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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 4 Ss 85/05 OLG Hamm

Leitsatz: Bei der Feststellung betrügerisch erlangter staatlicher Sozialleistungen müssen die richterlichen Entscheidungsgründe in nachvollziehbarer Weise zu erkennen geben, dass und inwieweit auf die sogenannten überzahlten Beträge nach den Grundsätzen des jeweiligen Leistungsgesetzes tatsächlich kein Anspruch bestand.

Senat: 4

Gegenstand: Revision

Stichworte: betrug; BaFöG-Leistungen; Verschweigen von Vermögen; Rückzahlungsanspruch

Normen: StGB 263

Beschluss: Strafsache
gegen P.E.
wegen Betruges

Auf die Revision der Angeklagten gegen das Urteil der 3. kleinen Strafkammer des Landgerichts Paderborn vom 15. Dezember 2004 hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 28. 06. 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Paderborn zurückverwiesen.

Gründe:
I.
Das Amtsgericht Paderborn hat die Angeklagte wegen Betruges in drei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 70,- € verurteilt. Die hiergegen gerichtete Berufung der Angeklagten hat das Landgericht Paderborn verworfen und zugleich das Urteil auf die Berufung der Staatsanwaltschaft im Rechtsfolgenausspruch abgeändert, dass die Angeklagte zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 70,- € verurteilt worden ist.

Zum Tatgeschehen hat die Strafkammer folgende Feststellungen getroffen:

„Die Angeklagte beantragte mit schriftlichem Antrag vom 13.01.1999 beim Studentenwerk Paderborn als Amt für Ausbildungsförderung die Bewilligung einer Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG). Der Antrag ging am 18.01.1999 beim Studentenwerk Paderborn ein. In dem Antrag erklärte die Angeklagte bewusst wahrheitswidrig, keinerlei Vermögen zu haben, obwohl sie tatsächlich über eigenes Bankguthaben in Höhe von mehr als 70.000,00 DM verfügte, das sie von ihrem 1984 verstorbenen Vater geerbt hatte. Im Vertrauen auf die Richtigkeit der Angaben der Angeklagten bewilligte das Studentenwerk Paderborn ihr mit Bescheiden vom 29.06.2000 für den Zeitraum von Januar 1999 bis September 1999 unter Berücksichtigung der von ihr bezogenen und angegebenen Halbwaisenrente eine Ausbildungsförderung von insgesamt 4.578,00 DM, die hälftig als Zuschuss und hälftig als unverzinsliches Darlehen gewährt wurde.

Am 30.07.1999 stellte die Angeklagte beim Studentenwerk Paderborn einen weiteren Antrag auf die Bewilligung einer Ausbildungsförderung, in dem sie wiederum bewusst wahrheitswidrig angab, keinerlei Vermögen zu haben, obwohl sie tatsächlich noch über ein Barvermögen in Höhe von rund 65.000,00 DM verfügte. Im Vertrauen auf die Richtigkeit ihrer Angaben wurde ihr mit Bescheiden vom 28.02.2000 unter Berücksichtigung der von ihr bis zum 27. Lebensjahr bezogenen und angegebenen Halbweisenrente für den Zeitraum von Oktober 1999 bis November 1999 eine monatliche Ausbildungsförderung von 917,00 DM und für den Zeitraum von Dezember 1999 bis September 2000 eine monatliche Ausbildungsförderung in Höhe von 1.004,00 DM bewilligt, und zwar wiederum hälftig als Zuschuss und hälftig als unverzinsliches Darlehen.

Mit schriftlichem Antrag vom 28.08.2000 beantragte die Angeklagte beim Studentenwerk in Paderborn erneut die Bewilligung einer Ausbildungsförderung nach dem Ausbildungsförderungsgesetz, der am 29.08.2000 beim Studentenwerk Paderborn einging. Auch in diesem Antrag gab die Angeklagte bewusst wahrheitswidrig an, kein Vermögen zu haben, obwohl sie tatsächlich noch über Bankguthaben in Höhe von rund 16.000,00 DM verfügte. Im Vertrauen auf die Richtigkeit der Angaben der Angeklagten wurde ihr mit Bescheid vom 28.09.2000 für den Zeitraum von Oktober 2000 bis Januar 2001 eine monatliche Ausbildungsförderung von 1.030,- DM wiederum hälftig als Zuschuss und hälftig als Darlehen gewährt.

Hätte die Angeklagte in ihren Anträgen jeweils pflichtgemäß zutreffende Angaben zu ihren Vermögensverhältnissen gemacht, wäre ihr - was ihr von vornherein klar war - keine Ausbildungsförderung bewilligt worden.

Die für den Zeitraum von Oktober 1999 bis Januar 2001 zu Unrecht erhaltene Ausbildungsförderung in Höhe von insgesamt 10.518,29 € zahlte die Angeklagte nach Erhalt des Rückforderungsbescheids des Studentenwerks Paderborn vom 27.03.2004 zurück. Aufgrund des Rückforderungsbescheids des Studentenwerks Paderborn vom 21.04.2004 zahlte sie später auch die für den Zeitraum vom 01.10.1995 bis zum 31.12.1998 zu Unrecht erhaltene Ausbildungsförderung in Höhe von 16.015,17 € zurück.“

Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision der Angeklagten, mit der sie die Verletzung sachlichen Rechts rügt.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, das Verfahren hinsichtlich der Tat vom 28. August 2000 gemäß § 154 Abs. 2 StPO einzustellen sowie die Revision im Übrigen gemäß § 349 Abs. 2 StPO mit der Maßgabe zu verwerfen, dass die Berufungskammer eine nachträgliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 StPO zu treffen habe.

II. Die zulässige Revision hat in der Sache jedenfalls vorläufig Erfolg.

Der Schuldspruch hält der sachlich-rechtlichen Überprüfung nicht Stand, denn die getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung der Angeklagten wegen Betruges nicht. Bei der Feststellung betrügerisch erlangter staatlicher Sozialleistungen müssen die richterlichen Entscheidungsgründe in nachvollziehbarer Weise zu erkennen geben, dass und inwieweit auf die sogenannten überzahlten Beträge nach den Grundsätzen des jeweiligen Leistungsgesetzes tatsächlich kein Anspruch bestand (so auch OLG Düsseldorf, StV 2001, 354 - Sozialhilfebetrug). Diesen Anforderungen werden die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils nicht gerecht.

Die Kammer hat lediglich festgestellt, dass das Vermögen der Angeklagten zur Zeit der ersten Antragstellung mehr als 70.000,00 DM, bei der zweiten Antragstellung annähernd 65.000,00 DM und zum Zeitpunkt der letzten Antragstellung noch über 16.000,00 DM betrug.
Allein diese Tatsachen sind jedoch nicht geeignet, einen jeweiligen Anspruch der Angeklagten auf Ausbildungsförderung auszuschließen, denn gemäß § 28 Absatz 3 BAföG sind bei der Ermittlung des anzurechnenden Vermögens von diesen Beträgen die im Zeitpunkt der einzelnen Antragstellung bestehenden Schulden und Lasten abzuziehen. Zu diesen abzugsfähigen Schulden zählen auch etwaige Erstattungsansprüche des Studentenwerks Paderborn, die diesem gemäß § 50 Abs. 1 SGB X aufgrund einer den jeweils abgeurteilten Taten vorangegangenen rechtswidrigen Ausbildungsförderung der Angeklagten möglicherweise zustanden.
Dabei ist es unerheblich, ob diese öffentlichrechtlichen Erstattungsansprüche zum jeweiligen Tatzeitpunkt bereits rechtlich entstanden waren oder ob es dazu gemäß § 50 Abs. 1 SGB X noch des Erlasses eines die jeweiligen Bewilligungsbescheide zurücknehmenden Verwaltungsakts bedurft hätte. Denn der Begriff „im Zeitpunkt der Antragstellung bestehende Schulden“ in § 28 Abs. 3 BAföG ist übereinstimmend mit dem OVG Münster (FamRZ 1985, S. 222, 223) dahingehend auszulegen, dass von ihm alle Forderungen unabhängig von ihrem rechtlichen Bestand, ihrer Fälligkeit und dem Zeitpunkt ihrer Einziehung erfasst sind, mit deren Geltendmachung der Antragsteller ernsthaft rechnen muss.
Für ein solch wirtschaftliches Verständnis spricht der im Wege teleologischer Auslegung ermittelte Sinn und Zweck des § 28 Abs. 3 BAföG, bei der Feststellung des bei Antragstellung vorhandenen Vermögenswertes eine gewiss bevorstehende Verringerung des Vermögens zu berücksichtigen, um sicherzustellen, dass der Antragsteller im bevorstehenden Bewilligungszeitraum über die erforderlichen finanziellen Mittel für seine Ausbildung und seinen Lebensunterhalt verfügt. Damit fordert § 28 Abs. 3 BAföG von der Bewilligungsbehörde eine Prognose über die zukünftige Vermögenssituation des Antragstellers. Diese ist jedoch nicht davon abhängig, ob die gegen den Antragsteller gerichteten Forderungen nach juristischer Betrachtung bereits entstanden sind, sondern entscheidend ist allein die faktische wirtschaftliche Belastung. Das wirtschaftliche Risiko für den Antragsteller, auf Zahlung in Anspruch genommen zu werden, ist aber bei einer noch nicht entstandenen öffentlichrechtlichen Forderung nach § 50 Absatz 1 SGB X dann von den gleichen Faktoren abhängig wie bei einer entstandenen zivilrechtlichen Forderung, wenn die einzige zur Zeit der Antragstellung noch fehlende Entstehungsvoraussetzung für den Rückforderungsanspruch der Erlass eines die ausgekehrte Förderungssumme zurückfordernden Verwaltungsakts ist. Dieser ist gemäß § 50 Abs. 1 SGB X ohne Ermessensspielraum als zwingende Rechtsfolge zu erlassen, sobald die Behörde die Rechtswidrigkeit des zuvor ergangenen Bewilligungsbescheides feststellt und diesen darauf zurücknimmt. Ob ein zurücknehmender Verwaltungsakt gemäß § 45 SGB X erlassen wird, steht im Ermessen der Behörde. Noch fehlende Entstehungsvoraussetzung für die Rückzahlungsschuld wäre im Zeitpunkt der Antragstellung damit lediglich, dass die Behörde die Unrechtmäßigkeit der vorangegangenen Förderung bemerkt und sich innerhalb ihres Ermessens für die Geltendmachung des daraus resultierenden Rückforderungsanspruchs entscheidet. Auch der Schuldner einer zivilrechtlichen Forderung muss aber tatsächlich erst zahlen, wenn der Gläubiger von seinem Anspruch Kenntnis erlangt und sich entschließt, ihn geltend zu machen.
Für die Einbeziehung des Rückzahlungsanspruchs der Bewilligungsbehörde in den nach § 28 Abs. 3 BAföG vorzunehmenden Abzug vom Vermögen spricht ferner der soziale Zweck des BAföG insgesamt, die Chancengleichheit beim Zugang zur (Hoch-) Schulbildung durch finanzielle Förderung bedürftiger Auszubildender herzustellen. Würde einem einkommensschwachen Auszubildenden die Förderung von der Bewilligungsbehörde im Hinblick auf das einzig vorhandene Vermögen versagt, und dieses daraufhin sogleich von derselben Behörde durch einen das Vermögen übersteigenden Rückforderungsbescheid eingefordert, würde dem Auszubildenden die finanzielle Grundlage seiner Ausbildung genommen und seine Mittellosigkeit herbeigeführt. Das BAföG würde diesem Auszubildenden eine weitere Ausbildung faktisch versagen und seinen sozialen Zweck verfehlen.

Entgegen der Auffassung von Rau/Zschieschack (StV 2004, 669, 672) handelt es sich bei der Umsetzung der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte im Rahmen der Schadensberechnung nicht um die Berücksichtigung rechtmäßigen Alternativverhaltens. Sie ist vielmehr zwingende Voraussetzung zur Beurteilung der Frage, ob der Bewilligungsbehörde durch die Gewährung der Förderung ein Schaden entstanden ist.

Ob nach Abzug des Freibetrages von 6.000,00 DM gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 BAföG und etwaiger Rückforderungsansprüche des Studentenwerks gemäß § 28 Abs. 3 BAföG von dem zum jeweiligen Tatzeitpunkt vorhandenen Vermögen von 70.000,00, 65.000,00 und 16.000,00 DM noch ein anzurechnendes Vermögen verblieb und der Angeklagten somit jeweils kein Anspruch auf Ausbildungsförderung zustand, kann das Revisionsgericht mangels hinreichender tatrichterlicher Feststellungen nicht prüfen. Die Kammer hat zwar die Höhe der vom Studentenwerk am 21. April 2004 für den Zeitraum von Oktober 1995 bis Dezember 1998 zurückgeforderten Ausbildungsförderung mit 16.015,17 Euro beziffert, jedoch nicht dargelegt, wie sich dieser Betrag errechnet und ob dem Studentenwerk noch weitere Rückforderungsansprüche zustanden, deren Erfüllung zum Zeitpunkt der jeweiligen Antragstellung noch ausstand.

Das angefochtene Urteil war daher insgesamt aufzuheben und zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Paderborn zurückzuverweisen.

III.
Die von der Generalstaatsanwaltschaft beantragte Einstellung des Verfahrens nach § 154 Abs. 2 StPO hinsichtlich der Tat vom 28. August 2000 kommt hingegen nicht in Betracht. Es ist nicht auszuschließen, dass die Angeklagte insoweit freizusprechen sein wird oder sich hinsichtlich aller drei Taten nur wegen Betrugsversuches strafbar gemacht hat, so dass die Tat vom 28. August 2000 nicht als unwesentliche Nebenstraftat im Verhältnis zu den Übrigen anzusehen wäre.

IV.
Sofern sich nach erneuter Hauptverhandlung ein Vermögensschaden feststellen lässt, wird eine Verurteilung wegen Betruges oder versuchten Betruges nicht dadurch ausgeschlossen, dass möglicherweise auch der Ordnungswidrigkeitentatbestand des § 58 Abs. 1 Nr. 1 BAföG erfüllt ist. Der Senat schließt sich insoweit der Rechtsprechung des Bayerischen Obersten Landesgerichts (NStZ 2005, 172 ff.) an, wonach § 263 StGB nicht durch § 58 Abs. 1 Nr. 1 BAföG verdrängt wird.


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