Aktenzeichen: 2 Ss OWi 461/05 OLG Hamm
Leitsatz: Zu den Anforderungen an die
Fahrverbotsentscheidung
Senat: 2
Gegenstand: Rechtsbeschwerde
Stichworte: Fahrverbot; Verhängung, Absehen;
Begründung
Normen: StPO 267
Beschluss: Bußgeldsache
gegen D.U.
wegen
fahrlässigen Überschreitens der zulässigen
Höchstgeschwindigkeit.
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Hagen vom 29. April 2005 hat der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 28. 07. 2005 durch die Richterin am Oberlandesgericht als Einzelrichterin gemäß § 80 a Abs. 1 OWiG nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:
Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
Im Übrigen wird die Rechtsbeschwerde verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung
und
Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an das
Amtsgericht Hagen zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Hagen hat den Betroffenen
wegen einer fahrlässigen Überschreitung der zulässigen
Höchstgeschwindigkeit nach den §§ 41 Abs. 1, 49 StVO in
Verbindung mit §§ 24, 25 StVG zu einer Geldbuße in Höhe
von 65,00 EURO verurteilt und außerdem unter Beachtung des § 25 Abs.
2a StVG ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Dagegen richtet sich die
näher ausgeführte Rechtsbeschwerde, mit der die formelle und die
materielle Rüge erhoben worden ist. Die Generalstaatsanwaltschaft hat
beantragt wie erkannt.
II.
Die zulässige Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat
teilweise - zumindest vorläufig - Erfolg. Das angefochtene Urteil war im
Rechtsfolgenausspruch aufzuheben.
1. Mit dem Vorbringen, das Amtsgericht habe das Messprotokoll
Bl.3, 4 d.A. seiner Urteilsfindung nicht zugrunde legen dürfen, da es
nicht geeignet sei, die Ordnungsmäßigkeit der Messung zu belegen,
kann der Betroffene nicht gehört werden. Diese als Verfahrensrüge
auszulegende Rüge genügt nicht den Anforderungen des
§ 344
Abs. 2 S. 2 StPO und ist daher unzulässig. Ordnungsgemäß ist
die Rüge nämlich nur dann erhoben, wenn die Begründung den
Wortlaut des verlesenen Schriftstücks enthält und sich ergibt, dass
der Betroffene dem Vorhalt des Schriftstücks gemäß § 238
Abs. 2 StPO widersprochen hat (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 28. April 2003
in 2 Ss 126/03). Unabhängig davon wäre diese Rüge aber auch
unbegründet, denn der Inhalt des Messprotokolls konnte ergänzend zu
den Angaben des vernommenen Polizeibeamten X. verwertet werden. Wenn sich ein
Polizeibeamter an das von ihm früher Wahrgenommene nicht mehr erinnert,
kann der Inhalt einer schriftlichen Erklärung ergänzend ohne
Verletzung des § 250 StPO verwertet werden, wenn zugleich der Urheber der
Urkunde als Zeuge vernommen wird und die Verantwortung für den Inhalt der
Urkunde übernimmt. Das Tatgericht hat unter Beachtung dieser
Grundsätze das Ergebnis der Messung in die Hauptverhandlung
eingeführt und dadurch ein verwertbares Beweismittel gewonnen.
2. Soweit sich die Rechtsbeschwerde gegen den Schuldspruch des angefochtenen Urteils richtet, war die Rechtsbeschwerde gem. §§ 349 Abs. 2, 79 Abs. 3 OWiG zu verwerfen. Die vom Amtsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen tragen die Verurteilung des Betroffenen wegen einer fahrlässigen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit.
Das Amtsgericht hat die von der obergerichtlichen Rechtsprechung
zur Feststellung einer Geschwindigkeitsüberschreitung durch Nachfahren zur
Nachtzeit außerhalb geschlossener Ortschaften entwickelten
Grundsätze, denen sich die Bußgeldsenate des Oberlandesgerichts
angeschlossen haben, ausreichend berücksichtigt. Das Urteil stellt die
Länge der Messstrecke, den annähernd gleichbleibenden Abstand zum
vorausfahrenden Fahrzeug des Betroffenen, die Justierung des Tachometers und
die Höhe des Sicherheitsabschlages fest. Letzteren hat das Amtsgericht mit
15 % ebenso wie die Länge der Messstrecke mit 1000 Metern ausreichend
berücksichtigt (vgl. Beschluss des Senats vom 13. März 2003 Ss OWi
201/03).
Die Ausführungen des Amtsgerichts genügen außerdem
den weitergehenden Anforderungen für eine Messung zur Nachtzeit (vgl.
hierzu ausführlich Senatsbeschluss a.a.O.).
2. Dagegen kann der Rechtsfolgenausspruch keinen Bestand haben.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat hierzu wie folgt Stellung genommen:
Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen zur Anordnung eines Fahrverbots ermöglichen es dem Rechtsbeschwerdegericht nicht zu überprüfen, ob die vom Amtsgericht getroffene Entscheidung ermessensfehlerfrei ist oder nicht. Der Tatrichter muss für seine Entscheidung, ob er ein Fahrverbot verhängt oder von einem Fahrverbot absehen kann, eine eingehende, auf Tatsachen gestützte Begründung geben (zu vgl. Senatsbeschluss vom 13.06.2005 - 2 Ss OWi 285/05 -). Zur Begründung des Fahrverbots teilt der Tatrichter lediglich mit, dass gegen den Betroffenen bereits zuvor mit seit dem 29.07.2004 rechtskräftigen Bußgeldbescheid ein Bußgeld wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaft um 37 km/h verhängt worden ist. Zwar ist damit das Regelfahrverbot gemäß § 4 Abs. 2 S. 2 BKatV verwirkt. Trotz Vorliegens eines Regelfalls kann der konkrete Sachverhalt aber Ausnahmecharakter haben und demgemäss von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen werden. Ob der Tatrichter von seinem freien, rechtlich aber nicht ungebundenen Ermessen rechtsfehlerfrei Gebrauch gemacht hat, ist mangels weiterer Begründung durch das Rechtsbeschwerdegericht nicht überprüfbar.
Im Übrigen lässt das Urteil Feststellungen zu den persönlichen, insbesondere den beruflichen Verhältnissen des Betroffenen vermissen. Dem Rechtsbeschwerdegericht muss es möglich sein zu prüfen, ob die Verhängung eines Fahrverbotes etwa in den persönlichen Verhältnissen des Betroffenen eine unverhältnismäßige Reaktion auf die Tat darstellt. Die Notwendigkeit, hierzu Feststellungen zu treffen, entfällt auch dann nicht, wenn ein Regelfall des § 4 Abs. 2 BKatV vorliegt; gemindert ist in solchen Fällen für den Tatrichter allein der notwendige Begründungsaufwand (zu vgl. u. a. Senatsbeschluss vom 18.08.2003 - 2 Ss OWi 390/03 -).
Schließlich kommt auch nicht mit der notwendigen Eindeutigkeit zum Ausdruck, ob der Tatrichter sich der Möglichkeit bewusst gewesen ist, von der Verhängung des an sich verwirkten Regelfahrverbots bei gleichzeitiger Erhöhung der Geldbuße absehen zu können. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats und herrschender Auffassung der obergerichtlichen Rechtsprechung ist es erforderlich, dass der Tatrichter grundsätzlich Feststellungen dazu trifft, ob er sich der Möglichkeit bewusst gewesen ist , ob nicht bei gleichzeitiger Erhöhung der festgesetzten Geldbuße von der Verhängung des Fahrverbotes abgesehen werden konnte, weil bei dem Betroffenen der mit dem Fahrverbot erstrebte Besinnungs- und Erziehungseffekt auch auf diese Weise erreicht werden kann. Es bedarf nur dann des ausdrücklichen Ansprechens der Möglichkeit des Absehens vom Fahrverbot nicht, wenn der Begründung des amtsgerichtlichen Urteils im Übrigen eindeutig zu entnehmen ist, dass der durch das Fahrverbot angestrebte Erfolg durch eine Erhöhung der Geldbuße bei gleichzeitigem Wegfall des Fahrverbotes nicht erreicht werden kann. Dies hat der Senat in der Vergangenheit bereits angenommen, wenn der Betroffene innerhalb eines Jahres nach Rechtskraft der vorangegangenen Entscheidung erneut einschlägig in Erscheinung getreten ist, wobei bereits bei der vorherigen Tat der Bereich des Regelfahrverbotes deutlich erreicht war, so dass es auch dort zur Verhängung eines Fahrverbotes kam. So liegt der Fall hier indes nicht.
Demnach bedurfte es eines ausdrücklichen Ansprechens der Möglichkeit des Absehens vom Fahrverbot.
Diese zutreffenden Ausführungen macht sich der Senat zu eigen
und zum Gegenstand seiner Entscheidung. Der aufgezeigte Mangel zwingt aufgrund
der Wechselwirkung zwischen Geldbuße und Fahrverbot zur Aufhebung des
gesamten Rechtsfolgenausspruchs. Da noch weitere Feststellungen zu treffen
sind, war die Sache im dargelegten Umfang an das Amtsgericht Hagen
zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 StPO, § 79 Abs. 3 OWiG). Dieses
hat in der neuen Entscheidung auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde zu
befinden, da deren Erfolg i.S.d. § 473 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG
noch nicht feststeht.
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