Aktenzeichen: (2) 4 Ausl. 506/98 (61/98) OLG Hamm
Leitsatz: Ein einmal nach § 14 IRG begründeter Gerichtsstand ändert sich nicht durch erneute Ermittlung des Verfolgten in einem anderen OLG-Bezirk.
Gericht: OLG Hamm
Senat: 2
Gegenstand: Auslieferungssache
Stichworte: Zuständigkeit für den Erlass eines vorläufigen Auslieferungshaftbefehls bei Wohnortwechsel des Verfolgten
Normen: IRG 14
Fundstelle: StraFo 1999, 50
Beschluss: Auslieferungssache (vorläufiger Auslieferungshaftbefehl) betreffend den italienischen Staatsangehörigen F.P. wegen Auslieferung des Verfolgten aus Deutschland in die Republik Italien zum Zweck der Strafverfolgung wegen Diebstahls u.a. hier: Anordnung der vorläufigen Auslieferungshaft).
Auf den Antrag der Generalstaatsanwaltschaft in Hamm vom 28. Oktober 1998 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 3. November 1998 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Regul und die Richter am Oberlandesgericht beschlossen:
Gegen den Verfolgten wird die vorläufige Auslieferungshaft angeordnet.
G r ü n d e:
I. Die Generalstaatsanwaltschaft hat den Erlass eines vorläufigen Auslieferungshaftbefehls gegen den Verfolgten beantragt. Ihren Antrag hat sie wie folgt begründet.
"Interpol Rom hat durch Ausschreibung gemäß Artikel 95 SDÜ im Schengener Informationssystem um die vorläufige Inhaftnahme des Verfolgten zum Zwecke der Auslieferung zur Strafvollstreckung ersucht und sich hierbei auf den Kumulationsbeschluss des Generalstaatsanwaltschaft in Sassari vom 26.01.1994 berufen, durch den eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und acht Monaten festgesetzt worden ist, von der der Verfolgte noch eine restliche Freiheitsstrafe von drei Jahren, acht Monaten und zwölf Tagen zu verbüßen hat (Bl. 4-9 d.V.).
In dem vorbezeichneten Kumulationsbeschluss sind im einzelnen folgende sieben Urteile einbezogen worden:
1. Urteil des Gerichts in Sassari vom 11.06.1987 i.V.m. dem Urteil des Berufungsgerichts Cagliari vom 21.12.1987:
Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten wegen schweren Überfalls.
Mitgeteilte Sachverhaltsschilderung:
Er entwendete eine Geldbörse samt Bargeld und Personaldokumenten, um sich unrechtmäßig zu bereichern.
2. Urteil des Gerichts Sassari vom 28.06.1984, rechtskräftig (?) seit dem 28.07.1994 (gemeint 1984?).
Ein Jahr und acht Monate Freiheitsstrafe und zwei Monate Arrest wegen versuchten schweren Diebstahls und Fahrens ohne Fahrerlaubnis.
Sachverhaltsschilderung:
Er entwendete ein Fahrzeug der Marke Fiat 500, Kennzeichen SS-93203, zum Nachteil C., um sich unrechtmäßig zu bereichern.
3. Urteil des Gerichts Sassari vom 13.07.1990, rechtskräftig (?) seit dem 25.10.1990.
Ein Jahr und vier Monate Freiheitsstrafe wegen Hehlerei.
Sachverhaltsschilderung:
Um sich unrechtmäßig zu bereichern, entwendete er ein Moped der Marke Piaggio zum Nachteil von P..
4. Urteil des Gerichts Sassari vom 23.06.1993, rechtskräftig (?) seit dem 11.10.1993.
Eine Freiheitsstrafe von einem Jahr wegen schweren Diebstahls.
Sachverhaltsschilderung:
Er entwendete mehrere Kilogramm Zigaretten zum Nachteil M., G., durch Gewalteinwirkung auf Sachgegenstände, um sich unrechtmäßig zu bereichern.
5. Urteil des Gerichts Sassari vom 27.05.1985 i.V.m. dem Urteil des Berufungsgerichts Cagliari vom 01.12.1997.
Sieben Monate Freiheitsstrafe wegen schweren Diebstahls.
Sachverhaltsschilderung:
Um sich unrechtmäßig zu bereichern, entwendete er durch betrügerische Handlungen ein Fahrzeug der Marke Fiat 500 zum Nachteil von D.S..
6. Urteil des Jugendgerichts in Cagliari vom 30.10.1987, rechtskräftig (?) seit dem 30.11.1987.
Eine Freiheitsstrafe von drei Monaten wegen schweren Diebstahls und wegen Hehlerei.
Sachverhaltsschilderung:
Um sich unrechtmäßig zu bereichern, brach er in eine Garage ein und entwendete eine Piaggio Vespa 50 zum Nachteil von A.
7. Urteil des Gerichts in Sorso vom 04.10.1986, rechtskräftig (?) seit dem 04.11.1986.
Eine Freiheitsstrafe von vier Monaten wegen schweren Diebstahls und versuchten schweren Diebstahls.
Sachverhaltsschilderung:
Um sich unrechtmäßig zu bereichern, brach er in ein Kaufhaus ein und entwendete daraus verschiedenerlei Ware.
Die Voraussetzungen für die Anordnung der vorläufigen Auslieferungshaft sind gegeben.
Die örtliche Zuständigkeit des Senats gemäß § 14 Abs. 1 IRG für den Erlass des vorläufigen Auslieferungshaftbefehls ist nach diesseitiger Auffassung gegeben, weil der Verfolgte im Zeitpunkt des Eingangs des Auslieferungsersuchens am 25.08.1998 bei der hiesigen Behörde (Bl. 1 d.A.) seinen Wohnsitz noch in Porta Westfalica hatte und der Verfolgte sich erst am 30.08.1998 mit dem Hauptwohnsitz in Ahnsen gemeldet hat (Bl. 27, 32 f d.A.).
Die den genannten Urteilen zugrunde liegenden Straftaten sind sowohl nach italienischem als auch nach deutschem Recht als Diebstahl (§§ 242, 243 StGB) mit Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens einem Jahr bedroht. Ob nach italienischem Recht der Straftatbestand des Fahrens ohne Fahrerlaubnis ebenfalls mit einer Höchststrafe von mindestens einem Jahr bedroht ist, kann dahingestellt bleiben, weil ausweislich der Sachverhaltsschilderung zu dem Urteil Nr. 2 nach deutschem Recht von Tateinheit mit der (versuchten) Entwendung des Kraftfahrzeugs auszugehen ist.
Durchgreifende Gründe, die die Auslieferung von vornherein als unzulässig erscheinen lassen könnten (§ 15 Abs. 2 IRG), sind - abgesehen von dem nachfolgend genannten Bedenken - nicht ersichtlich.
Hinsichtlich der Urteile zu Nr. 5., 6. und 7. wäre nach deutschem Recht Vollstreckungsverjährung gem. § 79 Abs. 3 Nr. 4 StGB eingetreten, falls lediglich auf die zeitliche Differenz zwischen Rechtskraft des Urteils und Erlass des Kumulationsbeschlusses abgestellt würde. Insoweit wird bei den italienischen Behörden anzufragen sein, ob in Italien die Unterbrechung der Verjährung bewirkenden Handlungen erfolgt sind, die - ohne Prüfung nach deutschem Recht - hier als wirksam hinzunehmen wären (Art. 62 Abs. SDÜ). Im übrigen wird bei den italienischen Behörden vorsorglich anzufragen sein, welcher Anteil der Strafen aus diesen drei Urteilen noch nicht vollstreckt worden ist, weil im Fall der Verjährung nur der nicht verbüßte Teil von der restlichen Freiheitsstrafe von drei Jahren, acht Monaten und zwölf Tagen abzuziehen wäre.
Die Anordnung der vorläufigen Auslieferungshaft ist geboten, weil der Verfolgte im Fall der Auslieferung in seinem Heimatland mit einer empfindlichen Strafvollstreckung zu rechnen hat, die erfahrungsgemäß einen erheblichen Fluchtanreiz darstellt. Es steht daher zu erwarten, dass sich der Verfolgte ohne die Anordnung und den Vollzug der vorläufigen Auslieferungshaft dem weiteren Verfahren durch Flucht entziehen wird.
Die vorläufige Auslieferungshaft steht auch nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache und zur Höhe der von dem Verfolgten in Italien zu verbüßenden Strafe. Eine etwaige Haftverschonung gegen Sicherheitsleistung wird allenfalls nach Anhörung des Verfolgten zu prüfen sein."
Diesen Ausführungen tritt der Senat bei, so dass entsprechend dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft gegen den Verfolgten gemäß den §§ 16 Abs. 1 Nr. 1, 17 IRG die vorläufige Auslieferungshaft anzuordnen war.
Ergänzend merkt der Senat an:
Die Anordnung der vorläufigen Auslieferungshaft ist nach § 16 IRG insbesondere deshalb geboten, weil der Verfolgte im Fall der Auslieferung an die Republik Italien auf jeden Fall noch mit der Vollstreckung einer empfindlichen Freiheitsstrafe zu rechnen hat. Dies stellt erfahrungsgemäß einen erheblichen Fluchtanreiz dar. Der Annahme, dass mit einer Flucht des Verfolgten gerechnet werden muß, wenn er auf freien Fuß käme, steht nicht der Umstand entgegen, dass der Verfolgte sich in der Bundesrepublik Deutschland polizeilich gemeldet hat und einer Tätigkeit bei der Stadt Minden nachgegangen ist. Denn es ist davon auszugehen, dass der Verurteilte mit der Einleitung des Auslieferungsverfahrens durch die Justizbehörden seines Heimatlandes nicht gerechnet hat, als er sich offenbar ins Ausland abgesetzt hat. Es ist daher nach Überzeugung des Senats mit einer Flucht des Verfolgten zu rechnen, wenn er nun erfährt, dass das Auslieferungsverfahren gegen ihn betrieben wird und er mit der Auslieferung nach Italien rechnen muß.
Der Senat ist auch zum Erlass des vorläufigen Auslieferungshaftbefehls zuständig. Nach § 14 Abs. 1 IRG beurteilt sich die örtliche Zuständigkeit des Oberlandesgerichts bzw. der Staatsanwaltschaft, falls - wie vorliegend - eine Ergreifung des Verfolgten nicht erfolgt, danach, in welchem Bezirk der Verfolgte zuerst ermittelt wird. Das ist hier der Bezirk des Oberlandesgerichts Hamm, in dem der Verfolgte, wie die Ermittlungen der Generalstaatsanwaltschaft ergeben haben, am 25. August 1998, als der Antrag auf Erlass des vorläufigen Auslieferungshaftbefehls einging, seinen Wohnsitz hatte. Durch die nachträglich am 30. August 1998 erfolgte Ummeldung nach 31708 Ahnsen, also in den Bezirk des Oberlandesgerichts Celle, ist ein Gerichtsstandswechsel nicht eingetreten. Die Formulierung des § 14 Abs. 1 IRG - "zuerst" - stellt klar, dass sich ein einmal nach § 14 IRG begründeter Gerichtsstand durch erneute Ermittlung des Verfolgten in einem anderen Bezirk nicht ändert (Uhlig/Schomburg/Lagodny, IRG, 3. Aufl., § 14 IRG Rn. 4 mit weiteren Nachweisen). Auf die Dauer und den Grund des Aufenthalts des Verfolgten in dem ermittelten Ort kommt es also nicht an, sondern lediglich auf den tatsächlichen Aufenthalt, der zuerst im Zusammenhang mit dem beabsichtigten Auslieferungsantrag ermittelt worden ist (so schon Beschluss des Senats vom 29. August 1975 in (2) 4 Ausl. 8/75, in NJW 1975, 2154, zu § 9 Abs. 1, 3 DAG).
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