Aktenzeichen: 2 Ws 113 u. 114/05 OLG Hamm
Leitsatz: 1. Zur Frage der Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Strafvollstreckungsverfahren
2. Für die bedingte Entlassung ist nicht eine Gewissheit künftiger Straffreiheit zu verlangen, es muss jedoch eine reale Aussicht auf ein positives Ergebnis des Erprobungsversuches bestehen.
Senat: 2
Gegenstand: Beschwerde
Stichworte: Pflichtverteidiger, Strafvollstreckungsverfahren, Beiordnung; Beiordnungsgründe, bedingte Entlassung; günstige Prognose
Normen: StPO 140; StGB 57
Beschluss: Strafsache
gegen B.A.
wegen Raubes hier: Ablehnung der Beiordnung eines Pflichtverteidigers sowie Ablehnung der bedingten Entlassung aus der Strafhaft).
Auf die Beschwerde des Verurteilten vom 25. April 2005 gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bochum vom 01. März 2005 und auf seine sofortige Beschwerde vom 22. März 2005 gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 10. März 2005 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 02. 06. 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:
Die Beschwerde und die sofortige Beschwerde des Verurteilten werden auf seine Kosten als unbegründet verworfen.
G r ü n d e :
I.
Der Verurteilte ist durch Urteil des Landgerichts Dortmund vom 02. Dezember 2003 wegen Raubes in Tateinheit mit Körperverletzung sowie wegen versuchten Raubes in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Diese Strafe verbüßt der Verurteilte zurzeit in der Justizvollzugsanstalt Bochum-Langendreer, Zweiganstalt Recklinghausen. Zwei Drittel der Strafe waren am 08. März 2005 verbüßt, das Ende der Strafzeit ist auf den 08. Januar 2006 notiert.
Mit seiner am 25. April 2005 bei dem Landgericht Bochum eingegangenen Beschwerde vom selben Tag wendet sich der Verurteilte gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bochum vom 01. März 2005, mit dem sein Antrag, ihm Rechtsanwalt P. aus Münster als Pflichtverteidiger beizuordnen, abgelehnt worden ist.
Die Strafvollstreckungskammer hat sodann nach mündlicher Anhörung des Verurteilten, bei der Rechtsanwalt P. trotz rechtzeitiger Terminsladung nicht anwesend war, mit Beschluss vom 10. März 2005 die bedingte Entlassung des Verurteilten aus der Strafhaft abgelehnt. Hiergegen richtet sich seine am 24. März 2005 bei dem Landgericht Bochum eingegangene sofortige Beschwerde vom 22. März 2005, die mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 25. April 2004 begründet worden ist.
II.
Die Beschwerde gegen die Ablehnung der Beiordnung eines Pflichtverteidigers, die der Verteidiger des Verurteilten erkennbar namens seines Mandanten erhoben hat, ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
Gemäß § 306 Abs. 2 StPO hätte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bochum zwar vor der Vorlage an den Senat zunächst über die Frage der Abhilfe entscheiden müssen. Das Abhilfeverfahren ist jedoch für die Entscheidung des Beschwerdegerichts keine Verfahrensvoraussetzung. Vielmehr hat das Beschwerdegericht unter Berücksichtigung seiner Pflicht zur schnellen und wirtschaftlichen Erledigung der Beschwerde nach pflichtgemäßem Ermessen darüber zu befinden, ob es selbst entscheiden oder dem Erstgericht Gelegenheit geben will, eine unterbliebene Entscheidung über die Abhilfe nachzuholen (vgl. hierzu den Beschluss des erkennenden Senats vom 17. Oktober 2003 in 2 Ws 252/03 m. w. Nachw.). Bei erkennbarer Unbegründetheit der Beschwerde scheidet eine Zurückverweisung in der Regel aus. So liegt der Fall hier. Die Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer hat zu Recht den Antrag des Verurteilten auf Beiordnung eines Verteidigers im Strafvollstreckungsverfahren als unbegründet abgelehnt.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. Senatsbeschlüsse vom 04. Februar 2002 in 2 Ws 12/02 m.w.N., vom 21. Oktober 2003 in 2 Ws 245-248/03 m.w.N.; vom 12. Mai 2004 in 2 Ws 139 u. 140/04; vom 20. Dezember 2004 in 2 Ws 322 u. 324/04 sowie zuletzt vom 05. April 2005 in 2 Ws 305/04 u. 32/05), die - soweit ersichtlich- der übereinstimmenden Auffassung aller Strafsenate des Oberlandesgerichts Hamm entspricht (vgl. u.a. schon OLG Hamm NStZ 1983, 189 sowie OLG Hamm NStZ-RR 1999, 319; NStZ-RR 2000, 113 = StV 2000, 92; StraFo 2000, 32 sowie u. a. auch noch die Beschlüsse in 2 Ws 71/01, 2 Ws 77/01, 2 Ws 85/01, 1 Ws 183/99 und 1 Ws 313 u. 314/00; Kleinknecht/Meyer-Goßner , StPO, 48. Aufl., § 140 Rn. 33, 33a m.w.N.) ist im Vollstreckungsverfahren in entsprechender Anwendung des § 140 Abs. 2 StPO ein Verteidiger zu bestellen, wenn die Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage oder die Unfähigkeit des Verurteilten, seine Rechte sachgemäß wahrzunehmen, dies gebietet. Diese Voraussetzung, die im Lichte der Besonderheiten des Vollstreckungsverfahrens zu sehen sind, sind vorliegend nicht erfüllt. Um eine schwierige Sach- oder Rechtslage handelt es sich nicht. Die Frage, ob die Vollstreckung der Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann, ist vorliegend weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht schwierig. Die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten im Vollzug, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen, die von der Aussetzung auf ihn zu erwarten sind, lassen sich ohne besondere Schwierigkeiten aufklären. Der Verurteilte, der marokkanischer Staatsangehöriger ist, ist auch in der Lage, sich selbst zu verteidigen. Sprachliche Barrieren bestehen nicht. Die Strafkammer hatte in ihrem Urteil vom 02. Dezember 2003 festgestellt, dass der Verurteilte in Marokko erfolgreich sein Abitur absolviert und in Deutschland mehrere Kurse in deutscher Sprache besucht hat, um an einer deutschen Universität Maschinenbau und Mechanik studieren zu können. Die Justizvollzugsanstalt Bochum Langendreer bestätigt diese Angaben in ihrer Stellungnahme vom 30. November 2004.
Dass der Verurteilte sehr wohl seine Interessen wahrnehmen kann, hat offensichtlich auch sein Verteidiger nicht ernsthaft bezweifelt, der weder zur mündlicher Anhörung am 08. März 2005 noch am 10. März 2005 erschienen ist. Nachdem die Vorsitzende der Strafvollstreckungskammer im Anschluss an die Anhörung vom 08. März 2005 telefonisch bei dem Verteidiger des Verurteilten nachgefragt hatte, warum er nicht zum Termin erschienen sei, erklärte Rechtsanwalt P. ausweislich des Aktenvermerks der Vorsitzenden vom selben Tag, er habe seinem Mandanten mitgeteilt, dass er nicht kommen könne, habe aber mit ihm erörtert, was dieser vortragen solle. Es könne neu terminiert werden, der Termin brauche mit ihm nicht abgestimmt zu werden. Falls es zeitlich möglich sei, werde er an dem Termin teilnehmen.
Da die Ablehnung der Pflichtverteidigerbestellung mithin zu Recht erfolgt ist, war die Beschwerde des Verurteilten zu verwerfen.
III.
Die gemäß § 454 Abs. 3 StPO, § 57 StGB statthafte und nach § 311 Abs. 2 StPO fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde gegen die Ablehnung der bedingten Entlassung ist zulässig.
Sie war aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung zu verwerfen.
Gemäß § 57 Abs. 1 StGB kommt eine Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung nach Verbüßung von zwei Dritteln der verhängten Freiheitsstrafe nur dann in Betracht, wenn dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann. Entscheidend für diese Prognose ist demgemäß eine Abwägung zwischen dem Resozialisierungsinteresse des Verurteilten und dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit. Dabei sind namentlich die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten im Vollzug, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind. Unter Zugrundelegung dieser von Gesetzes wegen zu berücksichtigenden Kriterien und des persönlichen Eindrucks in der mündlichen Anhörung hat die Strafvollstreckungskammer zu Recht eine positive Prognoseentscheidung nicht getroffen. Zwar ist eine Gewissheit künftiger Straffreiheit nicht zu verlangen, es muss jedoch eine reale Aussicht auf ein positives Ergebnis des Erprobungsversuches bestehen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 26. Februar 1999 in 2 Ws 14 u. 15/99 = StraFo 1999, 175 und vom 06. April 2001 in 2 Ws 77/01 = StraFo 2001, 394 = StV 2002, 320 und Beschluss des 3. Strafsenats des OLG Hamm vom 13. Januar 2004 in 3 Ws 14/04), zumal dem Rückfallrisiko in geeigneten Fällen durch Auflagen und Weisungen nach §§ 57 Abs. 3, 56 a bis 56 g StGB entgegengewirkt werden kann. Verbüßt der Verurteilte erstmals eine Freiheitsstrafe und gibt seine Führung während des Vollzugs keinen Anlass zu gewichtigen Beanstandungen, so kann im Regelfall davon ausgegangen werden, dass die Strafe ihre spezialpräventive Wirkung entfaltet hat und es zu verantworten ist, den Strafrest zur Bewährung auszusetzen (vgl. BGH, NStZ-RR 2003, 200-202).
Gemessen an diesen Grundsätzen ist die Ablehnung der Reststrafenaussetzung durch den angefochtenen Beschluss nicht zu beanstanden. Zwar ist der Verurteilte Erstverbüßer und sein vollzugliches Verhalten ausweislich der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt einwandfrei. Zutreffend weist die Generalstaatsanwaltschaft aber auf folgende Gesichtspunkte hin:
Die Strafvollstreckungskammer hat die Aussetzung der Vollstreckung der Restfreiheitsstrafe zu Recht abgelehnt. Sie hat unter Berücksichtigung aller wesentlichen Gesichtspunkte nachvollziehbar dargelegt, dass dem Verurteilten eine positive Prognose nicht gestellt werden kann. Dabei hat sie nicht verkannt, dass der Verurteilte Erstverbüßer ist und sich im Strafvollzug beanstandungsfrei geführt hat. Auch der Kontakt des Verurteilten zu seinen Familienangehörigen und die Möglichkeit, bei einem Onkel Unterkunft zu finden, sind nicht unberücksichtigt geblieben. Zu Recht hat die Strafvollstreckungskammer jedoch auf die allerdings nicht allzu gravierende Vorstrafe des Verurteilten hingewiesen sowie darauf, dass die familiäre Einbindung ihn nicht von den Taten hat abhalten können, wegen derer er nunmehr Strafhaft verbüßt.
Darüber hinaus ist zu bedenken, dass seine ausländerrechtliche Situation ebenso ungeklärt ist wie die Frage einer weiteren Ausbildung oder Berufstätigkeit. Das Beschwerdevorbringen, die Familie des Verurteilten sei inzwischen über seine Straftaten informiert, für seine Probleme sensibilisiert und vermöge ihn deshalb besser zu stabilisieren, rechtfertigt eine andere Beurteilung nicht, zumal es sich insoweit um eine reine Behauptung des Verurteilten handelt, die nicht durch überprüfbare Tatsachen gestützt wird.
Ferner fällt das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit im Hinblick auf die der Vollstreckung zugrunde liegenden Taten gemeinschaftliche nächtliche Raubüberfälle auf Passanten deutlich für eine negative Entscheidung ins Gewicht.
Schließlich ist dem persönlichen Eindruck der Strafvollstreckungskammer ein erhebliches Gewicht beizumessen. Das Beschwerdegericht soll daher von der aufgrund der mündlichen Anhörung gewonnenen Legal- und Zukunftsprognose nur abweichen, wenn von der Strafvollstreckungskammer wichtige Gesichtspunkte übersehen worden sind. Dies ist hier jedoch nicht der Fall.
Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat an und bemerkt ergänzend:
Soweit der Beschwerdeführer auf den Beschluss des Senats vom 06. April 2001 in 2 Ws 77/01 hingewiesen hat, ist der dieser Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt mit dem vorliegenden nicht vergleichbar. Der Verurteilte verfügt nicht über den sozialen Hintergrund, der dem Verurteilten in dem vorgenannten Beschluss zur Verfügung stand. Jener war verheiratet und in eine Familie eingebunden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.
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