Aktenzeichen: 2 Ss OWi 75/05 OLG Hamm
Leitsatz: Nach § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG kann der Bußgeldrichter einen Beweisantrag dann ablehnen, wenn er damit nicht gegen seine Aufklärungspflicht verstößt. Dabei ist es nicht erforderlich, dass die beantragte Beweiserhebung aussichtslos ist; es genügt, wenn sie nicht nahe liegt oder sich nicht aufdrängt
Senat: 2
Gegenstand: Rechtsbeschwerde
Stichworte: überladener Lkw; Wägung; Messverfahren; Verwertbarkeit; Messtoleranz;
Normen: OWiG 77; StPO 267
Beschluss: Bußgeldsache
gegen mit M.W.
wegen Verkehrsordnungswidrigkeit
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Lüdenscheid vom 25. Oktober 2004 hat der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 04. 03. 2005 durch die Richterin am Oberlandesgericht (als Einzelrichterin gemäß § 80 a Abs. 1 OWiG) nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde wird auf Kosten des Betroffenen verworfen.
Gründe:
I.
Der Betroffene wurde vom Amtsgericht Lüdenscheid wegen fahrlässigen Führens eines um 20-25% überladenen Lkws (als Halter) zu einer Geldbuße in Höhe von 275,00 EURO verurteilt, §§ 33 Abs. 3, 69 a StVZO, §§ 24, 25 StVG, § 17 OWiG.
Das Amtsgericht hat folgende tatsächliche Feststellungen getroffen:
Als Transportunternehmer ist der Betroffene Halter eines Lkws der Marke Scania mit dem amtlichen Kennzeichen XXXXXXXX und eines Anhängers mit dem amtlichen Kennzeichen xxxxxxxxxx. Am 25.05.2004 setzte er diese Fahrzeugkombination im Rahmen seines Fuhrgeschäftes zum Transport von Eichenstämmen ein, die in der Nähe von Herborn im Wald gelagert waren. Der für ihn gelegentlich aushilfsweise arbeitende L., ein gelernter Werkzeugmacher, mit dem der Betroffene jahrelang bekannt und befreundet ist, lud die im Wald lagernden, teilweise sehr durchfeuchteten Eichenstämme am 25.05.2004 frühmorgens mit einem auf dem Zugfahrzeug angebrachten Kran auf, wobei er die Hölzer so hoch auflud, wie es auf dem Zugfahrzeug und dem Anhänger möglich war. Letztlich war das zulässige Gesamtgewicht der Fahrzeugkombination von 40 t deutlich überschritten.
Kurz danach, um 7.30 Uhr, übernahm der Betroffene als Führer der LKW-Kombination den Transport. An Ort und Stelle nahm er die Ladung in Augenschein.
Hierbei hätte er erkennen können, dass das zulässige Gesamtgewicht aufgrund des ohnehin spezifisch hohen Gewichtes des verladenen Eichenholzes und der Feuchtigkeit bei weitem überschritten war. Er führte nun die Fahrzeugkombination zur Autobahnauffahrt und sodann auf der BAB 45 Richtung Dortmund.
Auch aufgrund des Fahrverhaltens des LKWs mit Anhänger auf dieser hügeligen Strecke hätte er die Überladung feststellen können.
Nach etwa 100 km Fahrtstrecke wurde der Betroffene mit seinem LKW in der Gemarkung Lüdenscheid polizeilich kontrolliert. Die kontrollierenden Polizeibeamten R. und K. hatten aufgrund der vollen Beladung von Zugmaschine und Anhänger sowie der Art des Holzes Eichenholz erhebliche Zweifel an der Einhaltung des zulässigen Gesamtgewichts von 40 t. Sie veranlassten eine Wägung der Fahrzeugkombination auf der geeichten Waage der Raiffeisen Waren-Genossenschaft Lüdenscheid eG, In der Dönne 2a, 58513 Lüdenscheid. Der dort tätige Angestellte R. nahm die Wägung vor, nachdem hintereinander zunächst die LKW-Zugmaschine und sodann der Anhänger einzeln allerdings angekoppelt und bei angezogener Bremse gewogen wurden. Für die Zugmaschine ergab sich ein Gewicht von 27.900 kg, für den Anhänger ein solches von 22.460 kg.
Daraus ergibt sich ein Gesamtgewicht von 50.360 kg. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass während der Wägung die Bremse angezogen war und die Beruhigungsstrecke ein leichtes Gefälle aufwies, ist hiervon ein Toleranzabzug von 2,7 % des gemessenen Gewichtes, nämlich in Höhe von 1.359,72 kg, sowie ein weiterer Toleranzabzug im Hinblick auf die Verkehrsfehlergrenzen der Waage von 2 x 40 kg vorgenommen worden. Dies führt zu einem Gesamtgewicht von 48.920,28 kg (50.360 kg 1.359,72 kg 80 kg). Damit war das zulässige Gesamtgewicht der Fahrzeugkombination von 40.000 kg um 8.920,28 kg, dies sind 22,30 %, überschritten.
Zu der Frage, welche Toleranzabzüge vorliegend unter den gegebenen Umständen vorzunehmen waren, hat das Amtsgericht den Sachverständigen Dipl. Ing. X. gehört.
Der Verteidiger des Betroffenen hat einen Beweisantrag gestellt, in dem er die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Nachweis dafür, dass das erzielte Messergebnis falsch ist, beantragt hat. Das Amtsgericht hat diesen Beweisantrag abgelehnt mit der Begründung, die Einholung des beantragten Sachverständigengutachtens sei zur Erforschung und Klärung des Sachverhalts nicht erforderlich.
Der Betroffene hat gegen das Urteil Rechtsbeschwerde eingelegt und rügt unter näherer Darlegung die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.
II.
Die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, kann in der Sache jedoch entsprechend dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft keinen Erfolg haben.
1. Ob die Verfahrensrüge nicht schon bereits deshalb unzulässig ist, weil der Betroffene nicht vorträgt, dass ein anderer Sachverständiger über Forschungsmittel verfügt, die denen des Sachverständigen Dipl. Ing. X. überlegen sind (§ 244 Abs. 4 StPO), kann dahin stehen, jedenfalls hat sie in der Sache keinen Erfolg.
Der Betroffene rügt die Verletzung des § 77 Abs. 2 OWiG mit der Begründung, das Amtsgericht habe den Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Nachweis dafür, dass das erzielte Messergebnis falsch sei, zu Unrecht verworfen.
Der auf § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG gestützte Ablehnungsbeschluss des Amtsgerichts ist nicht zu beanstanden. Nach dieser Vorschrift kann der Bußgeldrichter einen Beweisantrag bereits dann ablehnen, wenn er damit nicht gegen seine Aufklärungspflicht verstößt (§ 77 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 244 Abs. 2 StPO). Dabei ist es nicht erforderlich, dass die beantragte Beweiserhebung aussichtslos ist; es genügt, wenn sie nicht nahe liegt oder sich nicht aufdrängt (vgl. KK-Senge, OWiG, 3. Aufl., § 77 Rdnr. 16). Hält das Gericht den Sachverhalt nach durchgeführter Beweisaufnahme ohne Missachtung der Aufklärungspflicht für geklärt, so hat es zu überlegen, ob die beantragte Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit noch erforderlich ist. Insoweit ist das Gericht zu einer gewissen Vorwegnahme der Beweiswürdigung befugt (vgl. Göhler, OWiG, 13. Aufl., § 77 Rdnr. 11 m. w. Nachw.). Es muss abwägen, welche Bedeutung dem beantragten Beweis im Hinblick auf die Ergebnisse der bisherigen Beweisaufnahme zukommt.
Das Amtsgericht hat den Beweisantrag mit der Kurzbegründung abgelehnt, die Einholung des beantragten Sachverständigengutachtens sei zur Erforschung und Klärung des Sachverhalts nicht erforderlich (§ 77 Abs. 3 OWiG). Die sodann im Rahmen der Beweiswürdigung in den Urteilsgründen gegebene Begründung für die Ablehnung des Beweisantrages gibt zu Beanstandungen keinen Anlass.
Der Tatrichter hat nachvollziehbar und rechtsfehlerfrei dargelegt, warum es der Einholung eines (weiteren) Sachverständigengutachtens nicht bedurfte. Er hat dem Umstand, dass sich vorliegend bei der Wägung von Zugmaschine und Anhänger in angekuppeltem Zustand und bei angezogener Bremse Messfehler ergeben können, dadurch Rechnung getragen, dass er einen Sachverständigen dazu gehört hat, wie sich vorgenannte Unregelmäßigkeiten auf das Messergebnis auswirken können. Gestützt auf die Angaben des Sachverständigen X. hat der Tatrichter sodann die eingangs geschilderten Toleranzabzüge vorgenommen; weitere Abzüge waren danach nicht geboten. Soweit die Rechtsbeschwerde rügt, es sei überhaupt kein Sachverständigengutachten eingeholt worden, ist dieser Einwand nicht nachvollziehbar.
Der Tatrichter entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen darüber, ob die beantragte Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist. Ihm steht insoweit ein gewisser Beurteilungsspielraum zu. Da die rechtlichen Abgrenzungskriterien, nach denen die Erforderlichkeit einer weiteren Beweisaufnahme zu beurteilen ist, eine Beweiswürdigung erfordern, die sich im tatsächlichen Bereich vollzieht, ist die Entscheidung des Tatrichters vom Rechtsbeschwerdegericht nur darauf zu überprüfen, ob sie von zutreffenden Abgrenzungskriterien ausgegangen ist und den Gesetzen der Logik, feststehenden Erkenntnissen der Wissenschaft sowie gesicherten Tatsachen der Lebenserfahrung nicht widerspricht. Ein Rechtsfehler ist insoweit nicht zu erkennen.
Nicht zu beanstanden ist ferner, wenn es in den Urteilsgründen heißt, dass sich der Sachverständige X. auf ein Grundsatzgutachten des Dipl.-Ing. Wünsche vom 20. August 1982 zur Feststellung des Gesamtgewichts von Straßenfahrzeugen berufen hat. Auf welche Erkenntnisquellen sich der Sachverständige im Rahmen seiner Gutachtenerstattung stützt, bleibt diesem überlassen. Diese müssen nicht förmlich in die Hauptverhandlung eingeführt werden, zumal sich der Tatrichter in den Urteilsgründen gerade nicht mit dem Gutachten des Dipl. Ing. Wünsche auseinander gesetzt, sondern ausschließlich auf die Ausführungen des Sachverständigen X. Bezug genommen hat.
Soweit gerügt wird, der Sachverständige X. habe zu entscheidungserheblichen Punkten nicht Stellung genommen, so dass ein (weiteres) Sachverständigengutachten hätte eingeholt werden müssen, kann der Betroffene damit in der Rechtsbeschwerde nicht gehört werden. Hierfür wäre nämlich eine inhaltliche Rekonstruktion der in der Hauptverhandlung durchgeführten Beweisaufnahme erforderlich, für die das Rechtsbeschwerdeverfahren aber keinen Raum bietet. Mit der Rechtsbeschwerde kann lediglich die Sachkunde des Sachverständigen angezweifelt werden oder dass dessen Auffassung nicht im Einklang steht mit den Erkenntnissen der Wissenschaft. Zweifel an der Sachkunde des Sachverständigen sind allerdings nicht schon dann berechtigt, weil der Sachverständige bestimmte Untersuchungsmethoden nicht angewandt hat (vgl. hierzu BGH StV 1989, 335).
Durchgreifende Zweifel an der Sachkunde des Sachverständigen sind nicht dargetan.
Der vom Amtsgericht zunächst vorgenommene Abzug von 80 kg (2 X 40 kg) entspricht der Verkehrsfehlergrenze, die beim Betrieb einer geeichten Waage auftreten kann und die vom jeweiligen Eichwert der Handelswaage und vom Umfang der Belastung abhängig ist. Der Ansatz dieses Wertes bei der Feststellung der Toleranzen bei einer Wägung entspricht auch der Berechnung der Abschläge bei anderen standardisierten Messverfahren, bei denen die zu Grunde gelegten Eichtoleranzen von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig festgesetzt werden.
Andere Fehlerquellen als die durch die jeweilige Verkehrsfehlergrenze der Waage zu bestimmenden sind nur bei konkreter Veranlassung zu berücksichtigen. Das Amtsgericht hat den vorliegenden Besonderheiten bei der Messung dadurch Rechnung getragen, dass es nach sachverständiger Beratung einen weiteren Toleranzabzug in Höhe von 2,7 % des ermittelten Gesamtgewichts vorgenommen hat (vgl. hierzu auch das Grundsatzgutachten der PTB zur Verwägung von Straßenfahrzeugen PTB-Mitteilung 94 5/84, S. 344 -, das sich über alle möglichen Fehlerquellen verhält und in solchen Fällen Abschläge von 1,8 % bis 2,7 % des ermittelten Gesamtgewichts vorsieht).
Das Amtsgericht ist zu Recht von einem Fahrlässigkeitsvorwurf ausgegangen.
Es kann dahin stehen, ob auf Grund der technischen Fortentwicklung der Lastkraftwagen beim Transport frisch geschlagenen Holzes ein pflichtwidriges Verhalten bereits dann anzunehmen ist, wenn der Betroffene die Überladung hätte vermeiden können (so OLG Koblenz, NZV 1997, 194) oder ob es hierfür weiterhin irgendwelcher äußerer Anzeichen der Überladung bedarf (so OLG Düsseldorf, DAR 1999, 83), denn auch solche lagen hier vor. Das Amtsgericht hat insoweit festgestellt, dass das ohnehin schwere Eichenholz hier zudem noch durchfeuchtet. war.
Wegen der großen Gefahren, die von überladenen Fahrzeugen und Anhängern für die Sicherheit des Straßenverkehrs ausgehen, sind an die den Fahrzeugführer treffenden Sorgfaltspflichten strenge Anforderungen zu stellen. Er ist grundsätzlich verpflichtet, unter Anwendung aller ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten eine Überladung des Fahrzeugs zu vermeiden. Kann er sich hiervon, wie vorliegend bei der Verladung von Holz im Wald, vor Ort keine sichere Überzeugung verschaffen, muss er die Beladung soweit reduzieren, dass eine Überschreitung des zulässigen Gesamtgewichts mit Sicherheit ausgeschlossen ist. Vorliegend kommt hinzu, dass der Betroffene ausweislich der im Urteil mitgeteilten Eintragung im Verkehrszentralregister wegen Überschreitens des zulässigen Gesamtgewichts (um 45,9 %) bereits bußgeldrechtlich in Erscheinung getreten ist, so dass ohnehin erhöhte Anforderungen an seine Sorgfaltspflichten zu stellen sind.
3. Auch der Rechtsfolgenausspruch mit der Verhängung einer Geldbuße in Höhe von 275,00 EURO ist angesichts der etwa sechs Wochen zuvor begangenen und geahndeten gleichartigen Verkehrsordnungswidrigkeit des Betroffenen nicht zu beanstanden.
4. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 473 Abs. 1 StPO i.V.m. §§ 46, 79 Abs. 3 OWiG.
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