Aktenzeichen: 1 VA s 77/04 OLG Hamm
Leitsatz: 1. Die Entziehung einer Vertraulichkeitszusage
ist im Verfahren nach den §§ 23 ff. EGGVG zu überprüfen.
2. Für den Widerruf einer Vertraulichkeitszusicherung reicht es
jedenfalls aus, wenn der Informant der Tatbeteiligung dringend verdächtig
ist.
Senat: 1
Gegenstand:
Justizverwaltungssache
Stichworte:
Vertraulichkeitszusage; Entziehung; Überprüfung; Rechtsweg;
Vorausssetzungen
Normen: EGGVG 23
Beschluss: Justizverwaltungssache
betreffend R.J.
wegen Rechtmäßigkeit von Maßnahmen der
Justizbehörden, (hier: Wiederherstellung der Vertraulichkeitszusage).
Auf den Antrag des Betroffenen vom 6. Dezember 2004 auf gerichtliche Entscheidung nach den §§ 23 ff. EGGVG gegen den Bescheid der Staatsanwaltschaft Köln vom 4. November 2004 in der Form des Beschwerdebescheides des Generalstaatsanwalts in Hamm vom 10. Februar 2005 sowie auf den Antrag des Betroffenen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und auf Gewährung von Prozesskostenhilfe hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 05. 04. 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung des Generalstaatsanwalts in Hamm beschlossen:
Die Anträge des Betroffenen werden als unbegründet verworfen.
Der Betroffene trägt die Kosten des Verfahrens nach einem Gegenstandswert von 2.500,- .
Gründe:
I.
Seit Frühjahr 2003 ermittelte die
Kriminalpolizei Köln (SOKO EG Mario) gegen verschiedene Tätergruppen,
die jeweils nach gleichem Muster in Wohnvierteln mit älteren Bewohnern
unter Verwendung eigens dazu angemieteter Fahrzeuge Tatopfer ausspähten
und sich unter dem Vorwand, als Mitarbeiter des Wasserwerks Wasserproben zu
nehmen und Ähnliches, Zutritt zu Wohnungen alter Menschen verschafften, um
deren Wertsachen zu stehlen.
Mit seiner durch entsprechende Vorabmitteilungen glaubhaft gemachten Behauptung, er könne sachdienliche Angaben zu den Wasserwerker-Fällen und zum Absatz der Beute machen, diente sich der Antragsteller der Sonderkommission als Informant an. Auf Anregung der Kriminalpolizei in Köln, nach deren Auffassung der Antragsteller mit Repressalien seitens der Täter, die zu Sinti- und Romafamilien mit strengem Ehrenkodex gegenüber Verrätern gehörten, zu rechnen hatte, andererseits aber die Aufklärung der Straftaten sonst nicht möglich sei, und dem Antragsteller wegen der Massierung gleichartiger Straftaten und dem deshalb für die Allgemeinheit zu erwartenden Schaden am 21. April 2003 Vertraulichkeit zugesichert.
Am 15. April 2004 erklärte der Antragsteller nochmals ausdrücklich seine Bereitschaft, gegen Zusicherung der Geheimhaltung seiner Identität der Polizei Informationen zur Verhütung und Verfolgung von Straftaten zu geben. Er wurde darüber belehrt, dass die Zusicherung nicht mehr bindend sei, wenn sich herausstellt, dass er an der Straftat, bei deren Aufklärung er mitwirkt, beteiligt sei.
Mitte 2004 war die Auswertung der Spuren abgeschlossen. Die Ermittlungen ergaben, dass das am 15. Dezember 2003 unweit vom Tatort verschlossen aufgefundene Fluchtfahrzeug von einem der Beschuldigten an dessen Wohnort angemietet worden war. Darin wurden an einer Getränkeflasche Fingerspuren und an einem Taschentuch DNA-Spuren des Antragstellers aufgefunden.
Am 2. November 2004 regte die Kriminalpolizei unter näherer
Darlegung des Tatverdachts beim zuständigen Dezernenten der
Staatsanwaltschaft an, die Vertraulichkeitszusage aufzuheben. Der polizeilichen
Anregung wurde wegen Tatbeteiligung des Informanten am 4. November 2004
entsprochen und die Anordnung am
22. November 2004 nochmals bestätigt.
Unter dem 18. November 2004 wurde u.a. gegen den Antragsteller Anklage erhoben. Mit Beschluss vom 1. Februar 2005 hat das Landgericht Köln Haftbefehl gegen den Antragsteller erlassen.
Mit Schreiben vom 10. November 2004 beantragte der Anwalt des Antragstellers, die Vertraulichkeitszusage zu erneuern. Zur Begründung teilte er mit, er fürchte um Leib und Leben seines Mandanten, wenn bekannt werde, dass er andere Sippenangehörige belastet habe. Unter dem 22. November 2004 wurde dieser Antrag zurückgewiesen. Zur Begründung wurde im Wesentlichen darauf abgestellt, dass trotz einer Gefährdung des Informanten die Bindung an die Vertraulichkeitszusage entfalle, wenn sich - wie hier - eine strafbare Beteiligung des Empfängers der Zusicherung an den Taten, zu denen Angaben gemacht würden, herausstelle.
Hiergegen richtet sich der Antrag vom 6. Dezember 2004, mit dem unter näherer Darlegung gefordert wird, die Vertraulichkeit wiederherzustellen und die über die Aufhebung entstandenen Unterlagen aus den Strafakten zu entfernen. Zur Begründung wird geltend gemacht, für den Widerruf müsse die Tatbeteiligung des Informanten feststehen. Dies sei hier nicht der Fall. Da nicht festgestellt sei, wann die sichergestellten Spuren an dem erst mehrere Tage nach der Tat sichergestellten Fahrzeug entstanden seien, könne daraus nicht auf eine unmittelbare Tatbeteiligung des Antragstellers geschlossen werden.
Zwischenzeitlich ist auch das gemäß § 24 Abs. 2 EGGVG erforderliche Vorschaltverfahren durch Bescheid des Generalstaatsanwalts in Köln vom 10. Februar 2005 abgeschlossen.
II.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist
zulässig, insbesondere ist der Rechtsweg nach §§ 23 ff. EGGVG
gegeben.
Anders als für die Überprüfung der Sperrerklärung, für diese Streitigkeiten ist der Verwaltungsrechtsweg gegeben (BGH NJW 1998, 3577), ist die Entziehung der Vertraulichkeitszusage im Verfahren nach den §§ 23 ff. EGGVG zu überprüfen. Der besonderen Rechtswegregelung des § 23 Abs. 1 EGGVG liegt die Annahme zugrunde, dass den ordentlichen Gerichten die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsmaßnahmen auf den Gebieten des bürgerlichen Rechts, des Zivilprozesses, der Freiwilligen Gerichtsbarkeit und der Strafrechtspflege von der Sache her näher stehen als den Gerichten der Allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit. Die für bestimmte Sachgebiete geltende Generalklausel des § 23 Abs. 1 EGGVG soll deshalb die gerichtliche Kontrolle gewisser Maßnahmen aus der Zuständigkeit der Allgemeinen Verwaltungsgerichte herausnehmen und bewirken, dass über die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahmen die Gerichte der sachnäheren Gerichtsbarkeit entscheiden. Aus diesem Gesetzeszweck und der Entstehungsgeschichte der Vorschrift folgt zugleich, dass § 23 EGGVG die Nachprüfung von Verwaltungsakten und sonstigen Maßnahmen den ordentlichen Gerichten dann zuweist, wenn die in Rede stehenden Amtshandlungen der zuständigen Behörde gerade als spezifisch justizmäßige Aufgabe auf einem der in § 23 Abs. 1 EGGVG genannten Rechtsgebiete anzusehen ist (BGHZ 105, 395; BVerwG NJW 1984, 2233). Dementsprechend ist es folgerichtig, dass über Streitigkeiten für eine nach Maßgabe des § 96 StPO erlassene Sperrerklärung die Verwaltungsgerichte zuständig sind, denn der Zweck einer Sperrerklärung ist funktional primär an der Gefahrenabwehr ausgerichtet und dient nicht der Verfolgung strafbarer Handlungen als Teil der Strafrechtspflege. Sie bezweckt einen Zeugenschutz, weitere Verwendung von Vertrauensleuten und verdeckten Ermittlern und beinhaltet eine allgemeine Strategie der Kriminalitätsbekämpfung (BGH a.a.O.). Zwar dient auch die Zusicherung der Vertraulichkeit dem Schutz von Rechtsgütern des Zeugen vor Gefahren, die von der Offenlegung seiner Identität ausgehen, sowie dessen Erhalt als Aufklärungsmittel für künftige Verfahren (BGH a.a.O.). Von maßgeblicher Bedeutung ist hier aber, dass mit der Zusage der Vertraulichkeit erreicht werden soll, dass ein Zeuge in einem Ermittlungsverfahren Angaben macht, die der Überführung von Straftätern dienen. Die Vertraulichkeitszusage dient somit in erster Linie der Verfolgung strafbarer Handlungen als Teil der Strafrechtspflege. Darüber hinaus erfolgte die Vertraulichkeitszusage durch die Kriminalpolizei als Gehilfe der Staatsanwaltschaft in Übereinstimmung mit der Staatsanwaltschaft. Diese Organe der Rechtspflege sind für Maßnahmen aus präventivpolizeilichen Gründen nicht zuständig, so dass sich auch daraus ergibt, dass es sich um eine Regelung auf dem Gebiet des Strafrechts handelt.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist indes unbegründet.
Die Staatsanwaltschaft hat dem Antragsteller zu Recht die Zusage der Vertraulichkeit entzogen, da er laut Haftbefehl des Landgerichts Köln dringend verdächtig ist, an der Tat, zu der er Angaben gemacht hat, beteiligt gewesen zu sein.
Die Zusage der Vertraulichkeit richtet sich nach der gemeinsamen Richtlinie der Justizminister/-senatoren und der Innenminister/-senatoren der Länder über die Inanspruchnahme von Informanten sowie über den Einsatz von Vertrauenspersonen (V-Personen) und verdeckten Ermittlern im Rahmen der Strafverfolgung. Nach Ziffer 4 c entfällt die Bindung an die Zusicherung der Vertraulichkeit, wenn sich eine strafbare Tatbeteiligung des Empfängers der Zusicherung herausstellt. Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt. Das Landgericht Köln hält den Antragsteller für dringend verdächtig, an dem Raub zum Nachteil der Geschädigten G. beteiligt gewesen zu sein. Für den Widerruf der Zusicherung reicht es aber jedenfalls aus, wenn der Informant der Tatbeteiligung dringend verdächtig ist. Entgegen der Ansicht des Prozessbevollmächtigten ist nicht erforderlich, dass die Tatbeteiligung feststeht. Das folgt bereits daraus, dass selbst für den viel einschneidenderen Eingriff in die Freiheit des Betroffenen durch Erlass eines Haftbefehls der dringende Tatverdacht ausreichend ist. Im Übrigen könnte eine Verurteilung der Person, der Vertraulichkeit zugesichert worden ist, gerade daran scheitern, dass vertrauliche Angaben dieser Person nicht in den Strafprozess eingeführt werden dürften. Dies würde den Zwecken der Strafprozessordnung zuwider laufen. Demgemäß ist die Entziehung der Vertraulichkeitszusage nicht zu beanstanden.
Da der Antrag auf gerichtliche Entscheidung unbegründet ist, konnte auch der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, die im Verfahren nach den §§ 23 ff. EGGVG grundsätzlich ohnehin nicht vorgesehen ist, keinen Erfolg haben.
Aus den gleichen Gründen war der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung eines Verteidigers als unbegründet zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 30 EGGVG, 30, 130
KostO.
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