Aktenzeichen: 2 Ws 52/99 OLG Hamm
Leitsatz: Der Verurteilte ist vor der Entscheidung über seine bedingte Entlassung grundsätzlich mündlich zu hören. Der Verurteilte kann allerdings auf die mündliche Anhörung verzichten; macht er den Verzicht rückgängig, wird die Anhörung nachzuholen sein.
Senat: 2
Gegenstand: sofortige Beschwerde
Stichworte: Bedingte Entlassung, zwingende mündliche Anhörung, Verzicht, Nachholung bei Widerruf des Verzichts
Normen: StPO 454, StGB 57
Beschluss: Strafsache gegenF.M., wegen Diebstahls u.a. (hier: Sofortige Beschwerde gegen die Ablehnung der bedingten Entlassung nach Verbüßung von 2/3 der erkannten Strafe).
Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 19. Januar 1999 gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hagen vom 14. Januar 1999 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 16.12.1999 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht und die Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung - auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens - an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hagen zurückverwiesen.
Gründe:
I. Der Verurteilte ist durch Urteil des Amtsgerichts Hagen vom 2. Februar 1996 wegen Diebstahls in mehreren Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren verurteilt worden. Außerdem ist er durch Urteil des Amtsgerichts Siegen vom 13. Dezember 1996 wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt. Diese ist inzwischen voll verbüßt, nachdem der Verurteilte zuvor 2/3 der durch das Amtsgericht Hagen verhängten Freiheitsstrafe verbüßt hat. Zur Zeit verbüßt er deren Rest. Strafende ist am 11. November 1999.
Mit Schreiben vom 4. November 1998 hat der Verurteilte seine bedingte Entlassung gemäß § 57 Abs. 1 StGB beantragt. Der Leiter der Vollzugsanstalt hält die bedingte Entlassung des Verurteilten - verbunden mit bestimmten Weisungen - für vertretbar. Die Staatsanwaltschaft hat einer bedingten Entlassung widersprochen.
Die Strafvollstreckungskammer hatte Termin zur mündlichen Anhörung des Verurteilten auf den 14. Januar 1999 bestimmt. Zu diesem Termin ist der Verurteilte nicht erschienen, weil er - so die Auskunft der Justizvollzugsanstalt - nicht im Sammeltransport vorgeführt werden wollte und er außerdem eine Vorführung zum Anhörungstermin für unnötig hielt, weil er ohnehin von seiner umgehenden Entlassung ausging. Die Strafvollstreckungskammer hat die Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 StGB verneint und deshalb im angefochtenen Beschluss die bedingte Entlassung des Verurteilten aus der Strafhaft und die Aussetzung der Vollstreckung der Reststrafe zur Bewährung abgelehnt und außerdem gemäß § 57 Abs. 6 StGB eine 6-monatige Sperre für einen neuen Aussetzungsantrag verhängt.
Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Verurteilten, mit der er u.a. geltend macht, es sei ihm wichtig seinen Platz in der ambulanten Therapie zur Behandlung seiner Spielsucht nicht aufgeben zu müssen. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen.
II. Die sofortige Beschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache - zumindest vorläufig - Erfolg.
Nach § 454 Abs. 1 Satz 3 StPO ist der Verurteilte vor der Entscheidung über die Frage, ob die Vollstreckung des Restes einer Freiheitsstrafe nach § 57 StGB zur Bewährung ausgesetzt werden soll, mündlich anzuhören. Diese - nach dem Wortlaut des § 454 Abs. 1 Satz 3 StPO grundsätzlich zwingende: "... ist mündlich zu hören" - Anhörung hat vornehmlich den Sinn, dass das Gericht sich vor einer Aussetzungsentscheidung einen persönlichen Eindruck von dem Verurteilten verschaffen soll (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 43. Aufl., § 454 Rn. 16 mit weiteren Nachweisen). Deshalb wird in der Regel auf die mündliche Anhörung nicht verzichtet werden können.
In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist allerdings anerkannt, dass - über die in § 454 Abs. 1 Satz 4 StPO gesetzlich geregelten Fälle hinaus - die mündliche Anhörung u.a. aber dann unterlassen werden kann, wenn der Verurteilte auf sie verzichtet und damit zu erkennen gegeben hat, dass er kein Interesse daran hat, dem Gericht den für die Aussetzungsentscheidung in der Regel mitentscheidenden persönlichen Eindruck von seiner Person zu verschaffen. In diesem Fall ist es, wenn der Verzicht eindeutig ist, nicht zu beanstanden, wenn das Gericht ohne mündliche Anhörung über die weitere Vollstreckung bzw. Aussetzung der verbliebenen Reststrafe entscheidet (OLG Hamm MDR 1975, 775; Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., § 454 StPO Rn. 30 mit weiteren Nachweisen aus der obergerichtlichen Rechtsprechung).
Entsprechend diesen Grundsätzen hat vorliegend die Strafvollstreckungskammer zur Recht vor Erlass der angefochtenen Entscheidung von einer mündlichen Anhörung des Verurteilten abgesehen. Zutreffend hat sie das Verhalten des Verurteilten dahin gewertet, dass dieser kein Interesse an der mündlichen Anhörung hatte. Der Verurteilte hat nämlich nicht nur eine Vorführung durch einen Sammeltransport abgelehnt, sondern darüber hinaus auch noch erklärt, dass er die mündliche Anhörung für unnötig halte, da er ohnehin davon ausgehe, dass er umgehend zu entlassen sei.
Trotz des insoweit nicht zu beanstandenden Verfahrens führt die sofortige Beschwerde aber dennoch zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an die Strafvollstreckungskammer. Der sofortigen Beschwerde des Verurteilten ist nämlich zu entnehmen, dass er nicht nur die Ablehnung der bedingten Entlassung und die Verhängung der 6-monatigen Sperrfrist nicht hinnehmen will, sondern auch, dass er die mit einer Strafaussetzung zur Bewährung für seine Person zusammenhängenden Fragen der Strafvollstreckungskammer - nun auch mündlich - erörtern will. Außerdem ist ersichtlich, dass er der Strafvollstreckungskammer die Gründe, die ihn zu seinem Verhalten: Ablehnung der mündlichen Anhörung, veranlasst haben, erläutern möchte. Überdies hat der Verurteilte, worauf die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend hinweist, in Zusammenhang mit der ambulanten Behandlung seiner Spielsucht, neue Tatsachen vorgetragen, die der Abklärung durch die Strafvollstreckungskammer, bei der nach § 454 Abs. 1 Satz 1 StPO der Verurteilte grundsätzlich zunächst anzuhören ist, bedürfen.
Demgemäss war zur Nachholung der grundsätzlich zwingenden mündlichen Anhörung des Verurteilten und zur erneuten Entscheidung über die Frage der Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung die Sache an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hagen zurückzuverweisen. Von einer eigenen abschließenden Entscheidung hat der Senat abgesehen, da dadurch dem Verurteilten eine Instanz verloren gegangen wäre (siehe auch Kleinknecht/Meyer-Goßner, a.a.O., § 454 StPO Rn. 47 mit weiteren Nachweisen). Da der Senat eine abschließende Sachentscheidung nicht getroffen hat, wird die Strafvollstreckungskammer - je nach dem Ausgang des Verfahrens - auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.
III.
Das vorliegende Verfahren gibt dem Senat Anlass zu folgendem Hinweis:
Zwar ist die mündliche Anhörung des Verurteilten nach § 454 Abs. 1 Satz 3 StPO nach allgemeiner Meinung grundsätzlich zwingend. Dieser Umstand führt nach Auffassung des Senats jedoch nicht in allen Fällen, in denen die mündliche Anhörung des Verurteilten (zunächst) unterblieben ist, weil dieser - wie vorliegend - eindeutig und ausdrücklich auf sie verzichtet hat, dann aber sofortige Beschwerde gegen eine ablehnende Aussetzungsentscheidung einlegt, zur Aufhebung dieser Entscheidung und zur Zurückverweisung des Verfahrens an die Strafvollstreckungskammer zur Nachholung der mündlichen Anhörung. Vielmehr wird zu prüfen sein, ob nicht der einmal - ausdrücklich oder konkludent - erklärte Verzicht auf die mündliche Anhörung auch noch im Beschwerdeverfahren fortwirkt und demgemäss dann die Nachholung der mündlichen Anhörung ausscheidet. Das letztere wird z.B., wovon offenbar auch die Generalstaatsanwaltschaft ausgeht, dann der Fall sein, wenn die Strafvollstreckungskammer in der Sache entschieden hat und der Verurteilte sich mit der sofortigen Beschwerde nur mit dieser Sachentscheidung auseinandersetzt, ohne dass seinem Vorbringen entnommen werden könnte, dass er (auch) die Nachholung der mündlichen Anhörung erstrebt.
Etwas anderes gilt, wenn der Verurteilte - wie vorliegend - neue - bei nicht erfolgter mündlicher Anhörung dann i.d.R. von der Strafvollstreckungskammer zu prüfende - Tatsachen vorträgt und/oder - ausdrücklich oder konkludent - zu erkennen gibt, dass er nunmehr bereit ist, sich anhören zu lassen (so ersichtlich auch der Beschluss des hiesigen 3. Strafsenats vom 7. Januar 1999- 3 Ws 548/98). Nach Auffassung des Senats ergibt sich diese Bereitschaft allerdings allein aus der Einlegung der sofortigen Beschwerde noch nicht. Zwar wird das für den Fall, dass die Aussetzung des Strafrestes wegen nicht vorliegender, aber nach § 57 Abs. 1 Nr. 3 StGB erforderlicher Einwilligung des Verurteilten abgelehnt worden ist und der Verurteilte sich dann gegen die Ablehnungsentscheidung wendet, in ständiger Rechtsprechung von allen hiesigen Strafsenaten angenommen. Diese Fallgestaltung ist aber nicht vollständig vergleichbar mit der, in der die Aussetzung des Strafrestes wegen nicht erfolgter mündlicher Anhörung nach § 454 Abs. 1 Satz 3 StPO abgelehnt worden ist. Während nämlich die Einwilligung des Verurteilten zwingende Voraussetzung für eine Strafaussetzung zur Bewährung nach 57 StGB ist, von der Ausnahmen nicht zugelassen werden, kann auf die mündliche Anhörung in den Fällen des § 454 Abs. 1 Satz 4 StPO und nach den darüber hinaus von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen verzichtet werden. Daraus folgt, dass allein aus der Einlegung der sofortigen Beschwerde nicht der Schluss gezogen werden kann, der Verurteilte wolle nun doch mündlich angehört werden. Dafür müssen vielmehr weitere Gesichtspunkte, wobei alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sein werden, sprechen.
Schließlich wird - bei fehlender mündlicher Anhörung - eine Aufhebung und Zurückverweisung auch in all den Fällen erforderlich sein, in denen die Strafvollstreckungskammer allein wegen des Fehlens der mündlichen Anhörung, also aus formellen Gründen, die Aussetzung der Reststrafe abgelehnt hat und sich der Verurteilte dagegen nun wendet. In diesem Fall wird i.d.R. auch allein in der Einlegung der sofortigen Beschwerde die Bereitschaft zur Nachholung der mündlichen Anhörung gesehen werden können.
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