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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 3 Vs 1/05 OLG Hamm

Leitsatz: Eine Ehrverletzung kann auch in der Verbreitung von Äußerungen Dritter, insbesondere in der Weitergabe ehrverletzender Gerüchte liegen, es sei denn, dass sich derjenige, der die Äußerung wiedergibt, ernsthaft und eindeutig von ihrem Inhalt distanziert.

Senat: 3

Gegenstand: Revision

Stichworte: Privatklagesache; üble Nachrede; eigene Behauptung; Ehrverletzung

Normen: StGB 185; StGB 186

Beschluss: .Privatklagesache
des Herrn W.W., Privatkläger -
gegen

Herrn A.L. Angeklagter -,
wegen übler Nachrede.

Auf die Revision des Privatklägers vom 8. April 2005 gegen das Urteil der IX. kleinen Strafkammer des Landgerichts Essen vom 4. April 2005 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 25. 10. 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht beschlossen:

1. Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Essen zurückverwiesen.

3. Dem Privatkläger wird zur Durchführung des Revisionsverfahrens ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt B. bewilligt, § 379 Abs. 3 StPO.

Gründe
I.
Mit dem Eröffnungsbeschluss des Amtsgerichts Bottrop vom 06.11.2004 ist dem Angeklagten zur Last gelegt worden, vor dem 08.06.2002 in Bottrop tateinheitlich handelnd einen anderen beleidigt und eine üble Nachrede begangen zu haben, indem er zu einem nicht näher konkretisierbaren Zeitpunkt vor dem 08.06.2002 dem Privatkläger, der wie er Mitbewohner des Hauses an der S. 122 in B. ist, gegenüber anderen Mietern des Hauses als Kinderschänder bezeichnet und behauptet haben soll, der Privatkläger missbrauche seine Kinder (Vergehen nach §§ 185, 186, 52 StGB). Von diesem Vorwurf hat das Amtsgericht Bottrop den Angeklagten freigesprochen. Die gegen diese Entscheidung gerichtete Berufung des Privatklägers blieb ohne Erfolg. Die IX. kleine Strafkammer des Landgerichts Essen hat das Rechtsmittel des Privatklägers aus tatsächlichen Gründen verworfen, weil nicht mit einer zur Verurteilung ausreichenden Sicherheit habe festgestellt werden können, dass der Angeklagte den Privatkläger als Kinderschänder bezeichnet oder erklärt habe, der Privatkläger habe seine Kinder missbraucht.
In der Beweiswürdigung hat die Kammer u.a. Folgendes ausgeführt:

"Die Kammer hat festgestellt, dass die Behauptung, der Privatkläger sei ein Kinderschänder, nicht vom Angeklagten ausgegangen ist. Vielmehr hat die getrennt lebende Ehefrau des Angeklagten dieses Gerücht in die Welt gesetzt. Der Schiedsmann, Herr N., hat glaubhaft ausgesagt, der Privatkläger habe ihm dies im Vorgespräch zum Sühnetermin selbst berichtet. Der Zeuge P. hat bekundet, das der Privatkläger sich ihm auf dem Garagenhof mit den Worten vorgestellt hat, er sei "der Kinderschänder". Dabei habe er klargestellt, dass er kein Kinderschänder sei. Es bestehe lediglich ein entsprechendes Gerücht in dem Haus, in dem er wohne.

Die Kammer konnte nicht feststellen, dass der Angeklagte dieses Gerücht als eigene Behauptung verbreitet hat. Lediglich die Zeugin E. hat den Anklagevorwurf bestätigt. Sie hat ausgesagt, sie habe sich ca. 14 Tage nach ihrem Einzug, der am 03.10.2001 stattgefunden hatte, bei den Nachbarn im Haus vorgestellt. Dies sei im Vorgarten der Eheleute . gewesen. Sie habe gefragt, wer noch im Hause wohne. Darauf habe der Angeklagte gesagt, über ihm wohne ein Kinderschänder. Auf Frage, woher er das wisse, habe der Angeklagte geantwortet, die Kinder gingen immer mit gesenktem Kopf die Treppe herunter.

Die Aussage der Zeugin E. ist von den anderen Zeugen nicht bestätigt worden. Die Zeugin B. hat ausgesagt, Frau Ba. habe berichtet, dass der Privatkläger seine Kinder nicht sehen dürfe. Es werde "so was erzählt". Die Zeugin B. hat bestätigt, dass es ein Treffen im Garten gegeben habe, konnte sich aber an den Inhalt der Gespräche nicht mehr genau erinnern. Sie hat bekundet, der Angeklagte habe lediglich gesagt, dass es das Gerücht gebe, der Privatkläger sei ein Kinderschänder. Als Tatsache behauptet habe er es aber nicht. Die Zeugin konnte nicht mehr genau sagen, weshalb sie die Erklärungen unterschrieben hat. Sie habe damit aber lediglich bestätigen wollen, dass es das Gerücht gebe.

Die Zeugin Ba. hat ausgesagt, es habe dieses Gerücht gegeben, sie wisse aber nicht, von wem es gekommen sei. Der Privatkläger habe ihr berichtet, dass seine Frau es überall herum erzähle. Der Angeklagte habe dies in ihrer Anwesenheit nicht gesagt. Die Zeugin konnte sich noch an den Einstand von Frau E. erinnern, hat aber nicht bestätigt, dass der Angeklagte schlecht über den Privatkläger gesprochen habe.

Der Zeuge Ba. hat bekundet, der Privatkläger habe gesagt, "Da oben den nennt man Kinderschänder." Er erzähle es selbst überall rum. Die Unterschrift habe er geleistet, weil der Privatkläger sie für das Jugendamt benötigt habe.

Es ist aber ausgeschlossen, dass die angebliche Äußerung des Angeklagten nur von der Zeugin E. gehört wurde und die anderen Zeugen sie nicht gehört haben. Denn auch die anderen Zeugen befanden sich im Vorgarten, als die angebliche Äußerung gefallen sein soll. Im Hinblick darauf, dass der Vorwurf über die in dem Haus üblichen Gerüchte hinausgeht und die Zeugen durch von ihnen unterschriebene Erklärungen bereits im Juni 2002 mit dem Vorwurf gegen den Angeklagten befasst waren, ist auch nicht anzunehmen, dass die Zeugen die angeblich Äußerung vergessen haben könnten.

Die Kammer hat keine Veranlassung, der Aussage der Zeugin E. mehr zu glauben als den anderen Zeugen. Die sichere Feststellung, dass der Angeklagte die Behauptung als eigene aufgestellt hat und nicht nur von dem Gerücht gesprochen hat, ließ sich nicht treffen. Gegen die Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin E. spricht auch, dass sie den Privatkläger über die angebliche Äußerung des Angeklagten erst am 08.06.2002, also erst ca. 8 Monate später informiert hat. Die Zeugin E. ist mit dem Privatkläger befreundet. Sie erweckte den Eindruck, dass sie am Ausgang des Strafverfahrens interessiert ist. Frau E. war es, die am 08.06.2002 eine Erklärung verfasst hat, die zur Strafanzeige und später zum Privatklageverfahren geführt hat. Die Zeugin E. ist aus eigener Initiative zum Fortsetzungstermin am 04.04.2005 als Zuschauerin erschienen.

Auch der Umstand, dass die Zeugen Ba. und B. am 08.06.2002 die von der Zeugin E. verfasste Erklärung unterzeichnet haben und auch die sog. eidesstattliche Versicherung des Privatklägers vom 10.06.2002 unterschrieben haben, begründet nicht die sichere Feststellung, dass der Angeklagte die Behauptung, der Privatkläger sei ein Kinderschänder, aufgestellt hat. Denn es kann auch so gewesen sein, dass die Zeugen die Erklärungen vom 08. und 10.06.2002 unterschrieben haben in der Annahme, damit zu bestätigen, dass es im Haus ein solches Gerücht gab. Aus den Aussagen der Zeugen ergaben sich Zweifel, ob den Zeugen bewusst war, dass sie nicht nur die Existenz des Gerüchts bestätigt haben, sondern auch eine Behauptung des Angeklagten.

Die Zeugin B. hat ausgesagt, der Angeklagte habe nicht direkt gesagt, dass der Privatkläger ein Kinderschänder sei. Er habe nur gesagt, dass es das Gerücht gebe. Mehr habe sie mit den Unterschriften auch nicht zum Ausdruck bringen wollen."

Gegen dieses Urteil wendet sich der Privatkläger mit der Revision, mit der er die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht erstrebt. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts.

II.
Das form- und fristgerecht begründete Rechtsmittel hat in der Sache Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mit den zugrunde liegenden Feststellungen sowie zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Abteilung des Landgerichts Essen. Die Revision des Privatklägers ist mit der Sachrüge begründet, weil die Tat im Urteil nicht unter allen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten erschöpfend behandelt worden ist (vgl. BGH StV 1981, 127 f.). Denn eine Ehrverletzung kann auch in der Verbreitung von Äußerungen Dritter, insbesondere in der Weitergabe ehrverletzender Gerüchte liegen, es sei denn, dass sich derjenige, der die Äußerung wiedergibt, ernsthaft und eindeutig von ihrem Inhalt distanziert (vgl. BGHSt 18, 182 f. und NJW 1953, 596; Tröndle/Fischer, StGB, 52. Aufl., Rdnr. 9 zu § 186; LK-Herdegen, StGB-Kommentar, 10. Aufl., Rdnr. 8 zu § 186). Es genügt zum Verbreiten einer ehrverletzenden Äußerung, wenn die Mitteilung als ein Gerücht bezeichnet wird, selbst wenn es als unbestätigt oder unglaubwürdig dargestellt wird, sofern der verbreitende Täter der ehrenrührigen Tatsache nicht zugleich ernsthaft entgegentritt. Wer ein die Ehre eines Anderen verletzendes Gerücht weiterverbreitet, erbringt auch nicht dadurch den Wahrheitsbeweis, dass er dartut, auch andere hätten dasselbe ehrverletzende Gerücht verbreitet.

Die Feststellungen des angefochtenen Urteils lassen besorgen, dass sich das Berufungsgericht über diese rechtliche Beurteilung nicht im Klaren war, da es offenbar davon ausgeht, dass erforderlich sei, der Angeklagte habe das Gerücht als eigene Behauptung verbreitet. Dies ergibt sich aus den Ausführungen der Kammer, die nicht habe feststellen können, dass der Angeklagte dieses Gerücht als eigene Behauptung verbreitet habe. Zudem führen die Urteilsgründe aus, dass die Zeugin B. bekundet habe, der Angeklagte habe lediglich gesagt, dass es das Gerücht gebe, der Privatkläger sei ein Kinderschänder. Als Tatsache behauptet habe er es aber nicht. Auch habe der Angeklagte nicht direkt gesagt, dass der Privatkläger ein Kinderschänder sei. Er habe nur gesagt, dass es das Gerücht gebe.

Die Strafkammer hat demnach offenbar die Rechtslage verkannt, nach der die Verbreitung eines - hier zweifellos ehrverletzenden - Gerüchts zur Verwirklichung einer üblen Nachrede ausreicht, wenn die Tatsache nicht erweislich wahr ist. Zum Wahrheitsbeweis verhalten sich die Urteilsgründe nicht, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen der üblen Nachrede bereits verneint worden sind.

Aufgrund dieses Mangels konnte das angefochtene Urteil keinen Bestand haben; der festgestellte Sachverhalt ist durch das Berufungsgericht nicht unter allen rechtlichen Gesichtspunkten erschöpfend gewürdigt worden, so dass das Berufungsgericht gegen seine allseitige Erkenntnispflicht verstoßen hat. Der Tatrichter ist verpflichtet, den Unrechtsgehalt der Tat i.S.d. § 264 StPO voll auszuschöpfen. Da die Urteilsgründe besorgen lassen, dass das Berufungsgericht dieser Erkenntnispflicht nicht hinreichend nachgekommen ist, war das Urteil mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache an eine andere Abteilung des Landgerichts Essen, das auch über die Kosten der Revision zu befinden haben wird, zurückzuverweisen.


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