Aktenzeichen: 2 Ss 745/94 OLG Hamm
Senat: 2
Gegenstand: Wiedereinsetzung
Stichworte: Revisionsverwerfung, Wiedereinsetzung zur Nachholung rechtlichen Gehörs gegen Verwerfungsbeschluß, Zustellung an Verteidiger, Pflichtverteidiger, Entpflichtung
Normen: StPO 44, StPO 45, StPO 349, StPO 33 a
Beschluss: Strafsache gegen E.G. wegen exhibitionistischer Handlungen,
(hier: Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Nachholung rechtlichen Gehörs).
Auf den Antrag des Verurteilten vom 23. September 1994 auf Aufhebung des gem. § 349 Abs. 2 StPO ergangenen Senatsbeschlusses vom 12. Juli 1994 im Wege der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur nachträglichen Gewährung von rechtlichem Gehör zum Verwerfungsantrag der Generalstaatsanwaltschaft in Hamm vom 15. Juni 1994 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 10.11.1994 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:
Der Antrag wird verworfen.
Gründe:
Das Amtsgericht - Schöffengericht - Schwelm verurteilte den geständigen und einschlägig vorbestraften Antragsteller am 24. November 1992 wegen einer exhibitionistischen Handlung zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten. Das Landgericht Hagen verwarf die Berufung des Antragstellers. Auf dessen Revision hob der Senat das Berufungsurteil auf, weil er die Verfahrensrüge für begründet erachtete, die Hauptverhandlung habe trotz Vorliegens eines Falles notwendiger Verteidigung ohne einen Verteidiger stattgefunden. Der Vorsitzende der Strafkammer, an die vom Senat die Sache zurückverwiesen worden war, bestellte Rechtsanwalt B. in Hagen zum Verteidiger, nachdem der Antragsteller auf Anfrage keinen Verteidiger benannt hatte. Rechtsanwalt B. reichte sodann eine schriftliche Vollmacht des Antragstellers vom 23. August 1993 zu den Akten. Aufgrund des Ergebnisses der erneuten Berufungsverhandlung, die unter Mitwirkung des bestellten Verteidigers am 14. Januar 1994 stattfand und in der der hinzugezogene psychiatrische Sachverständige vernommen wurde, wurde die Berufung des Antragstellers wiederum verworfen. Dagegen legte der Verteidiger für seinen Mandanten mit Schriftsatz vom 14. Januar 1994 Revision ein und rügte vorab die Verletzung formellen und materiellen Rechts mit dem Hinweis, dass er nach Vorlage der schriftlichen Urteilsgründe unaufgefordert auf die Angelegenheit zurückkommen werde. Am 19. Januar 1994 legte der Antragsteller zu Protokoll der Geschäftsstelle des Landgerichts selbst Revision ein und erklärte ferner, dass er Rechtsanwalt B. das Mandat entziehe. Auf entsprechende Unterrichtung durch den Antragsteller teilte diesem Rechtsanwalt B. mit Schreiben vom 20. Januar 1994 mit, dass er zwar von der Absicht des Antragsteller zur Beendigung des Mandatsverhältnisses Kenntnis genommen habe, eine Mandatskündigung jedoch wegen seiner gerichtlichen Pflichtverteidigerbestellung nicht möglich sei. Er stellte dem Antragsteller anheim, die eingelegt Revision selbst zu Protokoll der Geschäftsstelle zu begründen. Abschließend wies er darauf hin, dass er sich ohne ausdrückliche Rücksprache des Antragstellers mit ihm nicht um eine Revisionsbegründung kümmern werde. Unter Beifügung dieses Schreibens beantragte der Antragsteller beim Vorsitzenden des Berufungsgerichts die Aufhebung des Mandats von Rechtsanwalt B. Dieser habe gegen seinen Willen Revision eingelegt, obwohl er sich ausdrücklich die persönliche Einlegung der Revision vorbehalten habe; außerdem entspreche die von Rechtsanwalt B. gewählte Formulierung "Rüge des formellen und materiellen Rechts" nicht seinem Willen. Sollte nach Aufhebung des angefochtenen Urteils erneut Berufungsvertiandlung anstehen, bitte er um die Zuweisung eines anderen Strafverteidigers. Dieses Schreiben des Antragstellers erhielt den Posteingangsstempel des Landgerichts Hagen vom 24. Januar 1994.
Der Vorsitzende der Strafkammer ordnete danach am 7. Februar 1994 die förmliche Zustellung des Urteils an den bestellten Verteidiger an und ließ dem Antragsteller zugleich mit der formlosen Übersendung einer Urteilsausfertigung mitteilen, dass ihm das Schreiben des Antragstellers vorn 24. Januar 1994 zwar keiner Anlass gebe, Rechtsanwalt B. von der Pflichtverteidigung zu entbinden, es dem Antragsteller aber gleichwohl unbenommen bleibe, die Revision selbst innerhalb der Begründungsfrist ergänzend zu Protokoll der Geschäftsstelle zu begründen. Dies tat der Antragsteller am 14. März 1994. In ihrem Verwerfungsantrag vom 15. Juni 1994 äußerte die Generalstaatsanwaltschaft bezüglich der vom Antragsteller erhobenen Verfahrensrügen Zweifel an deren Zulässigkeit; im Ergebnis beurteilte sie diese Rügen ebenso wie die Sachrüge für jedenfalls offensichtlich unbegründet. Diesen Verwerfungsantrag stellte die Generalstaatsanwaltschaft dem bestellten Verteidiger gegen Empfangsbekenntnis zu. Das Empfangsbekenntnis weist das Datum vom 20. Juni 1994 aus. Unter Bezugnahme auf den Verwerfungsantrag der Generalstaatsanwaltschaft hat der Senat die Revision durch Beschluss gem. § 349 Abs. 2 StPO verworfen. Dem bestellten Verteidiger ist eine Beschlußausfertigung, dem Antragsteller selbst eine Beschlußabschrift übersandt worden.
Entgegen der von der Geschäftsstelle des Senats noch zu berichtigenden Ausfertigung des Beschlusses ist dieser nicht von der Richterin am Oberlandesgericht, sondern an dieser Stelle (dritte Unterschrift) von Richter am Oberlandesgericht, der auch nach dem zutreffenden einleitenden Text an der Beschlußfassung mitgewirkt hat, unterschrieben worden.
Mit seinem Antrag vom 23. September 1994, der hier am 27. September 1994 eingegangen ist, macht der Verurteilte geltend, er habe keine Möglichkeit gehabt, sich zu dem ihm nicht bekanntgegebenen Verwerfungsantrag der Generalstaatsanwaltschaft zu äußern. Rechtsanwalt B. habe ihn von diesem Antrag nicht informiert. Nach dessen Angaben vom 22. September 1994 ihm, dem Antragsteller, gegenüber habe der Rechtsanwalt die Aufhebung seines Mandats beim Landgericht Hagen beantragt und deswegen angenommen, dass alle Zustellungen an den Antragsteller persönlich erfolgen würden und es deswegen nicht seine Aufgabe sei, den Antragsteller über eingehende Schriftstücke zu informieren. Die im Senatsbeschluss erwähnte Anhörung des Antragstellers habe somit gar nicht stattgefunden. Die Möglichkeit des abschließenden rechtlichen Gehörs sei ihm nicht gegeben worden. Deswegen beantragt er, den Senatsbeschluss vom 12. Juli 1994 aufzuheben und das Revisionsverfahren in den Zeitpunkt der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft zur Revision zurückzuversetzen.
Dem Begehren des Antragstellers, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur nachträglichen Gewährung rechtlichen Gehörs zu bewilligen, kann nicht entsprochen werden.
Dass der Antragsteller, wie er vorträgt, vom Revisionsverwerfungsantrag der Generalstaatsanwaltschaft vom 15. Juni 1994 keine Kenntnis erlangt hat, ist ein Umstand, der ein Nachverfahren nach § 33 a StPO zur Nachholung rechtlichen Gehörs nicht auszulösen vermag. Zwar ist diese Vorschrift so auszulegen und anzuwenden, dass sie jeden Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG im Beschlußverfahren erfaßt (Bundesverfassungsgericht im Beschl. vom 30. Juni 1976 in BVerfGE 42, 243, 250 = NJW 1976, 1837, 19-58 = JZ 1977, 21, 23). Ein solcher Verstoß liegt aber nicht vor. Die in § 349 Abs. 3 Satz 2 StPO bestimmte Frist von zwei Wochen zur Einreichung einer Gegenerklärung zum Verwerfungsantrag der Generalstaatsanwaltschaft ist mit der am 20. Juni 1994 erfolgten Zustellung dieses Antrags an Rechtsanwalt B.in Lauf gesetzt worden. Dieser war nach wie vor der bestellte Verteidiger des Antragstellers, nachdem der dafür zuständige Vorsitzende der Strafkammer eine Zurücknahme der Bestellung abgelehnt hatte. Die Zustellung des Verwerfungsantrags an den bestellten Verteidiger genügt, um die Frist des § 349 Abs. 3 Satz 2 StPO in Lauf zu setzen, weil der gerichtlich bestellte Verteidiger nach § 145 a Abs. 1 StPO als ermächtigt gilt, Zustellungen an den Beschuldigten entgegenzunehmen (speziell zur Mitteilung eines Verwerfungsantrags nach § 349 StPO an den bestellten Verteidiger, Beschl. des BGH vom 25.09.1979 in NStZ 1981, 95; unter Hinweis darauf und auf weitere Beschlüsse im Beschl. vom 22.04.1980 in GA 1980, 390; ebenso OLG Köln in OLGSt a.F. S. 9 zu § 349; zustimmend Meyer-Goßner in Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 41. Aufl., Rdnr. 15 zu § 349). Einer zusätzlichen Unterrichtung des Angeklagten von der Zustellung an den bestellten Verteidiger unter Übersendung einer Abschrift des Verwerfungsantrags gem. § 145 a Abs. 3 Satz 1 StPO (früher: Abs. 4) bedarf es dabei nicht, weil es sich bei dem Verwerfungsantrag nach § 349 StPO nicht um eine Entscheidung i.S. der Vorschrift des § 145 a Abs. 3 Satz 1 StPO handelt (ebenso BGH und Meyer-Goßner wie zuvor). Da der Senat nach Ablauf der Zweiwochenfrist am 12. Juli 1994 über die Revision entschieden hat, hat der Antragsteller damit das ihm zustehende rechtliche Gehör gehabt (ebenso BGH im Beschluss vom 22.04.1980 a.a.O. für eine entsprechende Fallgestaltung).
Ob im Hinblick auf den verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf rechtliches Gehör dann etwas anderes gelten müsste, wenn Rechtsanwalt B.selbst die Zurücknahme seiner Bestellung zum Pflichtverteidiger beim Landgericht Hagen beantragt hätte, wie der Antragsteller unter Berufung auf eine angebliche Äußerung von Rechtsanwalt vom Brocke ihm gegenüber am 22. September 1994 vorträgt, kann dahingestellt bleiben, weil sich ein solcher Antrag von Rechtsanwalt B.nicht bei den Akten befindet. Unter den gegebenen Umständen war nicht etwa der Senat dazu verpflichtet, vor einer Entscheidung nach § 349 Abs. 2 StPO bei Rechtsanwalt B. anzufragen, ob dieser den Antragsteller von dem Verwerfungsantrag unterrichtet hat, weil die Verteidigertätigkeit grundsätzlich nicht der gerichtlichen Kontrolle unterliegt. Etwas anderes folgt insoweit auch nicht aus dem bei den Akten befindlichen Schreiben von Rechtsanwalt B. vom 20. Januar 1994 an den Antragsteller; denn daraus ergibt sich das Bewußtsein und die Bereitschaft von Rechtsanwalt B., dem Antragsteller auch weiterhin zur anwaltlichen Verteidigung zur Verfügung zu stehen, wenn auch nicht ohne ausdrückliche Rücksprache.
Ist das Strafverfahren durch einen gem. § 349 Abs. 2 StPO ergangenen Beschluss rechtskräftig abgeschlossen worden, ist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach dem Eintritt der Rechtskraft der Sachentscheidung des Revisionsgerichts nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Nachweise wie zuvor; vgl. ferner Pikart in KK-STPO, 3. Aufl., Rdnr. 48 sowie Meyer-Goßner, a.a.0. Rdnr. 25 jeweils zu 349), von der abzuweichen der Senat keinen Anlass sieht, nicht mehr zulässig.
Aber selbst dann, wenn man im Widerspruch dazu eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Abgabe einer Gegenerklärung nach § 349 Abs. 3 Satz 2 StPO trotz rechtskräftigen Abschlusses des Revisionsverfahrens zur Verwirklichung des verfassungsrechtlich garantierten Anspruchs auf rechtliches Gehör für grundsätzlich möglich und geboten hält, liegt ein zulässiger Wiedereinsetzungsantrag nicht vor. Ein solcher muß nämlich auch Angaben zum Zeitpunkt des Wegfalls des Hindernisses enthalten (vgl. Kleinknecht/ Meyer-Goßner a.a.O., Rdnr. 5 zu § 45 m.w.N.). Die nachfolgend wörtlich wiedergegebenen Ausführungen des Antragstellers lassen offen, wann er Kenntnis vom Senatsbeschluss vom 12. Juli 1994 selbst oder von der Existenz dieses Beschlusses erlangt haben will. Die diesbezüglichen Ausführungen in der Antragssschrift vom 23. September 1994 lauten wie folgt:
"Nachdem ich von der StVK Werl (gemeint: Arnsberg) am 19.4.94 über den Widerruf meiner Bewährung informiert wurde erfuhr ich zum ersten Mal, dass ein Beschluss des OLG in dieser Sache seit dem 22. Juli 94 vorlag."
Diese Ausführungen erwecken den Eindruck, als habe der Antragsteller irgendwann nach dem 22. Juli 1994 im Rahmen eines Widerrufsverfahrens erstmals Kenntnis von der Existenz des Senatsbeschlusses vom 12. Juli 1994 erlangt. Diese verschwommene Darstellung reicht nicht zuletzt auch deswegen nicht aus, weil ausweislich der Akten die nach der Anordnung des Senatsvorsitzenden vom 14. Juli 1994 an den Antragsteller zu übersendende Abschrift des Senatsbeschlusses am 21. Juli 1994 zur Post gegeben worden und nicht zurückgelangt ist. Unter diesen Umständen ist die Einhaltung der Wochenfrist des 45 Abs. 1 Satz 1 StPO weder dargetan noch glaubhaft gemacht.
Schließlich hat der Antragsteller die versäumte Handlung, nämlich die Abgabe einer Gegenerklärung, entgegen § 45 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht nachgeholt. Er hat sich lediglich darüber beschwert, dass ihm die Möglichkeit des abschließenden rechtlichen Gehörs nicht gegeben worden sei. Das genügt selbst dann nicht, wenn man sein Vorbringen dahin auslegt, dass er bei Kenntnis des Verwerfungsantrags auf diesen selbstverständlich erwidert hätte. Vielmehr hätte er auch darlegen müssen, was er erwidert hätte. Zu diesem Zweck hätte er sich den Verwerfungsantrag bei seinem Verteidiger beschaffen können und müssen. Seine Vorstellung, dass zunächst einmal der Senatsbeschluss vom 12. Juli 1994 wegen der von ihm geltend gemachten Verletzung des rechtlichen Gehörs aufzuheben sei, danach der Verwerfungsantrag von der Generalstaatsanwaltschaft ihm persönlich mitzuteilen sei und sodann seine Erwiderung auf den Verwerfungsantrag abzuwarten sei, entspricht der gesetzlichen Regelung über eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht.
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