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Rechtsprechung


Aktenzeichen: 4 BL 215/93 OLG Hamm

Senat: 4

Gegenstand: BL6

Stichworte: Akteneinsicht, Ausländer, Auslieferungsverfahren, Ermittlungsverfahren, TÜ, TÜ-Auswertung, Umfang

Normen: StPO 121, StPO 122


Beschluss: Strafsache gegen 1. die Köchin M.Z. und 2. den Kraftfahrer W.S. wegen erpresserischen Menschenraubes u.a.,
(hier: Haftprüfung durch das Oberlandesgericht).

Auf die Vorlage der Akten zur Entscheidung nach §§ 121, 122 StPO hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 16. Juni 1993 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht sowie die Richter am Oberlandesgericht und nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft, der Beschuldigten und ihrer Verteidiger beschlossen:

Die Fortdauer der Untersuchungshaft gegen beide Beschuldigte über sechs Monate hinaus wird angeordnet.
Die Haftprüfung für die nächsten drei Monate wird dem nach den allgemeinen Vorschriften dafür zuständigen Gericht übertragen.

Gründe:
Die am 9. Dezember 1992 vorläufig festgenommenen Beschuldigten befinden sich aufgrund der Haftbefehle des Amtsgerichts Münster vom 10. Dezember 1992 - 23 Gs 4265/92 (Z.) und 23 Gs 4266/92 (S.) - seit demselben Tage in Untersuchungshaft. Der Haftbefehl gegen den Beschuldigten S. ist durch Beschluss des Amtsgerichts Münster vom 11. Februar 1993 - 23 Gs 360/93 - erweitert und neu gefaßt worden.
Den Beschuldigten wird zur Last gelegt, in der Zeit vom 4. bis zum 9. Dezember 1992 in Münster und an anderen Orten gemeinsam mit dem flüchtigen V. Z., dem Ehemann der Beschuldigten Z., sowie dem in Polen inhaftierten O.K. und anderen Mittätern an der in Polen begangenen Geiselnahme und dem erpresserischen Menschenraub zum Nachteil der in Münster ansässigen und auf einer Geschäftsreise befindlichen ukrainischen Staatsangehörigen V. und M.N. beteiligt gewesen zu sein, indem die in den Tatplan eingeweihte Beschuldigte Z. in der Phase der erpreßten Geldübergabe, die - jeweils nach Bargeldabhebungen bei verschiedenen Banken in Münster und Enschede/ Niederlande - stattfand, aus ihrer Wohnung in Osnabrück heraus den fernmündlichen Kontakt zwischen V.Z. und den in Polen verbliebenen Geiselnehmern aufrechterhielt und der Beschuldigte S. sich in Kenntnis der Tatumstände bereiterklärte, V. Z. nach Polen zu dem Ort zurückzufahren, an dem die Geisel M. N. noch gefangengehalten wurde. Beide Beschuldigten sollten an dem Lösegeld beteiligt werden.

Dem Beschuldigten S. wird darüber hinaus die Beteiligung an einer versuchten räuberischen Erpressung zur Last gelegt. Er soll am 27. Juni 1992 gemeinsam mit V. Z. sowie den weiteren Beschuldigten I.C. und K.S. in einem Hotel in der Tschechoslowakei den Geschädigten W.B. zur Zahlung von 10.000.-- DM aufgefordert haben, wobei dieser durch Faustschläge an den Kopf, Drosseln mit einer um den Hals gelegten Schlinge und Messerschnitte in beide Hände erheblich verletzt worden sein soll. Zur Zahlung des Geldes kam es nicht.
Der dringende Tatverdacht gegen die Beschuldigte Z. folgt aus den Aussagen der Zeugen pp. sowie aus den Erkenntnissen, die im Rahmen der Überwachung des von der Beschuldigten Z. benutzten Telefonanschlusses gewonnen worden sind. Aus dieser Telefonüberwachung ergibt sich eindeutig, dass die Gespräche der Beschuldigten mit ihrem Ehemann und den in Polen verbliebenen Mittätern der Nachrichtenvermittlung dienten.
Der dringende Tatverdacht gegen den Beschuldigten W.S. ergibt sich hinsichtlich der Taten zum Nachteil der Geschädigten M. und V.N. daraus. dass der Beschuldigte als Begleiter des Mitbeschuldigten V.Z. festgenommen wurde, als beide mit einem Teil des erpreßten Geldes auf dem Weg nach Polen in Richtung Posen zu der noch festgehaltenen Geisel M.N. unterwegs waren. Der dringende Tatverdacht wegen versuchter räuberischer Erpressung zum Nachteil des Geschädigten W. B.beruht auf dessen glaubhaften Angaben.

Gegen beide Beschuldigte besteht neben dem zu Recht angenommenen Haftgrund der Verdunklungsgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO) auch in besonderem Maße der Haftgrund der Fluchtgefahr gem. § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO. Beide haben im Falle ihrer Verurteilung mit der Verhängung einer erheblichen Freiheitsstrafe zu rechnen. Dies begründet einen beträchtlichen Anreiz, sich dem Verfahren durch Flucht zu entziehen, zumal sie als ukrainische Staatsbürger vor ihrer Inhaftierung in ungesicherten sozialen Verhältnissen und ohne erkennbare Bindungen in der Bundesrepublik Deutschland gelebt haben. Bei der Beschuldigten Z. kommt hinzu, dass deren mitbeschuldigter Ehemann flüchtig ist. Auch dass sich die zehnjährige Tochter der Beschuldigten Z. in der Bundesrepublik Deutschland befindet, räumt die bestehende Fluchtgefahr nicht aus. Das Kind, das zur Zeit bei Landsleuten der Beschuldigten Z. lebt, könnte seiner Mutter ggf. ohne weiteres nachreisen.

Der Zweck der Untersuchungshaft lässt sich deshalb bei beiden Beschuldigten auch nicht mit weniger einschneidenden Maßnahmen nach § 116 Abs. 1 oder 2 StPO erreichen. Der Senat hat in seiner Entscheidung vom 3. Februar 1993 (4 Ws 29/93) über eine weitere Haftbeschwerde der Beschuldigten Z. ausgeführt, dass diese nach dem damaligen Ermittlungsergebnis als Mitglied einer Bande ortsungebundener Straftäter mit straffer Organisationsstruktur und vielfältigen intensiven Auslandsbeziehungen anzusehen sein dürfte und deshalb damit zu rechnen sei, dass sie jede sich bietende Gelegenheit zur Flucht nutzen werde. Diese Einschätzunz wird durch das Ergebnis der seitdem geführten weiteren Ermittlungen bestärkt und gilt auch für den Mitbeschuldigten W. S.. Der Vollzug der Haftbefehle ist daher erforderlich.
Die bisher gegen die Beschuldigten vollzogene Untersuchungshaft steht nicht außer Verhältnis zur Bedeutung des Tatvorwurfs und der im Verurteilungsfalle möglicherweise zu erwartenden Freiheitsstrafe.

Wichtige Gründe i.S. des § 121 Abs. 1 StPO haben ein Urteil bislang nicht zugelassen; sie rechtfertigen aber, die Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus aufrechtzuerhalten. Das außerordentlich umfangreiche Verfahren ist mit der in Haftsachen erforderlichen Beschleunigung geführt worden. Im Hinblick auf die erforderlichen Vernehmungen einer Vielzahl von Zeugen und Beschuldigten sowie die Auswertung von Telefonüberwachungprotokollen haben die arbeits- und zeitintensiven Ermittlungen trotz zügiger Arbeitsweise allerdings noch nicht abgeschlossen werden können. Die Ermittlungen gestalten sich insbesondere deshalb schwierig, weil zu den Vernehmungen Dolmetscher hinzuzuziehen sind und die abgehörten Telefongespräche ebenso wie die von den polnischen Ermittlungsbehörden überlassenen Ermittlungsunterlagen jeweils vor ihrer Auswertung übersetzt werden müssen. Weiterhin wird derzeit das Auslieferungsverfahren hinsichtlich der in Polen inhaftierten sowie der sich in der Ukraine aufhaltenden Mittäter betrieben. Ungeachtet der Erledigung der Auslieferungsersuchen wird die Staatsanwaltschaft - wie sie mitgeteilt hat - nach Abschluß der kriminalpolizeilichen Ermittlungen, der in etwa ein bis zwei Monaten zu erwarten ist, umgehend Anklage erheben.
Die Schriftsätze beider Verteidiger vom 14. Juni 1993 haben vorgelegen; sie rechtfertigen eine andere Entscheidung aber nicht. Die von der Staatsanwaltschaft angeordnete Versagung der Akteneinsicht durch die Verteidigung beruht auf § 147 Abs. 2 StPO. Dem an den Senat gerichteten Antrag des Verteidigers des Beschuldigten S. auf Gewährung von Akteneinsicht konnte schon wegen insoweit fehlender gerichtlicher Zuständigkeit nicht entsprochen werden. Denn gemäß § 147 Abs. 5 StPO entscheidet im vorbereitenden Verfahren ausschließlich die Staatsanwaltschaft über die Gewährung von Akteneinsicht: dies gilt auch dann, wenn sich die Akten zu einer richterlichen Handlung bei Gericht befinden (h.M.; vgl. Kleinknecht/Meyer StPO, 40. Aufl. § 147 Rdn. 34; OLG Hamm NSTZ 82, 348). Der Eingang einer weiteren Stellungnahme der Verteidiger des Beschuldigten S. war vor der Entscheidung des Senats nicht abzuwarten, denn diese war nur für den Fall der Akteneinsicht - die nicht erfolgen kann - vorbehalten.
Die Nebenentscheidung folgt aus § 122 Abs. 3 Satz 3 StPO.


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