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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 2 Ws 233/05 OLG Hamm

Leitsatz: 1. Eine zulässige Haftbeschwerde kann schon eingelegt werden, wenn der Haftbefehl erlassen und zur Vollstreckung an die Staatsanwaltschaft übergeben worden ist.
2. Zur Frage der Akteneinsicht, wenn ein gegen den Beschuldigten erlassener Haftbefehl noch nicht vollstreckt wird.

Senat: 2

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Haftbeschwerde; Haftbefehl noch nicht vollstreckt; Akteneinsicht; nicht inhaftierter Beschuldigter

Normen: StPO 112, StPO 115, StPO 117

Beschluss: Strafsache
gegen B.S.
wegen Betruges, (hier: weitere Beschwerde des Beschuldigten gegen die Anordnung der Untersuchungshaft).

Auf die weitere (Haft-)Beschwerde des Beschuldigten vom 30. Juni 2005 gegen den Beschluss der 12. großen Strafkammer des Landgerichts Bochum vom 21. Juni 2005 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 29. 09. 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und
den Richter am Amtsgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Die Beschwerde wird auf Kosten des Beschwerdeführers verworfen.

Gründe:
I.
Gegen den Beschuldigten wird seitens der Staatsanwaltschaft Bochum ein Ermittlungsverfahren wegen Betruges geführt. Ihm wird zur Last gelegt, in dem Zeitraum vom 1. März 1996 bis zum 24. Juni 1997 als Mitglied des Aufsichtsrates der "G.T. AG" sowie als Präsident der Gesellschaft mit der Bezeichnung "P:M:B.I." Anleger dadurch geschädigt zu haben, dass er ihnen wahrheitswidrig vorspiegelte, für sie gewinnbringende Börsengeschäfte tätigen zu wollen. Tatsächlich soll er von vornherein beabsichtigt haben, durch die Vornahme von verdeckten Kommissionsrückflüssen sämtliche Kunden betrügerisch zu schädigen. Der Gesamtbetrag der Kommissionsrückflüsse soll sich auf mindestens 14,5 Millionen Deutsche Mark belaufen. Auf diese Art sollen der Beschuldigte und seine Mittäter mindestens 2181 Personen geschädigt haben.
Das Verfahren gegen den Beschuldigten und einen weiteren Mitbeschuldigten ist durch Verfügung der Staatsanwaltschaft Bochum vom 8. März 1997 von dem Ursprungsverfahren abgetrennt worden. Am 3. Juni 1997 hat das Amtsgericht Bochum gegen den zum damaligen Zeitpunkt in Chicago, Illinois (USA), wohnhaften Beschuldigten Haftbefehl (64 Gs 2102/97 AG Bochum) erlassen, den es auf die Haftgründe der Flucht und Verdunkelungsgefahr gestützt hat.
Der mittlerweile gesondert Verfolgte T.H. wurde am 14. Mai 1998 vor dem Landgericht Essen (56 (8/98) LG Essen) wegen Betruges zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt.
Dessen Verurteilung stützt sich auf die betrügerische Schädigung aller Kunden der G.T. AG durch die verdeckten Kommissionsrückflüsse.

In Anpassung an dieses Urteil wurde der ursprüngliche Haftbefehl gegen den Beschuldigten durch das Amtsgericht Bochum am 11. August 1998 aufgehoben und durch einen neuen Haftbefehl vom selben Tage ersetzt (64 Gs 3431/98 AG Bochum). Darin ist der dringende Tatverdacht gegen den Beschuldigten auf die Feststellungen, die im Strafverfahren gegen Hentsch getroffen worden waren, gestützt worden. Als Haftgründe sind nach wie vor Flucht- und Verdunkelungsgefahr angenommen worden.

Durch Verfügung der Staatsanwaltschaft Bochum vom 8. Dezember 1998 ist das Verfahren vorläufig gemäß § 205 StPO eingestellt worden, da sich der Beschuldigte nach wie vor in den USA aufhielt.
Der von dem Beschuldigten gegen den Haftbefehl vom 11. August 1998 eingelegten Beschwerde hat das Amtsgericht Bochum mit Beschluss vom 30. März 1999 nicht abgeholfen. Sie ist schließlich durch Beschluss der 2. Strafkammer des Landgerichts Bochum (2 Qs 5/99) am 3. Mai 1999 mit der Maßgabe verworfen worden, dass der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr entfällt.

Am 16. April 2004 hat die Staatsanwaltschaft Bochum den Erlass eines internationalen Haftbefehls gegen den Beschuldigten beantragt (Bd. XIII, Bl. 428 d.A.), der am 20. April 2004 von dem Amtsgericht Bochum (64 Gs 2085/04 AG Bochum) erlassen wurde (Bd. XIII, Bl. 430-435 d.A.). Dieser internationale Haftbefehl ist gestützt auf den Haftgrund der Flucht. Die Ermittlungsrichterin des Amtsgerichts Bochum führt darin aus, der Beschuldigte entziehe sich seit dem 24. Juni 1997 dem Strafverfahren durch Auslandsaufenthalt. Sein gegenwärtiger Wohnsitz sei unbekannt. Eine ladungsfähige Anschrift oder berufliche Bindungen im Inland habe er nicht.
In der rechtlichen Würdigung ist nunmehr - erstmals - die dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat als Betrug im schweren Fall gemäß § 263 Abs. 3 StGB gekennzeichnet.
Am 29. April 2004 ist schließlich der Haftbefehl vom 11. August 1998 durch das Amtsgericht Bochum aufgehoben worden (Bd. XIII, Bl. 437 d.A.).
Am 20. Oktober 2004 hat sich Rechtsanwalt P. aus Berlin als Wahlverteidiger des Beschuldigten bestellt und mit Schriftsatz vom 17. November 2004 eine von dem Beschuldigten unterzeichnete Vollmacht zu den Akten gereicht (Bd. XIII, Bl. 439 und Bl. 440, 441 d.A.). Auf seine Anforderung hin sind ihm mit staatsanwaltschaftlicher Verfügung vom 30. November 2004 die dreizehn Bände Ermittlungsakten bis einschließlich Band XIII, Bl. 427 d.A. zur Einsichtnahme übersandt worden.

Mit Schriftsatz vom 24. März 2005 hat der Beschuldigte über seinen Verteidiger Beschwerde gegen den Haftbefehl des Amtsgerichts Bochum vom 20. April 2004 eingelegt. Wegen der zur Begründung der Beschwerde vorgetragenen Argumente wird auf den Inhalt des vorgenannten Schriftsatzes der Bezug genommen.
Das Amtsgericht Bochum hat der Beschwerde nicht abgeholfen; mit Beschluss der 12. großen Strafkammer des Landgerichts Bochum vom 21. Juni 2005 (12 Qs 15/05 LG Bochum) ist die Beschwerde des Beschuldigten schließlich als unbegründet verworfen worden. Auf den Inhalt dieses Beschlusses wird zum Zwecke der Vermeidung von Wiederholungen ebenfalls vollumfänglich Bezug genommen.
Dagegen richtet sich die weitere Beschwerde des Beschuldigten vom 30. Juni 2005, die er mit Schriftsatz vom 2. August 2005 näher begründet hat.
Das Landgericht hat der (weiteren) Beschwerde mit Beschluss vom 16. August 2005 nicht abgeholfen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die weitere Haftbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.

II.
Die weitere Beschwerde des Beschuldigten ist gemäß §§ 304 Abs. 1, 310 Abs. 1 StPO statthaft und zulässig. Eine zulässige Haftbeschwerde kann schon eingelegt werden, wenn der Haftbefehl erlassen und zur Vollstreckung an die Staatsanwaltschaft übergeben worden ist (OLG Hamm, Beschluss vom 17. April 1997 - 2 Ws 109 u. 110/97 -; OLG Hamm, Beschluss vom 21. August 1997 - 4 Ws 428/97 -; OLG Stuttgart NStZ 1990, 247; Löwe-Rosenberg-Hilger, StPO,
25. Aufl., § 114 Rdnr. 33). Der Beschuldigte ist nämlich durch die Existenz des Haftbefehls beschwert. Dabei kommt es nicht darauf an, ob dem Beschuldigten der Haftbefehl bereits bekannt ist. Die Rechtssicherheit verlangt generell, dass die Wirksamkeit von Prozesshandlungen nach einfachen Merkmalen geprüft werden kann. Die Einführung subjektiver Momente (z.B. Kenntnis einer Entscheidung) in diesem Zusammenhang wäre dem Prozessrecht wesensfremd (BGHSt 25, 187, 190). Etwas anderes gilt auch bei einem erlassenen, aber noch nicht verkündeten Haftbefehl, nicht. Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Grundsätze auch dann Anwendung finden, wenn der Beschwerdeführer „ins Blaue hinein“ eine Entscheidung, von der er gar nicht weiß, ob sie erlassen ist oder nicht, anficht (verneinend OLG Hamm VRS 37, 61). Denn vorliegend ist dem Beschuldigten jedenfalls bekannt, dass ein Haftbefehl existiert. Insoweit soll mit der Rechtsmitteleinlegung eine bestimmte, nach der Vorstellung des Erklärenden bereits ergangene Entscheidung angefochten werden.

Die somit zulässige Beschwerde hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht Bochum hat den Haftbefehl des Amtsgerichts Bochum vom 20. April 2004 zu Recht aufrechterhalten.

1. Der Beschuldigte ist der ihm im Haftbefehl zur Last gelegten Taten dringend verdächtig. Aufgrund des bisherigen Ermittlungsergebnisses besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass er die ihm vorgeworfene Straftat begangen hat. Zutreffend geht das Landgericht Bochum auch von einem dringenden Tatverdacht bezüglich eines besonders schweren Falles des Betruges nach § 263 Abs. 3 StGB aus.

2. Die Tat ist nicht verjährt. Der Haftbefehl des Amtsgerichts Bochum vom 20. April 2004 hat die Verfolgungsverjährung gemäß § 78 c Abs. 1 Nr. 5 StGB wirksam unterbrochen. Insbesondere handelt es sich entgegen der Auffassung der Verteidigung nicht um eine sogenannte "Scheinmaßnahme", der eine verjährungsunterbrechende Wirkung abzusprechen ist (vgl. Stree/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB, 26. Aufl. 2001, 378 c Rdnr. 3). Denn es bestand nicht von vornherein die Absicht, den Haftbefehl nicht zu vollziehen oder ihn sogleich wieder aufzuheben. Auch ist der mit dem erlassenen Haftbefehl verfolgten Zweck nicht unerreichbar und schließlich ist der Haftbefehl auch nicht willkürlich erlassen worden (vgl. zu diesen in der Rechtsprechung herangezogenen Kriterien für das Vorliegen einer "Scheinmaßnahme" LK-Jähnke, StGB, 10. Aufl., § 78 c StGB Rdnr. 11 m.w.N.).
Vielmehr liegt dem Haftbefehl eine erneute Zulässigkeits- und Verhältnismäßigkeitsprüfung zugrunde. Er beinhaltet mithin die Feststellung, dass die sachlichen Voraussetzungen des Haftbefehls weiterhin vorliegen (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 52. Aufl., § 78 c StGB Rdnr. 15 sowie BGH, Beschluss vom 26. Mai 1993 in 5 StR 190/93, abgedr. in NStZ 1993, 493).

3. Es besteht der Haftgrund der Flucht (§ 112 Abs. 2 Nr. 1 StPO). Aktuelle und gesicherte Erkenntnisse über den derzeitigen Wohnort des Beschuldigten oder über eine andere ladungsfähige Anschrift im In- oder Ausland liegen nicht vor. Die Wohnanschrift des Beschuldigten in den USA ist den Ermittlungsbehörden nicht bekannt; er ist dort auch postalisch nicht zu erreichen, wie worauf das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung zu Recht hinweist - die fehlgeschlagenen Zustellungsversuche in dem Zivilverfahren des Landgerichts Essen gezeigt haben. Entscheidend tritt hinzu, dass der Beschuldigte sich der Einwirkungsmöglichkeit der deutschen Gerichte und der Durchführung etwa notwendiger Zwangsmaßnahmen entzogen hat. Auch der Verteidiger des Beschuldigten hat dessen aktuelle Wohnanschrift nicht mitgeteilt, sondern in seinem die (weitere) Beschwerde zusätzlich begründenden Schriftsatz vom 01. September 2005 lediglich ausgeführt:

"So gelangt man beispielsweise über die gängige Internet-Suchmaschine "Yahoo.com" mit der Sucheingabe "s.b. über den zweiten Eintrag in der Ergebnisliste (Anlage 1) auf die Web-Site der Firma XXXXXXX, deren Vorstand (Chairman) der Beschuldigte ausweislich dieser Web-Site ist (Anlage 2). Über die Verbindung "contact us" ("Setzen Sie sich mit uns in Verbindung“), wird die Anschrift dieser Firma XXXX mitgeteilt, über der der Antragsteller ohne weiteres geladen werden kann (Anlage 3)."

Der Inhalt dieses Schriftsatzes belegt, dass der Beschuldigte nicht ernsthaft gewillt ist, sich einer Hauptverhandlung in der Bundesrepublik Deutschland zu stellen. Denn wenn sich der Beschuldigte dem in Deutschland anhängigen Strafverfahren durch die Teilnahme an einer Hauptverhandlung hätte zur Verfügung halten wollen, wäre es ihm durchaus möglich gewesen, anstatt des Verweises auf eine Internet-Recherche dem Gericht seine aktuelle ladungsfähige Wohnanschrift in den USA mitzuteilen.

4. Schließlich ist der Haftbefehl auch nicht wegen einer Verletzung des Rechts des Beschuldigten auf rechtliches Gehör unwirksam. Die von der Verteidigung zitierte Rechtsprechung vermag ein anderes Ergebnis nicht zu begründen. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Juli 1994 (Beschluss vom 11. Juli 1994, 2 BvR 777/94, NJW 1994, 3219) betrifft ausdrücklich den Fall eines bereits inhaftierten Beschuldigten. Nach der Entscheidung der 2. Kammer des 2. Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Oktober 1997 - 2 BvR 1769/97 (NStZ-RR 1998, 108) ist aber ein vorläufig gegen den sich auf freiem Fuß befindlichen Beschuldigten abgeschirmtes Ermittlungswissen der Strafverfolgungsbehörden verfassungsrechtlich unbedenklich. Danach kann sich eine andere Beurteilung nur dann ergeben, wenn ein Haftbefehl bereits vollstreckt wird. Zwar beschwere auch der bloße Erlass eines Haftbefehls gegen einen flüchtigen Beschuldigten. Seinem Informationsinteresse werde jedoch durch die Regelung der Strafprozessordnung - insbesondere zur richterlichen Vernehmung - ausreichend Rechnung getragen. § 115 Abs. 3 StPO bestimme, dass der Beschuldigte im Rahmen der Vorführung vor den zuständigen Richter nach Ergreifung aufgrund eines Haftbefehls auf die ihn belastenden Umstände und sein Recht hinzuweisen sei, sich zur Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen. Weiterhin sei ihm Gelegenheit zu geben, die Verdachts- und Haftgründe zu entkräften und die Tatsachen geltend zu machen, die zu seinen Gunsten sprechen. Dieser Informationspflicht gehe über die Mitteilung des Inhalts des Haftbefehls hinaus und umfasse auch das die Haft veranlassende Belastungsmaterial in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht. Erst im Rahmen der nach der richterlichen Vernehmung gebotenen Prüfung des Haftbefehls werde das Strafgericht unter Berücksichtigung der Grundsätze der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Juli 1994 zu beurteilen haben, welche Rechtsfolgen sich an eine etwaige Verweigerung der Akteneinsicht knüpfen.

Nach dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist es bereits fraglich, ob nicht der Staatsanwaltschaft als Herrin des Vorverfahrens die Entscheidung darüber zu belassen ist, ob und ggf. welche Tatsachen aus dem Ermittlungsverfahren vor dessen Abschluss und vor Vollstreckung des Haftbefehls dem Beschuldigten zur Kenntnis gegeben werden. Denn der Senat befindet sich gleichsam in der Situation des Ermittlungsrichters, der den Haftbefehl gemäß § 114 StPO erlassen hat. Auch dieser gibt dem Beschuldigten den Haftbefehl nicht bereits bei Erlass bekannt. Die Bekanntgabe erfolgt erst bei der Verhaftung. Dementsprechend bestimmt § 36 Abs. 2 StPO, dass Entscheidungen, die der Vollstreckung bedürfen, der Staatsanwalt-
schaft zu übergeben sind, die das Erforderliche veranlasst. Die Staatsanwaltschaft entscheidet also über die Bekanntgabe der Entscheidung und damit auch über den Zeitpunkt.

Aber auch wenn man der Auffassung folgt, die Frage, ob der flüchtige Beschuldigte bzw. sein Verteidiger Kenntnis vom Inhalt des mit zulässiger Beschwerde angefochtenen Haftbefehls erhalten darf, habe der über die weitere Haftbeschwerde entscheidende Strafsenat gemäß § 33 Abs. 4 StPO zu beurteilen (OLG Stuttgart NStZ 1990, 247; OLG Hamm, Beschluss vom 17. April 1997 - 2 Ws 109 u. 110/97 -), ergibt sich hier kein Recht auf Kenntnisnahme vom Inhalt des Haftbefehls bzw. auf Akteneinsicht. Im vorliegenden Fall verbietet sich sowohl eine umfassende Akteneinsicht als auch eine Bekanntgabe des Haftbefehls vor Ergreifung des Beschuldigten, weil hierdurch der Zweck der Haftanordnung gefährdet würde (§ 33 Abs. 4 StPO). Soweit die Verteidigung argumentiert, die Mitteilung eines Haftbefehls an den Beschuldigten oder seinen Verteidiger könne unter Umständen sogar bewirken, dass er sich den Strafverfolgungsbehörden stelle oder durch Sicherheitsleistung die Aussetzung des Vollzugs des Haftbefehls ermöglicht und insoweit auf die Entscheidung des OLG Stuttgart in NStZ 1990, 249 Bezug nimmt, vermag auch diese - abstrakte - Argumentation nicht zu greifen. Denn andererseits besteht auch die Gefahr, dass der Beschuldigte seine Bemühungen, sich verborgen zu halten, intensiviert. Denn der Umfang und die Schwere des Tatvorwurfs spielen bei der Entscheidung eines Beschuldigten, sich einem Ermittlungsverfahren durch Flucht zu entziehen, eine bedeutende Rolle. Von daher kann auch bei einem bereits flüchtigen Beschuldigten durch die vorherige Bekanntgabe des Haftbefehls der Zweck der Haftanordnung gefährdet werden, so dass das Informationsinteresse des Beschuldigten zurückzustehen hat (vgl. OLG Hamm, Beschluss des 1. Strafsenats vom 30. Januar 2001, - 1 Ws 438/00 -, abgedr. in NStZ-RR 2001, 254).

5. Die Anordnung der Untersuchungshaft steht weder zur Bedeutung der Sache noch zu der zu erwartenden Strafe außer Verhältnis. Nach dem bisherigen Ermittlungsergebnis beläuft sich der Schaden auf mindestens 14,5 Millionen Deutsche Mark.
Die Dauer der Flucht macht die Anordnung der Untersuchungshaft nicht unverhältnismäßig. Der Umstand, dass die Staatsanwaltschaft noch keine Anklage erhoben hat, steht nicht bereits der Anordnung der Untersuchungshaft aus Gründen der Verhältnismäßigkeit entgegen, sondern ist erst im Rahmen der Überprüfung der Dauer des Vollzuges der Untersuchungshaft zu berücksichtigen.

6.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.


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