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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 1 VAs 11/2000 OLG Hamm

Leitsatz: Bei der Beurteilung der Frage, ob die Strafvollstreckung nach § 35 BtMG zurückgestellt werden kann, dürfen die Anforderungen an Therapiewilligkeit und fähigkeit nicht überspannt werden.

Gericht: OLG Hamm

Senat: 1

Gegenstand: Justizverwaltungssache

Stichworte: Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG, Antrag auf gerichtliche Entscheidung, Therapiewilligkeit, Ermessensentscheidung, Überprüfbarkeit, ausreichende Ermittlungen, Resozialisierung, Restrisiko

Normen: BtMG 35, EGGVG 23

Beschluss: Justizverwaltungssache betreffend H.P., wegen Rechtmäßigkeit von Maßnahmen der Justizbehörden, (hier: Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG).

Auf den Antrag des Betroffenen vom 27.01.2000 auf gerichtliche Entscheidung gemäß den §§ 23 ff. EGGVG gegen den Bescheid der Staatsanwaltschaft Mönchengladbach vom 23.11.1999 in der Form des Beschwerdebescheids des Generalstaatsanwalts in Düsseldorf vom 06.01.2000 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 16.03.2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung des Generalstaatsanwalts in Hamm beschlossen:

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.
Die Staatsanwaltschaft hat den Betroffenen unter Beachtung der Rechtsansicht des Senats erneut zu bescheiden.
Die Kosten des Verfahrens und die dem Betroffenen erwachsenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
Der Geschäftswert wird auf 5.000,00 DM festgesetzt.

Gründe:
Der Betroffene verbüßt zur Zeit eine aufgrund des Urteils des Amtsgerichts Mönchengladbach vom 5. Oktober 1998 gegen ihn verhängte Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten wegen unerlaubter Einfuhr und Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie wegen unerlaubten Erwerbs und Einfuhr von Betäubungsmitteln in zwei Fällen und wegen unerlaubten Erwerbs der tatsächlichen Gewalt über eine Kriegswaffe in der Justizvollzugsanstalt Mannheim. 2/3 der Strafe werden am
28. Juli 2000 verbüßt sein, das Strafende ist auf den 28. August 2001 notiert. Darüber hinaus hat der Betroffene noch die Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Mannheim vom 30. Januar 1996 nach Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung durch Beschluss des Landgerichts Mannheim vom 22. April 1999 zu verbüßen. Mit Verfügung vom 21. Juli 1999 hat die Staatsanwaltschaft Mannheim die Vollstreckung dieser Freiheitsstrafe gemäß § 35 BtMG zurückgestellt.
Mit Schreiben seines Verteidigers vom 11. Juni 1999 hat der Antragsteller im vorliegenden Verfahren die Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG beantragt. Eine Kostenzusage der Landesversicherungsanstalt Baden und eine Aufnahmebestätigung der Therapieeinrichtung Fachklinik Eiterbach lagen vor.
Die Justizvollzugsanstalt Mannheim hat auf Anfrage der Staatsanwaltschaft unter dem 17. September 1999 mitgeteilt, unter Zurückstellung von Bedenken werde eine Vorgehensweise gemäß § 35 BtMG befürwortet. Zwar sei das Verhalten des Gefangenen im Vollzug nicht immer beanstandungsfrei gewesen. Am 15. Februar 1999 habe er eine Urinprobe abgegeben, in welcher Rückstände von THC nachgewiesen worden seien. Zwischenzeitlich habe der Gefangene weitere Urinproben abgegeben, die negativ gewesen seien, was sich eventuell auf die Motivationsbereitschaft des Gefangenen, eine stationäre Drogentherapie anzutreten, zurückführen lasse. Auch auf dem Arbeitsgebiet sei der Gefangene, nachdem er wegen Arbeitsverweigerung zunächst habe abgelöst werden müssen, nunmehr stabil. Im Rahmen einer Vollzugsplankonferenz am 3. Februar 1999 sei festgehalten, dass eine stationäre Drogentherapie unbedingt erforderlich erscheine und ohne die erforderliche Behandlung Vollzugslockerungen oder eine vorzeitige Entlassung nicht in Betracht kämen. Nach Aussage des mit dem Gefangenen in Kontakt stehenden Drogenberaters sei der Gefangene in ausreichendem Maße zur Therapie fähig und motiviert, so dass Therapiefähigkeit und -willigkeit bejaht werden könnten. Dieser Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt Mannheim vom 17. September 1999 ist eine Stellungnahme der Anstaltsärztin vom 16. September 1999 beigefügt. Danach ist der Betroffene aus medizinischer Sicht für eine Therapie geeignet. Motivation, Engagement und Einsicht in die Notwendigkeit einer stationären Entwöhnungstherapie seien aus ärztlicher Sicht fraglich. Der Gefangene mache insgesamt einen läppischen, gelangweilten Eindruck. Seine Arbeitseinsätze hätten zunächst nur wenige Tage gedauert. Er sei dann von der Arbeit abgelöst worden, habe danach fast drei Monate gar nicht gearbeitet, und seit dem 1. Juli 1999 wieder sechs Wochen.
Aufgrund der Stellungnahme der Anstaltsärztin hat das Amtsgericht Mönchengladbach die Zustimmung zur Zurückstellung der Strafvollstreckung nicht erteilt.

Mit Verfügung vom 23. November 1999 hat die Staatsanwaltschaft Mönchengladbach die Zurückstellung der Strafvollstreckung mit folgender Begründung abgelehnt:
"Zwar hat die Anstaltsleitung letztendlich eine Zurückstellung der Vollstreckung befürwortet, hierbei jedoch Bedenken zurückgestellt, die letztlich aus ihrer Motivation und Therapiewilligkeit herrühren.
Die Anstaltsärztin hat in der Stellungnahme vom 16.09.1999 Ihre Motivation, Engagement und Einsicht in die Notwendigkeit einer stationären Entwöhnungstherapie angezweifelt.
Bezugnehmend auf diese Entscheidung bin auch ich der Auffassung, dass bei Ihnen von einer Entwöhnungsbereitschaft und einem ernsthaften Willen, eine Therapie durchzuführen und mit dem erforderlichen Einsatz auf einen erfolgreichen Abschluss hinzuarbeiten, nicht ausgegangen werden kann."

Die gegen diese Entscheidung gerichtete Beschwerde des Betroffenen vom 16. Dezember 1999 hat der Generalstaatsanwalt in Düsseldorf mit Bescheid vom 6. Januar 2000 zurückgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt:
"Voraussetzung für eine Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 Abs. 1 BtMG ist u.a., dass sich der Verurteilte wegen seiner Abhängigkeit in einer seiner Rehabilitation dienenden Behandlung befindet oder zusagt, sich einer solchen zu unterziehen und deren Beginn gewährleistet ist.
Dies ist hier nicht der Fall. Denn nach der Stellungnahme der Anstaltsärztin der Justizvollzugsanstalt Mannheim vom 16. September 1999 sind Engagement und Einsicht Ihres Mandanten in die Notwendigkeit einer stationären Entwöhnungstherapie aus ärztlicher Sicht fraglich. Damit ist der Beginn und die Durchführung einer Therapie nicht gewährleistet.
Demgemäss hat auch das Gericht des ersten Rechtszuges einer Zurückstellung der Strafvollstreckung durch Beschluss vom 23. September 1999 nicht zugestimmt. Damit sind bereits die formellen Voraussetzungen des § 35 BtMG nicht erfüllt.
Vor diesem Hintergrund ist die Ablehnung der Zurückstellung der Strafvollstreckung durch die Staatsanwaltschaft nicht zu beanstanden."

Gegen diese ablehnende Entscheidung richtet sich der rechtzeitig gestellte und auch im Übrigen zulässige Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung. Beigefügt ist ein Betreuungsbericht des Drogenberaters der Justizvollzugsanstalt Mannheim, der die Therapiemotivation des Antragstellers uneingeschränkt bejaht.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist begründet.

Bei der Frage, ob einem Verurteilten Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG zu bewilligen ist, handelt es sich nach dem Willen des Gesetzgebers um eine Ermessensentscheidung. Eine solche Ermessensentscheidung ist gemäß § 28 Abs. 3 EGGVG rechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob die Staatsanwaltschaft die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten hat, ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden und ob die Vollstreckungsbehörde den Sachverhalt in dem gebotenen Umfang unter Ausschöpfung aller ihr zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen ausgeschöpft hat (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. OLG Hamm, NStZ 1982, 483, 484; OLG Hamm, Beschluss vom 23. November 1999 - 1 VAs 85/99 -).
Die demgemäss vorgenommene Überprüfung der angefochtenen Bescheide führt zu dem Ergebnis, dass der der Ermessensentscheidung zugrunde liegende Sachverhalt unvollständig gewürdigt
und ausermittelt worden ist. Sowohl die Staatsanwaltschaft Mönchengladbach als auch der Generalstaatsanwalt in Düsseldorf haben ihre ablehnende Entscheidung lediglich auf die Stellungnahme der Anstaltsärztin gestützt, ohne sich damit auseinander zusetzen, dass nach dem Bericht der Justizvollzugsanstalt Mannheim der mit dem Gefangenen in Kontakt stehende Drogenberater die Therapiefähigkeit und -willigkeit des Antragstellers bejaht hat. Die, wenn auch unter Zurückstellung von Bedenken, positive Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt Mannheim hat die Staatsanwaltschaft nicht in erkennbarer Weise in ihre Erwägungen einbezogen. Darüber hinaus ergibt sich aus dem Bericht der Anstaltsärztin, dass sie im April 1999 ein Drogengutachten für den Betroffenen erstellt hat. Dem Bericht ist nicht zu entnehmen, dass danach noch ein persönlicher Kontakt zwischen der Anstaltsärztin und dem Verurteilten stattgefunden hat. Auch die Angaben der Anstaltsärztin zum Arbeitseinsatz, die in Widerspruch zu den Ausführungen der Justizvollzugsanstalt Mannheim stehen, nach denen der Verurteilte nunmehr "stabil" sei, legen den Schluss nahe, dass nach April 1999 die Anstaltsärztin den Gefangenen nicht mehr persönlich gesprochen hat. Es ist daher nicht auszuschließen, dass der Bericht der Anstaltsärztin nicht die konkrete gegenwärtige Situation des Verurteilten beschreibt. Das bereits länger zurückliegende Vollzugsverhalten des Antragstellers lässt aber keinen unmittelbaren Schluss auf eine Therapiefähigkeit zum jetzigen Zeitpunkt zu. Des weiteren hat die Staatsanwaltschaft bei ihrer Ermessensentscheidung nicht die Aufnahmebereitschaft des Therapieträgers bei ihrer Entscheidung mit berücksichtigt. Dies deutet darauf hin, dass jedenfalls auch die Therapieeinrichtung von einer entsprechenden Motivation des Verurteilten ausgeht. Diese Mängel der Ermessensentscheidung zwingen zur Aufhebung der angefochtenen Bescheide. Die Staatsanwaltschaft wird den Betroffenen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu bescheiden haben.
Bei der neuen Entscheidung wird die Staatsanwaltschaft berücksichtigen müssen, dass die Anforderungen an Therapiewilligkeit und Therapiefähigkeit nicht übersteigert werden dürfen. Vielmehr ist ein gewisses Maß an entgegengebrachtem Vertrauen als zusätzliches Mittel der Resozialisierung einzusetzen und damit ein gewisses Maß an Risiko in Kauf zu nehmen (vgl. Senatsbeschluss vom 23. August 1985 - 1 VAs 31/85 -). Da seit der Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt Mannheim nunmehr mehr als ein halbes Jahr verstrichen ist, wird sie einen neuen Bericht der Justizvollzugsanstalt anfordern müssen, wobei insbesondere die Stellungnahme des den Gefangenen betreuenden Drogenberaters von Bedeutung ist. Findet die bereits im letzten Bericht angesprochene Stabilisierung des Verurteilten Bestätigung, so wird die Staatsanwaltschaft nicht umhin kommen, eine Zurückstellung der Strafvollstreckung vorzunehmen. Angesichts der neu durchzuführenden Ermittlungen ist die Sache auch erneut dem Amtsgericht vorzulegen. Sollte die Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt weiterhin positiv ausfallen, so wird auch das erkennende Gericht seine Zustimmung zur Zurückstellung der Strafvollstreckung nicht mehr verweigern können.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 30 EGGVG, 30, 130 KostO.


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