiger Weise der Freiheit beraubt" (Anordnung der Ingewahrsamnahme, Fahrt zur Polizeidienststelle) als auch eingesperrt (Polizeigewahrsam in einer Haftzelle) im Sinne des § 239 Absatz 1, 25 Abs. 1, 2. Alt. StGB
Der Beschuldigte handelte mit Vorsatz (Absicht), denn es kam ihm gerade darauf an den Antragsteller bis zum Zeitpunkt der Abschiebung auf dem Luftwege am nächsten Morgen in Verwahrung zu nehmen.
Diese Handlung des Beschuldigten war rechtswidrig, denn eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage zur (weiteren) Festnahme des Antragstellers bestand nicht.
Unzweifelhaft handelt es sich bei der Intensität des Eingriffes (Haftdauer von etwa 19 Stunden, Verbringung in einen Haftraum) um eine Freiheitsentziehung und nicht nur um eine Freiheitsbeschränkung, da dem Antragsteller die Möglichkeit genommen worden ist, seine tatsächlich und rechtlich an sich gegebene körperliche Bewegungsfreiheit nach jeder Richtung hin auszuüben (BVerfGE 105, 239 ff).
Der Beschuldigte hat insbesondere dabei den nach Art. 104 Absatz 2 GG zu beachtenden Richtervorbehalt unberücksichtigt gelassen.
Nach dem Vortrag des Antragstellers und den Feststellungen der Staatsanwaltschaft war dieser am 18.9.2000 bereits um 12.30 Uhr seitens des Beschuldigten als Vertreter der Ausländerbehörde zum Zwecke der Vorführung vor das Amtsgericht D. festgenommen worden.
Die Ausländerbehörde darf nach dem geltenden bundesgesetzlichen Ausländerrecht aus eigener Machtvollkommenheit niemanden zur Sicherung der Abschiebung vorläufig in Abschiebehaft oder Abschiebungsgewahrsam nehmen (BVerfGE 62,317, BGH NJW 1993, 3069; OLG Frankfurt NVwZ-Beil. 1996, 38; BayObLGZ 1996, 180).
Die Voraussetzungen, unter denen Zwangsmaßnahmen zur Durchführung von Abschiebehaft ergriffen werden dürfen, bestimmen sich vielmehr nach § 57 AuslG; §§ 1, 3, 5, 11 FEVG, Art. 2 II, 104 I 2 GG. Für den schwersten Eingriff in das Recht auf Freiheit der Person, die Freiheitsentziehung fügt Art. 104 Abs. 2 GG dem Vorbehalt des (förmlichen) Gesetzes, den weiteren verfahrensrechtlichen Vorbehalt einer richterlichen Entscheidung hinzu. Alle staatlichen Organe sind verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass der Richtervorbehalt als Grundrechtssicherung praktisch wirksam wird (BVerfGE a.a.O.)
Danach bedarf jede von der zuständigen Ausländerbehörde veranlasste, mit der Abschiebung in Zusammenhang stehende auf Freiheitsentziehung gerichtete Zwangsmaßnahme einer vorherigen richterlichen Anordnung (OLG Frankfurt NVwZ 1998, 213 f; OLG Zweibrücken, NStZ 2002, 256, 257). Dies gilt selbst dann, wenn die Freiheitsentziehung im Zusammenhang mit der unmittelbaren Durchführung der Abschiebung steht und nur kurzfristig erforderlich ist (OLG Frankfurt NVwZ 1998, 213 f)
Dementsprechend wird die Auffassung vertreten, für die Ausländerbehörde bestünde grundsätzlich keine Ermächtigung einen Ausländer zur Vorführung vor den Abschiebungshaftrichter festzunehmen (OLG Zweibrücken a.a.O.; BGH NJW 1993, 3069), auch nicht aus den landesgesetzlichen Bestimmungen zum Polizeigewahrsam (OLG Zweibrücken a.a.O.). Vielmehr sei sie gehalten zunächst einen richterlichen Haftbeschluss gemäß § 57 AuslG zu erwirken, der dann eine Ermächtigung zur Festnahme des Ausländers beinhaltet.
Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE a.a.O.) ausdrücklich offen gelassen, ob eine diesen Eingriff umfassende Rechtsgrundlage in § 49 AuslG, der allgemeinen Regelung über die Abschiebung als Vollstreckungsmaßnahme zur Durchsetzung der Ausreisepflicht oder im allgemeinen Polizeirecht gefunden werden kann.
Letztlich kann diese Frage unentschieden bleiben.
Ausweislich des Abschiebehaftantrages hat sich die Ausländerbehörde offensichtlich hinsichtlich der vorherigen Festnahme des Betroffenen auf §§ 24 OBG NW, 35 Abs. 1 Nr.2 POLG NW berufen wollen, was sich aus der Aufnahme der zitierten Vorschriften im Haftantrag ergibt.
Selbst wenn § 35 POLG NW eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage zur vorläufigen Festnahme eines Ausländers zum Zwecke der Abschiebehaft darstellen würde, hat der Haftrichter des Amtsgerichts D. am Nachmittag des 18.9.2000 durch Beschluss die Anordnung von Abschiebehaft nach § 57 AuslG mit der Begründung fehlender Illegalität ausdrücklich abgelehnt hat und damit inzident auch die Voraussetzungen des Polizeigewahrsam mangels Illegalität verneint.
Entscheidungsunerheblich ist, dass der Beschluss materiell-rechtlich fehlerhaft ist, da entgegen der Auffassung des Amtsrichters der Aufenthalt des Antragstellers in der Bundesrepublik Deutschland zum damaligen Zeitpunkt tatsächlich illegal war.
Der Entscheidungsinhalt des amtsrichterlichen Beschlusses war dem Beschuldigten auch noch am 18.9.2000 bekannt gegeben worden, was sich aus dem handschriftlichen Vermerk des Betroffenen vom 18.9.2000 ergibt, in dem dieser auf den Beschluss des Amtsgerichts und der Erklärung des Richters "er müsse den Antrag ablehnen", ausdrücklich Bezug genommen hat.
Der Beschuldigte hätte daher den Antragsteller gemäß § 38 Absatz 1 Ziffer 2 POLG NW im Anschluss an die Haftvorführung unmittelbar entlassen müssen, da die Fortdauer der Freiheitsentziehung durch richterliche Entscheidung für unzulässig erklärt worden war.
Der Beschuldigte war auch nicht berechtigt im Anschluss an die Haftvorführung den Antragsteller erneut gemäß § 35 POLG NW bis zur tatsächlichen Abschiebung am nächsten Tag in Gewahrsam zu nehmen. Eine erneute Ingewahrsamnahme hätte allenfalls aufgrund neuer tatsächlicher Umstände erfolgen dürfen. Neue tatsächliche Umstände sind aber nicht eingetreten. Aufgrund der unverändert bestehenden Sachlage, war eine erneute Ingewahrsamnahme dagegen unzulässig. Die erneute Ingewahrsamnahme des Beschuldigten stellt sich vielmehr augenscheinlich als Fortsetzung der mit Beantragung der Abschiebehaft versuchten gesicherten Abschiebung des Antragstellers dar.
Aber selbst wenn § 35 POLG die Ingewahrsamnahme des Antragstellers gerechtfertigt hätte, wäre der Beschuldigte gemäß § 36 Absatz 1 POLG verpflichtet gewesen unverzüglich eine richterliche Entscheidung über Zulässigkeit und Dauer der Freiheitsentziehung herbeizuführen.
Eine Beantragung wäre auch nicht dadurch entbehrlich gewesen, dass der Beschuldigte davon ausging, eine entsprechende Entscheidung des Richters wäre erst nach Wegfall des Grundes der polizeilichen Maßnahme erlassen worden, § 36 Absatz 1, Satz 2.
Unabhängig von dem beim Amtsgericht D. bestehenden Eildienst war der Beschuldigte gemäß § 49 Absatz 2 POLG aufgrund der Inanspruchnahme von Vollzugsgehilfe gehalten, entweder die verhaftete Person selbst zu übernehmen oder aber die richterliche Entscheidung unverzüglich zu beantragen. Er hat tatsächlich aber weder das eine noch das andere vorgenommen.
Das Verhalten des Beschuldigten im Anschluss an die Vorführung beim Haftrichter stellte sich daher als formell rechtswidrig dar.
Der Beschuldigte handelte auch schuldhaft. Der Beschuldigte hat sich zwar dahingehend eingelassen hat, es entspräche der üblichen Verwaltungspraxis der Ausländerbehörden der Bundesrepublik Deutschland, den Betreffenden zur Sicherung der Durchführbarkeit der Abschiebungsverfügung in Polizeigewahrsam zu geben. § 13 FEVG impliziere, dass eine vorläufige auf Freiheitsentziehung hinaus laufende Verwaltungsmaßnahme gesetzlich vorgesehen sei.
Gerade deshalb entspräche es auch regelmäßiger Übung der Ausländerbehörden, illegale im Bundesgebiet aufhältige Personen vorläufig festnehmen zu lassen, um innerhalb der genannten Frist eine einstweilige richterliche Anordnung gemäß § 11 FEVG herbeizuführen.
Diese Einlassung lässt die Vorsatzschuld des Beschuldigten nicht entfallen. Denn spätestens nach der Entscheidung des Haftrichters am 18.9.2000 bestand keine gesetzliche Grundlage zur weiteren Freiheitsentziehung des Antragstellers. Vielmehr wird aus der Einlassung deutlich, dass dem Beschuldigten gerade bekannt war, eine richterliche Anordnung über die Zulässigkeit der Haft herbeiführen zu müssen.
Der Vollständigkeit halber wird nur am Rande darauf hingewiesen, dass bei § 13 FEVG keine eigene Ermächtigungsgrundlage der Verwaltungsbehörde zur Festnahme von Ausländern darstellt, sondern lediglich die verfahrensrechtliche Handhabung einer auf einer bundes- oder landesgesetzlich (vgl. § 36 Abs. 2 S. 2 PolG) materiell-rechtlichen Ermächtigungsgrundlage vorgenommenen Festnahme regelt (Firsching/Dodegge Vormundschafts- und Betreuungsrecht 6. Auflage 1999, Rn. 538)
Sofern der Beschuldigte der Ansicht war, trotz der ihm bekannten ablehnenden Entscheidung des Haftrichters gleichwohl berechtigt gewesen zu sein, den Antragsteller erneut nach § 35 PolG in Gewahrsam nehmen zu dürfen, hat er die rechtlichen Grenzen eines Rechtfertigungsgrundes verkannt. Insofern unterliegt der Beschuldigte einem Verbotsirrtum gemäß § 17 StGB.
Dieser Verbotsirrtum war für den Beschuldigten aber vermeidbar. Bereits aus seiner eigenen Einlassung, insbesondere seinen Ausführungen zu § 13 FEVG ergibt sich, dass ihm bekannt war, dass er zur längeren Ingewahrsamnahme einer richterlichen Entscheidung bedurfte. Darüber hinaus hätte ein schlichter Blick in das Polizeigesetz ihm die Möglichkeit gegeben, die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens zu erkennen.
Der Beschuldigte hatte im Hinblick auf die ihm bekannte vorangegangene ablehnende Haftentscheidung auch Anlass gehabt, sich über die rechtliche Qualität seines Verhaltens Gedanken zu machen.
Schließlich war es ihm auch ohne weiteres zumutbar, die ihm gegebenen Möglichkeiten zur Überprüfung der Rechtswidrigkeit zu ergreifen.
B) Durch die erneute Anordnung der Ingewahrsamnahme durch den Beschuldigten verwirklichte dieser auch den objektiven Tatbestand der Vollstreckung gegen Unschuldige gemäß § 345 StGB. Der Beschuldigte hat als Amtsträger, der zur Mitwirkung an der Vollstreckung einer behördlichen Verwahrung nach § 35 Polizeigesetz (Schönke-Schröder-Cramer StGB § 343 Rn. 5) berufen ist, eine solche Verwahrung vollstreckt, obwohl sie nach dem Gesetz aus formellen Gründen (trotz entgegenstehender richterlicher Anordnung bzw. ohne erneute richterliche Anordnung bzw. zumindest Beantragung derselben) nicht vollstreckt werden durfte. Insoweit kann auf die vorstehenden Ausführungen Bezug genommen werden.
Der Beschuldigte handelte zumindest mit bedingtem Vorsatz im Sinne des § 345 Absatz 1 StGB. Der Beschuldigte besaß das Bewusstsein, dass es sich um die Vollstreckung einer behördlichen Verwahrung handelte und dass diese formell rechtlich (SK-Horn StGB § 345 Rn. 6 a) unzulässig war.
Aus der Einlassung des Beschuldigten wird deutlich, dass ihm der Umstand bekannt war, bei freiheitsentziehenden Maßnahmen nach dem Ausländergesetz eine richterliche Anordnung über die Zulässigkeit der Haft herbeiführen zu müssen. Darüber hinaus hatte er Kenntnis vom Regelungsgehalt des § 13 FEVG, den er selbst zu seiner Verteidigung anführt. Aus dieser ihm bekannten Vorschrift ergibt sich, dass Verwaltungsbehörden bei vorläufigen freiheitsentziehenden Maßnahmen verpflichtet sind, eine richterliche Entscheidung herbeiführen zu müssen. Daher rechnete er zumindest mit der Möglichkeit, auch im Falle der Ingewahrsamnahme nach § 35 PolG eine richterliche Entscheidung herbeiführen zu müssen.
IV. Da der Beschuldigte W. demnach einer Freiheitsberaubung in Tateinheit mit vorsätzlicher Vollstreckung gegen Unschuldige gemäß § 52 StGB hinreichend verdächtig ist, war gemäß § 175 StPO die Erhebung der öffentlichen Klage zu beschließen. Die Durchführung dieses Beschlusses obliegt der örtlich zuständigen Staatsanwaltschaft in Essen.
Diese wird, verbunden mit dem Antrag gemäß § 199 Abs. 2 StPO, das Hauptverfahren zu eröffnen, den Beschuldigten bzw. Angeschuldigten D. W. anzuklagen haben,
in D.
am 18. September 2000
durch dieselbe Handlung
a) einen Menschen eingesperrt und auf andere Weise der Freiheit beraubt und
b) vorsätzlich als Amtsträger, der zur Mitwirkung bei der Vollstreckung einer behördlichen Verwahrung berufen ist, eine solche Verwahrung vollstreckt zu haben, obwohl sie nach dem Gesetz nicht vollstreckt werden durfte.
Dem Angeschuldigten wird Folgendes zur Last gelegt:
Der Angeschuldigte ist Mitarbeiter des Ausländeramtes der Stadt D. Am 18.9.2000 gegen 12.30 Uhr nahm der Angeschuldigte den Zeugen Fi., der sich zu diesem Zeitpunkt illegal in der Bundesrepublik Deutschland aufhielt, gemäß §§ 24 OBG, 35 PolG fest, um ihn anschließend dem Amtsgericht in D. zur Erwirkung eines Sicherungshaftbeschlusses (Abschiebehaft) vorzuführen. Dabei war die Abschiebung des Zeugen Fi. bereits für den nächsten Tag geplant, ein entsprechender Flug seitens der Ausländerbehörde für den 19.9.2000 gebucht.
Der zuständige Haftrichter beim Amtsgericht D. lehnte die Verhängung von Abschiebehaft mangels illegalen Aufenthaltes des Zeugen Fi. zu Unrecht ab.
Der Angeschuldigte, der anlässlich der Haftvorführung zugegen war, erhielt hiervon Kenntnis.
Gleichwohl ordnete der Angeschuldigte im Anschluss an die Haftvorführung die erneute Ingewahrsamnahme des Zeugen Fi. gemäß § 35 PolG an, der anschließend im Wege der Vollzugshilfe der Polizeistation in M. zugeführt wurde und dort bis zum nächsten Tag in einer Haftzelle in Gewahrsam verblieb. Am Morgen des 19.9.2000 gegen 11.45 Uhr erfolgte die Abschiebung des Zeugen Fi. auf dem Luftwege.
Dem Angeschuldigten war bekannt, dass eine erneute Ingewahrsamnahme nach der Haftvorführung allenfalls aufgrund neuer Tatsachen zulässig war und zudem einer richterlichen Bestätigung bedurfte. Von der Beantragung sah er bewusst ab.
Verbrechen und Vergehen, strafbar nach §§ 239, 345 Absatz 1, 52 StGB.
Beweismittel:
I. Einlassung des Angeschuldigten.
II. Urkunden
1. Antrag auf Sicherungshaft vom 18.9.2000
2. Beschluss des Amtsgerichts D. vom 18.9.2000 über die Ablehnung von Sicherungshaft
3. Handschriftlicher Vermerk des Angeschuldigten zum Beschluss des Amtsgerichts
4. Schreiben der Stadt D. vom 9.11.2000
Wesentliches Ergebnis der Ermittlungen:
Der 48 Jahre alte Angeschuldigte ist Mitarbeiter der Stadt D. und dort im Amt 32 - Ausländeramt - tätig.
Er hat zu dem Tatvorwurf durch seinen Verteidiger vortragen lassen, dass er am Tage der Ingewahrsamnahme von dem ablehnenden Beschluss des Amtsgerichts D. keine Kenntnis erlangt habe. Diese Einlassung ist nach dem Ergebnis der bisherigen Ermittlungen jedoch widerlegt. Nach dem Inhalt eines offenbar vom Beschuldigten stammenden handschriftlichen Vermerkes ist vielmehr davon auszugehen, dass ihm die ablehnende Entscheidung des Haftrichters zum Zeitpunkt der (erneuten) Ingewahrsamnahme bekannt war.
Dabei ist allerdings zu seinen Gunsten davon auszugehen, dass sich der Angeschuldigte aufgrund des objektiv bestehenden materiell-rechtlichen illegalen Aufenthaltes des Zeugen Fi. berechtigt fühlte, diesen in Gewahrsam nehmen zu dürfen.
Die Auswahl des Gerichts nach den §§ 24 ff. GVG, 200 Abs. 1 S. 2 StPO obliegt der Staatsanwaltschaft (vgl. OLG Koblenz, VRS 63, 359; Meyer-Goßner, a.a.O., § 175 Rdnr. 3).
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