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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 2 Ws 36/05 OLG Hamm

Leitsatz: Tätlichkeiten gegenüber Verfahrensbeteiligten oder Zuhörern sind grundsätzlich Ungebühr im Sinne des § 178 GVG.

Senat: 2

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Ungebühr; Tätlichtkeit gegenüber Verfahrensbeteiligten; subjektive Vorwerfbarkeit; Affekt

Normen: GBG 178;

Beschluss: Strafsache gegen G.A. und G.F.
wegen Totschlags u.a., (hier: Festsetzung von Ordnungshaft gemäß § 178 GVG gegen den Zeugen E.

Auf die Beschwerde des Zeugen E. vom 17. Februar 2005 gegen den Beschluss der 1. Jugendkammer des Landgerichts Hagen vom 17. Februar 2005 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 18. 02 2005 durch den Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Amtsgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Die Beschwerde wird als unbegründet verworfen.
Der hilfsweise gestellte Antrag, die weitere Vollziehung des angefochtenen Beschlusses auszusetzen, ist damit gegenstandslos.

Gründe:
Im vorliegenden Strafverfahren begann am 4. Februar 2005 vor der Jugendkammer des Landgerichts Hagen eine auf mehrere Tage anberaumte Hauptverhandlung gegen die Angeklagten wegen eines vollendeten und eines versuchten Tötungsdeliktes sowie anderer Straftaten.
Der für einen späteren Zeitpunkt als Zeuge geladene Beschwerdeführer hatte vor Eröffnung der Sitzung im Zuhörerbereich Platz genommen. Als der Angeklagte A. noch in Abwesenheit der Mitglieder der Strafkammer in den Sitzungssaal geführt wurde und diesen betrat, verließ der Beschwerdeführer seinen Sitzplatz und den Zuhörerbereich, stürmte schnellen Schrittes in Richtung der Sitzbankreihe und Tischreihe der Angeklagten und ihrer Verteidiger und rannte in offenkundiger Absicht, den Angeklagten A. tätlich anzugreifen, auf diesen zu. Bevor er den Angeklagten erreicht hatte, konnte er an der Fortsetzung seines Tuns durch das Eingreifen einer Justizhauptwachtmeisterin gehindert werden, die bei dem Versuch, den Beschwerdeführer festzuhalten, zu Fall kam und sich eine Handverletzung zuzog. Erst durch das zusätzliche Eingreifen eines weiteren Justizbeamten konnte der Beschwerdeführer auf dem Boden fixiert werden.
Nahezu gleichzeitig war auch die Ehefrau des Beschwerdeführers, die als Nebenklägerin zugelassene Mutter des durch die Straftaten der Angeklagten getöteten Mädchens, über die Richtertheke auf den Angeklagten A. zugesprungen, um ihn körperlich anzugreifen. Auch sie konnte von einem Justizbediensteten daran gehindert werden. Noch ein weiterer Zuhörer versuchte sodann, in Richtung der Anklagebank zu laufen, wurde daran jedoch von dem anwesenden Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft gehindert, der dabei im Wadenbereich verletzt wurde.

Aufgrund dieser Vorfälle wurde der Beginn der Hauptverhandlung zunächst um mehr als eine Stunde verschoben und bereits alsbald nach Verlesung der Anklageschrift früher als zunächst vorgesehen beendet.
Die Strafkammer hatte sich zuvor die Verhängung eines Ordnungsmittels gegen den Beschwerdeführer vorbehalten, nachdem dieser vorläufig festgenommen und aus dem Sitzungssaal entfernt worden war.
Nach Unterbrechung der Hauptverhandlung und Fortsetzung am 17. Februar 2005 wurde dem wiederum erschienenen Beschwerdeführer Gelegenheit gegeben, sich zu der Verhängung eines Ordnungsmittels wegen seines Verhaltens zu Beginn des ersten Hauptverhandlungstages zu äußern.

Nachdem er hierzu keine Erklärung abgegeben hatte, wurde gegen ihn durch den angefochtenen Beschluss gemäß § 178 Abs. 1 u. 2 GVG wegen Ungebühr eine sofort vollziehbare Ordnungshaft von drei Tagen festgesetzt und seitdem vollstreckt.

Die gegen diesen Beschluss noch am selben Tage eingelegte und beim Landgericht Hagen eingegangene - befristete - Beschwerde ist gemäß § 181 Abs. 1 GVG zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.

Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass sich der Beschwerdeführer, was er selbst nicht in Abrede stellt, objektiv einer Ungebühr nach § 178 Abs. 1 GVG schuldig gemacht hat, indem er unmittelbar vor Beginn der Sitzung versucht hat, den Angeklagten A. tätlich anzugreifen, wobei er an der Fortsetzung seines Tuns nur durch das Eingreifen von Justizbediensteten gehindert werden konnte.

Ungebühr i.S.d. § 178 Abs. 1 GVG ist ein erheblicher Angriff auf die Ordnung in der Sitzung, auf deren justizförmigen Ablauf, auf den Gerichtsfrieden und damit auf die Würde des Gerichts (vgl. Senatsbeschluss vom 28. November 2000 in 2 Ws 292 u. 296/00 = NStZ-RR 2001, 116 = VRS 100, 29 = DAR 2001, 134 = StraFo 2001, 132; Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl., § 178 GVG, Rdnr. 2).
Dabei sind Tätlichkeiten gegenüber Verfahrensbeteiligten oder Zuhörern grundsätzlich Ungebühr im Sinne der genannten Vorschrift (vgl. BGHSt 47, 105 = NJW 2001, 3275; LR-Wickern, StPO, 25. Aufl., Rdnr. 10 zu § 178 GVG; KK-Diemer, StPO, 5. Aufl., Rdnr. 3 zu § 178 GVG).

Die Umstände des Vorfalles hat das Landgericht auch in hinreichender Weise entsprechend dem Protokollierungserfordernis des § 182 GVG in die Sitzungsniederschrift aufgenommen.

Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist auch von einer schuldhaften Ungebühr auszugehen.
Wie die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme zutreffend ausgeführt hat, kann zwar in Extremfällen ein Affektsturm zu einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung und damit letztlich gemäß § 20 StGB möglicherweise zu einer Schuldunfähigkeit führen. Dabei müssen aber verschiedene äußere und innere Faktoren zusammenwirken, die das seelische Gefüge des Täters zerstören oder tiefgreifend erschüttern. Es genügt dabei jedoch nicht, dass sich der Betroffene in eine völlig unangemessene Erregung hineingesteigert und ohne Selbstdisziplin gehandelt hat (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 178 GVG Rdnr. 9).

Vorliegend ist jedoch nicht davon auszugehen, dass sich der Beschwerdeführer in einer solchen affektiven Ausnahmesituation befunden hat. Zwar handelte es sich bei dem getöteten Opfer um die Stieftochter des Beschwerdeführers. Es ist auch durchaus nachvollziehbar, dass der Beschwerdeführer durch das Tötungsdelikt zum Nachteil seiner Stieftochter seelisch schwer erschüttert und betroffen war.
Hier ist jedoch andererseits auch zu berücksichtigen, dass es sich nicht um eine Spontantat gehandelt hat, die sich aus unkontrollierten Reaktionen auf plötzliche Geschehnisse ergeben hat. Die zur Verhandlung anstehende Straftat war vor mehr als sechs Monaten begangen worden. Der Beschwerdeführer hatte sein Vorgehen offenbar bereits vorher geplant, da er sich zudem nicht nur allein - unmittelbar bei Eintreten des Angeklagten A. in den Sitzungssaal auf diesen gestürzt hat. Er ist daher auch nicht etwa durch das konkrete Verhalten oder Äußerungen des Angeklagten, z.B. zum Tathergang oder zum Verhalten des Opfers, in einen nicht mehr zu kontrollierenden psychischen Ausnahmezustand geraten.

Es handelt sich auch um eine vorwerfbare Ungebühr in der Sitzung, da in zeitlicher Hinsicht hiervon auch die Phase vor der Sitzung erfasst wird, in der sich die Beteiligten einfinden (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 176 GVG, Rdnr. 2). Dass sich die Richter selbst noch nicht im Sitzungssaal, sondern noch im Beratungszimmer befanden, führt hier zu keinem anderen Ergebnis.

Zwar können Ordnungsmittel grundsätzlich nur in der Sitzung festgesetzt werden, in der die Ungebühr begangen wurde. Bei einer Hauptverhandlung von mehrtägiger Dauer kann jedoch eine Ungebühr unter Umständen auch erst am folgenden Verhandlungstag geahndet werden (vgl. LR-Wickern, a.a.O., § 178 GVG Rdnr. 31; Meyer-Goßner, a.a.O., § 178 Rdnr. 16, jeweils m.w.N.).
Insoweit konnte die Strafkammer die Ordnungshaft nach Unterbrechung der Hauptverhandlung am ersten Verhandlungstag auch noch am darauffolgenden Verhandlungstag anordnen, zumal wegen der fehlenden Möglichkeit der Gewährung rechtlichen Gehörs aufgrund der vorläufigen Festnahme des Betroffenen am 4. Februar 2005 dieser erst zu einem späteren Zeitpunkt angehört werden konnte.

Gemäß § 178 Abs. 1 GVG kann im Fall ungebührlichen Verhaltens ein Ordnungsgeld bis zu eintausend Euro oder Ordnungshaft bis zu einer Woche festgesetzt werden. Angesichts des Ausmaßes der vom Beschwerdeführer gezeigten Ungebühr ist vorliegend weder die durch die Strafkammer getroffene Wahl des verhängten Ordnungsmittels noch die Dauer der angeordneten Ordnungshaft als ermessensfehlerhaft zu beanstanden. Durch das Verhalten insbesondere auch des Beschwerdeführers mussten nicht nur der Beginn der Sitzung verschoben und der Terminstag vorzeitig beendet werden, sondern es kam zudem auch noch zur Verletzung einer Justizbediensteten.
Auch unter Berücksichtigung der emotionalen Betroffenheit des Betroffenen lässt sich unter den genannten Umständen auch ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht feststellen.

Durch die vorstehende Entscheidung ist der weiterhin hilfsweise gestellte Antrag des Betroffenen, die Vollziehung des angefochtenen Beschlusses entsprechend § 307 Abs. 2 StPO auszusetzen, gegenstandslos geworden.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 181 GVG Rdnr. 7).


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