Aktenzeichen: 2 Ss 132/05 OLG Hamm
Leitsatz: 1. Kann ein Urteil statt mit dem Rechtsmittel
der Berufung auch mit dem der Revision angefochten werden kann
(Sprungrevision), kann der Beschwerdeführer, der in der Einlegungsfrist
Berufung eingelegt hat, innerhalb der Revisionsbegründungsfrist des §
345 Abs. 1 StPO erklären, dass er von der ursprünglich gewählten
Berufung zur Revision übergeht.
2. Zum erforderlichen Umfang der
tatsächlichen Feststellungen hinsichtlich einer gefährlichen
Körperverletzung, wenn diese mittels eines Stocks und eines Tritts
begangen worden sein soll.
Senat: 2
Gegenstand: Revision
Stichworte:
Normen:
Beschluss: Strafsache
gegen B.B.
wegen gefährlicher Körperverletzung
Auf die
(Sprung-) Revision des Angeklagten gegen das Urteil des
Amtsgerichts
Herne-Wanne vom 21. September 2004 hat der 2. Strafsenat des
Oberlandesgerichts Hamm am 08. 06. 2005 durch den Vorsitzenden Richter am
Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am
Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft
gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Der Beschluss des Amtsgerichts Herne-Wanne vom 12. Januar 2005
wird aufgehoben.
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden
Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und
Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung
des Amtsgerichts Recklinghausen zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Herne-Wanne hat gegen den Angeklagten durch Urteil vom 21.
September 2004 wegen gefährlicher Körperverletzung eine
Freiheitsstrafe in Höhe von sechs Monaten verhängt, deren
Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist.
Die Tatrichterin hat folgende Feststellungen zum Tatgeschehen getroffen:
II.
Am 25. Januar 2004 begab sich der 9-jährige
Geschädigte L.S. mit seinem Freund J.K. zu dem Wohnhaus R-Weg in H., wo
der Angeklagte mit seiner Familie wohnt. Die Zeugen S. und K. wollten an diesem
Tag bei der Familie B. Klingelmännchen machen. Grund
hierfür war, dass der Zeuge J.K. sich über den Sohn des Angeklagten,
den DB., der die Parallelklasse der Zeugen S. und K. auf der Grundschule
besucht, geärgert hatte; er wollte sich durch diesen Streich rächen.
Die Kinder L.S. und J.K. klingelten an diesem Tag zweimal an der Klingel
der Familie B.. Beim zweiten Klingeln erschien die Mutter des D.B. und verbot
den Jungen, weiter Klingelmännchen zu machen. Gegen 17.45 Uhr
entschlossen sich die Zeugen L.S. und J.K. dennoch, noch einmal bei der Familie
B. zu klingeln. An weiteren Schellen des Hauses klingelten die Kinder nicht.
Als sie das dritte Mal bei der Familie B. geklingelt hatten, kam fast
zeitgleich der Angeklagte, der offenbar in Erwartung des weiteren
Klingelmännchens hinter der Hauseingangstür gewartet
hatte, an der Haustür heraus und versuchte, die Zeugen S. und K.
festzuhalten. Der Zeuge J.K. konnte vor dem Angeklagten noch weglaufen. Dem
Zeugen L.S. gelang dies jedoch nicht. Der Angeklagte hielt den L.S. fest und
schlug ihm in der Absicht, ihn für sein Verhalten zu maßregeln, mit
der flachen Hand derart in das Gesicht, dass der Zeuge S. eine rote Wange
davontrug. Der Zeuge S., der versuchte, sich von dem Angeklagten
loszureißen, fiel dabei hin. Als er am Boden lag, nahm ihm der Angeklagte
einen etwa 60 cm langen und 3 cm dicken Stock ab, den das Kind L.S. in der Hand
hielt. Mit diesem Stock schlug der Angeklagte den am Boden liegenden L.S.
derart fest auf den Rücken, dass der Zeuge S., obwohl dieser eine dicke
Winterjacke trug, eine Strieme auf seinem Rücken davontrug.
Zusätzlich trat der Angeklagte das am Boden liegende Kind kräftig mit
seinem Fuß in die linke Rückenseite. Durch den Tritt und den Schlag
mit dem Stock verursachte der Angeklagte dem Kind Schmerzen, wie dies von ihm
auch beabsichtigt war. An Verletzungen trug das Kind L.S. Prellungen im Gesicht
und im linken Thoraxbereich davon. Der Angeklagte nahm billigend in Kauf, dass
er dem Kind durch den Fußtritt, den Schlag in das Gesicht und das
Zuschlagen mit dem Stock Verletzungen zufügte.
Gegen dieses, auf Anordnung der Vorsitzenden dem Angeklagten am 23. Oktober 2004 und dem Verteidiger am 27. Oktober 2004 zugestellte Urteil, hatte der Angeklagte zunächst mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 21. September 2004 Berufung eingelegt. Nach Zustellung des schriftlichen Urteils am 25. Oktober 2004 teilte er mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 22. November 2004, der beim Amtsgericht Herne-Wanne am 29. November 2004 einging, mit, dass die eingelegte Berufung als Sprungrevision im Sinne von § 335 StPO durchgeführt werden soll. Zugleich hat er einen Revisionsantrag gestellt und diesen mit näheren Ausführungen mit der Verletzung materiellen Rechts begründet.
Das Amtsgericht Herne-Wanne hat die Revision des Angeklagten mit Beschluss vom 12. Januar 2005 gemäß § 346 Abs. 1 StPO als unzulässig verworfen. Gegen diesen dem Angeklagten am 21. Januar 2005 und dem Verteidiger am 24. Januar 2005 zugestellten Beschluss hat der Angeklagte mit am 24. Januar 2005 beim Amtsgericht Herne-Wanne eingegangenem Schriftsatz vom selben Tage die Entscheidung des Revisionsgerichts beantragt.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, den Beschluss des Amtsgerichts Herne-Wanne vom 12. Januar 2005 aufzuheben und die Revision zu verwerfen.
II.
Die Revision ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
1. Sie ist insbesondere innerhalb der Monatsfrist des § 345 Abs. 1 StPO begründet worden, so dass der Beschluss des Amtsgerichts Herne-Wanne vom 12. Januar 2005, durch den die Revision des Angeklagten als unzulässig verworfen worden ist, aufzuheben war. Da die Vorsitzende ausdrücklich die Zustellung des Urteils sowohl an den Angeklagten als auch an den Verteidiger angeordnet hat, begann die Revisionsbegründungsfrist erst mit der zuletzt bewirkten Zustellung, mithin hier am 27. Oktober 2004, zu laufen. Die Frist zur Begründung der Revision endete somit gemäß §§ 345 Abs. 1, 43 Abs. 2 StPO mit Ablauf des 29. November 2004. Mit der an diesem Tage bei dem Amtsgericht Herne-Wanne eingegangenen Revisionsbegründung vom selben Tage wurde die Frist dementsprechend gewahrt.
2.
Auch im Übrigen ist die Revision in zulässiger
Weise erhoben worden, insbesondere ist das Rechtsmittel des Angeklagten auch
als (Sprung-) Revision zulässig.
Unschädlich ist, dass der Angeklagte sein Rechtsmittel
zunächst mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 21. September 2004
ausdrücklich als Berufung bezeichnet und innerhalb der
Rechtsmittelbegründungsfrist mitgeteilt hat, das Rechtsmittel als Revision
zu führen.
Es ist gefestigte Rechtsprechung, dass dann, wenn ein
Urteil statt mit dem Rechtsmittel der Berufung mit dem der Revision angefochten
werden kann (Sprungrevision), der Beschwerdeführer, der in der
Einlegungsfrist Berufung eingelegt hat, innerhalb der
Revisionsbegründungsfrist des § 345 Abs. 1 StPO erklären darf,
dass er von der ursprünglich gewählten Berufung zur Revision
übergeht (BGHSt 5, 338 = NJW 1954, 687). Diese Rechtsprechung hat der
Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 03. Dezember 2003 in 5 StR 249/03,
abgedr. in NJW 2004, 789 f., ergangen auf einen Vorlagebeschluss des
Oberlandesgerichts Dresden, nochmals bekräftigt und darauf abgestellt,
dass bei dem auf eine Vereinfachung des Verfahrens gerichteten Zweck der
Sprungrevision den Interessen des Beschwerdeführers an der Sicherung und
Effektuierung seines Rechtsmittelwahlrechts größeres Gewicht
beizumessen sei als den Geboten der Klarheit von Prozesserklärungen und
der Bestimmtheit des weiteres Prozessverlaufs. Hinzu kämen Gründe
prozessualer Fairness, die es verbieten würden, einen
Beschwerdeführer an einer Erklärung festzuhalten, die er ohne
Kenntnis der schriftlichen Urteilsgründe, mithin voreilig, abgegeben habe.
Der Bundesgerichtshof stellte bei seiner Entscheidung maßgeblich
darauf ab, dass eine nunmehr fünfzig Jahre ohne nennenswerte Einwände
bestehende Rechtspraxis zu einer gewissen Rechtssicherheit bei der Anwendung
des § 335 StPO geführt habe. Dies gelte insbesondere im Hinblick
darauf, dass grundsätzlich auch ein Wechsel von der zunächst
erklärten Revision zur Berufung in Rechtsprechung und Schrifttum ebenfalls
bis zum Ablauf der Revisionsbegründungsfrist für zulässig
erachte werde. In das nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
einheitlich ausgestaltete Wahlrechtsmittel des § 335 StPO einzugreifen,
wäre wegen eines damit verbundenen Verlusts an Rechtssicherheit nur bei
erkennbar gewichtigen Vorteilen für die Effizienz des
Rechtsmittelverfahrens angezeigt. Solche Vorteile lasse der Vorlagebeschluss
des Oberlandesgericht Dresden ungeachtet einzelner durchaus beachtenswerter
Erwägungen nicht erkennen (BGH, a.a.O.).
3.
Auch in der Sache hat die Revision Erfolg.
Das Urteil war insgesamt aufzuheben. Die getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch nicht.
Die Auffassung des Amtsgerichts, die Körperverletzung sei mittels eines anderen gefährlichen Werkzeugs begangen, begegnet rechtlichen Bedenken.
Ein gefährliches Werkzeug im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr.
2 StGB ist ein Gegenstand, der nach seiner objektiven Beschaffenheit und nach
der Art seiner Benutzung im Einzelfall geeignet ist, erhebliche
Körperverletzungen herbeizuführen (ständige obergerichtliche
Rechtsprechung, vgl. BGH, StV 2002, 482).
Die Gefährlichkeit ist ein
Merkmal der Verwendung, d.h., ob ein Werkzeug gefährlich ist,
wird nach Maßgabe der Erheblichkeit der Verletzung beurteilt, die der
Täter durch den Einsatz tatsächlich verursacht hat oder nach seinem
Vorsatz verursachen wollte.
Das Schlagen mit einem 3 cm dicken und 60 cm
langen Stock kann zwar durchaus geeignet sein, erhebliche Verletzungen
herbeizuführen. Dass diese Voraussetzungen aber auch erfüllt sind,
wenn auf den Rücken des eine dicke Winterjacke tragenden Geschädigten
geschlagen wird, ist vorliegend nicht dargetan. Dazu reicht die knappe
Feststellung einer Strieme nicht aus.
Gleiches gilt für den festgestellten Tritt mit dem
Fuß. Zwar kann ein schwerer, fester Schuh durchaus ein
anderes gefährliches Werkzeug im Sinne des § 224 Abs. 1
Nr. 2 StGB sein. In dem angefochtenen Urteil ist aber lediglich von einem
Tritt mit dem Fuß, nicht mit einem beschuhten Fuß die Rede. Es kann
nur vermutet werden, dass der Angeklagte auch einen Schuh getragen hat,
jedenfalls lässt sich dies der Beweiswürdigung entnehmen. Völlig
offen ist jedoch, ob es sich um einen normalen Straßenschuh
oder um einen leichten Schuh gehandelt hat. Diese Frage kann aber, da der
leichte Schuh in der Regel den Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 2 Altern. 2
StGB nicht erfüllt, nicht offen bleiben. Das Amtsgericht wird genauere
Feststellungen zur Beschaffenheit des Schuhs und zur Art und zum Umfang der mit
dem Schuh verursachten Verletzung treffen müssen.
Das angefochtene Urteil konnte nach alledem keinen Bestand haben,
so dass es mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache
zur erneuten Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten des
Rechtsmittels - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Herne-Wanne
zurückzuverweisen war (§ 354 Abs. 2 StPO).
Es ist nicht
auszuschließen, dass doch noch Feststellungen getroffen werden
können, die einen Schuldspruch wegen gefährlicher
Körperverletzung rechtfertigen.
III.
1. Für die erneute Hauptverhandlung weist der Senat
auf Folgendes hin:
Sollte der Qualifikationstatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 2
StGB bejaht werden können, so ist bei der Frage, ob ein minder schwerer
Fall angenommen werden kann, nach ständiger Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs maßgebend, ob das gesamte Tatbild einschließlich
aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom
Durchschnitt der gewöhnlich vorkommenden Fälle so sehr abweicht, dass
die Anwendung des Ausnahmestrafrahmen geboten erscheint. Hierzu ist eine
Gesamtbetrachtung erforderlich, bei der alle Umstände heranzuziehen und zu
würdigen sind, die für die Wertung der Tat und des Täters in
Betracht kommen, gleichgültig ob sie der Tat selbst innewohnen, sie
begleiten, ihr vorausgehen oder ihr nachfolgen (vgl. BGH, NStZ 2000, 254).
Eine solche vorzunehmende Gesamtbetrachtung lässt das angefochtene
Urteil vermissen; es ist lediglich darauf abgestellt worden, dass der
Angeklagte sich aus nichtigem Anlass zu der Straftat hat hinreißen
lassen.
2.
Ferner sind auch die konkreten
Strafzumessungserwägungen des angefochtenen Urteils nicht frei von
Rechtsfehlern. Soweit das Amtsgericht nämlich straferschwerend gewertet
hat, dass der Angeklagte ein Kind, das ihm körperlich unterlegen
war, ohne jeden rechtfertigenden Grund geschlagen hat,
verstößt dies gegen das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3
StGB. Das Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB gilt nicht nur
für Tatbestandsmerkmale, sondern auch für sonstige unrechts- und
schuldbegründende Merkmale. Der Tatrichter darf bei der Strafzumessung
nicht zu Ungunsten des Angeklagten berücksichtigen, dass die Tat nicht
durch Notwehr geboten war (vgl. BGH, StV 1997, 519).
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