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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 2 Ss 1232/94 OLG Hamm

Leitsatz: Bei Verhängung einer i.S. des § 47 StGB kurzfristigen Freiheitsstrafe muss sich dem tatrichterlichen Urteil entnehme lassen, dass dies zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich war.

Senat: 2

Gegenstand: Revision

Stichworte: Aufhebung, kurzfristige Freiheitsstrafe zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich, Rechtsfolgenaufhebung

Normen: StGB 47, StPO 331

Beschluss: Strafsache gegen A.K. wegen Unterschlagung.

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der XVII. kleinen Strafkammer des Landgerichts Dortmund vom 21. April 1994 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 28.11.1994 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht auf Antrag bzw. nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft sowie nach Anhörung des Angeklagten gem. § 349 Abs. 2 und Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den dazugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Dortmund zurückverwiesen.

Gründe:
Das erweiterte Schöffengericht des Amtsgerichts Hamm hat den Angeklagten am 29. Oktober 1992 wegen Verwahrungsbruchs in Tateinheit mit veruntreuender Unterschlagung (§§ 133 Abs. 1, 3, 246, 52 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Die mit dem Ziel eines Freispruchs eingelegte Berufung des Angeklagten hat die III. große Strafkammer des Landgerichts Dortmund in der Sitzung vom 29. Januar 1993 mit der Maßgabe verworfen, dass der Angeklagte wegen Unterschlagung (§ 246 Abs. 1, 1. Halbsatz StGB) zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 35,-- DM verurteilt worden ist. Gegen dieses Berufungsurteil hat die Staatsanwaltschaft Dortmund Revision eingelegt, mit der sie eine Verurteilung des Angeklagten wegen Verwahrungsbruchs gem. § 133 Abs. 1 und 3 StGB in Tateinheit mit veruntreuender Unterschlagung erstrebt hat. Der Senat hat mit Urteil vom 28. Juli 1993, auf dessen Gründe zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, das angefochtene Urteil mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere - nunmehr kleine (vgl. Art. 3 Nr. 8 a und Art. 14 Abs. 5 des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege vom 11. Januar 1993) - Strafkammer des Landgerichts Dortmund zurückverwiesen. Die XVII. kleine Strafkammer des Landgerichts Dortmund hat in der Sitzung vom 21. April 1994 die Berufung des Angeklagten mit der Maßgabe verworfen, dass dieser wegen veruntreuender Unterschlagung zu einer Freiheitstrafe von zwei Monaten verurteilt worden ist, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird wegen der Feststellungen dieses Urteils auf die Gründe unter II. (UA 4 oben bis UA 11 Mitte) verwiesen. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der, er die Aufhebung des landgerichtlichen Urteils und die Zurückverweisung der Sache an eine andere Strafkammer des Landgerichts begehrt. Die Revision rügt - mit näheren Ausführungen, auf die ebenfalls Bezug genommen wird - die Verletzung materiellen Rechts.

Das Rechtsmittel hat einen vorläufigen Teilerfolg.

Soweit sich die Revision - auch - gegen den Schuldspruch richtet, war sie gemäß dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft vom 31. Oktober 1994, der dem Angeklagten bekannt ist und auf den zur Vermeidung von Wiederholungen ebenfalls verwiesen wird, als offensichtlich unbegründet zu verwerfen, da die Nachprüfung des Urteils insoweit aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).

Dagegen kann der Rechtsfolgenausspruch keinen Bestand haben.
In ihrer Stellungnahme vom 31. Oktober 1994 hat die Generalstaatsanwaltschaft hierzu ausgeführt:
"Eine Freiheitsstrafe unter sechs Monaten verhängt das Gericht nur, wenn besondere Umstände, die in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters liegen, die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich machen (§ 47 Abs. 1 StGB). Mit Recht hat die Berufungskammer ausgeführt, dass es der Verhängung einer Freiheitsstrafe nicht zur Einwirkung auf den Angeklagten bedurfte. Aber auch unter dem Gesichtspunkt der Verteidigung der Rechtsordnung kam hier die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe nicht in Betracht.
Die Verteidigung der Rechtsordnung gebietet die Verhängung einer Freiheitsstrafe, wenn ernstlich zu befürchten ist, dass die Allgemeinheit ihr Vertrauen in die Wirksamkeit der Strafrechtspflege ohne die Verhängung einer Freiheitsstrafe verliert und dadurch das allgemeine Rechtsbewußtsein nachhaltig beeinträchtigt wird. Es müssen besondere Umstände vorliegen, die den Verstoß von Durchschnittsfällen negativ abheben oder als so schwerwiegend erscheinen lassen, dass das Absehen von Freiheitsstrafe die Rechtstreue der Bevölkerung und ihr Vertrauen in die Unverbrüchlichkeit des Rechts ernstlich erschüttern würde (Schönke/Schröder-Stree, StGB, 24. Aufl., Rn. 14 zu § 47 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen). Für die Entscheidung darüber, ob die Verteidigung der Rechtsordnung die Verhängung von Freiheitsstrafe gebietet, kann die Schuld des Täters wesentlich ins Gewicht fallen. Je größer die Schuld, desto eher wird das Vertrauen der Bevölkerung erschüttert, wenn keine Freiheitsstrafe verhängt wird (Schönke/SchröderStree, a.a.O., Rn. 15).
Den insoweit im angefochtenen Urteil erörterten Erwägungen ist nicht zu entnehmen, dass die Verhängung der kurzen Freiheitsstrafe zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich ist. Es ist nur schwerlich nachvollziehbar, dass das Vertrauen der Bevölkerung, im Schutz der Rechtsordnung zu leben, erschüttert werden könnte und die Rechtstreue der Bevölkerung gefährdet werden könnte, wenn ein Beamter wegen der vorliegenden Tat unter Berücksichtigung ihrer besonderen Umständen nicht zu einer Freiheitsstrafe, sondern zu einer Geldstrafe verurteilt werden würde. Nicht jedes Vermögensdelikt eines Beamten muß, um das Vertrauen der Bevölkerung in den Schutz der Rechtsordnung zu erhalten, eine - wenn auch kurzfristige - Freiheitsstrafe nach sich ziehen. Allein die besondere Situation des Geschädigten führt unter Berücksichtigung der zugunsten des Angeklagten sprechenden Umstände nicht zu einer anderen Beurteilung, insbesondere nicht dazu, dass die Verhängung der kurzen Freiheitsstrafe "unerlässlich" ist. Es wird aus dem Urteil auch nicht hinreichend deutlich, warum generalpräventive Gesichtspunkte die Verhängung der kurzfristigen Freiheitsstrafe erforderlich machen. Richtig ist, dass der Gedanke der Generalprävention in letzter Zeit wieder stärker hervortritt und in der Rechtsprechung Berücksichtigung gefunden hat. Das gilt jedoch vor allem für besondere Formen der schweren Kriminalität, die in letzter Zeit vermehrt die Rechtsordnung, Leib, Leben und Vermögen anderer gefährdet haben (zu vgl. Beispielsfälle bei Dreher/Tröndle, StGB, 46. Aufl., Rn. 6 a zu § 46). So liegt der vorliegende Fall aber nicht. Konkrete Hinweise darauf, dass sich Beamte in jüngster Zeit vermehrt strafbar machen, gibt es nicht. Auch ist die vorliegende Straftat lediglich anläßlich des Dienstes und aus einer besonderen Situation (plötzliche finanzielle Notlage) begangen worden. Im übrigen sind bei Beamten, die sich eines vergleichbaren Vermögensdelikts schuldig gemacht haben, die disziplinarrechtlichen Folgen in aller Regel weitaus gravierender als die strafrechtlichen; das Disziplinarrecht dürfte in solchen Fällen weit eher abschreckend wirken als das Strafrecht. Berücksichtigt man außerdem, dass die Berufungskammer bei der Bemessung der Strafe keinen einzigen strafschärfenden Gesichtspunkt gefunden, jedoch eine Vielzahl von strafmildernden Gesichtspunkten angeführt hat, so wird deutlich, dass auch wegen der weit unterdurchschnittlichen Schuld des Angeklagten die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe unvertretbar ist. Jedenfalls würde ein neutraler Beobachter, der alle Umstände des Falles kennt, Verständnis dafür aufbringen, dass der Angeklagte "nur" zu einer Geldstrafe verurteilt würde."
Der Senat schließt sich diesen Ausführungen an und macht sie zur Vermeidung von Wiederholungen zum Gegenstand seiner Entscheidung.

Ergänzend wird lediglich angemerkt:
Ob im Hinblick darauf, dass der Angeklagte durch Urteil der III. großen Strafkammer des Landgerichts Dortmund vom 29. Januar 1993 zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 35,-- DM verurteilt worden ist, schon zumindest der Rechtsgedanke des § 331 Abs. 1 StPO einer höheren Bestrafung entgegenstand, kann dahingestellt bleiben.
Danach war das angefochtene Urteil im gesamten Rechtsfolgenausspruch gem. § 349 Abs. 4 StPO aufzuheben und die Sache insoweit erneut an die Vorinstanz zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 StPO).
Das neue Tatgericht hat auch über die Kosten der Revision zu befinden, weil der Erfolg des Rechtsmittels i.S.d. § 473 StPO bisher noch nicht feststeht.


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