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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 2 BL 354/94 u. 2 Ws 381/94 OLG Hamm

Senat: 2

Gegenstand: BL6, Haftbeschwerde

Stichworte: Befangenheit eines Richters, BtM, Erkrankung, Haftbeschwerde, Terminsaufhebung

Normen: StPO 121, StPO 122, StPo 24


Beschluss: Strafsache gegen A.K. wegen Rauschgifteinfuhr
(hier: Haftprüfung durch das Oberlandesgericht und Haftbeschwerde).

Auf die Vorlage der Akten (Doppelakte I zu 2 Js 277/93 und Doppelakte II zu 72 Js 160/93, jeweils StA Dortmund) zur Entscheidung nach den §§ 121, 122 StPO und auf die Haftbeschwerde des Angeklagten vom 20.09.1994 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 4. Oktober 1994 durch die Richter am Oberlandesgericht und sowie den Richter am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft, des Angeklagten und seiner Verteidiger beschlossen:

Die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus wird angeordnet.
Die Haftprüfung für die nächsten drei Monate wird dem nach den allgemeinen Vorschriften dafür zuständigen Gericht übertragen.
Damit ist die Haftbeschwerde des Angeklagten erledigt.

Gründe:
Der Haftrichter des Amtsgerichts Dortmund ordnete durch Haftbefehl vom 4. Oktober 1993 gegen den damaligen Beschuldigten und jetzigen Angeklagten die Untersuchungshaft wegen des Vorwurfs an, der Angeklagte habe im Jahre 1992, und zwar im Juli und September, in Dortmund und Amsterdam fortgesetzt und gemeinschaftlich mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel getrieben und sie unerlaubt in die Bundesrepublik Deutschland eingeführt. Aufgrund dieses Haftbefehls wurde der Angeklagte am 15. Februar 1994 im Flughafen Düsseldorf festgenommen, als er nach Istanbul fliegen wollte. Entsprechend dem Antrag der Staatsanwaltschaft Dortmund vom 30. März 1994 erweiterte der Haftrichter den Haftbefehl am 14. April 1994 um weitere Tathandlungen, die der Angeklagte im April und November/Dezember 1992 begangen haben soll. In der am 14. April 1994 durchgeführten mündlichen Haftprüfung wurde dem Angeklagten Gelegenheit gegeben, sich zu den neuen Vorwürfen zu äußern. Der erweiterte Haftbefehl entspricht dem Inhalt der Anklageschrift vom 9. Juni 1994, auf die wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird. Die II. Strafkammer des Landgerichts Dortmund hat die Anklage mit der Abweichung, dass fünf rechtlich selbständige Taten in Betracht kommen, durch Beschluss vom 4. Juli 1994 zugelassen, das Hauptverfahren vor sich eröffnet und die Fortdauer der Untersuchungshaft aus den Gründen ihrer Anordnung beschlossen. 3 -
Die für den 8., 16. und 18. August 1994 anberaumte Hauptverhandlung hat demgemäss begonnen. Am zweiten Verhandlungstag ist der Belastungszeuge Berke vernommen worden. Dieser war in dem gegen ihn gerichteten Verfahren 11 Js 1301/92 StA Dortmund nach einem Aktenvermerk (Bl. 147 der vorliegenden Doppelakte I) zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten und zur Unterbringung gem. § 64 StGB rechtskräftig verurteilt worden, nachdem gegen ihn vorher vor dem Amtsgericht Dortmund Anklage erhoben worden war. In der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht am 13. Juli 1993 hatte die beisitzende Richterin K. als damalige Vertreterin der Staatsanwaltschaft die Verweisung des Verfahrens gegen den jetzigen Zeugen B. an das Landgericht beantragt, nachdem eine Aussage des Zeugen E. erörtert und teilweise verlesen worden war, in der E. Angaben über den Angeklagten und den Zeugen B. im Zusammenhang mit Einfuhren von Kokain aus den Niederlanden gemacht hatte. Einer der Verteidiger hat deswegen die Auffassung vertreten, die beisitzende Richterin sei daher nach § 22 Nr. 4 StPO gesetzlich als Richterin ausgeschlossen. Die Strafkammer hat diese Auffassung geteilt und die Hauptverhandlung aus diesem Grund abgebrochen. Neuer Hauptverhandlungstermin war auf den 16. bis 28. September 1994 an insgesamt fünf Verhandlungstagen anberaumt. Wegen Erkrankung der Berichterstatterin der Strafkammer, der Richterin am Landgericht Hengemühle, hob der Vorsitzende der Strafkammer am 13. September 1994 den Verhandlungstermin vom 16. September 1994 auf. Im Hinblick auf die ärztlich prognostizierte Krankheitsdauer der Richterin ließ er die Verhandlungstage ab 20. September 1994 bestehen. Da sich am 19. September 1994 eine längere Krankheitsdauer herausstellte, hob der Vorsitzende der Strafkammer an diesem Tag den Hauptverhandlungstermin, der am 20. September 1994 beginnen sollte, einschließlich der Fortsetzungstermine im September 1994 auf und beraumte die Hauptverhandlung auf den 26. Oktober 1994 mit Folgeterminen am 2., 4., 9. und 11. November 1994 an.
Nachdem der Senat am 12. September 1994 über den Antrag der Generalstaatsanwaltschaft vom 29. August 1994 auf Anordnung der Haftfortdauer beraten hatte und bevor die dabei beschlossene Entscheidung herausgegeben war, hat der Angeklagte durch per Telefax übermittelten Schriftsatz eines seines Verteidiger vom 20. September 1994 Haftbeschwerde eingelegt und in der Beschwerdebegründung u. a. auf die vom Vorsitzenden der Strafkammer ab 13. September 1994 getroffenen Terminsverfügungen hingewiesen, wodurch der Senat erstmals von diesen Terminsänderungen Kenntnis erlangt hat. Die dazu vom Senat angehörte Generalstaatsanwaltschaft ist in ihrer Stellungnahme vom 27. September 1994 bei ihrem Antrag auf Haftfortdauer verblieben. Diesem Antrag ist jedenfalls im Ergebnis zu entsprechen.
Die allgemeinen Voraussetzungen der weiteren Untersuchungshaft (§ 120 Abs. 1 StPO) liegen vor. Der bestreitende Angeklagte ist der ihm zur Last gelegten Tathandlungen auch nach dem Ergebnis der abgebrochenen Hauptverhandlung weiterhin dringend verdächtig. Die abschließende Abwägung zwischen der belastenden Aussage des Zeugen B. und der Darstellung des am 16. August 1994 von einer beauftragten Richterin der Strafkammer kommissarisch vernommenen Zeugen M.K., eines Vetters des Angeklagten, wonach der Angeklagte in der Zeit von Anfang Mai 1992 bis Januar 1993 sich ununterbrochen beim Zeugen in K. in der Türkei aufgehalten haben soll, muß den Ergebnissen der neuen Hauptverhandlung vorbehalten werden.

Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr. Der Angeklagte muß im Fall seiner Verurteilung mit einer langjährigen Freiheitsstrafe rechnen. Es ist so gut wie selbstverständlich, dass er sich im Falle seiner Freilassung in sein Heimatland begeben und jedenfalls nicht dem Verfahren stellen würde. Unter diesen Umständen kommen weniger einschneidende Maßnahmen nach § 116 Abs. 1 StPO nicht in Betracht. Die weitere Untersuchungshaft steht zur Bedeutung der Sache und der im Falle der Verurteilung zu erwartenden langjährigen Freiheitsstrafe nicht außer Verhältnis.

Die besonderen Voraussetzungen der Ausnahmevorschrift des § 121 Abs. 1 StPO sind schließlich ebenfalls gegeben. Das Ermittlungsverfahren ist mit der Erhebung der öffentlichen Klage durch die Anklageschrift vom 9. Juni 1994 zügig betrieben und abgeschlossen worden. Insoweit werden von der Verteidigung mit der Begründung der Haftbeschwerde jedenfalls keine konkreten Einwendungen erhoben. Die Ansicht der Verteidigung, das Verfahren sei jedenfalls seit Anklageerhebung nicht mehr in der gebotenen Weise gefördert worden, greift im Ergebnis nicht durch. Die Strafkammer hat über die Eröffnung des Hauptverfahrens unter Beachtung ihrer Anhörungspflichten am 4. Juli 1994 zügig entschieden und mit der Hauptverhandlung am 8. August 1994 vor Ablauf der 6-Monats-Frist des § 121 Abs. 1 StPO für eine Umfangsache der vorliegenden Art zügig begonnen.
Bei der Terminsanberaumung ist allerdings der Umstand übersehen worden, der zum Abbruch der Hauptverhandlung am 16. August 1994 geführt hat. Da dem Senat die Akten, die das Verfahren gegen den Zeugen B. betreffen, nicht vorliegen, muß er sich einer abschließenden eigenen Beurteilung der Frage der Sachgleichheit im Sinne des § 22 Nr. 4 StPO enthalten. Im Hinblick darauf, dass der Begriff der Sache weit auszulegen ist und dafür nicht einmal Verfahrensidentität Voraussetzung ist, ist die jedenfalls vertretbare Ansicht der Strafkammer hinzunehmen und davon auszugehen, dass ein verfahrensrechtlich wichtiger Grund ein Urteil unter Mitwirkung der Richterin K. nicht zugelassen hat. Das beruht jedoch auf einer besonderen verfahrensrechtlichen Konstellation, bei welcher der Vorwurf einer grob fehlerhaften Verfahrensgestaltung noch nicht gemacht werden kann. Dabei geht der Senat ohne Beiziehung der Verfahrensakten gegen den damaligen Angeklagten und jetzigen Zeugen B. von der Richtigkeit des Vortrags in der vorliegenden Beschwerdebegründung aus, dass in der Hauptverhandlung vom 15. Februar 1994 gegen Berke vor derselben Strafkammer die Richterin Keil wegen ihres Ausschlusses als beisitzende Richterin ersetzt werden mußte und dadurch der Vorsitzende der Strafkammer und die bezeichnete Richterin auf diese Problematik hingewiesen worden sind. Der Ausschluß der Richterin K. betraf insofern aber das identische Verfahren gegen den jetzigen Zeugen und damaligen Angeklagten B. Während sich bei Verfahrensidentität der Ausschlußgrund des § 22 Nr. 4 StPO aufdrängt, geht es vorliegend um die im Verhältnis dazu wesentliche verborgenere Sachidentität in getrennten Verfahren gegen verschiedene Angeklagte, ohne dass sich eine ohne weiteres greifbare Sachidentität aufdrängt.
Obwohl im Geschäftsverteilungsplan grundsätzlich ein Vertreter für einen erkrankten Richter vorgesehen sein muß, war es für den Vorsitzenden der Strafkammer unter den gegebenen Umständen unvermeidbar, die ab 16. September 1994 anberaumte Hauptverhandlung zu vertagen, weil es sich bei der erkrankten Richterin um die Berichterstatterin gehandelt hat, wie der Senat durch eine fernmündliche Auskunft der Geschäftsstelle der Strafkammer abgeklärt hat. Erkrankt ein beisitzender Richter, der Berichterstatter in einem auf mehrere Verhandlungstage anberaumten und dementsprechend umfangreichen Verfahren der vorliegenden Art ist, so ist die vorliegende Vertagung bei der gegebenen Sach- und Verfahrenslage als eine nicht zu beanstandende Verfahrensweise zu beurteilen. Der Zeitraum zwischen der am 19. September 1994 veranlaßten Terminsaufhebung und dem auf den 26. Oktober 1994 vertagten Verhandlungsbeginn ist bei einem Verfahren des vorliegenden Umfangs vor einer erstinstanzlich zuständigen Strafkammer nicht zu beanstanden. Insgesamt handelt es sich somit um verfahrensbedingte wichtige Gründe, die bisher ein Urteil noch nicht zugelassen haben und die auch bei zusammenfassender Betrachtung noch die Fortdauer der Untersuchungshaft im Sinne von § 121 Abs. 1 StPO rechtfertigen.

Durch die dementsprechende Entscheidung des Senats im besonderen Haftprüfungsverfahren wird die Haftbeschwerde gegenstandslos (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 41. Aufl., Rdnr. 18 zu § 122).
Mit der Übertragung der zwischenzeitlichen Haftprüfung hat der Senat von dem ihm in § 122 Abs. 3 Satz 3 StPO eingräumte Ermessen Gebrauch gemacht.


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