Aktenzeichen: 2 (s) Sbd. VIII 33/05 OLG Hamm
Leitsatz: Das RVG findet auch dann Anwendung, wenn der Rechtsanwalt das Wahlmandat zwar vor dem 1. 7. 2004 übertragen bekommen hat, er aber erst nach dem 1. 7. 2004 zum Pflichtverteidiger beigeordnet worden ist.
2. Zur besonderen Schwierigkeit und zum besonderen Umfang im Sinne von § 51 RVG
Senat: 2
Gegenstand: Pauschgebühr
Stichworte: Pauschgebühr; Übergangsregelung; besonderer Umfang
Normen: RVG 51; RVG 61
Beschluss: Strafsache
gegen S.W.
wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern, (hier: Pauschgebühr für den bestellten Verteidiger gem. § 51 RVG).
Auf den Antrag des Rechtsanwalts R. in Soest vom 11. November 2004 auf Bewilligung einer Pauschgebühr für die Pflichtverteidigung des früheren Angeklagten hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 10. März 2005 durch die Richterin am Oberlandesgericht als Einzelrichterin gemäß §§ 51, 42 Abs. 3 Satz 1 RVG nach Anhörung des Leiters des Dezernats 10 der Verwaltungsabteilung des Oberlandesgerichts beschlossen:
Dem Antragsteller wird anstelle seiner gesetzlichen Gebühren in Höhe von 908,00 EURO eine Pauschgebühr in Höhe von 1.150,00 EURO (in Worten: eintausendeinhundertundfünfzig EURO) bewilligt.
Der weitergehende Antrag wird abgelehnt.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt für seine Tätigkeit als gerichtlich bestellter Verteidiger die Gewährung einer Pauschgebühr, deren Höhe er mit 3.500,00 EURO beziffert hat.
Hinsichtlich seiner Tätigkeiten im Einzelnen wird auf die Stellungnahme des Leiters des Dezernats 10 vom 08. Februar 2005 Bezug genommen, die dem Antragsteller bekannt ist und in der dessen Tätigkeitsumfang zutreffend dargestellt ist.
Auf die Sache ist das am 1. Juli 2004 in Kraft getretene RVG anwendbar. Der Antragsteller ist dem ehemaligen Angeklagten am 24. September 2004 als Pflichtverteidiger beigeordnet worden, so dass gemäß § 61 Abs. 1 Satz 1 2. Alternative RVG das RVG und nicht (mehr) die BRAGO anwendbar ist.
In der Rechtsprechung ist allerdings bereits umstritten, ob das RVG auch gilt, wenn die Beiordnung des Pflichtverteidigers zwar nach dem 1. Juli 2004 erfolgt ist, dieser aber - wie vorliegend - bereits vorher als Wahlanwalt für seinen Mandanten tätig gewesen ist. Teilweise wird auf diese Konstellation noch die BRAGO angewendet (vgl. z.B. LG Berlin, Beschluss vom 20. Oktober 2004, (509) 70 Js 923/04 KLs (40/04), eingestellt auf http://www.burhoff.de = RVGprofessionell 2004, 215; Beschluss vom 21. Dezember 2004, 511 Qs 143/04). Die überwiegende Meinung in der Literatur zum RVG und die bislang vorliegende Rechtsprechung von Oberlandesgerichten geht demgegenüber jedoch davon aus, dass das RVG anwendbar ist (vgl. dazu Burhoff (Hrsg.), RVG Straf- und Bußgeldsachen, ABC-Teil, Übergangsvorschriften, Rn. 28; Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG, 16. Aufl., § 60 Rn. 32; Hartmann, Kostengesetze, § 60 RVG Rn. 18; Goebel/Gottwald, RVG, § 61 Rn. 32; Bischoff/Jungbauer, RVG, § 61 RVG, Rn. 27, außerdem N. Schneider in Hansens/Braun/Schneider, Praxis des Vergütungsrechts, Teil 19, Rn. 57; Hansens, RVGreport 2004, 10, 13, Volpert, RVGreport 2004, 296, 298; OLG Frankfurt NStZ-RR 2005, 32, OLG Schleswig, Beschluss vom 30. November 2004, 1 Ws 423/04 (132/04), ebenfalls http://www.burhoff.de und aus der (früheren) Rechtsprechung und Literatur: OLG Schleswig SchlHA 1989, 80; OLG Koblenz Rpfleger 1988, 123; OLG Düsseldorf StV 1996, 165; OLG Oldenburg JurBüro 1996, 472; Enders JurBüro 1995, 2, jeweils auch mit weiteren Nachweisen zur zu § 134 BRAGO teilweise vertretenen anderen Ansicht).
Der Senat schließt sich der überwiegenden Auffassung in der Rechtsprechung und der Literatur an (vgl. zum Ganzen ausführlich Beschluss des Senats vom 10. Januar 2005 in 2 (s) Sbd. VIII 267, 268 u. 269/04).
II.
Dem Antragsteller war nach § 51 RVG eine Pauschgebühr zu bewilligen.
1. Das Verfahren war allerdings nicht besonders schwierig im Sinne von § 51 Abs. 1 RVG. Zur Frage, wann ein Verfahren besonders schwierig ist, hält der Senat an seiner bisherigen Rechtsprechung zu § 99 Abs. 1 BRAGO fest. Das RVG hat insoweit keine Änderung gebracht (vgl. Burhoff, a.a.O., § 51 Rn. 18), so dass die bisherige Rechtsprechung anwendbar bleibt. Besonders schwierig" im Sinne des § 51 Abs. 1 RVG ist also ein Verfahren, das aus besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Gründen über das Normalmaß hinaus erheblich verwickelt ist (vgl. dazu zu § 99 BRAGO Burhoff StraFo 1999, 261, 264). Das ist vorliegend nach Einschätzung des Senats nicht der Fall. Insoweit schließt sich der Senat der Einschätzung des Vorsitzenden der Strafkammer an (vgl. dazu grundlegend Senat in AnwBl. 1998, 416 = ZAP EN-Nr. 609/98 = AGS 1998, 104 und Senat in JurBüro 1999, 194 = AGS 1999, 104 = AnwBl. 2000, 56). Die Einschätzung des Vorsitzenden des Gerichts ist nach wie vor i.d.R. maßgeblich.
2. Das Verfahren war für den Antragsteller aber "besonders umfangreich" im Sinne des § 51 Abs. 1 RVG.
Auch insoweit bleibt, da die Formulierung des § 51 Abs. 1 RVG dem bisherigen § 99 Abs. 1 BRAGO entspricht, die bisherige Rechtsprechung des Senats zum besonderen Umfang weitgehend anwendbar. Allerdings muss sie jeweils sorgfältig darauf untersucht werden, inwieweit Tätigkeiten, für die das RVG einen besonderen Gebührentatbestand geschaffen hat, jeweils für die Annahme des besonderen Umfangs mitbestimmend gewesen sind (Burhoff, a.a.O., § 51 RVG Rn. 11).
Besonders umfangreich ist eine Strafsache danach nach wie vor dann, wenn der von dem Verteidiger erbrachte zeitliche Aufwand erheblich über dem Zeitaufwand liegt, den er in einer normalen Sache zu erbringen hat (allgemeine Meinung zu § 99 BRAGO; vgl. die Nachweise bei Burhoff StraFo 1999, 261, 263 in Fn. 30 und die ständige Rechtsprechung des Senats).
Für die Einordnung des vorliegenden Verfahrens als besonders umfangreich war von entscheidender Bedeutung, dass das Verfahren durch die aktive Mitarbeit des Verteidigers letztlich erheblich abgekürzt werden konnte. Der Senat hat schon in der Vergangenheit die intensive Vorbereitung der Hauptverhandlung, die zu einer Verkürzung der Hauptverhandlung führt, bei der Bewilligung einer Pauschgebühr berücksichtigt (vgl. Senat in StraFo 1997, 30 = JurBüro 1997, 85). Er hält an dieser Rechtsprechung im weiterhin bestehenden Interesse an einer effektiven, zeit- und kostensparenden Rechtspflege fest.
Insgesamt erschien dem Senat unter Abwägung aller Umstände und auch unter Berücksichtigung der Fahrzeiten zur Hauptverhandlung die zuerkannte Pauschgebühr in Höhe von 1.150 EURO ausreichend und angemessen. Dabei hat der Senat zugrunde gelegt, dass durch die konstruktive Mitarbeit des Antragstellers zumindest ein weiterer Hauptverhandlungstermin erspart worden ist. Unter Berücksichtigung dieser Mitarbeit des Antragstellers erschienen dem Senat die dem Antragsteller zustehenden gesetzlichen Gebühren nicht zumutbar. Es kann dahinstehen, wie dieses neu in § 51 Abs. 1 RVG aufgenommene Merkmal allgemein zu verstehen und auszulegen ist (vgl. auch dazu Burhoff/Burhoff, a.a.O., Rn. 23 ff.). Jedenfalls dann, wenn der Rechtsanwalt - wie vorliegend - entscheidend zur Abkürzung des Verfahrens beigetragen hat, ist nach wie vor ein großzügiger Maßstab bei der Bewilligung der Pauschgebühr heranzuziehen. Anderenfalls würden sich die Justizbehörden widersprüchlich verhalten.
Der weitergehende Antrag, mit dem eine über die Wahlverteidigerhöchstgebühr hinausgehende Pauschgebühr beantragt worden ist, war demgemäss abzulehnen. Gebühren in dieser Höhe wären angesichts des Umfangs der von dem Antragsteller erbrachten Tätigkeiten unangemessen. Dabei kann wegen der Höhe der geltend gemachten Gebühren dahinstehen, ob und inwieweit die bisherige Rechtsprechung des Senats zu dieser Frage Bestand hat (vgl. dazu Burhoff, a.a.O., § 51 Rn. 94).
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