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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 Ss 76/87 OLG Hamm

Leitsatz: Der Tatrichter darf eine beantragte Augenscheinseinnahme zwar ablehnen, wenn er sie für entbehrlich hält, weil die Beschaffenheit des Augenscheinsgegenstandes schon aufgrund von Zeugenaussagen feststeht. Bezweckt der Antrag auf Augenscheinseinnahme aber die Entkräftung der Aussage eines einzigen Zeugen, darf er nicht mit der bloßen Begründung abgelehnt werden, der Zeuge sei glaubwürdig.

Senat: 3

Gegenstand: Revision

Stichworte: Augenscheinseinnahme abgelehnt, pflichtgemässes Ermessen, Beweisantrag, Vorwegnahme der Beweiswürdigung

Normen: StPO 244

Beschluss: Strafsache gegen den D.B. wegen Trunkenheit im Verkehr.

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Gütersloh vom 22. Oktober 1986 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 12.02.1987 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht einstimmig nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Gütersloh zurückverwiesen.

Gründe:
Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 40,-- DM verurteilt und ihm die Fahrerlaubnis unter Einziehung des Führerscheins auf die Dauer von 6 Monaten entzogen. Nach den getroffenen Feststellungen befuhr der Angeklagte am 1. Mai 1986 gegen 2.30 Uhr mit dem VW-Bulli seiner Ehefrau nach einem Besuch der Postschänke in Gütersloh die Neuenkirchener Straße und den Südring, wo er von einer Polizeistreife angehalten wurde. Die um 2.47 Uhr bei ihm entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,58 o/oo. Die Einlassung des Angeklagten, nicht er, sondern seine Ehefrau habe das Fahrzeug gelenkt, hat das Amtsgericht durch den Zeugen K. für widerlegt angesehen, der nach seiner für glaubwürdig befundenen Aussage im Lichte der von ihm eingeschalteten Halogenlampe nach Verlassen des Streifenwagens gesehen hat, wie der Angeklagte seinen Platz hinter dem Steuer mit seiner Ehefrau vertauscht hat.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, die mit näherer Begründung die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.

Das Rechtsmittel hat einen vorläufigen Erfolg.

Die Revision beanstandet mit der formellen Rüge, dass der Beweisantrag des Angeklagten fehlerhaft abgelehnt worden sei.
Der Verteidiger des Angeklagten hat in der Hauptverhandlung folgenden Beweisantrag gestellt:
"Ich beantrage zum Beweis für die Tatsache, dass es dem Zeugen K. zum Tatzeitpunkt bei den vorherrschenden Lichtverhältnissen am Tatort und bei eingeschaltetem Fahrtlicht des Bulli GT-HU 78 trotz Benutzung einer Taschenlampe nicht möglich gewesen ist, einen Fahrerwechsel im Bulli optisch wahrzunehmen, die Augenscheinseinnahme am Tatort."

Diesen Antrag, der entgegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft nicht als Beweisermittlungsantrag aufzufassen ist, hat das Amtsgericht mit folgender Begründung abgelehnt:
"Der Antrag der Verteidigung auf Augenscheinsbeweis wird abgelehnt.
Gründe:
Aufgrund der Aussage des Zeugen K. steht für das Gericht fest, dass man in den Bulli sehen konnte.
Zwar ist der Augenscheinsbeweis in der Regel zu erheben, wenn er gerade zu dem Zweck beantragt ist, die Aussage eines Zeugen zu widerlegen. Diese Regel gilt aber nicht bei Polizeibeamten, deren Glaubwürdigkeit zwar nicht grundsätzlich unterstellt wird, deren Zuverlässigkeit aber im Einzelfall - wie hier - als hoch angesehen werden kann.
Der Zeuge K. hat auf das Gericht einen sehr glaubwürdigen und zuverlässigen Eindruck gemacht und seine Aussage unter Eid bestätigt."

Diese Begründung wird von § 244 Abs. 5 StPO nicht getragen.
§ 244 Abs. 5 StPO bestimmt, dass ein Beweisantrag auf Augenscheinseinnahme abgelehnt werden kann, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Dementsprechend darf der Tatrichter die beantragte Augenscheinseinnahme zwar ablehnen, wenn er sie für entbehrlich hält, weil die Beschaffenheit des Augenscheinsgegenstandes schon aufgrund von Zeugenaussagen feststeht. Bezweckt der Antrag auf Augenscheinseinnahme aber die Entkräftung der Aussage eines einzigen Zeugen, darf er nicht mit der bloßen Begründung abgelehnt werden, der Zeuge sei glaubwürdig. Denn dann würde nicht nur das Ergebnis der Augenscheinseinnahme vorweggenommen, sondern darüber hinaus auch ein sachliches und der Zeugenaussage als persönlichem Beweismittel möglicherweise überlegenes Mittel zur Erforschung der Wahrheit außer acht gelassen (BGHSt 8, 177, 181; BGH DAR 1979, 189; Kleinknecht/Meyer, StPO, 37. Aufl., § 244 Rdn. 78; Herdegen in Karlsruher Kommentar, StPO, § 244 Rdn. 112).

Diese Grundsätze sind vorliegend nicht beachtet.
Das Amtsgericht hat seine Überzeugung, der Angeklagte habe den VW-Bulli gelenkt, ganz wesentlich auf die vom Polizeibeamten K. bekundete Beobachtung des Platzwechsels im Inneren des Fahrzeugs gestützt. Es hat zwar im Rahmen der Beweiswürdigung zu Lasten des Angeklagten auch darauf abgestellt, dass dieser nach anfänglichem Abstreiten, wie der Zeuge K. ausgesagt hat, die Tat eingeräumt habe. Nach den Urteilsgründen hat das Amtsgericht diesem Umstand jedoch kein besonderes Gewicht geschenkt und insoweit auch nicht erkennen lassen, ob und mit welcher Begründung der Angeklagte sich gegen diese belastende Aussage gewehrt hat. Durch die Augenscheinseinnahme hätten daher die vom Amtsgericht als entscheidend angesehenen Beobachtungen des Zeugen K., für die auch kein allgemeingültiger Erfahrungssatz spricht, widerlegt werden können. Wegen der Überlegenheit dieses Beweismittels hätte daher dem Antrag statt gegeben werden müssen. Der Antrag auf Augenscheinseinnahme hätte allerdings abgelehnt werden können, wenn das Gegenteil der zu beweisenden Tatsache von mehreren Zeugen bekundet worden wäre, die unabhängig voneinander - und nicht als Glieder eines wesentlich gleichen Erlebnis- und Interessenkreises - ihre Beobacht.ungen gemacht haben öder die - wie z. B. bei dienstlich einschreitenden Polizeibeamten - in erster Linie der Pflichtenkreis und nicht der gleiche Erlebnis- und Interessenkreis miteinander verbindet (Herdegen in Karlsruher Kommentar, a.a.O., § 244 Rdnr. 113; Kleinknecht/Meyer, a.a.O.; BGH MDR 1961, 249; OLG Celle MDR 1965, 227; OLG Schleswig bei Ernesti/Jürgensen SchlHA 1979, 205). Ein solcher Fall lag hier jedoch nicht vor, da in der Hauptverhandlung nur der Zeuge K. vernommen worden ist.
Da das angefochtene Urteil auf dem Rechtsfehler beruhen kann, war es aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuverweisen, ohne dass es noch eines Eingehens auf die materielle Rüge bedurft hätte.


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