Aktenzeichen: 3 Ss OWi 141/05 OLG Hamm
Leitsatz: Die tatrichterliche Überzeugung davon,
dass der Betroffene bei Verhängung eines Fahrverbotes mit der
Kündigung des Arbeitsplatzes rechnen muss, darf sich nicht
ausschließlich aus nicht näher belegten Angaben des Betroffenen
ableiten. Die Verwertung einer nicht aktuellen Bescheinigung, die ca.
mindestens neun Monate alt gewesen ist, genügt dieser
Überprüfungspflicht nicht.
Senat: 3
Gegenstand: Rechtsbeschwerde
Stichworte: Fahrverbot; Absehen; Umstände;
Überprüfungspflicht des Gerichts
Normen: BKatV
4; StPO 267
Beschluss: Bußgeldsache
gegen R.H.
wegen Verkehrsordnungswidrigkeit.
Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Bielefeld gegen das Urteil des Amtsgerichts Herford vom 10. Dezember 2004 hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 06. 06. 2005 durch die Richterin am Oberlandesgericht als Einzelrichterin gemäß § 80 a Abs. 1 OWiG n.F. nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Betroffenen bzw. seines Verteidigers beschlossen:
Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch nebst den diesem zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Herford, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Herford hat den
Betroffenen durch Urteil vom 10. Dezember 2004 wegen fahrlässiger
Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb
geschlossener Ortschaften um 28 km/h zu einer Geldbuße von 150,-
verurteilt und von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen.
Nach den Urteilsfeststellungen befuhr der Betroffene am 14.05.2004 um 14.37 Uhr mit dem PKW BMW, amtliches Kennzeichen XXXXXX, die Klosterbauerschafter Straße in Kirchlengern in Fahrtrichtung Dünne. Dort wurde seine Geschwindigkeit mit einem Laser-Geschwindigkeitsmessgerät des Herstellers Riegl Laser Measurement Systems GmbH vom Typ LR90-235/P, Gerätenummer: S 66995, unter Abzug eines Toleranzwertes von 3 km/h mit 78 km/h gemessen.
Zu den persönlichen Verhältnissen hat das Amtsgericht u.a. festgestellt, dass der Betroffene als angestellter Bauleiter in einem Ingenieurbüro in Paderborn tätig ist und seine Tätigkeit erfordere, dass er täglich Baustellen in ganz Deutschland anfahren müsse, teilweise mehrere Baustellen an einem Tag. Wegen der weiteren Feststellungen des Amtsgerichts zur Sache und zur Person, insbesondere auch die einschlägige Vorbelastung des Betroffenen im Verkehrszentralregister vom 31.03.2004 wird wegen der Einzelheiten auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.
Das Amtsgericht hat unter Erhöhung der Regelbuße von 60,- auf 150,- von der gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatVO indizierten Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen, weil hierdurch die wirtschaftliche Existenz des Betroffenen gefährdet würde. Hierzu hat das Amtsgericht Folgendes ausgeführt:
Der Betroffene ist als Bauleiter angestellt. Er hat durch
Vorlage einer Bescheinigung seines Arbeitgebers nachgewiesen, dass ihm im Falle
der Verhängung eines Fahrverbotes die Kündigung droht. Zwar ist diese
Bescheinigung anlässlich der letzten Geschwindigkeitsüberschreitung
erstellt worden - der Betroffene hat aber glaubhaft bekundet, dass sich an dem
Umstand, dass er seinen Arbeitsplatz verlieren würde, nichts geändert
hat.
Wie der Betroffene glaubhaft dargelegt hat, ist er als Bauleiter auf
seinen Führerschein angewiesen. Es ist ihm wegen des engen Terminplans und
des Umstandes, dass er häufig spontan und ungeplant zu Baustellen fahren
muss, nicht möglich, zu den zahlreichen Baustellen etwa mit
öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren oder sich durch einen Dritten
fahren zu lassen.
Des weiteren hat der Betroffene nachvollziehbar bekundet,
dass es ihm nicht möglich sei, Urlaub von mehr als 10 Tagen zu nehmen, da
er in seinem kleinen Unternehmen für einen längeren Zeitraum nicht
entbehrlich sei. Zur Zeit laufe zudem ein großes Projekt, welches seine
Firma zu betreuen habe (Universität Paderborn).
Trotz des ordnungswidrigen Verhaltens des Betroffenen, das im Zusammenhang mit der Vorverurteilung eine Ordnungswidrigkeit von nicht unerheblichem Gewicht darstellt, war es zu rechtfertigen, ausnahmsweise von der Verhängung eines Fahrverbots abzusehen und die hinreichende Abschreckungswirkung durch die drastische Erhöhung der Regelbuße zu erreichen.
Zwar ist zugunsten des Betroffenen auch bei der letzten
Verurteilung von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen worden -
allerdings zeigt sein erneuter Verstoß nach Auffassung des Gerichts
gerade nicht, dass eine Erhöhung der Regelbuße nicht ausreichend
wäre, auf den Betroffenen hinreichend einzuwirken: Wie dieser glaubhaft
bekundet hat, war er der Ansicht, es gelte eine
Geschwindigkeitsbeschränkung von 70 km/h. Er hatte bereits auf dem Hinweg
die Messbeamten gesehen, in deren Kontrolle er auf dem Rückweg geriet.
Das Gericht glaubt dem Betroffenen hier, dass er nicht sehenden
Auges in eine Laserkontrolle gefahren wäre, wenn er nicht angenommen
hätte, dass er sich noch außerorts befinden würde.
Durch
sein Fehlverhalten, dass zwar unvermeidbar war, hat er aber jedenfalls nicht
zum Ausdruck gebracht, dass ihn eine Geldbuße allein nicht hinreichend
abschrecken würde.
Gegen dieses Urteil richtet sich die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Bielefeld, mit der die Verletzung materiellen Rechts gerügt wird und die sich insbesondere gegen das Absehen von der Verhängung des Fahrverbotes richtet.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat sich der Rechtsbeschwerde unter ergänzenden Ausführungen angeschlossen.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und hat in der
Sache zumindest vorläufig Erfolg. Sie führt zu einer Aufhebung des
amtsgerichtlichen Urteils im Rechtsfolgenausspruch.
Zwar unterliegt die Entscheidung, ob trotz Vorliegens eines Regelfalls der konkrete Sachverhalt Ausnahmecharakter hat und demgemäß von der Verhängung eines Fahrverbots abgesehen werden kann, in erster Linie der Beurteilung durch den Tatrichter (vgl. BGH NZV 1992, 286, 288). Dem Tatrichter ist jedoch insoweit kein rechtlich ungebundenes, freies Ermessen eingeräumt, das nur auf Vorliegen von Ermessensfehlern hin vom Rechtsbeschwerdegericht überprüfbar ist, sondern der dem Tatrichter verbleibende Entscheidungsspielraum ist durch gesetzlich niedergelegte oder von der Rechtsprechung herausgearbeitete Zumessungskriterien eingeengt und unterliegt insoweit hinsichtlich der Angemessenheit der verhängten Rechtsfolge in gewissen Grenzen der Kontrolle durch das Rechtsbeschwerdegericht, und zwar insbesondere hinsichtlich der Annahme der Voraussetzungen eines Durchschnittsfalls oder Regelfalls, zu der auch die Frage der Verhängung bzw. des Absehens von der Verhängung des Regelfahrverbots nach der Bußgeldkatalogverordnung zu zählen ist (vgl. Senatsentscheidungen vom 14.02.2005 - 3 Ss OWi 604/04 -; 04.03.2004 - 3 Ss OWi 769/03 -; 04.07.2002 - 3 Ss OWi 339/02 -; 06.06.2000 - 3 Ss OWi 237/00 -; 20.03.1997 - 3 Ss 0Wi 52/97 -; 06.02.1997 - 3 Ss OWi 13/97 -).
Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung hat der Betroffene
berufliche und wirtschaftliche Schwierigkeiten als Folge eines angeordneten
Fahrverbotes regelmäßig hinzunehmen. Derartige Nachteile
rechtfertigen daher kein Absehen von der Verhängung des Regelfahrverbotes,
sondern grundsätzlich nur Härten ganz außergewöhnlicher
Art, wie z.B. ein drohender Verlust des Arbeitsplatzes oder der Verlust einer
sonstigen wirtschaftlichen Existenzgrundlage (vgl. Senatsbeschlüsse vom
14.02.2005 - 3 Ss OWi 604/04 -; 04.03.2004 - 3 Ss OWi 769/03 -; 11.05.2004
- 3 Ss OWi 239/04 -; 26.02.2002 - 3 Ss OWi 1065/01; Hentschel,
Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl., § 25 StVG Rdz. 25 m.w.N.). Dass die
Verhängung eines Fahrverbotes vorliegend mit derart schwerwiegenden Folgen
für den Betroffenen verbunden ist, hat das Amtsgericht nicht festgestellt.
Soweit in den Urteilsgründen ausgeführt wird, der Betroffene habe
im Falle der Verhängung eines Fahrverbotes mit der Kündigung durch
seinen Arbeitgeber zu rechnen, beruht diese Feststellung zum einen auf einer
früheren Bescheinigung der Arbeitgeberin anlässlich der letzten
Geschwindigkeitsüberschreitung des Betroffenen und im Übrigen
lediglich auf den Angaben des Betroffenen, die einer kritischen
Überprüfung offenbar nicht unterzogen worden sind. Die
tatrichterliche Überzeugung darf sich nicht ausschließlich aus nicht
näher belegten Angaben des Betroffenen ableiten; die Verwertung einer
nicht aktuellen Bescheinigung, die nach dem Datum der Voreintragung vom
31.03.2004 ca. mindestens neun Monate alt gewesen ist, genügt dieser
Überprüfungspflicht nicht.
Überdies hätte sich das
Amtsgericht mit der Frage näher befassen müssen, ob dem Betroffenen
nicht andere zumutbare Maßnahmen zur Abwendung erheblicher beruflicher
Nachteile infolge der Verhängung des Fahrverbotes zur Verfügung
stehen. Dass der Betroffene nach eigenen Angaben Urlaub von nicht mehr als
10 Tagen nehmen könne, hat das Amtsgericht ebenfalls keiner
näheren Überprüfung unterzogen. Insbesondere aber die
Möglichkeit einer zumindest teilweisen Überbrückung der Dauer
des Fahrverbots durch die Inanspruchnahme von Urlaub sowie einer teilweise
Benutzung von Mietwagen bzw. öffentlichen Verkehrsmitteln und/oder der
Beschäftigung eines Aushilfsfahrers in der verbleibenden
Vollstreckungszeit des Fahrverbotes als Kombination dieser Maßnahmen
hätten der näheren Erörterung bedurft. Die Möglichkeit,
notfalls auf eigene Kosten einen Aushilfsfahrer zu beschäftigen, wird von
der obergerichtlichen Rechtsprechung auch bei notwendiger Aufnahme einer
Kreditverpflichtung zur Finanzierung der damit verbundenen Kosten für
zumutbar gehalten (vgl. BayObLG NZV 2002, 143; OLG Frankfurt NStZ-RR 2000, 312
f.). Dass die zuletzt genannten Maßnahmen unter Berücksichtigung der
Einkommensverhältnisse des Betroffenen hier ausscheiden, lässt sich
aus dem angefochtenen Urteil nicht entnehmen, das sich mit den wirtschaftlichen
Verhältnissen des Betroffenen nicht näher befasst. Aufgrund seiner
beruflichen Position als Bauleiter spricht jedoch einiges dafür, dass die
wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen - auch unter
Berücksichtigung etwaiger Darlehensverpflichtungen durch Eigentumserwerb -
jedenfalls als durchschnittlich, wenn nicht sogar besser einzustufen sind und
die kurzzeitige Finanzierung eines Aushilfsfahrers ermöglichen.
Zu berücksichtigen ist auch, dass der Betroffene bei Verhängung des Fahrverbotes in den Genuss der sogenannten 4-Monats-Frist des § 25 Abs. 2 a StVG kommen dürfte, wodurch er seinen Urlaub und die Vollstreckung des Fahrverbotes in die bauschwache Jahreszeit verlegen könnte.
Die aufgezeigten Begründungsmängel führen zur
Aufhebung des Urteils im gesamten Rechtsfolgenausspruch, da zwischen
Geldbuße und Fahrverbot eine Wechselwirkung besteht. Eine eigene
Sachentscheidung des Senats gemäß § 79 Abs. 6 OWiG kommt nicht
Betracht, da noch weitere Feststellungen zu den persönlichen und
wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen getroffen werden
können. Die Sache ist daher zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an
das Amtsgericht Herford zurückzuverweisen.
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