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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 3 Ss 204/05 OLG Hamm

Leitsatz: Zur Reichweite des Notwehrrechts

Senat: 3

Gegenstand: Revision

Stichworte: Notwehr; Verteidigung des Hausrechts, Angriff; Einsatz einer Pistole

Normen: StGB 32

Beschluss: Strafsache
gegen S.C.
wegen gefährlicher Körperverletzung

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der IV a. kleinen Strafkammer des Landgerichts Essen vom 07.12.2004 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 08. 06. 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Angeklagten bzw. seines Verteidigers gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Essen zurückverwiesen.

Gründe:
I.
Das Landgericht Essen hat den Angeklagten mit dem angefochtenen Berufungsurteil auf die Berufung des Nebenklägers gegen das freisprechende Urteil des Amtsgerichts Gelsenkirchen-Buer vom 08.03.2004 wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Zum Tatgeschehen hat das Landgericht folgende Feststellungen getroffen:

„Am Abend des 01.07.2003 gegen 21.40 Uhr besuchte der Nebenkläger und Zeuge W. in Begleitung des Zeugen A. den Angeklagten, der ihm
seit langem bekannt war, in dessen Wohnung in der W.Str. 15 in Gelsenkirchen. Dabei konnte der eigentliche Grund für den spontanen, nicht angekündigten Besuch des Nebenklägers ebenso wie der Beginn der sich dann entwickelnden Tätlichkeiten in der Hauptverhandlung vor dem Berufungsgericht nicht näher geklärt werden. Nachdem der Angeklagte, der im Verlauf des Abends bis zum Eintreffen des Nebenklägers schon mehrere Flaschen Bier getrunken hatte, und seine Besucher - der Zeuge A. war dem Angeklagten nicht bekannt - zunächst in den Sesseln und auf dem Sofa Platz genommen und sich unterhalten hatten, kam es bereits nach wenigen Minuten zu einer verbalen Auseinandersetzung zwischen dem Zeugen W. und dem Angeklagten, da beide sich gegenseitig vorhielten, gegenüber dem anderen noch offene Geldforderungen zu haben. Schließlich sprangen beiden von ihren Sitzplätzen auf. Der Angeklagte, der sich durch den Nebenkläger und auch von dem ihm unbekannten Begleiter des Nebenklägers zunehmend belästigt fühlte, forderte beide mit den Wortten „Raus hier“ auf, die Wohnung sofort zu verlassen. Als der kräftig und dem Angeklagten körperlich überlegen erscheinende Zeuge W. nunmehr dem Angeklagten dicht gegenüber trat und ihm einen Schlag mit der Faust auf den Kopf versetzte, gab der Angeklagte einen Schuss mit der Gaspistole, die er in Reichweite liegen und schnell ergriffen hatte, direkt in das Gesicht des Zeugen W. ab, um weitere Schläge abzuwehren. Bei der Waffe handelte es sich um einen mit Gaspatronen geladenen Gasrevolver Luger 90. Der Nebenkläger, der nun nichts mehr sehen konnte, ließ von dem Angeklagten ab und bat diesen, das Badezimmer nutzen zu dürfen, um sich die Augen auszuwaschen. Der Angeklagte stimmte dem Ansinnen zu und begleitete den Nebenkläger sodann in das Bad der Wohnung. Dort begann der Nebenkläger, sich die Augen auszuwaschen. Dem Angeklagten, dem diese Aktion schließlich zu lange dauerte und der den Nebenkläger aus seiner Wohnung heraus haben wollte, zog diesen schließlich am Arm in den Flur der Wohnung. Dies versuchte der Nebenkläger zu verhindern, indem er seinerseits ansetzte, den Angeklagten festzuhalten. Der Angeklagte erkannt, dass von dem Nebenkläger keine akute Bedrohung mehr ausging, sondern dieser sich lediglich gegen das gewaltsame Ergreifen und die vom Angeklagten erstrebte zwangsweise Entfernung aus der Wohnung wehren wollte. Mittlerweile war der Angeklagte jedoch mehr und mehr in Wut geraten. Er drückte nunmehr die Gaspistole noch viermal gezielt auf den Nebenkläger ab, wobei nach zwei Versagern der dritte und vierte Schuss funktionierten. Einer dieser Schüsse traf den Zeugen W. aus allernächster Nähe in den Nacken. Der weitere Schuss traf ihn erneut aus kurzer Distanz ins Gesicht. Schließlich ergriff der Angeklagte einen Schrubber, brach den Holzstiel durch und schlug dem Zeugen W. mehrfach auf den linken Arm, den dieser erhoben hatte, um sich gegen den Angeklagten zu wehren. Sodann ließ der Angeklagte von dem Nebenkläger ab. Dieser verließ zusammen mit dem Zeugen A., der sich bereits nach dem ersten Schuss an der Wohnungstür in Sicherheit gebracht und von der geöffneten Tür aus das Geschehen beobachtet hatte, die Wohnung.“

Gegen das in seiner Anwesenheit verkündete Urteil hat der Angeklagte form- und fristgerecht Revision eingelegt und diese mit der Sachrüge begründet.

II.
Die zulässige Revision des Angeklagten hat auch in der Sache einen zumindest vorläufigen Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mitsamt den zugrunde liegenden Feststellungen sowie zur Zurückverweisung der Sache an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Essen, § 354 Abs. 2 S. 1 StPO. Die Gründe des angefochtenen Urteils lassen nämlich befürchten, dass das Landgericht zum Nachteil des Angeklagten die Reichweite des Notwehrtatbestandes des § 32 StGB verkannt hat.

1. Das Landgericht hat zunächst nicht hinreichend bedacht, dass auch das Hausrecht ein notwehrfähiges Rechtsgut darstellt und mit scharfen Mitteln verteidigt werden darf ( BGH NStZ 2002, 426, 427; NStZ 1995, 177; OLG Düsseldorf, NJW 1997, 3383, 3384; Schönke/Schröder, StGB, 26. Aufl., § 32 Rdnr. 50 unter Hinweis auf BGH StV 1982, 219).
Das Landgericht führt nämlich aus, dass der Angeklagte, als er den Nebenkläger am Arm aus dem Badezimmer, in dem jener sich die Augen ausgewaschen hatte, in den Flur der Wohnung zog, erkannt hatte, dass von dem Nebenkläger keine akute Bedrohung mehr ausging, sondern dieser sich lediglich gegen das gewaltsame Ergreifen und die vom Angeklagten erstrebte zwangsweise Entfernung aus der Wohnung wehren wollte (S. 5 UA).
Hier steht zu befürchten, dass das Landgericht nicht bedacht hat, dass bereits die Weigerung des Nebenklägers, die Wohnung des Angeklagten zu verlassen, einen rechtswidrigen Angriff i.S.v. § 32 Abs. 2 StGB darstellte, nämlich einen rechtswidrigen Angriff auf das durch den Tatbestand der Notwehr i.S.v. § 32 StGB ebenfalls geschützte Hausrecht. Nach den Feststellungen des Landgerichts befand sich der Angeklagte daher zu dem Zeitpunkt, als der Nebenkläger sich körperlich gegen die zwangsweise Entfernung aus der Wohnung wehren wollte, wiederum in einer Notwehrlage und war bereits aufgrund des Angriffs auf sein Hausrecht berechtigt, sich durch einfache körperliche Gewalt, nämlich durch das vom Landgericht festgestellte gewaltsame Ergreifen des Nebenklägers am Arm, dieses Angriffs zu erwehren (vgl. OLG Düsseldorf, a.a.O.), während dem Nebenkläger gegen dieses Ergreifen seinerseits kein Notwehrrecht zustand (ebda.)

2. Dem sich dann anschließenden erneuten körperlichen Angriff des Nebenklägers durch Festhalten des Angeklagten, um das Verbringen aus dessen Wohnung zu verhindern, durfte sich der Angeklagte auch durch die Abgabe von Schüssen aus der Gaswaffe erwehren.
Der Ansicht des Landgerichts, der sich an dieses Festhalten anschließende Einsatz der Gaspistole durch Schüsse in den Nacken und in das Gesicht des Nebenklägers sei nicht mehr durch das Notwehrrecht gedeckt, weil dem Angeklagten als milderes Mittel das Androhen des Einsatzes der Gaspistole zur Verfügung gestanden habe, vermag der Senat nicht zu folgen:
Der Angeklagte hatte zuvor bereits versucht, mit leichtem Zwang unter Einsatz einfacher körperlicher Gewalt den Nebenkläger aus seiner Wohnung herauszuziehen. Dies hatte der Nebenkläger nach den Feststellungen des Landgerichts mit einem erneuten körperlichen Angriff auf den Angeklagten erwidert, indem er diesen festhielt und sich so dem körperlichen Zwang, der von dem Angeklagten ausging, widersetzte. Gleichzeitig hielt sich nach den Feststellungen der Berufungskammer noch der Zeuge A., der Begleiter des Nebenklägers, im Bereich der Wohnung, nämlich in der geöffneten Wohnungstür, auf. Von dort aus konnte er ohne weiteres dem Nebenkläger zu Hilfe eilen mit der Folge, dass sich der Angeklagte dann wieder zwei Angreifern gegenübergesehen hätte.
Bei dieser Sachlage war der Einsatz der Gaspistole ein zulässiges Mittel der Notwehr. Der Angegriffene darf sich nämlich grundsätzlich des Abwehrmittels bedienen, das er zur Hand hat und dessen Einsatz eine sofortige und endgültige Beseitigung der Gefahr erwarten lässt (BGH NStZ 2004, 615, 616). Eine dem Einsatz vorangehende Androhung des Waffeneinsatzes war hier dagegen nicht erforderlich. Denn die Androhung des Einsatzes der Waffe ist nur dann erforderlich, wenn die Waffe lebensgefährlich eingesetzt werden soll (BGH, NStZ 2004, 615, 616; NStZ 2001, 591, 592), was hier nicht der Fall war.
Auch war, was das Landgericht nicht mit in seine Überlegungen einbezogen hat, dem Angeklagten in der konkreten Situation eine Androhung des Einsatzes der Gaspistole nicht mehr möglich, ohne seine Verteidigungsmöglichkeiten zu beeinträchtigen.
Immerhin hatte ihn der Nebenkläger zum Zeitpunkt der erneuten Abgabe der Schüsse bereits ergriffen, so dass es dem Nebenkläger ohne weiteres auch möglich gewesen sein dürfte, die Gaspistole, sollte der Angeklagte ihren Einsatz zunächst nur androhen, zu ergreifen und sie dem Angeklagten zu entwenden mit der Folge, dass dem Angeklagten selbst kein wirksames Verteidigungsmittel mehr zur Verfügung gestanden hätte.
Endlich war eine Androhung des Waffeneinsatzes durch den Angeklagten hier deshalb entbehrlich, weil dem Nebenkläger bereits aufgrund des vorangegangenen Geschehens, bei dem es schon zu einem durch Notwehr gerechtfertigten Schuss aus der Gaspistole auf ihn gekommen war, bewusst war, dass der Angeklagte über eine Gaspistole verfügte und auch bereit war, diese zu seiner Verteidigung einzusetzen. Die Androhung des Waffeneinsatzes hat nämlich den Sinn, den Angreifer vor einem (lebensgefährlichen) Einsatz der Waffe davon Kenntnis zu geben, dass der Verteidigende über eine solche verfügt (BGH, NStZ 2001, 591, 593). Der Angreifer muss in den Stand gesetzt werden, die Bewaffnung des Verteidigers wahrzunehmen und zu erkennen, dass dieser bereit ist, die Waffe gegen ihn einzusetzen, falls er mit seinem Angriff fortfährt (ebda.). Dabei ist nicht stets ein mündlicher Anruf oder Hinweis erforderlich, vielmehr hängt die Art und Weise der Androhung ebenfalls von den jeweiligen Umständen des Falles ab, wobei schon die Drohwirkung genügen kann, die von dem bloßen Vorzeigen der Schusswaffe und einem etwaigen Zielen auf den Angreifer ausgeht (ebda.). Hier hatte der Angeklagte die Waffe bereits einmal in Notwehr gegen den Nebenkläger eingesetzt. Dieser war damit auch ohne die vom Landgericht vermisste Androhung hinreichend vor einem erneuten Einsatz der Waffe durch den Angeklagten bei Wiederholung der Angriffe auf dessen Hausrecht und körperliche Unversehrheit gewarnt.

3. Der Senat hat die Sache an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Essen zurückverwiesen, § 354 Abs. 2 StPO, da es nicht ausgeschlossen erscheint, dass noch ergänzende Feststellungen zu dem Tatgeschehen, das zur erneuten Abgabe der Schüsse auf den Nebenkläger geführt hat, möglich sind. Insbesondere die Feststellung in dem angefochtenen Urteil, der Angeklagte sei mehr und mehr in Wut geraten, bevor er die erneuten Schüsse auf den Nebenkläger abgab, gibt Anlass zu weiterer Aufklärung dahin, ob der Angeklagte bei Abgabe der erneuten Schüsse überhaupt noch mit Verteidigungswillen handelte (vgl. dazu Tröndle/Fischer, StGB, 32. Aufl., § 32 Rdnr. 14), oder ob es ihm allein darauf ankam, den Nebenkläger aus Wut über das vorangegangene Geschehen zu verletzen.


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