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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 2 BL 254/98 OLG Hamm

Leitsatz: Die durch falsche Sachbehandlung entstandene Verzögerung des Abschlusses des Verfahrens kann ausnahmsweise dann gerechtfertigt sein, wenn das Verfahren auch bei sachgerechter Behandlung nicht eher abgeschlossen worden wäre.

Senat: 2

Gegenstand: Haftprüfung durch das OLG

Stichworte: Sechs-Monats-Prüfung, verzögerter Eingang eines Sachverständigengutachtens, Zulässigkeit von Kompensation, wichtiger Grund, Verfahren bei Einholung eines Sachverständigengutachtens

Normen: StPO 121

Beschluss: Strafsache gegenG.H., wegen Totschlags u.a. (hier: Haftprüfung durch das Oberlandesgericht)

Auf die Vorlage der (Zweit-)Akten zur Haftprüfung gemäß den §§ 121, 122 StPO hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 19.10.1998 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft, des Angeschuldigten und seines Verteidigers beschlossen:

Die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus wird angeordnet.

Die Haftprüfung für die nächsten drei Monate wird dem nach den allgemeinen Vorschriften dafür zuständigen Gericht übertragen.

G r ü n d e:
I. Der Angeschuldigte befindet sich nach seiner vorläufigen Festnahme am 26. März 1998 aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Recklinghausen vom 27. März 1998 (26 Gs 485/98) seit diesem Tag in Untersuchungshaft. In dem Haftbefehl des Amtsgerichts wird dem Angeschuldigten zur Last gelegt, am 26. März 1998 in Datteln gegen 21.00 Uhr der bereits erheblich alkoholisierten I.B. gegen ihren Willen den Inhalt einer 0,7 l Flasche Korn eingeflößt zu haben. Dabei soll der Angeschuldigte den Kopf der Geschädigten nach hinten gerissen und den Korn in deren Mund gegossen haben, bis die Geschädigte nicht mehr anders gekonnt habe, als den Schnaps zu schlucken. Im unmittelbaren Anschluss daran soll der Angeschuldigte die leere Kornflasche gegen den Willen der Geschädigten in deren After oder Scheide eingeführt haben. Der Haftbefehl des Amtsgerichts vom 27. März 1998 geht davon aus, dass der Angeschuldigte "nur" in der Absicht gehandelt habe, die körperliche Unversehrtheit der Geschädigten, die am 26. März 1998 verstorben ist, zu beschädigen und legt ihm deshalb einen Verstoß gegen die §§ 178, 229 StGB zur Last.

Die inzwischen erhobene Anklage der Staatsanwaltschaft Bochum vom 10. September 1998 geht davon aus, dass der Angeschuldigte beim Einflößen des Schnaps in Tötungsabsicht gehandelt habe und die Geschädigte infolge der Zuführung der hochkonzentrierten Menge Alkohol verstorben sei. Sie bewertet das Tatgeschehen rechtlich nach §§ 179 Abs. 1 Nr. 1 a.F., 212, 21 StGB. Inzwischen ist durch Beschluss des Schwurgerichts vom 15. Oktober 1998 der Haftbefehl an die Anklage vom 10. September 1998 angepasst worden. Der neu gefasste Haftbefehl ist dem Angeschuldigten zudem am 15. Oktober 1998 verkündet worden, so dass - entsprechend der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. Senat in StV 1995, 200; siehe auch Beschluss vom 22. 1. 1998 - 2 BL 2/9 - ZAP EN-Nr. 183/98 = StV 1998, 273 = wistra 1998, 158, jeweils mit weiteren Nachweisen) - auch für das Haftprüfungsverfahren gemäß den §§ 121, 122 StPO von den mit der Anklage erhobenen Tatvorwürfen ausgegangen werden kann.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Haftbefehl des Amtsgerichts Recklinghausen vom 27. März 1998 sowie auf die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Bochum vom 10. September 1998 Bezug genommen.

Das Schwurgericht hat im Beschluss vom 17. September 1998 die weitere Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich angesehen und die Akten durch Vermittlung der Staatsanwaltschaft Bochum und der Generalstaatsanwaltschaft dem Senat zur Entscheidung über die Haftfortdauer gemäß den §§ 121, 122 StPO vorgelegt.

II. Die Fortdauer der Untersuchungshaft des Angeschuldigten über sechs Monate hinaus war, entsprechend dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft, anzuordnen.

1. Es besteht gegen die Angeschuldigten dringender Tatverdacht hinsichtlich der ihm in dem angepassten Haftbefehl vom 15. Oktober 1998 zur Last gelegten Taten, die auch Gegenstand der Anklage vom 10. September 1998 sind. Der Tatverdacht gegen den Angeschuldigten, der die ihm vorgeworfenen Taten bestreitet, ergibt sich insbesondere aus den Angaben der im Ermittlungsverfahren vernommenen Zeugen pp. sowie aus den von der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren eingeholten Sachverständigengutachten. Deren Ergebnisse und die Erkenntnisse der übrigen Ermittlungen sind von der Staatsanwaltschaft im wesentlichen Ergebnis der Ermittlungen der Anklage vom 10. September 1998 zutreffend gewürdigt worden. Dieser Würdigung tritt der Senat bei und nimmt auf sie, um unnötige Wiederholungen zu vermeiden, Bezug.

Eine andere Beurteilung folgt nicht aus dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. H. vom 24. August 1998. Zwar scheint nach dem Ergebnis dieses Gutachtens der Geschädigten nicht, wie es die Zeugen angegeben haben, Weizenkorn der Firma Boente eingeflößt worden zu sein. Dies allein lässt aber den dringenden Tatverdacht nicht entfallen, da alle Zeugen, die das Vorgehen des Angeschuldigten beobachten haben, angegeben haben, dass dieser der Geschädigten eine Flasche "Korn" eingeflößt habe. Die Aufklärung dieses nach Aktenlage bestehenden Widerspruchs muß der Hauptverhandlung vorbehalten bleiben.

Der endgültigen Klärung in der Hauptverhandlung vorbehalten bleiben muß ebenso die Frage, ob der Angeschuldigte tatsächlich mit Tötungsvorsatz gehandelt hat. Bei der Beurteilung des dringenden Tatverdachts ist davon jedenfalls aufgrund der von den Zeugen bekundeten Äußerung des Angeschuldigten hinsichtlich der Geschädigten: "Die füll` ich so ab, dass die keine Scheiße mehr über uns erzählt." auszugehen.

2. Als Haftgrund ist der des § 112 Abs. 3 StPO gegeben. Dem Angeschuldigten wird im Haftbefehl u.a. die Tötung eines Menschen zur Last gelegt. Nach den Umständen des Falles ist nicht auszuschließen, dass der Angeschuldigte sich dem Verfahren durch Flucht entziehen würde, wenn er sich auf freiem Fuß befinden würde (vgl. zur erforderlichen verfassungskonformen Auslegung des § 112 Abs. 3 StPO Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 43. Aufl., 1997, § 112 StPO Rn. 37 mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung). Bei der insoweit erforderlichen Würdigung der Gesamtumstände übersieht der Senat nicht, dass der Angeschuldigte über familiäre Verbindungen verfügt; er ist mit der Mitangeklagten V.S. verlobt. Dies steht jedoch nicht der Annahme entgegen, dass er nicht doch, wenn er auf freiem Fuß wäre, untertauchen würden. Der Angeschuldigte muß wegen der ihm zur Last gelegten Taten, auch wenn nach dem Gutachten der Sachverständigen T. und B. die Voraussetzungen des § 21 StGB anzunehmen sein dürften, mit einer erheblichen Freiheitsstrafe rechnen. Damit besteht erfahrungsgemäß ein nicht unerheblicher Fluchtanreiz, der nach Überzeugung des Senats nicht durch die zu berücksichtigenden persönlichen Umstände gemildert wird. Denn es kann auch nicht übersehen werden, dass dem Angeschuldigten zudem noch der Widerruf einer zur Bewährung ausgesetzten (Rest-)Strafe von 10 Monaten droht und er auch über einen Arbeitsplatz nicht verfügt.

3. Demgemäss war der Zweck der Untersuchungshaft auch nicht mit weniger einschneidenden Maßnahmen nach § 116 StPO, insbesondere nicht durch eine Kaution, zu erreichen.

Es steht die bisher gegen den Angeschuldigten vollzogene Untersuchungshaft im übrigen auch nicht außer Verhältnis zur Bedeutung des Tatvorwurfs des Totschlags und der im Fall der Verurteilung zu erwartenden Freiheitsstrafe (vgl. zur Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes BVerfG StV 1998, 558).

Die Fortdauer der Untersuchungshaft ist, worauf die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend hinweist, auch nicht etwa deshalb unzulässig, weil der Angeschuldigte nach dem Inhalt der Anklage vom 10. September 1998 im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit gehandelt hat und er ggf. mit seiner Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gem. § 64 StGB rechnen muß. Grundsätzlich ist die Untersuchungshaft nämlich auch dann nicht ausgeschlossen, wenn ggf. mit einer Unterbringung zu rechnen ist (Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., § 126 a Rn. 2 mit weiteren Nachweisen), obwohl in der Regel die Unterbringung die angemessenere Maßnahme sein dürfte, da sie bereits eine ärztliche Behandlung ermöglicht. Da die Frage, ob der Angeschuldigte unterzubringen ist, derzeit aber noch nicht abschließend beurteilt werden kann, die abschließende Antwort vielmehr der Hauptverhandlung vorbehalten werden muß, steht vorliegend noch das Interesse der Verfahrenssicherung im Vordergrund, so dass die (weitere) Fortdauer der Untersuchungshaft gerechtfertigt erscheint.

4. Die besonderen Voraussetzungen des § 121 Abs. 1 StPO, unter denen die Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus fortdauern darf, sind ebenfalls noch gegeben.

a) Nach § 121 Abs. 1 StPO kommt - solange kein auf Freiheitsentziehung lautendes Urteil vorliegt - die Fortdauer von Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus nur dann in Betracht, wenn die besondere Schwierigkeit oder der besondere Umfang oder ein anderer wichtiger Grund ein Urteil noch nicht zugelassen haben.

Bei der insoweit erforderlichen Prüfung des Verfahrens(fort)- gangs sind die Ausnahmetatbestände des § 121 Abs. 1 StPO grundsätzlich eng auszulegen (vgl. u.a. BVerfGE 36, 264, 271 m.w.N.; siehe auch BVerfG NJW 1980; 1448; 1992, 1749 f. = StV 1991, 565; vgl. die weiteren Rechtsprechungsnachweise bei Kleinknecht, a.a.O., § 121 StPO Rn. 18 ff.), als sog. "wichtiger Grund" anerkannt ist aber die Erforderlichkeit der Einholung eines Sachverständigengutachtens. Auch ist die Schwere der den Verfahrensgegenstand bildenden Taten im Rahmen der genannten Vorschrift nach deren eindeutiger Fassung ohne Belang (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. u.a. auch aus neuerer Zeit Thüringische OLG NStZ 1997, 364 f.; StV 1998, 560; OLG Düsseldorf StV 1992, 384; NJW 1996, 2588 = StraFo 1996, 158 siehe auch Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., § 121 StPO Rn. 20 mit weiteren Nachweisen), so dass es vorliegend nicht darauf ankommt, dass dem Angeschuldigten die Tötung eines Menschen vorgeworfen wird.

b) Anhand der dem Senat vorliegenden Akten lässt sich folgender Verfahrensgang feststellen: Nach der vorläufigen Festnahme des Angeschuldigten am 26. März 1998 sind zunächst von den Ermittlungsbehörden der Angeschuldigte sowie die zur Ermittlung des Tatgeschehens erforderlichen Zeugen - teilweise mehrfach - vernommen worden. Diese Ermittlungen waren Anfang April 1998 beendet. Mit Verfügung vom 6. April 1998 gab die Staatsanwaltschaft dann Sachverständigengutachten in Auftrag, und zwar eins zu den Fragen der §§ 21, 20 StGB und der ggf. erforderlichen Unterbringung des Angeschuldigten nach § 64 StGB sowie außerdem ein sog. Kausalitätsgutachten zu der Frage, ob der der Geschädigten eingeflößte Alkohol für deren Tod kausal war. Der letzte Gutachtenauftrag ging am 17. April 1998 beim Sachverständigen Prof. Dr. H. ein.

Das Gutachten zu den Fragen der §§ 21, 20, 64 StGB ging am 27. Mai 1998 bei der Staatsanwaltschaft ein. Zu diesem Zeitpunkt lag das Kausalitätsgutachten noch nicht vor. Der sachbearbeitende Staatsanwalt stellte deshalb den Abschluss der Ermittlungen zurück. Er erinnerte den Sachverständigen Prof. Dr. H. an die Erledigung des Gutachtenauftrags, dieser sagte rasche Erledigung zu (siehe Verfügung vom 27. Mai 1998). Auf eine Anfrage vom 10. Juni 1998 teilte der Sachverständige dann mit, dass "das Gutachten in Arbeit sei und bald fertiggestellt werde" (siehe Verfügung vom 10. Juni 1996). Der Sachbearbeiter der Staatsanwaltschaft verfügte eine weitere Frist von zwei Wochen. Bei Ablauf dieser Frist wurde - soweit aus den dem Senat vorliegenden Akten ersichtlich - nicht noch einmal mit dem Sachverständigen Kontakt aufgenommen. Dies geschah erst am 23. Juli 1998. An diesem Tag wurde der Sachverständige Prof. Dr. H. noch einmal an die Dringlichkeit der Erledigung des Gutachtenauftrags erinnert. Der Sachverständige legte dann unter dem 30. Juli 1998 - am 3. August 1998 bei der Staatsanwaltschaft eingehend - eine "Begleitstoffanalyse" vor, bei der es sich um ein Zwischengutachten handelte. Nachdem der Sachbearbeiter der Staatsanwalt dieses Gutachten am 3. August 1998 fernmündlich mit dem Sachverständigen erörtert hatte, wurde der Eingang des abschließenden Gutachtens "in Kürze" zugesagt. Nach nochmaliger Erinnerung am 20. August 1998 ging das Kausalitätsgutachten vom 24. August 1998 dann am 26. August 1998 bei der Staatsanwaltschaft ein.

Diese hat sodann unter dem 10. September 1998 Anklage zum Schwurgericht erhoben. Bei diesem ist die Anklage am 18. September 1998 eingegangen. Dem Angeschuldigten und seinem Verteidiger ist die Anklage mit einer dreiwöchigen Frist zur Stellungnahme am 21. September 1998 zugestellt worden.

c) Unter Berücksichtigung der oben unter a) dargestellten Grundsätze ist vorliegend die Behandlung/Überwachung des dem Sachverständigen erteilten Auftrags zur Erstattung des Kausalitätsgutachtens zu beanstanden. In der obergerichtlichen Rechtsprechung besteht Einigkeit, wie im Hinblick auf den sich aus den §§ 121, 122 StPO ergebenden Beschleunigungsgrundsatz in Haftsachen die ordnungsgemäße, insbesondere zeitgerechte Erfüllung eines Sachverständigenauftrags zu erledigen, insbesondere durch die Staatsanwaltschaft zu überwachen ist (vgl. zu allem aus der Rechtsprechung Beschlüsse des OLG Hamm vom 25. November 1992 in 3 BL 405/92 und 438/92; siehe auch OLG Düsseldorf, a.a.O., sowie StV 1998, 560; OLG Bremen StV 1989, 539; OLG Zweibrücken StV 1994, 89,; Thüringisches OLG, a.a.O.):

Danach ist zunächst zu klären, ob der Sachverständige überhaupt in der Lage ist, das Gutachten in angemessener Zeit zu erstatten (vgl. Nr. 72 Abs. 1 RiStBV). Wenn dem Sachverständigen dann nicht schon bei der Auftragserteilung eine Frist zur Erstellung des Gutachtens gesetzt wird, was sich in der Regel empfehlen dürfte, ist zumindest die zügige Gutachtenerstellung zu kontrollieren und der Sachverständige ggf. durch die Androhung oder Festsetzung eines Ordnungsmittels gemäß § 77 Abs. 2 StPO zur zeitgerechten Gutachtenerstattung anzuhalten. Insoweit besteht Einigkeit, dass die bloß telefonische Erinnerung/Mahnung in der Regel nicht ausreichend sein wird.

Es bedarf nach Auffassung des Senats keiner näheren Darlegungen, dass das Verhalten der Staatsanwaltschaft vorliegend diesen Anforderungen nicht gerecht wird. Grundsätzlich nicht zu beanstanden ist allerdings, dass die Staatsanwaltschaft vor dem Abschluss der Ermittlungen zunächst den Eingang des Kausalitätsgutachtens hat abwarten wollen, da von dessen Ergebnis abhing, ob bei der Strafkammer oder beim Schwurgericht Anklage zu erheben war. Die Staatsanwaltschaft durfte jedoch nicht so lange wie oben festgestellt - letztlich untätig - auf den Eingang dieses als notwendig angesehenen Gutachtens warten, was unabhängig davon gilt, ob für die Erstattung des Kausalitätsgutachtens das Zwischengutachten - "Begleitstoffanalyse" - vom 30. Juli 1998 überhaupt erforderlich war. Dem Sachverständigen Prof. Dr. H. hätte vielmehr, wenn nicht schon am 27. Mai 1998, als das Gutachten zu den Fragen der §§ 21, 20 StGB einging, dann aber spätestens doch am 10. Juni 1998 eine Frist zur Vorlage des von ihm geforderten Kausalitätsgutachtens gesetzt werden müssen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war nämlich erkennbar, dass nur telefonische Erinnerungen/Mahnungen offenbar nicht ausreichend waren, den Sachverständigen Prof. Dr. H. zur zügigen Gutachtenerstattung anzuhalten. Dabei ist von besonderem Belang, dass nicht erkennbar ist, worauf eigentlich die so späte Gutachtenerstattung zurückzuführen ist. Der Sachverständige selbst hat sich auf andere vorrangige Gutachtenaufträge nicht berufen. Soweit sich seinem Bericht vom 2. Oktober 1998 entnehmen lässt, dass die späte Gutachtenerstattung auf Schwierigkeiten beim Besorgen der für das (Zwischen-)Gutachten benötigten Sorte "Korn", die der Angeschuldigte der Geschädigten eingeflößt haben soll, zurückzuführen sein könnte, ist nur darauf hinzuweisen, dass sich den Angaben der im Ermittlungsverfahren vernommenen Zeugen ohne weiteres entnehmen lässt, wo dieser Korn am Tattag gekauft worden ist. An dieser Stelle hätte er dann ohne Schwierigkeiten auch vom Sachverständigen besorgt werden können. Ohne Belang ist schließlich, ob aufgrund ggf. langjähriger Zusammenarbeit der Staatsanwaltschaft mit dem Sachverständigen die Staatsanwaltschaft auf eine zeitgerechte Erstellung des Gutachtens vertrauen durfte. Bei der vom Senat für den 10. Juni 1998 erforderlichen angesehenen Fristsetzung waren seit der Erteilung des Gutachtenauftrags am 6. April 1998 immerhin schon mehr als zwei Monate vergangen, ohne dass absehbar war, wann mit dem Eingang des Gutachtens gerechnet werden konnte.

Nach allem ist damit eine verzögerte, auf amtlichen Verschulden beruhende Sachbehandlung festzustellen.

d) Nach Auffassung des Senats kann die (verzögerte) Erstellung des Sachverständigengutachtens durch den Sachverständigen Prof. Dr. H. aber dennoch vorliegend - ausnahmsweise noch - als "wichtiger Grund" im Sinn des § 121 Abs. 1 StPO angesehen werden.

In der obergerichtlicher Rechtsprechung wird die Auffassung vertreten, dass Verfahrensverzögerungen durch die Ermittlungsorgane nach sechs-monatiger Untersuchungshaft nur dann zur Aufhebung des Haftbefehls führen müssen, wenn sie auf groben Fehlern oder Versäumnissen beruhen und dadurch ein erheblicher Zeitverlust eingetreten ist (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., § 121 StPO Rn. 26 mit weiteren Nachweisen; Thüringisches OLG NStZ 1997, 452), wobei davon ausgegangen wird, dass ein Zeitverlust jedenfalls dann erheblich ist, wenn die Hauptverhandlung ohne ihn bei beschleunigter, sorgfältiger Bearbeitung vor Ablauf von sechs Monaten hätte beginnen können (KG StV 1983, 111). Diese Auffassung ist zwar nicht unbestritten (vgl. Paeffgen in SK/StPO § 121 Rn. 18 mit weiteren Nachweisen; vgl. auch Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 1997, Rn. 450 unter Hinweis auf BVerfG NStZ 1995, 459 = StV 1995, 422), der Senat schließt sich ihr jedoch zumindest für die vorliegende Fallgestaltung an. Entscheidend dafür ist, dass § 121 StPO der Sicherung des für Haftsachen geltenden Beschleunigungsgebots, das Ausfluss des sich aus Art. 2 Abs. 2 GG ergebenden Freiheitsanspruchs des nicht Verurteilten und des Verhältnismäßigkeitsgebotes ist, dient. Die Haftprüfung nach den §§ 121, 122 StPO hat eine Abwägung zwischen dem persönlichen Freiheitsrecht des nicht verurteilten Angeschuldigten und dem Interesse der verletzten Rechtsgemeinschaft an einer wirksamen Strafverfolgung zum Gegenstand. Bei der insoweit erforderlichen Gesamtabwägung, die alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen hat, ist damit auch die Länge des eingetretenen Zeitverlustes zu berücksichtigen und zu fragen, ob dieser so erheblich ist, dass er im Hinblick auf Art. 2 Abs. 2 GG nicht mehr hingenommen werden kann. Damit setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zur o.a. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Mai 1995 - 2 BvR 40/94. Diese betrifft eine andere Fallgestaltung. Hinzu kommt in den Fällen der vorliegenden Art, dass die Erstellung eines Sachverständigengutachtens grundsätzlich nicht im Einflussbereich der Justizbehörden liegt und sie darauf - anders als z.B. bei der personellen Ausstattung der Gerichte und Staatsanwaltschaften - nur in geringem Umfang (§ 77 StPO) Einfluss nehmen können. Zudem ist auch nach den Gründen des o.a. Erkenntnisses des Bundesverfassungsgerichts eine Abwägung und die Berücksichtigung der Erheblichkeit des eingetretenen Zeitverlustes offenbar nicht von vornherein grundsätzlich ausgeschlossen.

Vorliegend ist jedoch der Zeitverlust (noch) nicht so erheblich, dass er - auch unter Berücksichtigung des sich aus Art. 2 Abs. 2 GG ergebenden Freiheitsanspruch des noch nicht verurteilten Angeschuldigten - zur Aufhebung des Haftbefehls führen müsste.

Denn hätte die Staatsanwaltschaft, wie vom Senat als erforderlich angesehen, spätestens am 10. Juni 1998 dem Sachverständigen Prof. Dr. H. eine Frist zur Erstellung seines Gutachtens gesetzt, hätte dies nicht zu einer früheren Anklageerhebung und damit nicht zu einem Abschluss des Verfahrens noch innerhalb der Sechs-Monats-Frist, die am 27. September 1998 endete, geführt. Die Staatsanwaltschaft hätte dann nämlich bei Ablauf der - noch als angemessen anzusehenden - Frist von zwei Wochen Ende Juni 1998 zunächst einen neuen Sachverständigen suchen und mit der Gutachtenerstellung beauftragen müssen. Unter Berücksichtigung der zu diesem Zeitpunkt bevorstehenden Sommerferien hätte dieser sein Gutachten im Zweifel auch nicht erheblich eher als der Sachverständige Prof. Dr. H. erstatten können. Damit war schon keine erhebliche frühere Anklageerhebung als vor dem 10. September 1998 und schon gar nicht ein Beginn der Hauptverhandlung oder sogar ein Abschluss des Verfahrens vor Ablauf der Sechs-Monats-Frist zu erwarten.

Das gilt im übrigen auch, wenn der Sachverständige Prof. Dr. H. einer ihm gesetzten Frist ggf. nachgekommen wäre und sein Gutachten bis etwa Ende Juni 1998 erstattet hätte. Zwar hätte die Staatsanwaltschaft dann die Anklage eher erheben können. Der Abschluss des Verfahrens noch vor Ablauf der Sechs-Monats-Frist erscheint dem Senat aber auch in diesem Fall ausgeschlossen. Die Anklage wäre nämlich frühestens Mitte Juli 1998 beim Schwurgericht eingegangen. Das Hauptverfahren hätte nach Zustellung der Anklage und nach Ablauf einer dreiwöchigen Stellungnahmefrist frühestens Mitte August 1998 eröffnet werden können. Ein Hauptverhandlungstermin noch vor dem 27. September 1998 war dann wegen anderer, im Zweifel vorrangig zu verhandelnder Haftsachen nicht zu erwarten.

Bei der o.a. Abwägung berücksichtigt hat der Senat schließlich auch, dass das Sachverständigengutachten inzwischen vorliegt, weiterer Zeitverlust durch seine Erstellung ist also nicht mehr zu erwarten. Insoweit unterscheidet sich die vorliegende Fallgestaltung auch von der oben angeführten Rechtsprechung, da dort die Sachverständigengutachten in der Regel bei der Sechs- oder gar Neun-Monats-Haftprüfung noch nicht vorlagen und deshalb mit weiteren Verzögerungen zu rechnen war. Auch hat die Staatsanwaltschaft nach Eingang des Gutachtens zügig Anklage erhoben und ist die bisherige Sachbehandlung durch das Schwurgericht nicht zu beanstanden. Der Senat weist allerdings darauf hin, dass weitere Verzögerungen des Verfahrensabschlusses angesichts der bisherigen Dauer der Untersuchungshaft und des bisherigen Verfahrensablaufs nicht mehr hinnehmbar erscheinen dürften und das staatliche Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung zugunsten des Freiheitsanspruchs des noch nicht verurteilten Angeschuldigten im Hinblick auf die Bedeutung des Grundrechts aus Art.2 Abs.2 Satz 2 GG dann zurücktreten müsste.

III. Die Nebenentscheidung beruht auf § 122 Abs. 3 Satz 3 StPO.


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