Aktenzeichen: 1 Ws 120/05 OLG Hamm
Leitsatz: Im Fall der Verwerfung der Berufung bleiben die Mitglieder der Strafkammer bis zum Ablauf der Frist für das Gesuch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bzw. bis zur rechtskräftigen Zurückweisung des Wiedereinsetzungsgesuches erkennende Richter i.S.d. § 28 Abs. 2 Satz 2 StPO.
Senat: 1
Gegenstand: Beschwerde
Stichworte: Ablehnung; Rechtsmittel; erkennender Richter; Begriff; Verwerfungsurteil
Normen: StPO 28; StPO 329
Beschluss: Strafsache
gegen P.H.
wegen Betruges
her: sofortige Beschwerde gegen die Ablehnung eines Befangenheitsantrages
Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten vom 28. Februar 2005 gegen den Beschluss der Strafkammer II des Landgerichts Detmold vom 23. Februar 2005 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 17. 03. 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:
Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Angeklagten als unzulässig verworfen.
Gründe:
Das Amtsgericht Detmold hat den Angeklagten mit Urteil vom 15. März 2004 wegen versuchten Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist, verurteilt. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte rechtzeitig Berufung eingelegt. Das Landgericht hat daraufhin Termin zur Hauptverhandlung auf den 7. September 2004 anberaumt. Zu diesem Termin ist der Angeklagte nicht erschienen. Die Ehefrau des Angeklagten teilte am Terminstag telefonisch mit, ihr Ehemann könne aus gesundheitlichen Gründen nicht erscheinen. Die Ehefrau wurde darauf hingewiesen, dass die Berufung verworfen werden und im Falle eines aussagekräftigen Attestes Wiedereinsetzung gewährt würde. Das Landgericht Detmold hat mit Urteil vom 7. September 2004 die Berufung gemäß § 329 StPO verworfen. Mit Beschluss vom 29. September 2004 ist dem Angeklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung des Hauptverhandlungstermins vom 7. September 2004 gewährt worden. Er ist jedoch gleichzeitig darauf hingewiesen worden, dass im Falle eines erneuten Ausbleibens aus gesundheitlichen Gründen nur ein amtsärztliches Attest anerkannt werde. Neuer Hauptverhandlungstermin ist auf den 17. November 2004 bestimmt worden. Am 8. November 2004 ist dieser Termin verlegt worden auf den 7. Dezember 2004, mit Verfügung vom 25. November 2004 auf den 25. Januar 2005. Am Terminstag teilte die Ehefrau des Angeklagten telefonisch mit, ihr Ehemann könne wegen seines Blutzuckerspiegels nicht zum Termin erscheinen. Der Vorsitzende wies darauf hin, dass nunmehr ein amtsärztliches Attest erforderlich sei. Das Landgericht Detmold hat daraufhin mit Urteil vom 25. Januar 2005 die Berufung des Angeklagten gemäß § 329 StPO verworfen. Mit Schriftsatz vom 28. Januar 2005 hat der Angeklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung beantragt. Gleichzeitig hat er den Vorsitzenden der kleinen Strafkammer II des Landgerichts Detmold wegen Befangenheit abgelehnt. Nach Einholung einer dienstlichen Äußerung, die dem Angeklagten bekannt gegeben worden ist, hat das Landgericht Detmold das Befangenheitsgesuch als unbegründet zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Angeklagten vom 28. Februar 2005.
Die sofortige Beschwerde ist unzulässig.
Bei dem abgelehnten Richter handelt es sich um einen erkennenden Richter i.S.d. § 28 Abs. 2 S. 2 StPO, so dass eine isolierte Anfechtung der Entscheidung über das Ablehnungsgesuch nicht statthaft ist.
Erkennende Richter sind zunächst einmal alle Richter, die zur Mitwirkung an der Hauptverhandlung berufen sind (Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl., § 28 Rdnr. 5). Es ist darüber hinaus aber auch allgemein anerkannt, dass die Vorschrift des § 28 StPO auch in Verfahren nach §§ 109 ff. StVollzG Anwendung findet, zumindest in entsprechender Weise, in denen eine Hauptverhandlung nicht stattfindet, sondern lediglich im schriftlichen Verfahren entschieden wird. Der Begriff des erkennenden Richters ist demnach weiter zu fassen. Er umfasst nicht nur den Richter, der in einer Hauptverhandlung mitwirkt, sondern auch den Richter, der mit einer im schriftlichen Verfahren zu treffenden Entscheidung befasst ist. Die Eigenschaft als erkennender Richter beginnt mit dem Erlass des Eröffnungsbeschlusses und endet mit der Verfahrenseinstellung bzw. Urteilsfällung, oder, wie in Strafvollzugsverfahren, mit dem Erlass der verfahrensbeendenden Entscheidung.
Wenngleich die Eigenschaft als erkennender Richter i.S.d. § 28 Abs. 2 S. 2 StPO grundsätzlich mit der Urteilsfällung endet (Wendisch in Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 28 Rdnr. 15; Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl., § 28 Rdnr. 6), ist in der Rechtsprechung umstritten, ob dies auch dann gilt, wenn es sich - wie hier - um ein Urteil handelt, durch das die Berufung eines Angeklagten gemäß § 329 Abs. 1 S. 1 StPO verworfen worden ist.
Das Oberlandesgericht Düsseldorf (NStZ-RR 2004, 47) vertritt die Auffassung, die Mitglieder der Strafkammer blieben bis zum Ablauf der Frist für das Gesuch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bzw. bis zur rechtskräftigen Zurückweisung des Wiedereinsetzungsgesuches erkennende Richter i.S.d. § 28 Abs. 2 S. 2 StPO (ebenso OLG Frankfurt OLGSt § 28 StPO, S. 5). In dieser Verfahrenssituation bestehe die Besonderheit, dass die Richter, die an der Urteilsfällung mitgewirkt hätten, ggf. aufgrund einer neuen Hauptverhandlung über den Anklagevorwurf entscheiden müssten, wenn dem Angeklagten gemäß § 329 Abs. 3 StPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt werde. Aus diesem Grunde ende die Eigenschaft als erkennender Richter erst mit Ablauf der Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsgesuches bzw. mit dessen rechtskräftiger Zurückweisung, weil erst dann feststehe, dass der Spruchkörper, dem der abgelehnte Richter angehöre, nicht mehr mit einer Entscheidung über den Anklagevorwurf befasst sein werde.
Dagegen vertritt das Oberlandesgericht München (MDR 1982, 773) die Auffassung, nach Verwerfung der Berufung gemäß § 329 Abs. 1 S. 1 StPO seien die Mitglieder der Berufungskammer nicht mehr erkennende Richter i.S.v. § 28 Abs. 2 S. 2 StPO (ebenso OLG Stuttgart OLGSt Nr. 4 zu § 28 StPO; KG NZV 2002, 334; OLG Celle Nds. Rechtspflege 1982, 100; Wendisch in Löwe-Rosenberg, a.a.O.; Meyer-Goßner, a.a.O.). Entgegen der anerkannten Definition des Begriffes erkennender Richter würden anderenfalls als erkennender Richter auch solche Richter bezeichnet, die unter Umständen niemals mehr zur Mitwirkung in einer Hauptverhandlung in der fraglichen Sache berufen seien. Ob die Berufungsrichter (wieder) in der Berufungshauptverhandlung mitzuwirken hätten, hänge nämlich vom weiteren Verfahrensstand ab. Bliebe das Wiedereinsetzungsgesuch erfolglos, beende das Urteil nach § 329 StPO das Verfahren rechtskräftig. Werde dagegen Wiedereinsetzung gewährt, erlangten die Mitglieder der Berufungskammer (erneut) die Eigenschaft als erkennende Richter. Es stelle sich also erst nach der Bescheidung des Wiedereinsetzungsgesuchs heraus, ob die in der Berufungshauptverhandlung tätig gewesenen Richter mit dem Verwerfungsurteil ihre Eigenschaft als erkennende Richter (endgültig) verloren hätten oder nicht; die Frage der Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde nach § 28 Abs. 2 StPO bliebe folglich bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag in der Schwebe. Darüber hinaus würde die gegenteilige Ansicht zu einer Verkürzung des Rechtsschutzes des Angeklagten führen. Würde der Angeklagte darauf verwiesen, er könne die Anfechtung des das Ablehnungsgesuch zurückweisenden Beschlusses nur mit der Revision vornehmen, könnte dies dazu führen, dass eine Anfechtung insoweit unmöglich würde, dann nämlich, wenn schon der Antrag auf Wiedereinsetzung Erfolg hätte. Dann werde die Revision gegenstandslos. Der abgelehnte Richter hätte dann aber weiterhin im Beschlussverfahren mitgewirkt, obwohl noch nicht rechtskräftig über das Befangenheitsgesuch entschieden sei.
Der Senat schließt sich der Auffassung des OLG Düsseldorf an. Insbesondere ist dem OLG Düsseldorf darin zuzustimmen, dass der Rechtsschutz des Angeklagten durch die dort vertretene Rechtsauffassung nicht verkürzt wird. Ersucht der Angeklagte um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und wird diese gewährt, so stellt sich die Situation nicht anders dar als vor oder in der ersten Berufungshauptverhandlung. Der Angeklagte ist darauf verwiesen, die Entscheidung über die Ablehnung des Richters mit der Revision gegen das auf die Berufung erkennende Urteil anzufechten. Wird die Wiedereinsetzung hingegen nach der erfolglosen Ablehnung eines Richters durch diesen versagt, steht es dem Angeklagten frei, hiergegen gemäß § 46 Abs. 3 StPO sofortige Beschwerde einzulegen; das Beschwerdegericht entscheidet dann erneut in der Sache, so dass sich eine eventuelle Befangenheit des abgelehnten Richters im Ergebnis ebenfalls nicht mehr auswirken kann.
Für die Auffassung, die Mitglieder der Strafkammer blieben auch nach einem Verwerfungsurteil gemäß § 329 StPO erkennende Richter i.S.d. § 28 Abs. 2 S. 2 StPO, spricht auch, dass diese noch über das Wiedereinsetzungsgesuch zu entscheiden haben. Zwar handelt es sich bei dieser Entscheidung um eine im schriftlichen Verfahren ergehende, die nicht aufgrund einer Hauptverhandlung getroffen wird. Dies steht der Anwendung des § 28 Abs. 2 S. 2 StPO indes nicht entgegen, da, wie bereits ausgeführt, die Vorschrift auch im Verfahren nach dem Strafvollzugsgesetz Anwendung findet, obgleich dort nur Entscheidungen im schriftlichen Verfahren gefasst werden.
Nach alledem bleibt der Vorsitzende der kleinen Strafkammer II des Landgerichts Detmold erkennender Richter, so dass die sofortige Beschwerde des Angeklagten gemäß § 28 Abs. 2 S. 2 StPO mit der Kostenfolge aus § 473 StPO als unzulässig zu verwerfen war.
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