Aktenzeichen: 2 Ss 1237/99 OLG Hamm
Leitsatz: 1. Der Tatrichter muß ausreichende tatsächliche Feststellungen für die Annahme "schädlicher Neigungen" treffen.
2. Zu den Anforderungen an die Rechtsfolgenentscheidung im Urteil des Jugendstrafverfahrens.
Senat: 2
Gegenstand: Revision im Jugendgerichtsverfahren
Stichworte: Jugendstrafe, tatsächliche Feststellungen für schädliche Neigungen, Anwendung von Jugendrecht, Bewährungsstrafe
Normen: JGG 17, JGG 105, JGG 21, JGG 54
Fundstelle: StraFo 2000, 127
Beschluss: Strafsache gegen Y.Q. wegen Betruges.
Auf die Revision des Angeklagten vom 24. August 1999 gegen das Urteil des Bezirksjugendschöffengerichts Bochum vom 24. August 1999 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 07.12.1999 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Regul unddie Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft einstimmig gem. § 349 Abs. 2, 4 StPO beschlossen:
Unter Verwerfung der Revision im übrigen wird das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch mit den dazu getroffenen Feststellungen aufgehoben.
In diesem Umfang wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Amtsgericht Bochum zurückverwiesen.
G r ü n d e:
I. Das Amtsgericht - Bezirksjugendschöffengericht - hat den Angeklagten wegen Betruges in 14 Fällen, in einem Fall gemeinschaftlich handelnd, zu einer Jugendstrafe von einem Jahr verurteilt.
Zum Schuldspruch hat das Amtsgericht im wesentlichen festgestellt, dass der Angeklagte in der Zeit vom 13. Oktober 1998 bis zum 22. April 1999 insgesamt 14 Taxifahrten unternommen hat, ohne den Fahrpreis zu entrichten.
Es hat außerdem festgestellt, dass der Angeklagten in der Vergangenheit bereits zweimal strafrechtlich in Erscheinung getreten ist. Am 13. Dezember 1996 ist gegen ihn ein Verfahren wegen Anstiftung zur Körperverletzung nach § 47 JGG eingestellt worden. Außerdem ist der Angeklagte am 4. November 1996 wegen gemeinschaftlichen Diebstahls in vier Fällen, davon in einem Fall wegen Diebstahls geringwertiger Sachen, Hausfriedensbruchs und gemeinschädlicher Sachbeschädigung zu vier Wochen Jugendarrest verurteilt worden, die er auch verbüßt hat. Darüber hinaus hat das Amtsgericht noch festgestellt, dass weitere umfangreiche Verfahren anhängig sind wegen Raubes, räuberischer Erpressung, Handeltreibens mit Betäubungsmitteln und Diebstahls. Nähere Feststellungen hat das Amtsgericht dazu nicht getroffen.
Seinen Rechtsfolgenausspruch hat das Jugendschöffengericht wie folgt begründet:
"Der Angeklagte war zum Tatzeitpunkt der ihm nachgewiesenen 14 Betrugsfahrten mit verschiedenen Taxis 18½ und knapp 19 Jahre alt, also Heranwachsender.
Der Angeklagte hat die Sonderschule ohne Abschluss besucht und seitdem ziemlich perspektivlos in den Tag hinein gelebt. Er ist erzieherisch von seinen Eltern nicht mehr zu erreichen und hat mit Ausnahme der Erwartung, dass seine Freundin in Kürze ein gemeinsames Kind zur Welt bringt, keinerlei eigene Lebensperspektive entwickelt. Er hat keinen Beruf, er hat keine Arbeit und noch nie in seinem Leben aus eigener Kraft für seinen Unterhalt gesorgt. Er hat wegen Vermögensdelikte bereits vier Wochen Dauerarrest verbüßen müssen, die ohne jeglichen Einfluss auf ihn geblieben sind. Bei dem Angeklagten liegen demnach ganz erhebliche schädliche Neigungen vor, die die Verhängung einer Jugendstrafe unerlässlich erscheinen lassen. Strafmildernd kann zu Gunsten des Angeklagten lediglich sein Geständnis berücksichtigt werden. Auf der anderen Seite fiel strafschärfend ins Gewicht, wie bedenkenlos und mit welcher erheblichen kriminellen Energie der Angeklagte über einen längeren Zeitraum ohne jegliche Bedenken Taxis zu Fahrten benutzt hat, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, diese auch zu bezahlen. Unter Berücksichtigung all dieser für und gegen ihn sprechenden Umstände hielt das Gericht daher eine Jugendstrafe von einem Jahr für tat-, schuld- und erziehungsangemessen.
Dem Angeklagtem kann keine günstige Sozialprognose gestellt werden. Er bedarf dringend der Nacherziehung im Strafvollzug. Auf Grund seiner Einstellung wird es der Angeklagte nicht schaffen, nur auf Grund der Warnfunktion dieses Urteils und mit Hilfe eines Bewährungshelfers straffrei in Zukunft zu leben. Bei dem Angeklagten ist es unerlässlich, dass er Konsequenzen spürt und lernt, dass er nicht machen kann, was er will
Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit der Revision, mit der insbesondere nicht ausreichende tatsächliche Feststellungen zum Schuldspruch und unzureichende Ausführungen des Amtsgerichts zum Rechtsfolgenausspruch rügt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision des Angeklagten gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.
II. Die vom Jugendschöffengericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen tragen noch die Verurteilung des Angeklagten wegen Betruges in 14 Fällen. Dazu hat die Generalstaatsanwaltschaft ausgeführt:
Dem tritt der Senat bei, so dass die Revision insoweit - entsprechend dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft - zu verwerfen war .
III. Die Revision des Angeklagten hat jedoch hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs Erfolg. Insoweit war daher das angefochtene Urteil mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Amtsgericht Bochum zurückzuverweisen war.
Die vom Jugendschöffengericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen tragen - bislang - nämlich die Annahme schädlicher Neigungen im Sinn von § 17 Abs. 2 JGG nicht. Die Feststellungen sind vielmehr, worauf die Revision zutreffend hinweist, lückenhaft.
Schädliche Neigungen liegen nach ständiger Rechtsprechung des BGH vor, wenn bei dem jugendlichen bzw. heranwachsenden Täter erhebliche Anlage- oder Erziehungsmängel gegeben sind, die ohne eine längere Gesamterziehung des Täter die Gefahr weiterer Straftaten begründen (Eisenberg, Kommentar zum JGG, 7. Aufl., § 17 JGG Rn. 18 mit weiteren Nachweisen; Diemer/Schoreit/Sonnen, JGG, 3. Aufl., § 17 Rn. 11 ff. mit weiteren Nachweisen). Jugendstrafe ist zwar, wie aus § 18 Abs. 2 JGG folgt, in erster Linie Erziehungsstrafe, sie dient als solche aber auch dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten des Jugendlichen. Deshalb setzt ihre Verhängung u.a. auch eine sog. negative Kriminalprognose im Sinne einer persönlichkeitsspezifischen Rückfallgefahr voraus (Diemer/Schoreit/Sonnen, a.a.O., § 17 Rn. 19). Diese Rückfallgefahr muß jedoch für erhebliche Straftaten bestehen und nicht nur für Bagatelldelikte oder Taten, die nur "gemeinlästig" sind (Diemer/Schoreit/Sonnen, a.a.O.; siehe auch Senat in NStZ-RR 1999, 377 = StV 1999, 658; LG Gera StV 1999, 660). In der Regel werden "schädliche Neigungen" nicht schon in einer ersten Straftat zum Ausdruck kommen, sondern die Folge einer längeren Entwicklung sein, was dann auf Anlage- oder Erziehungsmängel, eben auf "schädliche Neigungen", schließen lässt. Davon ist offenbar auch das Amtsgericht ausgegangen, da es die Verhängung der Jugendstrafe u.a. mit dem bereits früher gegen den Angeklagten verhängten Dauerarrest begründet hat.
Diese Voraussetzungen für die Annahme "schädlicher Neigungen" müssen sich dem Urteil des Tatrichters entnehmen lassen. Dazu muß er ausreichende tatsächliche Feststellungen treffen. Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht, die in ihm getroffenen tatsächlichen Feststellungen sind vielmehr lückenhaft und ermöglichen dem Revisionsgericht daher nicht die Überprüfung, ob die Entscheidung des Jugendschöffengerichts: Verhängung von Jugendstrafe, frei von Rechtsfehlern ist. Zu beanstanden ist schon, dass zu den früheren Taten des Angeklagten keinerlei konkrete Feststellungen getroffen worden sind, sondern lediglich mitgeteilt wird, dass der Angeklagte 1996 wegen "gemeinschaftlichen Diebstahls in vier Fällen, davon in einem Fall Diebstahls geringwertiger Sachen, Hausfriedensbruch und gemeinschädlicher Sachbeschädigung" verurteilt worden ist. Darüber hinaus lässt sich dem angefochtenen Urteil insbesondere nichts dazu entnehmen, warum von dem Angeklagten in Zukunft weitere erhebliche Straftaten zu erwarten sind. Dazu schweigen die Feststellungen gänzlich. Diese Erwartung lässt sich auch nicht aus den beiden mitgeteilten Voreintragungen aus 1996 (rück-)schließen, da diese inzwischen immerhin rund drei Jahre zurückliegen. Auch die vom Amtsgericht erwähnten weiteren umfangreichen Verfahren ermöglichen den Rückschluss nicht. Zwar sind diese Verfahren nach den Ausführungen des Amtsgerichts wegen erheblicher Straftaten, u.a. wegen Raubes und räuberischer Erpressung, anhängig. Die näheren Tatumstände teilt das Amtsgericht aber ebenso wenig mit, wie es keine Feststellung dazu trifft, ob der Angeklagte die ihm in diesen Verfahren gemachten Vorwürfe eingeräumt hat. Allenfalls dann hätte das Amtsgericht aber diese den weiteren Verfahren zugrundeliegenden Taten zur Annahme des Vorliegens "schädlicher Neigungen" im Sinn von § 17 JGG bei dem Angeklagten verwenden dürfen (siehe dazu auch Senat, a.a.O.; vgl. auch noch BGH bei Böhm NStZ 1995, 535; Eisenberg, a.a.O., § 17 JGG Rn. 23).
Wegen dieser rechtsfehlerhaften Begründungsmängel war das angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Bochum zurückzuverweisen.
IV. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf folgendes hin:
1. Das amtsgerichtliche Urteil lässt jede konkrete Auseinandersetzung mit der Frage vermissen, warum gegen den Angeklagten wegen der 14 Betrugstaten gemäß § 105 JGG Jugendrecht angewendet worden ist. Zwar ist der Angeklagte, worauf die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend hinweist, durch die Anwendung von Jugendrecht nicht beschwert, die Frage der Anwendung des Jugendrechts gehört aber zu der dem Tatrichter obliegenden Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Angeklagten, die im tatrichterlichen Urteil grundsätzlich konkret darzulegen ist.
2. Zu Recht weist die Revision darauf hin, dass auch die Höhe der vom Jugendschöffengericht festgesetzten Jugendstrafe nicht nachvollziehbar ist. § 54 JGG, der nach allgemeiner Meinung eine Ergänzung des § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO darstellt (OLG Jena NStZ-RR 1998, 119 = StV 1998, 340; Diemer/Schoreit/Sonnen, a.a.O., § 54 Rn. 4) erfordert eine besonders sorgfältige Begründung der festgesetzten Sanktion. Dem wird die Begründung des Jugendschöffengerichts nicht gerecht. Seine Begründung des Amtsgerichts ist vielmehr formelhaft und so knapp, dass sich ihr in keiner Weise entnehmen lässt, ob und warum die Verhängung der als Erstjugendstrafe verhältnismäßig hohen Jugendstrafe von einem Jahr gerechtfertigt ist.
3. Entsprechendes gilt auch für die vom Jugendschöffengericht getroffene Bewährungsentscheidung. Es ist nicht erkennbar, dass sich das Amtsgericht, wie es § 21 Abs. 1 Satz 2 JGG fordert, in diesem Zusammenhang noch einmal mit der Persönlichkeit des Angeklagten, seinem Vorleben, den Tatumständen usw. auseinandergesetzt hat. Soweit das Amtsgericht die Bewährungsentscheidung "auf Grund seiner (des Angeklagten) Einstellung" getroffen hat, ist anzumerken, dass sich dem angefochtenen Urteil nicht entnehmen lässt, welche "Einstellung" der Angeklagte überhaupt hat. Dazu fehlen nämlich jegliche Feststellungen. Soweit das Amtsgericht - offenbar aufgrund der Hauptverhandlung dazu Erkenntnisse gewonnen hat, müssen diese im tatrichterlichen Urteil niedergelegt werden, da anderenfalls dem Revisionsgericht eine Überprüfung der tatrichterlichen Bewährungsentscheidung auf Rechtsfehler nicht möglich ist.
4. Schließlich weist der Senat noch auf das sich aus § 46 Abs. 3 StGB ergebende Verbot der Doppelverwertung hin. Unter diesem Gesichtspunkt könnten Bedenken gegen die Strafzumessungserwägungen insoweit bestehen, als das Amtsgericht straferschwerend berücksichtigt hat, wie "bedenkenlos und mit welcher erheblichen kriminellen Energie der Angeklagte über einen längeren Zeitraum ohne jegliche Bedenken Taxis zu Fahrten benutzt hat, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, diese auch zu bezahlen". Wenn das Amtsgericht damit zu Lasten des Angeklagten verwenden wollte, dass er nicht vorhatte die Taxifahrten zu bezahlen, wäre das rechtsfehlerhaft. Dieser Umstand ist nämlich jeweils bereits Tatbestandsmerkmal des Betruges nach § 263 Abs. 1 StGB und damit strafbegründend, so dass er dem Angeklagten bei der Strafzumessung nicht noch einmal strafschärfend vorgehalten werden darf. Vorgehalten werden darf dem Angeklagten allenfalls, dass er die Betrugsfahrten über einen längeren Zeitraum und mit erheblicher krimineller Energie begangen hat.
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