Diese Homepage verwendet Cookies, um Inhalte und Anzeigen zu personalisieren, Funktionen für soziale Medien anbieten zu können und die Zugriffe auf die Website zu analysieren. Außerdem gebe ich Informationen zu Ihrer Nutzung meiner Website an meine Partner für soziale Medien, Werbung und Analysen weiter.

OK Details ansehen Datenschutzerklärung

Rechtsprechung


Aktenzeichen: 1 Ss OWi 131/05 OLG Hamm

Leitsatz: 1. Bei der Rüge der unzulässig unterbliebenen Ent-bindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen obliegt es dem Betroffenen, darzulegen, aus welchen Gründen das Gericht seinem Entbin-dungsantrag nach § 73 Abs. 2 OWiG hätte stattgeben müssen.
2. Die Entscheidung über den Entbindungsantrag ist nicht in das Ermessen des Gerichts gestellt. Vielmehr ist das Gericht verpflichtet, dem Entbindungsantrag zu entsprechen, wenn die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG vorliegen.

Senat: 1

Gegenstand: Rechtsbeschwerde

Stichworte: Entbindungsantrag; Aufklärung; Ermessen des Gerichts; ausreichende Begründung der Verfahrensrüge

Normen: OWiG 80; OWiG 79; OWiG 73; StPO 344]
Beschluss: Bußgeldsache

gegen H.M.
wegen Verkehrsordnungswidrigkeit.

Auf den Antrag des Betroffenen vom 21. Dezember 2004 auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß §§ 79 ff. OWiG gegen das Urteil des Amtsgerichts Hamm vom 14. Dezember 2004 hat der 1. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 28. 02. 2005 durch die Richterin am Oberlandesgericht als Einzelrichterin gemäß § 80 a Abs. 2 OWiG nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen, weil es geboten ist, das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben.

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Hamm zurückverwiesen.

Gründe:
I.
Der Oberbürgermeister der Stadt Hamm hat mit Bußgeldbescheid vom 9. Januar 2004 gegen den Betroffenen wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften eine Geldbuße von 75,- € festgesetzt. Den hiergegen gerichteten Einspruch des Betroffenen hat das Amtsgericht mit Urteil vom 14. Dezember 2004 verworfen. In den Urteilsgründen wird hierzu ausgeführt:

„Der Betroffene ist in dem heutigen Termin zur Hauptverhandlung ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben.

Der Einspruch ist daher nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen worden.“

Aus der Akte ergibt sich hierzu Folgendes:

Das Amtsgericht hat auf den Einspruch des Betroffenen nach Durchführung weiterer Ermittlungen Termin zur Hauptverhandlung auf den 14. Dezember 2004 anberaumt. Mit Schriftsatz vom 18. November 2004 hat der Verteidiger des Betroffenen beantragt, diesen von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen zu entbinden. Zur Begründung des Antrages ist ausgeführt, dass der Betroffene sich zur Sache nicht äußern werde. Er erkläre allerdings, bei Gelegenheit der vorgeworfenen Geschwindigkeitsüberschreitung vom 28. Oktober 2003 Fahrer des PKW XXXXXXXXX gewesen zu sein. Weitere Erklärungen werde er nicht abgeben. Er werde sich keinesfalls auch auf eine Diskussion jedweder Art mit dem Herrn Abteilungsrichter/der Frau Abteilungsrichterin einlassen. Hierauf werde vorsorglich hingewiesen. Der Betroffene möchte insbesondere zum Beispiel auch nicht die Frage mit dem Gericht besprechen, ob er möglicherweise - falls es zu einer Verurteilung kommen sollte - vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt habe. Auch hierauf werde vorsorglich hingewiesen: Es schienen sich die Fälle zu häufen, in welchen mehr oder minder vorgeschobene Gründe dazu herhalten sollten, sogenannten Entpflichtungsanträgen nicht zu entsprechen.

Mit Beschluss vom 3. Dezember 2004 hat das Amtsgericht Hamm den Antrag, den Betroffenen von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen zu entbinden, abgelehnt. Zur Begründung ist ausgeführt, die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG lägen nicht vor. Die Ausführungen zur Begründung des Antrages in der Schutzschrift vom 18. November 2004 seien nämlich widersprüchlich. Zunächst werde dort angekündigt, dass der Betroffene sich zur Sache nicht äußern werde. Sodann werde fortgefahren, dass er allerdings erkläre, „bei Gelegenheit der vorgeworfenen Geschwindigkeitsüberschreitung vom 28. Oktober 2003 Fahrer des XXXXXXXXXX gewesen zu sein“. Sodann werde wiederum betont, dass keine weiteren Erklärungen abgegeben würden. Wegen der Widersprüchlichkeit der Angaben in dem Entbindungsantrag hätte diesem nicht stattgegeben werden können.

Im Hauptverhandlungstermin am 14. Dezember 2004, zu dem weder der Betroffene noch sein Verteidiger erschienen waren, hat das Amtsgericht den Einspruch des Betroffenen verworfen.

Gegen dieses dem Verteidiger des Betroffenen am 17. Dezember 2004 zugestellte Verwerfungsurteil hat der Betroffene mit Schreiben seines Verteidigers vom 21. Dezember 2004, am selben Tage eingegangen beim Amtsgericht Hamm, Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gestellt. Diesen Antrag hat der Verteidiger mit Schriftsatz vom 28. Dezember 2004 begründet. Er rügt Verfahrensfehler, die er insbesondere darin sieht, dass das Amtsgericht den Betroffenen nicht von dem persönlichen Erscheinen entbunden und den Einspruch des Betroffenen verworfen hat.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, das angefochtene Urteil mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das Amtsgericht Hamm zurückzuverweisen.

II.
Die Rechtsbeschwerde war gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG zuzulassen, da es geboten ist, das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben. Dieser Zulassungsgrund wird durch § 80 Abs. 2 OWiG nicht eingeschränkt (vgl. OLG Düsseldorf NZV 1992, 43; OLG Köln NStZ 1988, 31; Göhler, OWiG, 13. Aufl., § 80 Rdnr. 16 i).

1. Die Verfahrensrüge des Betroffenen, mit der er die Gesetzwidrigkeit der Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG geltend macht und damit auch die Verletzung des rechtlichen Gehörs rügt, entspricht den Anforderungen der §§ 79 Abs. 3, 80 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 344 Abs. 2 S. 2 StPO. Nach den genannten Vorschriften muss bei einer Verfahrensrüge der Tatsachenvortrag so vollständig sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht allein aufgrund der Begründungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn das tatsächliche Vorbringen des Betroffenen zutrifft (Göhler, a.a.O., § 79 Rdnr. 27 d). Wird die Versagung rechtlichen Gehörs gerügt, muss in der Begründungsschrift durch entsprechenden Tatsachenvortrag schlüssig dargelegt werden, dass ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG vorliegt.

Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs gibt einen Anspruch darauf, sich zu allen entscheidungserheblichen und dem Betroffenen nachteiligen Tatsachen und Beweisergebnissen zu äußern (OLG Köln NZV 1999, 264; 1992, 419). Bleibt der Betroffene trotz ordnungsgemäßer Ladung der Hauptverhandlung fern und wird daraufhin der Einspruch des Betroffenen durch Urteil gemäß § 74 Abs. 2 OWiG verworfen, so kann die Einspruchsverwerfung das Recht des Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzen, wenn rechtzeitig vorgebrachte und hinreichende Entschuldigungsgründe von dem erkennenden Gericht nicht berücksichtigt worden sind (vgl. BayObLG DAR 2003, 463; OLG Köln NZV 1999, 264) oder einem rechtzeitig gestellten Antrag auf Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen (§ 73 Abs. 2 OWiG) zu Unrecht nicht entsprochen worden ist (BayObLG DAR 2000, 578; Senats-beschluss vom 28. Oktober 2003 - 1 Ss OWi 664/03 -; OLG Hamm, Beschluss vom 01. Juni 2004 - 2 Ss OWi 333/04 -). Bei der Rüge der unzulässig unterbliebenen Ent-bindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen, die vorliegend wegen der gesetzlichen Einschränkung der Zulassungsgründe bei Geldbußen von nicht mehr als 100,- € (§ 80 Abs. 2 Nr. 1 OWiG) nur unter dem Gesichtspunkt der Versa-gung des rechtlichen Gehörs im Zulassungsverfahren beachtlich sein kann, obliegt es dem Betroffenen, darzulegen, aus welchen Gründen das Gericht seinem Entbin-dungsantrag nach § 73 Abs. 2 OWiG hätte stattgeben müssen. Der Betroffene muss also darlegen, aus welchen Gründen der Tatrichter von seiner Anwesenheit in der Hauptverhandlung einen Beitrag zur Aufklärung des Sachverhalts unter keinen Um-ständen hätte erwarten dürfen. Hierfür ist es erforderlich, den im Bußgeldbescheid erhobenen Tatvorwurf und die konkrete Beweislage im Einzelnen vorzutragen (vgl. Senatsbeschluss vom 28. Oktober 2003 - 1 Ss OWi 664/03 -; OLG Hamm, Beschluss vom 01. Juni 2004 - 2 Ss OWi 333/04 -; OLG Köln NZV 1998, 474; Göhler, a.a.O., § 74 Rdnr. 48 c). In diesem Zusammenhang ist in aller Regel auch darzulegen, wann und mit welcher Begründung der Antrag auf Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen gestellt worden ist und wie das Gericht diesen Antrag be-schieden hat (OLG Hamm a.a.O.). Da der Anspruch auf rechtliches Gehör zudem nur dann verletzt ist, wenn die erlassene Entscheidung auf einem Verfahrensfehler be-ruht, der seinen Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrages der Partei hat (vgl. BVerfG NJW 1992, 2811), müssen in der Be-gründungsschrift konkret die Tatsachen dargelegt werden, anhand derer die Be-ruhensfrage geprüft werden kann (vgl. BGHSt 30, 331; OLG Hamm, a.a.O.; OLG Köln NZV 1992, 419).

Vorliegend ermöglicht die Begründungsschrift des Betroffenen eine Überprüfung seitens des Rechtsbeschwerdegerichts, ob nach diesen Grundsätzen eine Versagung rechtlichen Gehörs vorliegt. In der Begründungsschrift wird der Wortlaut des Schriftsatzes des Verteidigers des Betroffenen vom 18. November 2004, mit dem die Entbindung des Betroffenen von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen beantragt worden war, vollständig wiedergegeben. Der Begründungsschrift ist ferner zu entnehmen, mit welcher Begründung das Amtsgericht es abgelehnt hat, den Betroffenen von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen zu entbinden. Darüber hinaus wird mitgeteilt, dass dem Betroffenen eine Geschwindigkeitsüberschreitung zur Last gelegt wird, die mittels des Multanova-Gerätes MUV R 6 F festgestellt worden ist. Es wird ferner ausgeführt, dass der Betroffene lediglich seine Fahrereigenschaft einräumt.

2. Die somit formgerecht mit der Verfahrensrüge einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und eines Verstoßes gegen §§ 73 Abs. 2, 74 Abs. 2 OWiG erhobene Rechtsbeschwerde, war nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG zuzulassen und hat in der Sache Erfolg, weil durch das angefochtene Urteil der Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör verletzt worden ist. Das Amtsgericht hätte dem Entbindungsantrag nach § 73 Abs. 2 OWiG stattgeben müssen. Nach dieser Bestimmung entbindet das Gericht den Betroffenen auf seinen Antrag von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen, wenn er sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache äußern werde und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhaltes nicht erforderlich ist. Dabei ist zu beachten, dass im Gegensatz zur früheren Rechtslage die Entscheidung über den Entbindungsantrag nicht in das Ermessen des Gerichts gestellt ist (BayObLG DAR 2001, 371; Göhler, a.a.O., § 73 Rdnr. 5). Vielmehr ist das Gericht verpflichtet, dem Entbindungsantrag zu entsprechen, wenn die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG vorliegen. Unter Zugrundelegung dieser Kriterien kann die Entscheidung des Amtsgerichts keinen Bestand haben. Mit Schriftsatz vom 18. Dezember 2004 hatte der Verteidiger verbindlich mitgeteilt, dass der Betroffene seine Fahrereigenschaft einräume, im Übrigen aber im Termin keine weiteren Erklärungen zur Sache abgeben werde. Aufgrund dieser Angaben war klargestellt, dass von der persönlichen Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung im Termin keine weitergehende Aufklärung des Tatvorwurfs, wie er sich aus dem von der Bußgeldbehörde dem Amtsgericht übermittelten Bußgeldbescheid ergab, zu erwarten war. Die Ablehnung des Entbindungsantrages war daher sachlich fehlerhaft. Die auf das Nichterscheinen des Betroffenen gestützte Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG verstieß gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs, weil dadurch wesentliches Vorbringen des Betroffenen unberücksichtigt geblieben ist. Die Aufklärung des Sachverhaltes konnte ohne Schwierigkeiten durch die gemäß § 74 Abs. 1 S. 2 OWiG zulässige Einführung der schriftlichen Erklärung des Betroffenen gemäß § 74 Abs. 1 S. 2 OWiG erfolgen (OLG Hamm, Beschluss vom 11. Dezember 2003 - 2 Ss OWi 334/04 -; Beschluss vom 01. Juni 2004 - 2 Ss OWi 333/04 -).

Die damit zulässige und begründete Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht.


zur Startseite "Rechtsprechung"

zum Suchformular

Die Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.

Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".