Aktenzeichen: 3 Ss 224/05 OLG Hamm
Leitsatz: Zur Ablehnung eines Sachverständigengutachtens zu den Fragen der §3 20, 21 StGB wegen Ungeeignetheit des Beweismittels
Senat: 3
Gegenstand: Revision
Stichworte: Sachverständigengutachten; Beweisantrag; ungeeignetes Beweismittel; Ablehnung
Normen: StPO 244
Beschluss: Strafsache
gegen S.D.
wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte u.a..
Auf die (Sprung-)Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Strafrichters des Amtsgerichts Essen vom 23. Februar 2005 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 30. 06. 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über
die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts
- Strafrichter - Essen zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Durch das angefochtene Urteil des Amtsgerichts Essen vom 23.02.2005 ist der Angeklagte wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte und Beleidigung zu einer Gesamtgeldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 10,- verurteilt worden. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Gründe des angefochtenen Urteils, insbesondere die Feststellungen und die Beweiswürdigung unter II. und III., verwiesen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Sprungrevision des Angeklagten, mit der er die Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils begehrt und die er mit näheren Ausführungen zur Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.
II.
Das Rechtsmittel hat einen zumindest vorläufigen Erfolg. Zu Recht rügt die Revision die Verletzung von § 244 Abs. 3 S. 2 StPO bei der Ablehnung des Antrags der Verteidigung auf Einvernahme eines Sachverständigen zur Schuldfrage. Die insoweit gemäß § 344 Abs. 2 S. 2 StPO zulässig erhobene Verfahrensrüge ist begründet. Die Ablehnung des Beweisantrages des Verteidigers auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweise dafür, dass der Angeklagte sich bei den ihm zur Last gelegten Tathandlungen aufgrund der festgestellten erheblichen Alkoholisierung in einem Zustand befand, bei dem seine Steuerungsfähigkeit ausgeschlossen war, ist in rechtsfehlerhafter Weise durch das Gericht wegen völliger Ungeeignetheit des Beweismittels gemäß § 244 Abs. 3 S. 2 StPO abgelehnt worden. Zwar hat das Amtsgericht zutreffend ausgeführt, dass die festgestellte Blutalkoholkonzentration allein nicht die Annahme rechtfertige, dass die Steuerungsfähigkeit aufgehoben war und es weiterer Anknüpfungstatsachen hierzu bedürfe. Zu Unrecht verweist das Amtsgericht allerdings darauf, dass entsprechende Anknüpfungstatsachen von den vernommenen Zeugen nicht geliefert worden seien; denn entsprechende Anknüpfungstatsachen ergeben sich einerseits sehr wohl aus den mitgeteilten Angaben der vernommenen Zeugen sowie andererseits aus der Einlassung des Angeklagten selbst.
Ein Beweismittel kann nur dann als völlig ungeeignet zurückgewiesen werden, wenn das Gericht ohne jede Rücksicht auf das bisher gewonnene Beweisergebnis sagen kann, dass sich mit einem solchen Beweismittel ein Ergebnis, wie es im Beweisantrag in Aussicht gestellt ist, nach sicherer Lebenserfahrung nicht erzielen lässt (BGH NStZ 1981, 32). Ermöglicht die in einem Sachverständigenbeweisantrag zur Schuldfrage genannte Anknüpfungstatsache - vorliegend die festgestellte erhebliche Alkoholisierung - allein noch keine abschließende Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten, rechtfertigt dies nicht in jedem Fall die Beurteilung des Beweismittels als völlig ungeeignet. Ist nämlich ein qualifizierter Sachverständiger aufgrund der Beweisbehauptung in Verbindung mit den weiteren tatrichterlichen Feststellungen in der Lage, weitere indizielle Anknüpfungstatsachen zu ermitteln und damit Entscheidungsrelevantes zur Beweisbehauptung der Verteidigung auszusagen, dann ist dieses Beweismittel lediglich relativ ungeeignet und dessen Ablehnung nach § 244 Abs. 3 S. 2 StPO folglich unzulässig (vgl. BayObLG NJW 2003, 3000; Herdegen in KK-StPO, 5. Aufl., § 244 Randnummern 77, 79 m.w.N.; BGH NJW 1983, 404). Ein Sachverständiger ist schon dann kein völlig ungeeignetes Beweismittel, wenn er zwar sichere und eindeutige Schlüsse aus dem ihm zur Verfügung stehenden Material nicht ziehen kann, aber die Möglichkeit besteht, dass er argumentativ verwertbare Aussagen zur Beweisbehauptung machen oder (weitere) indizielle Anknüpfungstatsachen ermitteln kann. Vorliegend ergibt sich bereits aus der eigenen Einlassung des Angeklagten, dass er nicht mehr wisse, was bei der Polizei vorgefallen sei und dass er sich nicht mehr daran erinnern könne, weil er so voll gewesen sei, eine weitere Anknüpfungstatsache, nämlich ein sogenannter möglicher Filmriss als Anknüpfungstatsache für die nähere Beurteilung der Schuldunfähigkeit. Auch aus dem Umstand, dass der Angeklagte von dem Zeugen Q. als stark alkoholisiert beschrieben wurde, er verbal neben der Spur gewesen sei und aufgrund sehr wechselhafter Stimmungsschwankungen die Beamten zum Teil mit dem Tode bedroht und im nächsten Moment sich als sehr kumpelhaft gezeigt habe, sind mögliche Anknüpfungstatsachen im vorgenannten Sinne zu erkennen. Möglicherweise kann auch in dem insgesamt dissozialen Verhalten des Angeklagten, der sich als grundlos aggressiv und gewalttätig, beleidigend und in seinen Stimmungen stark schwankend zeigte, ein Umstand gesehen werden, aufgrund dessen es nicht ausgeschlossen erscheint, dass ein Sachverständiger - wenn auch keine sicheren und eindeutigen - so doch verwertbare Aussagen zur Beweisbehauptung machen kann. Diese Umstände hat das Amtsgericht ersichtlich nicht in seine Beurteilung bei Ablehnung des Beweisantrages einbezogen.
Der Senat kann nicht ausschießen, dass das angefochtene Urteil auf dieser nach § 244 Abs. 3 S. 2 StPO rechtsfehlerhaften Ablehnung dieses Beweisantrages der Verteidigung beruht (§ 337 StPO). Das angefochtene Urteil kann schon deshalb insgesamt keinen Bestand haben, § 353, 318 StPO.
Soweit der Revisionsführer in seiner Gegenerklärung auf die Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft vom 06.06.2005 erstmals rügt, dass Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils zum Inhalt der dem Angeklagten angelasteten Beleidigungen nicht aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpft seien, kann zwar ein weiterer Verfahrensfehler vorliegen; insoweit fehlt es jedoch in der Revisionsschrift an der ordnungsgemäßen Erhebung einer entsprechenden Verfahrensrüge,
§ 344 Abs. 2 S. 2 StPO.
Für die neue Hauptverhandlung wird darauf hingewiesen, dass die wörtlichen Äußerungen der Beleidigung entweder durch prozessordnungsgemäße Verlesung der Strafanzeige in das Verfahren einzuführen sind oder aber durch die Vernehmung der Zeugen - ggf. auf Vorhalt hin -, wenn sich diese entsprechend erinnern. In diesem Fall ist die Beweisgrundlage die Aussage des Zeugen. Eine bloße Bezugnahme eines Zeugen auf eine in den Akten befindliche Strafanzeige ist jedoch nicht ausreichend.
Das angefochtene Urteil unterliegt der Aufhebung und ist an eine andere Abteilung des Amtsgerichts - Strafrichter - Essen zurückzuverweisen, die auch über die Kosten der Revision zu befinden haben wird.
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