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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 2 Ws 376/98 OLG Hamm

Leitsatz: Die StA kann grds. auswählen, bei welchem von mehreren nach den §§ 7 ff. StPO örtlich zuständigen Gerichten sie Anklage erheben will. Allerdings darf ihre Auswahl nicht auf unsachlichen, sich von gesetzlichen Maßstäben völlig entfernenden Erwägungen beruhen. Die getroffene Auswahl kann das Gericht, bei dem Anklage erhoben worden ist, im Rahmen der ihm nach § 16 StPO obliegenden Prüfung der eigenen örtlichen Zuständigkeit prüfen. Bei der Prüfung der Frage, ob die StA ihr Auswahlermessen zutreffend ausgeübt hat, ist ein strenger Maßstab anzulegen, bei dem das jedem Beschuldigten zustehende Recht auf den sog. gesetzlichen Richter abzuwägen ist mit allen Umständen des Einzelfalls.

Senat: 2

Gegenstand: sofortige Beschwerde

Stichworte: Auswahlermessen der Staatsanwaltschaft hinsichtlich Gerichtsstand bei Anklageerhebung, örtliche Zuständigkeit, Ergreifungsort, gesetzlicher Richter

Normen: StPO 7, StPO 9, StPO 16

Fundstelle: ZAP EN-Nr. 722/98; Rpfleger 1998, 535; NStZ-RR 1999, 16; StraFo 1999, 19; wistra 1999, 35; StV 1999, 240 mit Anm. Heghmanns StV 2000, 277

Beschluss: Strafsache gegen 1. B.T. und 2. E.T. und 3. M.L. wegen Betruges u.a. (hier: Sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Ablehnung der Eröffnung des Hauptverfahrens).

Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Bochum vom 19. August 1998 gegen den Beschluss der 13. Strafkammer des Landgerichts Bochum vom 13. August 1998 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 10.09.1998 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht und die Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Angeschuldigten und ihrer Verteidiger beschlossen:

Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten der Landeskasse, die auch die notwendigen Auslagen der Angeschuldigten im Beschwerdeverfahren trägt, verworfen.

Gründe:
I. Die Staatsanwaltschaft Bochum wirft den Angeschuldigten in ihrer Anklageschrift vom 4. Mai 1998 vielfachen Betrug und Steuerhinterziehung in unterschiedlicher Beteiligung vor. Die Angeschuldigten sollen über das von den Angeschuldigten zu 1) und 2) in Olpe betriebene Baubetreuungsbüro gegenüber der Wohnungsbauförderungsanstalt NRW unwahre Angaben gemacht haben, damit ihre Kunden Fördergelder erhielten, die ihnen nach den Richtlinien nicht zustanden. Die Angeschuldigten sollen außerdem die ihnen aus dieser Tätigkeit zustehenden Honorareinnahmen nur teilweise versteuert haben.

Die Ermittlungen gegen die Angeschuldigten gehen auf eine anonyme Strafanzeige zurück. Unmittelbar nach Eingang dieser Anzeige sind die Ermittlungen durch Verfügung der Generalstaatsanwalts in Hamm vom 20. Oktober 1995 der Schwerpunktstaatsanwaltschaft Bochum übertragen worden.

Im Zuge der Ermittlungen beantragte die Staatsanwaltschaft am 3. April 1996 beim Amtsgericht Bochum Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse, die vom Ermittlungsrichter am 18. April 1996 erlassen wurden. Am 17. Mai 1996 beantragte die Staatsanwaltschaft dann den Erlass von Haftbefehlen gegen alle drei Angeschuldigte. Die Haftbefehle wurden unter dem 21. Mai 1996 erlassen; sie waren auf die Haftgründe der Flucht- und Verdunkelungsgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 und 3 StPO gestützt.

Nach vorheriger Absprache mit den örtlichen Polizeibehörden wurden am 11. Juni 1996 die Geschäfts- und zum Teil auch die Privaträume der Angeschuldigten im Raum Olpe durchsucht, wobei umfangreiches Aktenmaterial sichergestellt wurde. Im Anschluss an die Durchsuchungen, die von 10.00 bis 13.00 Uhr dauerten, wurden die Angeschuldigten vernommen. Die Angeschuldigten zu 1) und 2) wurden in den Diensträumen der Kreispolizeibehörde Olpe vernommen. Die Vernehmungen begannen gegen 14.30 Uhr und endeten gegen 19.00 Uhr mit der (vorläufigen) Festnahme der Angeschuldigten zu 1) und 2) durch die vernehmenden Staatsanwälte. Der Angeschuldigte zu 3) wurde in Bochum in den Räumen der Staatsanwaltschaft vernommen. Dorthin hatte er sich - wie es eingangs des Vernehmungsprotokolls heißt -"auf mündliche Ladung vom heutigen Tage" begeben. Wann die Vernehmung begann, lässt sich den Ermittlungsakten nicht entnehmen, sie endete jedenfalls um 15.45 mit der (vorläufigen) Festnahme des Angeschuldigten zu 3) durch die Vernehmungsbeamten.

Die Angeschuldigten zu 1) und 3) wurden am 12. Juni 1996 dem zuständigen Amtsrichter in Olpe vorgeführt. Der Angeschuldigte zu 3) wurde dem Ermittlungsrichter in Bochum vorgeführt. Die Angeschuldigten zu 1) und 3) verblieben in Untersuchungshaft, die Angeschuldigte zu 2) wurde vom Vollzug der Untersuchungshaft verschont. Inzwischen befinden sich alle drei Angeschuldigten wieder auf freiem Fuß.

Unter dem 4. Mai 1998 hat die Staatsanwaltschaft Bochum beim Landgericht Bochum Anklage gegen die drei Angeschuldigten erhoben. Als Tatort wird in der Anklage bezeichnet: "in Olpe und anderen Orten ...". In der Anklage werden 70 Zeugen aufgeführt, von denen lediglich die beiden als Zeugen benannten Beamten der Staatsanwaltschaft Bochum aus dem Landgerichtsbezirk Bochum stammen. Alle übrigen Zeugen stammen aus anderen Landgerichtsbezirken, und zwar in der Regel aus dem Landgerichtsbezirk Siegen.

Der Angeschuldigte zu 1) hat die örtliche und funktionale Zuständigkeit des Landgerichts Bochum gerügt. Zu dieser Rüge hat die Staatsanwaltschaft ausgeführt, dass der Angeschuldigte zu 1) übersehe, dass der Angeschuldigte zu 3) in Bochum festgenommen worden und damit gemäß §§ 9, 13 StPO die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Bochum begründet worden sei. Die Festnahme des Angeschuldigten zu 3) in Bochum sei auch nicht willkürlich. Vielmehr sei der Angeschuldigte zu 3) freiwillig nach Bochum gekommen und bereit gewesen, sich dort durch Beamte der Staatsanwaltschaft vernehmen zu lassen. In Olpe seien mit dem Fall vertraute Beamte, die die Vernehmung des Angeschuldigten zu 3) auch noch dort hätten durchführen können, nicht mehr vorhanden gewesen. Es sei im übrigen Aufgabe der Staatsanwaltschaft in jeder Lage des Verfahrens zu prüfen, ob sie eine Haftbefehl vollstrecke oder nicht. Deshalb sei es nicht zu beanstanden, dass dem Angeschuldigten zu 3) die Möglichkeit eingeräumt worden sei, durch eine Vernehmung in Bochum und eine dabei abgegebene geständige Einlassung die gegen ihn bestehenden Haftgründe auszuräumen.

Die Strafkammer hat im angefochtenen Beschluss die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Bochum verneint und deshalb "die Eröffnung des Hauptverfahrens wegen örtlicher Unzuständigkeit des Landgerichts Bochum abgelehnt". Nach ihrer Auffassung liegt die von der Staatsanwaltschaft aufgrund der Festnahme des Angeschuldigten zu 3) für Bochum getroffene Auswahl der örtlichen Zuständigkeit "bei Abwägung aller Gesichtspunkte, besonders der Tatsache, dass es keinen sonstigen Verfahrensbezug nach Bochum gibt, so fern, dass er nicht mehr vertretbar ist". Gegen diese Entscheidung wendet sich die Staatsanwaltschaft Bochum mit ihrer sofortigen Beschwerde, der die Generalstaatsanwaltschaft beigetreten ist. Sie ist der Auffassung, die von der Staatsanwaltschaft Bochum getroffene Wahl sei nicht zu beanstanden, die Auswahl des Landgerichts Bochum sei insbesondere nicht willkürlich erfolgt.

II. Die sofortige Beschwerde ist zulässig (siehe dazu Rieß in Löwe-Rosenberg, StPO, 24. Aufl., § 210 StPO Rn. 32). Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Die Strafkammer hat nämlich zu Recht für das vorliegende Verfahren die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Bochum verneint.

1. Zunächst: Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Bochum ergibt sich für keinen der Angeschuldigten weder aus § 7 StPO noch aus § 8 StPO. Denn keine der den Angeschuldigten zur Last gelegten Betrugstaten bzw. keines der Steuerdelikte ist im Bezirk des Landgerichts Bochum begangen (§ 7 StPO), auch hat keiner der drei Angeschuldigten seinen Wohnsitz im Bezirk des Landgerichts Bochum (§ 8 StPO). Vielmehr liegen sowohl alle Tatorte der den Angeschuldigten zur Last gelegten Taten als auch die Wohnsitze der drei Angeschuldigte im Landgerichtsbezirk Siegen.

2. Damit kann, wovon auch die Strafkammer zutreffend ausgegangen ist, die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Bochum überhaupt nur dann in Betracht kommen, wenn neben den sich aus den §§ 7, 8 StPO ergebenden Gerichtsständen aufgrund der am 11. Juni 1996 in Bochum erfolgten Festnahme des Angeschuldigten zu 3) dort gem. § 9 StPO auch der sog. Gerichtsstand des Ergreifungsortes begründet worden, damit die Strafkammer über § 13 StPO ggf. auch für die Strafverfahren gegen die Angeschuldigten zu 1) und 2) örtlich zuständig ist und außerdem die von der Staatsanwaltschaft getroffene Auswahl unter den dann bestehenden mehreren Gerichtsständen nicht zu beanstanden ist.

a) Nach Auffassung des Senats kann an dieser Stelle dahinstehen, ob durch die durch die Festnahme des Angeschuldigten zu 3) in Bochum dort überhaupt der Gerichtsstand des Ergreifungsortes gem. § 9 StPO begründet worden ist; insoweit merkt der Senat nur an, dass die von der Staatsanwaltschaft eingeschlagene Verfahrensweise im Hinblick auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG erheblichen Bedenken begegnen dürfte. Doch selbst wenn man, wovon offenbar auch die Strafkammer ausgegangen ist, durch die Festnahme des Angeschuldigten zu 3) auch einen Gerichtsstand in Bochum als begründet ansieht, ist damit noch nicht die Frage entschieden, ob die Staatsanwaltschaft diesen aus den dann bestehenden mehreren Gerichtsständen auswählen und somit für das Landgericht Bochum dessen örtliche Zuständigkeit bejahen durfte.

In diesem Zusammenhang ist zunächst darauf hinzuweisen, dass in Rechtsprechung und Literatur die Frage, ob das der Staatsanwaltschaft durch die gesetzliche Regelung in den §§ 7 ff. StPO hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit eingeräumte Wahlrecht nicht überhaupt aus verfassungsrechtlichen Gründen zu beanstanden ist, umstritten ist (vgl. dazu nur die Nachweise bei Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 43. Aufl., vor § 7 StPO Rn 10; siehe insbesondere Herzog StV 1993, 609 ff. und Rudolphi in SK-StPO, vor § 7 StPO Rn. 8 ff.). Diese Frage wird zwar von der herrschenden Ansicht (vgl. u.a. BVerfG NJW 1959, 871; NJW 1967, 99; siehe im übrigen die weiteren Nachweise bei vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O.) verneint, die dagegen vorgebrachten Argumente (vgl. insbesondere Herzog, a.a.O., Rudolphi, a.a.O.) dürften nach Auffassung des Senats jedoch, da sie in den Kernbereich der durch Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gewährten verfassungsrechtlichen Garantie des gesetzlichen Richters eingreifen, nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen sein. Die Frage der möglichen Verfassungswidrigkeit der §§ 7 -9 StPO bedarf indes keiner abschließenden Beurteilung. Denn auch diejenigen Stimmen, die einen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verneinen, stellen ihre Auffassung unter die Bedingung, dass die Auswahl der Staatsanwaltschaft nicht auf unsachlichen, sich von gesetzlichen Maßstäben völlig entfernenden Erwägungen beruhen darf (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., mit weiteren Nachweisen; Pfeiffer in Karlsruher Kommentar zur StPO, 3. Aufl., § 7 StPO Rn. 2 mit Hinweis auf BVerfG NJW 1967, 99, 100; ähnlich auch Paulus in KMR, § 7 StPO Rn. 14).

b) Danach ist die von der Staatsanwaltschaft vorliegend getroffene Wahl jedoch zu beanstanden, so dass die Strafkammer ihr örtliche Zuständigkeit auf jeden Fall zu Recht verneint hat.

aa) Dazu ist zunächst festzuhalten, dass das Gericht, das von der Staatsanwaltschaft (ebenfalls) als örtlich zuständig angesehen worden ist, so dass Anklage erhoben wurde - hier also das Landgericht Bochum -, die Frage, ob es zutreffend ausgewählt worden ist, überprüfen kann. Zwar soll nach allgemeiner Meinung die Staatsanwaltschaft grundsätzlich aus mehreren möglichen Gerichtsständen frei wählen können, bei welchem der zuständigen Gerichte sie Anklage erheben will (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung des BGH), wobei außerdem vertreten wird, dass diese Wahl gerichtlich nicht überprüfbar sein soll (vgl. auch insoweit die Nachweise bei vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O.). Dies bedeutet jedoch nicht, dass die von der Staatsanwaltschaft getroffene (Aus-)Wahl, bei welchem von mehreren zuständigen Gerichten sie Anklage erheben will, überhaupt nicht (gerichtlich) überprüft werden kann. Vielmehr sind nach Auffassung des Senats mit diesen Ausführungen nur besondere gerichtliche Überprüfungsverfahren, wie z.B. das Verfahren nach den §§ 23 ff. EGGVG gemeint (so wohl auch Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O.). Für diese besteht, was zutreffend ist, keine Notwendigkeit. Das Gericht, bei dem Anklage erhoben ist, hat gemäß § 16 StPO seine örtliche Zuständigkeit bis zur Eröffnung von Amts wegen bzw. danach auf Rüge immer zu überprüfen. Dieses Überprüfungsrecht, dass dahingeht, ob das angerufene Gericht überhaupt gesetzlicher Richter im Sinn des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ist, ob also dem verfassungsrechtlichen Grundsatz, dass niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden darf, genügt ist, wird durch das der Staatsanwaltschaft eingeräumte Wahlrecht nicht berührt (so wohl auch Rudolphi, a.a.O., § 7 StPO Rn. 9 am Ende). Diese Überprüfung obliegt dem angerufenen Gericht auf jeden Fall.

bb) Nach Ansicht des Senats ist bei der Prüfung der Frage, ob die Staatsanwaltschaft ihr Auswahlermessen zutreffend ausgeübt hat, ein strenger Maßstab anzulegen. Das gebietet allein schon das durch das der Staatsanwaltschaft eingeräumte Wahlrecht tangierte, verfassungsrechtlich in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG geschützte Recht eines jeden Beschuldigten auf den sog. gesetzlichen Richter. Mit diesem Recht sind alle Umstände des Einzelfalls abzuwägen und zu fragen, ob sachlich (noch) gerechtfertigte Gründe die vorgenommene Auswahl der örtlichen Zuständigkeit tragen oder ob diese sich von den gesetzlichen Maßstäben so weit entfernt, dass die Auswahl des angerufenen Gerichts als nicht mehr vertretbar erscheint. Dabei ist auch die gesetzliche Wertung in der StPO von Belang. Zwar dürften nach der derzeitigen gesetzlichen Regelung die verschiedenen Gerichtsstände grundsätzlich gleichwertig sein (siehe u.a. Rudolphi, a.a.O., vor § 7 StPO Rn. 8). Andererseits lässt sich aber nach Auffassung des Senats der Stellung der jeweiligen Vorschriften und dem Gesetzeswortlaut doch eine gewisse "Rangordnung" entnehmen. So hat der Gesetzgeber den Gerichtsstand des Tatortes in § 7 StPO an die Spitze gestellt hat, der Gerichtsstand des Wohnortes folgen in § 8 StPO bzw. der des Ergreifungsortes in § 9 StPO nach. Bei den letzteren ist - so die Formulierung des Gesetzes - "auch", also zusätzlich bzw. neben dem des Gerichtsstands des Tatortes, ein Gerichtsstand begründet. Damit dürfte es zutreffend sein, dem Gerichtsstand des Tatortes grds. der Vorrang einzuräumen (so auch Rudolphi, a.a.O., vor § 7 StPO Rn. 9). Dafür spricht zudem die Regelung in Nr. 2 Abs. 1 RiStBV, aus der ebenfalls zu entnehmen sein dürfte, dass grundsätzlich der Tatort für die Bestimmung des Gerichtsstands maßgeblich sein dürfte (siehe dazu auch den Hinweis von Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O.).

cc) Die nach allem vorzunehmende - die o.a. Gesichtspunkte angemessen berücksichtigende - Abwägung führt nach Auffassung des Senats hier dazu, dass die Auswahl des Landgerichts Bochum als örtlich zuständiges Gericht als nicht mehr hinnehmbar anzusehen ist. Insoweit ist insbesondere die unterschiedliche Behandlung der Angeschuldigten zu 1) und 2) gegenüber dem Angeschuldigten zu 3) von Belang. Während die ersteren in Olpe, wo sie anlässlich der Durchsuchung angetroffen worden sind, vernommen und dann später (vorläufig) festgenommen wurden, ist der Angeschuldigte zu 3) mündlich zur Vernehmung nach Bochum geladen, dort vernommen und dann festgenommen worden. Für diese unterschiedliche Behandlung bestand nach Auffassung des Senats kein sachlich gerechtfertigter Grund. Insbesondere trägt die von der Staatsanwaltschaft für ihre Vorgehensweise gegebene Begründung die unterschiedliche Behandlung der drei Angeschuldigten nicht. Zunächst ist dazu darauf hinzuweisen, dass sämtliche Unterlagen und Akten, die im Verlauf der Durchsuchungen sichergestellt worden waren und die ggf. während der - ersten - Vernehmungen für einen Vorhalt gegenüber den Angeschuldigten nötig waren bzw. benötigt wurden, sich noch in Olpe befanden. Schon von daher hätte nichts näher gelegen, als auch den Angeschuldigten zu 3) dort zu vernehmen. Auch das Argument, in Olpe hätten für eine Vernehmung nicht mehr genügend mit dem Verfahren vertraute Beamte zur Verfügung gestanden, deckt die gewählte Vorgehensweise nicht. Denn die Vernehmung des Angeschuldigten zu 3) war die kürzeste der an diesem Tag durchgeführten Vernehmungen. Sie war schon um 15.45 Uhr beendet, während die Vernehmungen der Angeschuldigten zu 1) und 2) bis ca. 19.00 Uhr andauerten. Unter Berücksichtigung der für die Fahrt nach Bochum anzusetzenden Zeit hätte daher die Vernehmung des Angeschuldigten zu 3) ohne weiteres zeitlich noch vor den anderen Vernehmungen, die erst gegen 14.45 Uhr begannen, durchgeführt und abgeschlossen werden können. Zudem ist wenig verständlich, warum, wenn denn tatsächlich nicht genügend Vernehmungsbeamte in Olpe zur Verfügung standen, diese nicht aus Bochum angefordert wurden.

Nicht hinnehmbar ist die Vorgehensweise der Staatsanwaltschaft insbesondere auch unter Berücksichtigung des den Vernehmungen vorhergehenden zeitlichen (Verfahrens-)Ablaufs. In diesem Zusammenhang ist von erheblichem Belang, dass die Staatsanwaltschaft bereits am 17. Mai 1996 gegen alle drei Angeschuldigte Haftbefehle beantragt hatte, die dann auch am 21. Mai 1996 vom Ermittlungsrichter erlassen worden sind. Diese Haftbefehle waren, worauf der Verteidiger des Angeschuldigten zu 1) zutreffend hinweist, bis zum 11. Juni 1996 nicht außer Vollzug gesetzt worden. Damit waren die Angeschuldigten, als sie in Zusammenhang mit den Durchsuchungen in Olpe angetroffen wurden, an sich dort festzunehmen. Der Senat verkennt insoweit zwar nicht, dass es Aufgabe der Staatsanwaltschaft ist, in jeder Lage das (Weiter-)Bestehen der Haftgründe zu prüfen. Bis zum 11. Juni 1996 hatte sich die Sachlage, wie sie bei Beantragung und Erlass der Haftbefehle im Mai 1996 bestanden hatte, jedoch nicht geändert. Nach wie vor bestand, wovon offenbar auch die Staatsanwaltschaft ausgegangen ist, Flucht- und Verdunkelungsgefahr. Wenn die Staatsanwaltschaft dann trotzdem den Angeschuldigten zu 3), der bis dahin von dem gegen ihn und die Angeschuldigten zu 1) und 2) laufenden Ermittlungsverfahren keine Kenntnis hatte, mündlich nach Bochum lädt, um ihn dort zu vernehmen, und ihm damit sogar die Möglichkeit einräumt, ggf. zu fliehen oder zu verdunkeln, legt diese nicht nachvollziehbare Verfahrensweise die Annahme nahe, dass der Angeschuldigte zu 3) nur deshalb zur Vernehmung nach Bochum geladen worden ist, um ihn dort festnehmen und damit die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Bochum begründen zu können. Jedenfalls kann diese Vorgehensweise nicht als sachlich gerechtfertigt angesehen werden, so dass damit die ordnungsgemäße Ausübung des der Staatsanwaltschaft hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit grundsätzlich eingeräumten Auswahlermessens nicht begründet werden kann.

Die von der Staatsanwaltschaft getroffene Auswahl entspricht im übrigen auch nicht Sinn und Zweck der gesetzlichen Zuständigkeitsregelungen, insbesondere nicht dem des § 9 StPO. Der Gerichtsstand des Ergreifungsortes ist vom Gesetzgeber nämlich geschaffen worden, um Kosten für unnötige Transporte des - inhaftierten - Beschuldigten zu ersparen (BT-Drucksache 1/3717, S. 46; Rudolphi, a.a.O., § 9 StPO Rn. 1). Ob deshalb von dem Gerichtsstand daher nur dann Gebrauch zu machen ist, wenn der Beschuldigte geständig ist oder alsbald durch Zeugen überführt werden kann, die am Ergreifungsort vernommen werden können, ohne dorthin weite Reisen machen zu müssen (so Wendisch in Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 9 StPO Rn. 10), kann dahinstehen. Jedenfalls widerspricht es dem o.a. Sinn und Zweck des § 9 StPO, wenn, nachdem inzwischen alle Angeschuldigten wieder auf freiem Fuß sind, dennoch die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts bejaht wird, in dessen Bezirk (nur) einer der Angeschuldigten vor mehr als zwei Jahren festgenommen worden ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es außer der Festnahme des Angeschuldigten zu 3) in Bochum keinerlei sonstigen Verfahrensbezug nach dort gibt. Alle Angeschuldigten haben ihren Wohnort im Landgerichtsbezirk Siegen, dort liegen auch die Tatorte der ihnen zur Last gelegten Taten. Von dort müssten auch - bis auf die beiden als Zeugen benannten Beamten der Staatsanwaltschaft Bochum - fast alle übrigen 68 Zeugen zur Hauptverhandlung anreisen, wenn diese in Bochum stattfinden würde. Das würde dem Sinn und Zweck der Zuständigkeitsregelungen nicht nur nicht entsprechen, sondern vielmehr dazu in unlösbarem Widerspruch stehen.

Nach allem hat somit die Strafkammer zu Recht die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Bochum verneint und sich deshalb für - örtlich - unzuständig erklärt. Der Senat weist allerdings darauf hin, dass soweit die Strafkammer gleichzeitig auch bereits die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt hat, dies nicht zutreffend sein dürfte. Für die darin zum Ausdruck kommende Prüfung der Frage des hinreichenden Tatverdachts ist, nachdem die Zuständigkeit verneint ist, kein Raum mehr (so wohl auch vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., § 16 Rn. 4 mit weiteren Nachweisen).

III. Das vorliegende Verfahren gibt dem Senat Anlass zur folgender Anmerkung:

Der Senat ist sich der Schwierigkeiten der Schwerpunktsstaatsanwaltschaft bei der Durchführung ihrer Ermittlungen und des weiteren Verfahrens bewusst. Sie verkennt auch nicht, das Interesse der Staatsanwaltschaft in den in ihren Zuständigkeitsbereich fallenden Strafverfahren nach Möglichkeit ortsnah Anklage bei dem Landgericht zu erheben, in dessen Bezirk sie ihren Sitz hat. Gegenüber diesem Interesse steht aber der Anspruch der Beschuldigten auf "ihren" gesetzlichen Richter, dem sie nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundsätzlich nicht entzogen werden dürfen. Dieses hohe, mit Verfassungsrang ausgestattete Recht eines jeden Beschuldigten hat auch die Staatsanwaltschaft zu wahren. Deshalb verbietet sich nach Auffassung des Senats jede Vorgehensweise, durch die - wie hier - auch nur der Anschein der Beeinflussung des Gerichtsstands und damit eines Verstoßes gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG entstehen kann. Andererseits ist jedoch das der Staatsanwaltschaft hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit grundsätzlich eingeräumte Auswahlermessen anzuerkennen. Unter Berücksichtigung der o.a. Gesichtspunkte wird eine von der Staatsanwaltschaft zwischen mehreren in Frage kommenden Gerichtsständen getroffene Wahl dann nicht zu bemängeln sein, wenn das Zustandekommen der unterschiedlichen Gerichtsstände nicht zu beanstanden ist. Ob das schon dann der Fall ist, wenn - auf das vorliegende Verfahren übertragen - hier alle drei Angeschuldigten - trotz der bestehenden Haftbefehle - zur Vernehmung nach Bochum geladen worden, dort vernommen und dann festgenommen worden wären, mag dahinstehen. Jedenfalls dürfte im Hinblick auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG eine Vorgehensweise der Staatsanwaltschaft dahin, dass diese, wenn noch kein Haftbefehl erlassen ist, einen Beschuldigten vom Durchsuchungsort nach Bochum lädt, dort vernimmt und dann ggf. vorläufig festnimmt, in der Regel im Hinblick auf § 9 StPO und mit dieser Vorgehensweise begründeten Gerichtsstand, auch unter gebührender Berücksichtigung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, nicht zu beanstanden sein.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.


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