Aktenzeichen: 3 Ss 437/05 OLG Hamm
Leitsatz: Auch bei einer Tatserie ist es erforderlich,
die Einzelakte so konkret und individualisiert zu ermitteln und festzustellen,
dass sich daraus die Verwirklichung des objektiven und subjektiven Tatbestandes
für jede Einzeltat ergibt.
Senat: 3
Gegenstand: Revision
Stichworte:
Anforderungen an die Feststellungen; Betrug; Untreue; Serienstraftat
Normen: StPO 267; StGB 266; StGB 263
Beschluss: Strafsache
gegen S.S. und M.F.
wegen
Untreue und Betruges
Auf die Revision der Angeklagten gegen das Urteil der XIII. kleinen Strafkammer des Landgerichts Essen vom 24.06.2005 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 25. 10. 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung und auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Das Urteil der XIII. kleinen Strafkammer des Landgerichts Essen wird mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revisionen, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Essen zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Essen hatte die
Angeklagten am 10.09.2004 wegen Untreue in Tateinheit mit Betrug in 74
Fällen, wobei sie gemeinschaftlich und gewerbsmäßig handelten,
zu Gesamtfreiheitsstrafen von je drei Jahren verurteilt. Die Berufungen der
Angeklagten gegen dieses Urteil hat die Berufungskammer des Landgerichts Essen
mit dem hier angefochtenen Berufungsurteil verworfen. Gegen das in ihrer
Anwesenheit verkündete Urteil haben die Angeklagten mit am 24.06.2005 bzw.
am 27.06.2005 bei dem Landgericht eingegangenen Schriftsätzen ihrer
Verteidiger Revision eingelegt und nach Urteilszustellung am 03.08.2005 bzw. am
07.08.2005 mit am 18.08.2005 bzw. am 02.09.2005 bei dem Landgericht
eingegangenen weiteren Schriftsätzen mit der Rüge der Verletzung
sachlichen Rechts begründet.
II.
Die zulässigen Revisionen der Angeklagten haben auch
in der Sache einen zumindest vorläufigen Erfolg. Die Rechtsmittel
führen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mit den Feststellungen
sowie zur Zurückverweisung der Sache an eine andere kleine Strafkammer des
Landgerichts Essen. Die Berufungskammer hat zu Unrecht eine wirksame
Beschränkung der Berufungen der Angeklagten auf den Rechtsfolgenausspruch
angenommen.
Im Falle einer zulässig erhobenen Rüge (§ 344 Abs. 2 StPO) hat das Revisionsgericht unabhängig von den Rügen der Beschwerdeführerinnen und ohne Bindung an die rechtliche Beurteilung der Berufungsbeschränkung durch die Strafkammer von Amts wegen zu untersuchen, ob das Berufungsgericht über alle Bestandteile des erstinstanzlichen Urteils selbst entschieden hat. Hierzu gehört auch die Prüfung, ob die Berufung in wirksamer Weise beschränkt werden konnte oder ob eine Beschränkung des Rechtsmittels wie vorliegend auf den Rechtsfolgenausspruch nicht zulässig und demgemäß das ganze erstinstanzliche Urteil vom Berufungsgericht nachzuprüfen war (OLG Hamm, NStZ-RR 2001, 300, 301). Die Beschränkung eines Rechtsmittels auf bestimmte Beschwerdepunkte gemäß § 318 S. 1 StPO ist nur zulässig und wirksam, wenn sie dem Rechtmittelgericht die Möglichkeit lässt, den angefochtenen Teil des Urteils losgelöst vom übrigen Urteilsinhalt selbstständig zu prüfen und rechtlich zu beurteilen (OLG Hamm, a.a.O.). Demgegenüber ist sie unwirksam, wenn die vorangegangenen tatrichterlichen Feststellungen entweder unklar, lückenhaft, widersprüchlich oder so dürftig sind, dass sie den Unrechts- und Schuldgehalt der Tat nicht erkennen lassen und daher keine geeignete Grundlage für die Beurteilung der Rechtsfolgenentscheidung sind. Dies gilt sowohl für die Merkmale der äußeren als auch der inneren Tatseite. Auch letztere müssen, sofern sie sich nicht von selbst aus der Sachverhaltsschilderung ergeben, durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (OLG Hamm, a.a.O.).
Vorliegend hatte das Schöffengericht lückenhafte Feststellungen getroffen. Die Feststellungen des Schöffengerichts erschöpfen sich in Folgendem:
"Bei(de) Angeklagte sind miteinander intensiv befreundet. Beide
Angeklagte
waren in der Personalabeilung der geschädigten Firma M.
beschäftigt. Zum Aufgabenbereich der Angeklagten S. gehörte die
Erstellung der Lohn- und Gehaltsabrechnungen. Die Angeklagte F. war später
Leiterin der Personalabteilung. Als der Angeklagten F. eines Tages 2.000,00 DM
gestohlen oder abhanden gekommen waren und sie deshalb erregt und
aufgelöst zu ihrer Freundin S. kam, kamen beide gemeinsam auf die Idee und
beschlossen es so, dass der Ausgleich des Verlustes über eine
Überweisung, getarnt als Abfindungszahlung, vorgenommen werden sollte.
Weil dies so gut klappte und beide Angeklagte bei der Firma M. insoweit in
einer Vertrauensstellung arbeiteten und die von der Personalabteilung
erstellten Überweisungsaufträge von der Finanzbuchhaltung nicht auf
ihre Richtigkeit überprüft wurden, sondern nur ausgeführt wurden
und das System so war, dass eine nachträgliche Überprüfung kaum
möglich war, entschlossen sich beide Angeklagte, sich monatlich ihr Gehalt
durch entsprechende Überweisungen aufzubessern. Im einzelnen
überwiesen sie sich über 2 1/2 Jahre hinweg folgende Beträge:".
Es folgt dann eine Aufstellung von insgesamt 74 Überweisungen, geordnet nach Datum, Betrag und Empfängerkonto, wobei die Überweisungen entweder auf das Konto der Angeklagten S. oder auf das Konto der Angeklagten F. erfolgten. Weiter heißt es dann in dem angefochtenen Urteil:
"Diese Zahlungen gönnten die Angeklagten sich monatlich zusätzlich zu dem Gehalt, das sie bekamen. Bei der Angeklagten S. waren es netto ca. 1.600,00 und bei der Angeklagten F. ca. 1.900,00 netto. Durch diese monatlichen Zuwendungen haben sich beide Angeklagte ein angenehmeres Leben gegönnt. Das Geld haben sie nach eigenen Angaben ausgegeben für Urlaube und auch für den Ankauf eines Autos sowie für Neuanschaffungen, Reparaturen etc.".
Diese Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen Untreue und wegen Betruges nicht.
Auch bei einer Tatserie ist es erforderlich, die Einzelakte so
konkret und individualisiert zu ermitteln und festzustellen, dass sich daraus
die Verwirklichung des objektiven und subjektiven Tatbestandes für jede
Einzeltat ergibt (BGH NStZ 2004, 568, 569 m.w.N.). Sind nicht alle
Einzelakte konkret feststellbar, so sind jedenfalls Mindestfeststellungen zu
treffen, die - bei Zugrundelegung des Zweifelssatzes - auch auf
tragfähigen Schätzgrundlagen beruhen können (BGH, a.a.O.). Bei
mehreren Tätern oder Tatbeteiligten ist für jeden gesondert nach
seinem eigenen Tatbeitrag zu beurteilen, durch wie viele Handlungen i.S.v.
§§ 52, 53 StGB er die Tat gefördert oder begangen hat. Dazu
müssen die einzelnen Tatbeiträge der einzelnen Angeklagten über
pauschale Feststellungen zur allgemeinen Vorgehensweise und zum Tatplan hinaus
näher festgestellt werden (BGH, a.a.O.).
Handelt es sich um
Serienstraftaten des Betruges, müssen die Urteilsgründe
regelmäßig darlegen, wer die schädigende Verfügung
getroffen hat und welche Vorstellungen er dabei hatte. Dabei kann die
tatrichterliche Überzeugung von betriebsinternen Vorgängen,
insbesondere bei arbeitsteilig tätigen Unternehmen oder
Körperschaften, je nach den Umständen, auch durch Vernehmung etwa
eines Abteilungsleiters gewonnen werden. Jedenfalls sind Mindestfeststellungen
zum regelmäßigen internen Ablauf erforderlich, aus denen sich eine
täuschungsbedingte Vermögensverfügung ergeben könnte (BGH,
a.a.O.).
Diesen Anforderungen genügt das Urteil des Amtsgerichts Essen nicht. Es erschöpft sich in pauschalen Feststellungen zum Tatplan der Angeklagten. Zur allgemeinen Vorgehensweise der Angeklagten fehlt es bereits an näheren Feststellungen, zu der Begehung der einzelnen festgestellten Taten fehlt es an jeder konkretisierbaren Feststellung des Tatbeitrages der Angeklagten und ihrer Vorgehensweise. Das Amtsgericht teilt nicht einmal mit, in welcher Weise die Angeklagten die festgestellten Überweisungen durchgeführt haben und welche Rolle welcher der beiden Angeklagten insoweit zukam. Die Revision der Angeklagten F. rügt insoweit zu Recht, dass die Feststellungen des schöffengerichtlichen Urteils keinen Aufschluss darüber geben, ob die Angeklagten einen gemeinsamen Tatentschluss fassten und sodann die Überweisungen gemeinsam anwiesen, etwa dadurch, dass jeweils eine die Überweisungen für die andere ausführte oder eine der beiden alle Überweisungsaufträge ausstellte, oder ob nicht etwa jede Angeklagte in eigenem Tatentschluss ihr eigenes Gehalt durch die entsprechenden Überweisungen aufbesserte. Zutreffend weist die Revision darauf hin, dass letzterenfalls jeder der beiden Angeklagten nur diejenigen Taten zugerechnet werden könnten, die zugunsten ihres eigenen Kontos erfolgten, mithin für die Angeklagte F. 37 Taten mit einem Gesamtschaden von 162.669,51 und für die Angeklagte S. weitere 37 Taten mit einem Gesamtschaden von 156.738,28 .
Hinsichtlich der einzelnen Betrugstaten fehlen zudem nähere Feststellungen des Schöffengerichts dazu, wer im Rahmen der Finanzbuchhaltung der geschädigten Firma X-AG für die Überprüfung der von den Angeklagten getätigten Überweisungen zuständig war und auf welche Weise er diese Überprüfungen durchführte oder nicht durchführte. Sollte es so sein, wie nach den Feststellungen des Schöffengerichts nahe liegend, dass die von den Angeklagten getätigten Überweisungsaufträge von der Finanzbuchhaltung vor der Ausführung nicht auf ihre Richtigkeit überprüft wurden, würde es bereits an der für den Betrugstatbestand erforderlichen Täuschung dessen, der die Vermögensverfügung ausführt, nämlich des Mitarbeiters der Finanzbuchhaltung, fehlen.
Im Hinblick auf die Lückenhaftigkeit der erstinstanzlichen
Feststellungen hätte die Berufungskammer die Berufung der Angeklagten als
unbeschränkt ansehen und dementsprechend auch die Schuldfrage
selbstständig überprüfen müssen. Da sie dies nicht getan
hat, war das angefochtene Urteil hinsichtlich beider Angeklagten aufzuheben und
die Sache zurückzuverweisen, damit die fehlende umfassende
Überprüfung des Urteils des Schöffengerichts nachgeholt wird.
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