Aktenzeichen: 1 VAs 78/99 OLG Hamm
Leitsatz: Zur Ablehnung des Antrags, von der weiteren Vollstreckung der Strafe nach Verbüßung der Hälfte der wegen eines versuchten Tötungsdelikts verhängten Freiheitsstrafe, wenn der Verurteilte bereits einmal wegen Tötungsdelikts verurteilt ist.
Gericht: OLG Hamm
Senat: 1
Gegenstand: Justizverwaltungssache
Stichworte: Entscheidung nach § 456 a StPO
Normen: StPO 456 a
Beschluss: Justizverwaltungssache betreffend K.Ü. wegen Rechtmäßigkeit von Maßnahmen der Justizbehörden: Entscheidung nach § 456 a StPO.
Auf den Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung nach den §§ 23 ff EGGVG gegen den Bescheid der Staatsanwaltschaft Wuppertal vom 05.07.1999 in der Form des Beschwerdebescheides des Generalstaatsanwalts in Düsseldorf vom 20.08.1999 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 14.12.1999 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht sowie die Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung des Generalstaatsanwalts in Hamm beschlossen:
Der Antrag wird auf Kosten des Betroffenen als unbegründet verworfen.
Der Geschäftswert wird auf 5.000,00 DM festgesetzt.
G r ü n d e: Der 1965 in der Türkei geborene Angeklagte siedelte 1981 in die Bundesrepublik über, wo sein Vater bereits seit 1973 lebte. Er ist durch Urteil des Schwurgerichts Wuppertal vom 13. Januar 1997 wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von 6 Jahren und 6 Monaten verurteilt worden. 2/3 der Strafe werden am 06.08.2000 verbüßt sein. Die Hälfte der Strafe war am 07.07.1999 verbüßt.
Bereits im Jahre 1987 wurde er wegen eines versuchten Totschlages zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren 6 Monaten verurteilt. Diese hat er zum größten Teil bis zum 31.10.1991 verbüßt. Lediglich eine Reststrafe von neun Monaten wurde zur Bewährung ausgesetzt und nach Ablauf der Bewährungszeit erlassen.
Gegen den Betroffenen ist eine bestandskräftige Ausweisungsverfügung des Oberbürgermeisters der Stadt Remscheid ergangen.
Mit Antrag seiner Verteidigerin vom 21.06.1999 hat der Verurteilte beantragt, gemäß § 456 a StPO von der Vollstreckung der Freiheitsstrafe nach Verbüßung der Halbstrafe abzusehen. Dies hat er im Wesentlichen damit begründet, dass er einzig und allein in seiner Heimat die Möglichkeit zu einer Neuorientierung sehe. Ferner hat er geltend gemacht, dass er aufgrund einer Alkoholproblematik erhebliche gesundheitliche Schwierigkeiten hätte und aus diesem Grunde besonders haftempfindlich sei.
Sein Begehren hat die Staatsanwaltschaft Wuppertal durch Bescheid vom 05.07.1999 zurückgewiesen. Hierbei hat sie folgendes ausgeführt:
"Bei meiner Entscheidung habe ich sowohl die Befürwortung durch die Vollzugsanstalt als auch die bislang in dem Verfahren erlittene Freiheitsentziehung, sein Verhalten in der Haft, die Alkoholproblematik, den Gesundheitszustand, die späte Einreise nach Deutschland und die geringen Kontakte hier sowie den in der Türkei beabsichtigten Neubeginn berücksichtigt.
Jedoch hat Ihr Mandant nach den Urteilsfeststellungen aus nichtigem Anlaß, wegen von dem Tatopfer nicht gezahlter 60,00 DM, mehrfach gezielt und wuchtig ein verborgen gehaltenes Messer, über dessen Besitz er vor Tatbeginn das Opfer täuschte, in den Brustkorb des Opfers gestoßen.
Das Opfer wurde in hohem Maße konkret lebensgefährlich verletzt, so daß das Tötungsdelikt nur zufällig und knapp am Erfolg vorbeiging.
Überdies wiegt sehr schwer die einschlägige Vorstrafe, nämlich die Verurteilung des Mandanten aus dem Jahre 1987 wegen versuchten Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten, die er auch bis auf eine ihm schließlich erlassene Reststrafe von neun Monaten verbüßt hat.
Auch hier hatte Ihr Mandant, nachdem er zunächst so getan hatte, als wollte er weggehen, aus nichtigem Anlaß - das spätere Opfer wollte ihn nicht beim Kaffeetrinken dabei haben - ein Springmesser dem Opfer, das beim Weglaufen zu Fall gekommen war, in den Oberbauch gestoßen.
Die Abwägung dieser Umstände ergibt, dass die weitere Vollstreckung der gegen Ihren Mandanten verhängten Freiheitsstrafe bis zum Zeitpunkt der Verbüßung von zwei Dritteln der verhängten Strafe (07.08.2000) unabwendbar geboten ist, zumal das Schwurgericht bereits strafmildernd die schwere Kindheit Ihres Mandanten, seine Übersiedlung nach Deutschland erst im Alter von 16 Jahren und seine besondere Strafempfindlichkeit wegen fehlender stabiler mitmenschlicher Beziehungen berücksichtigt hat."
Die hiergegen fristgerecht eingelegte Beschwerde des Verurteilten hat der Generalstaatsanwalt in Düsseldorf mit folgenden Erwägungen zurückgewiesen:
"Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, die gegen Sie verhängte Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten über den Halbstrafenzeitpunkt hinaus zu vollstrecken und voraussichtlich erst kurz vor dem 2/3-Termin von der weiteren Vollstreckung vorläufig abzusehen (§ 456 a StPO), ist nicht zu beanstanden.
Dies ergibt sich aus den in dem Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 13. Januar 1997 zum Ausdruck gebrachten über die Tatbestandsverwirklichung hinausgehenden ganz erheblichen schulderhöhenden Tatumständen. Überdies fällt ins Gewicht, dass Sie bereits am 23. Oktober 1987 vom Landgericht Wuppertal wegen eines am 31. Januar 1987 begangenen versuchten Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt worden waren.
Auch unter Berücksichtigung der Rundverfügung des Justizministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen vom 20. August 1985 (9174 - III A. 2) ergibt sich keine andere Beurteilung der Sach- und Rechtslage. Nach Nr. I 1 dieser Rundverfügung ist zwar in aller Regel zu einem Zeitpunkt der Verbüßung der Hälfte einer zeitigen Freiheitsstrafe von der weiteren Vollstreckung abzusehen. Nach Nr. I 3 kommt eine über den Halbstrafenzeitpunkt hinausgehende Vollstreckung dann in Betracht, wenn dieses aus besonderen, in der Tat oder in der Person des Verurteilten liegenden Gründe oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unabweisbar geboten ist. In dem vorliegenden Fall ist eine Vollstreckung über den Halbstrafenzeitpunkt hinaus unabweisbar geboten. Dabei ist berücksichtigt worden, dass nach der vorgenannten Rundverfügung die allgemeinen Ziele des Strafrechts nicht in unvertretbarer Weise beeinträchtigt werden dürfen und dieses vor allem bei gefährlichen Straftätern zu beachten ist. Wie bereits dargelegt, kommt in den Feststellungen des Urteils des Landgerichts Wuppertal vom 13. Januar 1997 die besondere Schwere der Schuld, die sich auch im Strafmaß niedergeschlagen hat, zum Ausdruck.
Ihre Beschwerde weise ich daher als unbegründet zurück."
Gegen den Beschwerdebescheid der Generalstaatsanwaltschaft richtet sich der rechtzeitig erhobene Antrag des Betroffenen vom 28.08.1999 auf gerichtliche Entscheidung nach den §§ 23 ff. EGGVG. Der form- und fristgerecht angebrachte Antrag ist unbegründet.
Die angefochtene Entscheidung lässt weder einen Rechtsfehler noch einen zur Rechtswidrigkeit der Ablehnung führenden Ermessensfehler i.S.d. § 28 Abs. 3 EGGVG erkennen. Die Staatsanwaltschaft ist in bedenkenfreier Weise in Ausübung des ihr in § 456 a StPO eingeräumten Ermessens (vgl. OLG Hamm, NStZ 1983, 524) zu der Beurteilung gelangt, dass die Voraussetzungen des § 456 a StPO nicht vorliegen. Insbesondere ist nicht zu beanstanden, dass sie dem Unrechtsgehalt der Tat und der Schwere der Schuld des Betroffenen besondere Bedeutung beigemessen hat (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 19. Januar 1993 - 1 VAs 68/92 -; OLG Hamm, Beschluss vom 31. Juli 1997 -1 VAs 55/97-).
Beanstandungsfrei hat die Generalstaatsanwaltschaft auch die Rundverfügung des Justizministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen vom 20. August 1985 (9174-III A. 2) mit herangezogen. Nach Ziffer 3 dieser Rundverordnung kommt eine über den Halbstrafenzeitpunkt hinausgehende Vollstreckung jedenfalls dann in Betracht, wenn dies aus besonderen in der Tat oder in der Person des Verurteilten liegenden Gründen oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unabweisbar geboten ist. Diesen Umstand hat die Generalstaatsanwaltschaft zu Recht als gegeben angesehen. Aus den Feststellungen des Urteils des Landgerichts Wuppertal vom 13. Januar 1997 ergeben sich erhebliche schulderschwerende Umstände. So ist dort ausgeführt, dass das Tatopfer Kilic in hohem Maße konkret lebensgefährlich verletzt wurde, das Tötungsdelikt nur zufällig und nur knapp am Erfolg vorbeiging, die Tat aus nichtigem Anlass geschah und Tatumstände vorlagen, die sich einem heimtückischen Verhalten näherten.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 30 EGGVG, 30, 130 KostO.
zur Startseite "Rechtsprechung"
zum SuchformularDie Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.
Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".