Aktenzeichen: 1 VAs 5/2000 OLG Hamm
Leitsatz: Ob in Umkehrung der im Regelfall vorgesehenen Reihenfolge der Vorwegvollzug der Strafe gerechtfertigt ist, hat die Vollstreckungsbehörde nach den individuellen Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Persönlichkeit des Täters, der Länge der Freiheitsstrafe und der notwendigen Behandlung zu entscheiden. Die Prüfung hat darauf abzustellen, ob der Zweck der Maßregel leichter erreichbar ist, d.h. die Rehabilitation gefördert wird.
Senat: 1
Gegenstand: Justizverwaltungssache
Stichworte: Änderung der Vollstreckungsreihenfolge, Unterbringung in einer Entziehungsanstalt Vorwegvollzug von Strafe, Rehabilitationsinteresse des Verurteilten
Normen: StGB 67 Abs. 2, StVollstrO § 44 b
Beschluss: Justizverwaltungssache betreffendR.O., wegen Rechtmäßigkeit von Maßnahmen der Justizbehörden, (hier: Änderung der Vollstreckungsreihenfolge).
Auf den Antrag des Betroffenen vom 12. Januar 2000 auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und auf gerichtliche Entscheidung nach den §§ 23 ff. EGGVG gegen den Bescheid der Staatsanwaltschaft Duisburg vom 6. Oktober 1999 in der Form des Beschwerdebescheids des Generalstaatsanwalts in Hamm vom 7. Dezember 1999 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 23.03.2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung des Generalstaatsanwalts in Hamm beschlossen:
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und der Antrag auf gerichtliche Entscheidung werden als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.
Der Gegenstandswert wird auf 5.000,00 DM festgesetzt.
Gründe:
Der Antragsteller ist durch Urteil des Amtsgerichts Duisburg vom 21. November 1997 wegen unerlaubten Handeltreibens mit einem Betäubungsmittel in acht Fällen und wegen unerlaubten Besitzes eines Betäubungsmittels in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren (54 Js 628/97 StA Duisburg) verurteilt worden. Die Vollstreckung der Strafe ist zur Bewährung ausgesetzt worden.
Am 18. März 1999 hat das Landgericht Duisburg den Betroffenen wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 17 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Zugleich wurde die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Zur Reihenfolge der Vollstreckung hat das Landgericht ausgeführt:
"Ein ganzer oder teilweiser Vollzug der Strafe vor der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 67 Abs. 2 StGB ist nicht geboten, weil der Zweck der Maßregel dadurch nicht leichter erreicht werden kann. Der Sachverständige Dr. M. hat auch insoweit überzeugend dargelegt, dass der Angeklagte hinreichend zu erfolgversprechender Mitarbeit in der Therapie motiviert und stabilisiert ist. Er steht unter einem hinreichenden Leidensdruck angesichts bereits verbüßter sechs Monate Untersuchungshaft in vorliegender Sache und der hier verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und der zu erwartenden weiteren zur Vollstreckung anstehenden restlichen Gesamtfreiheitsstrafe von etwa 22 Monaten nach Bewährungswiderruf."
Mit Beschluss des Amtsgerichts Duisburg vom 4. August 1999 ist die Strafaussetzung zur Bewährung aus dem Urteil des Amtsgerichts Duisburg vom 21. November 1997 widerrufen worden. Die gegen diesen Beschluss gerichtete sofortige Beschwerde des Verurteilten hat das Landgericht Duisburg mit Beschluss vom 24. August 1999 verworfen. Die Kammer hat zur Frage der Vollstreckungsreihenfolge bemerkt, dass entsprechend § 67 Abs. 1 StGB die in dem Urteil des Landgerichts Duisburg vom 18. März 1999 angeordnete Unterbringung in eine Entziehungsanstalt auch vor der widerrufenen Strafe zu vollziehen sein dürfe. Ein Vorwegvollzug von Strafe sei nach § 44 b StVollstrO entsprechend § 67 Abs. 2 StGB nur insoweit zulässig, als dies im Rehabilitationsinteresse des Verurteilten erforderlich sei. Diese Voraussetzung für einen Vorwegvollzug von Strafe sei in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht von der erkennenden Kammer in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen verneint worden.
Gleichwohl bestimmte die Staatsanwaltschaft Duisburg mit Verfügung vom 6. Oktober 1999, dass gemäß § 44 b Abs. 2 StVollstrO die widerrufene Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Duisburg vom 21. November 1997 vor der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zu vollstrecken sei. Dem lag nach einem Vermerk die Erwägung zugrunde, es sei untunlich, dass der Antragsteller zunächst in anderer Sache eine eventuell erfolgreiche Unterbringung absolviere und sodann für die widerrufene Sache erneut inhaftiert werde.
Gegen diese Entscheidung hat der Betroffene am 08. November 1999 Einwendungen erhoben. Diese wurden vom Generalstaatsanwalt in Düsseldorf mit Bescheid vom 7. Dezember 1999 als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt:
"Nach Prüfung des Sachverhalts sehe ich zu einer Änderung der staatsanwaltschaftlichen Entschließung keinen Anlass. Der Vorwegvollzug der Reststrafe ist zur Erzeugung eines hinreichenden Leidensdrucks nicht zu beanstanden.
Es ist zu besorgen, dass die in dem Urteil des Landgerichts Duisburg vom 18. März 1999 (54 KLs 54 Js 370/98 - 3/99) angesprochene Motivation Ihres Mandanten in Anbetracht der im Anschluss an einen vorgezogenen Maßregelvollzug dann noch zu vollstreckenden erheblichen Freiheitsstrafenreste alsbald schwinden würde.
Ihre Beschwerde weise ich daher als unbegründet zurück."
Der Betroffene hat mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 12. Januar 2000 Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß §§ 23 ff. EGGVG gestellt. Er will erreichen, dass unter Aufhebung der strafvollstreckungsrechtlichen Anordnung der Staatsanwaltschaft Duisburg vom 6. Oktober 1999 in der Form des Bescheides des Generalstaatsanwalts vom 7. Dezember 1999 die Unterbringung des Betroffenen in einer Entziehungsanstalt angeordnet wird. Darüber hinaus wird beantragt, den Prozessbevollmächtigten als Pflichtverteidiger beizuordnen.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
Für den hier gegebenen Fall des Zusammentreffens der Vollstreckung von Freiheitsstrafe(n) und Unterbringung in einer Entziehungsanstalt aus verschiedenen Erkenntnisverfahren hat der Gesetzgeber eine Bestimmung der Reihenfolge nicht getroffen. Auch eine entsprechende Anwendung des Rechtsgedankens aus § 67 Abs. 1 StGB ist nicht angängig, da die Verschiedenheit der tatsächlichen Sachverhalte eine Gleichbehandlung nicht rechtfertigt (Entscheidung des erkennenden Senats vom 21. Januar 1993 - 1 VAs 33/92 -; vom 8. April 1999 - 1 VAs 120/98 -). Nach § 44 b Abs. 2 StVollstrO wird die Reihenfolge der Vollstreckung von Strafe und Maßregel aus verschiedenen Urteilen von der Vollstreckungsbehörde bestimmt. Gemäß § 44 b Abs. 1 StVollstrO wird die Maßregel vor der Strafe vollzogen, es sei denn, dass der Zweck der Maßregel durch den vorherigen Vollzug der Strafe oder eines Teiles davon leichter erreicht wird. Von diesem zutreffend erkannten rechtlichen Ausgangspunkt her ist die Vollstreckungsbehörde im vorliegenden Fall in nicht zu beanstandender Weise zu der Auffassung gelangt, dass der Zweck der im Urteil des Landgerichts Duisburg vom 18. März 1999 verhängten Unterbringung des Betroffenen in einer Entziehungsanstalt durch die Vorabvollstreckung der widerrufenen Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Duisburg vom 21. November 1997 leichter erreicht wird.
Ob in Umkehrung der im Regelfall vorgesehenen Reihenfolge der Vorwegvollzug der Strafe gerechtfertigt ist, hat die Vollstreckungsbehörde nach den individuellen Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Persönlichkeit des Täters, der Länge der Freiheitsstrafe und der notwendigen Behandlung zu entscheiden. Die Prüfung hat darauf abzustellen, ob der Zweck der Maßregel leichter erreichbar ist, d.h. die Rehabilitation gefördert wird. Zweck der Maßregel ist, dass durch heilende oder bessernde Einwirkung auf den Täter die von ihm ausgehende Gefahr weiterer Taten abgewendet oder verringert wird. Gerechtfertigt ist der Vorwegvollzug der Strafe, wenn der Entlassung in die Freiheit eine Behandlung nach § 64 StGB unmittelbar vorausgehen sollte, weil ein nachfolgender Strafvollzug die positiven Auswirkungen des Maßregelvollzugs wieder gefährden würde
(BGH NJW 1986, 143; Beschluss des erkennenden Senats vom
8. April 1999 - 1 VAs 120/98 - = NStZ 1999, 535; Wolf in Kohlmann/Jabel/Wolf, Strafvollstreckungsordnung, 7. Aufl., § 44 b Rdnr. 2). Angesichts dessen ist die Entscheidung der Staatsanwaltschaft und der Generalstaatsanwaltschaft nicht zu beanstanden.
Die Unterbringung, die in dem Verfahren 54 Js 370/98 auf die ausgeurteilte Gesamtfreiheitsstrafe anzurechnen wäre, kann nicht auf die widerrufene Freiheitsstrafe aus dem Verfahren 54 Js 628/97 angerechnet werden, so dass bei vorrangiger Vollstreckung der Unterbringung der Betroffene in jedem Fall vor Entlassung in die Freiheit ca. 22 Monate Freiheitsstrafe verbüßen müsste.
Aus dem Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf in Verbindung mit der Verfügung der Staatsanwaltschaft Duisburg ergibt sich, dass der Entscheidung über die Umkehr der Vollstreckungsreihenfolge der Gedanke zugrunde lag, der Verurteilte solle nach einer erfolgreichen Therapie nicht noch längere Zeit Strafhaft verbüßen. Diese Erwägung ist frei von Rechtsfehlern. Alle Programme des Maßregelvollzugs zielen darauf ab, den
Maßregelpatienten in Freiheit zu entlassen (Wolf in Kohlmann/Jabel/Wolf, a.a.O., § 44 b Rdnr. 2). Dieser Ausgangspunkt ist mitbestimmend für den Inhalt der Therapie. Von daher ist es nicht zu beanstanden, dass die Generalstaatsanwaltschaft die Befürchtung äußert, der Antragsteller könnte seine zum jetzigen Zeitpunkt vorhandene Motivation während der Therapie verlieren, wenn er nach erfolgreichem Abschluss der Therapie noch eine längere Freiheitsstrafe verbüßen müsste. Denn unter diesen Umständen sind die Therapieinhalte nicht auf die Lebenssituation des Verurteilten zugeschnitten, so dass das Ziel der Behandlungsmaßnahme nicht erreicht wird und die Einsicht des Verurteilten in die Notwendigkeit einer Therapie und seine Therapiewilligkeit schwinden könnte. Unabhängig von der Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft nicht an die Entscheidung des Gerichts gebunden ist, setzt sie sich damit aber auch nicht mit den gerichtlichen Erwägungen in Widerspruch, da diese lediglich die momentane Motivation des Verurteilten ansprechen. Diese wird aber auch von der Staatsanwaltschaft letztendlich nicht in Abrede gestellt. Darüber hinaus erfolgen Entlassungen aus dem Maßregelvollzug mit begleitenden und stabilisierenden Maßnahmen. Müsste der Antragsteller bei erneuter Änderung der Vollstreckungsreihenfolge nach Abschluss einer erfolgreichen Maßnahme nach § 64 StGB noch eine längere Haftstrafe verbüßen und würde er ohne diese unterstützenden Maßnahmen aus der Haft entlassen, würde dies den Therapieerfolg gefährden. Dies gilt vorliegend umso mehr, als nach den Ausführungen des Sachverständigen der Antragsteller in der Vergangenheit infolge seines Rauschmittelkonsums seinen Lebensalltag nicht mehr zu bewältigen vermochte und er in Zukunft erst neue Lösungsstrategien für alltägliche Probleme des Lebens einüben muss. Unter diesen Umständen bedarf er aber auch gerade nach der Entlassung der Begleitung und Unterstützung. Demzufolge hat der Antrag des Betroffenen auf Umkehr der Vollstreckungsreihenfolge keinen Erfolg.
Die Staatsanwaltschaft wird allerdings bedenken müssen, ob nicht eine erneute Umkehr der Vollstreckungsreihenfolge zu erfolgen hat, wenn der Antragsteller die Hälfte der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Duisburg vom 21. November 1997 verbüßt hat. Absolviert der Verurteilte sodann erfolgreiche eine Behandlungsmaßnahme nach § 64 StGB, könnte nämlich diese Strafe ebenfalls erneut zur Bewährung ausgesetzt werden, da dann die Prognose möglicherweise günstig erscheint. Es müsste dann gleichzeitig mit der Entscheidung über die Aussetzung des weiteren Maßregelvollzuges und des durch Anrechnung noch nicht verbüßten Strafrestes aus dem Urteil des Landgerichts Duisburg vom 18. März 1999 auch über die erneute Aussetzung der widerrufenen Strafe entschieden werden.
Der Antrag auf Beiordnung eines Pflichtverteidigers war dahingehend auszulegen, dass der Antragsteller Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt, da eine Beiordnung als Pflichtverteidiger gemäß § 140 Abs. 2 StPO im Verfahren nach den
§§ 23 ff. EGGVG nicht zulässig ist. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war aber mangels Erfolgsaussicht des Antrages auf gerichtliche Entscheidung zurückzuweisen.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 30 KostO, 30, 130 EGGVG.
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