Aktenzeichen: 3 Ss 1349/90 OLG Hamm
Leitsatz: Die Nichtannahme einer bezahlten Arbeit kann im Rahmen des § 170 b StGB dem Angeklagten strafrechtlich nur dann zum Vorwurf gemacht, werden, wenn sicher ist, dass Bemühungen in dieser Richtung Erfolg gehabt hätten und er zur Leistung des Unterhalts in der Lage gewesen wäre.
Senat: 3
Gegenstand: Revision
Stichworte: Ausreichende Feststellungen zur Leistungsfähigkeit bei Verletzung der Unterhaltspflicht, Hausmanntätigkeit, Betreuung gleichrangiger Kinder
Normen: StGB 170 b
Beschluss: Strafsache gegen G. M. wegen Verletzung der Unterhaltspflicht.
Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der VI. großen Strafkammer des Landgerichts Essen vom 29. August 1990 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 05.02.1991 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht Berding nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft einstimmig beschlossen:
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere große Strafkammer des Landgerichts Essen zurückverwiesen.
Gründe:
Das Amtsgericht Essen hat den Angeklagten am 15. Mai 1990 wegen Verletzung der Unterhaltspflicht zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung des Angeklagten hat die Strafkammer am 29. August 1990verworfen.
Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, die die Verletzung formellen und unter näherer Ausführung die materiellen Rechts rügt, erweist sich in formeller Hinsicht mangels Begründung als unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Sie hat jedoch ,mit der Sachrüge Erfolg, die zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache fährt.
Die Strafkammer hat in den Gründen des angefochtenen Urteils unter anderem folgendes festgestellt:
Der jetzt 40-jährige Angeklagte ist gelernter Kfz-Elektriker. In diesem Beruf ist er jedoch seit 20 Jahren nicht mehr tätig. Zumindest seit 1986 geht der Angeklagte Aushilfsarbeiten nach. Nach seinen Angaben verdient er monatlich zwischen 500 und 700,-- DM netto. Seit dem 2. August 1990 hat der Angeklagte sich selbständig gemacht, indem er Haushaltsauflösungen und Kleintransporte betreibt.
Der Angeklagte ist in zweiter Ehe verheiratet und hat mit seiner zweiten Ehefrau eine am 26.05.1979 geborene Tochter. Seine Ehefrau geht einer Halbtagstätigkeit nach und verdient nach Angaben des Angeklagten monatlich 900,-- DM. An Miete haben die Eheleute 750,-- DM zu zahlen.
Der Angeklagte ist der Vater des in erster Ehe am 19.05.1975 ehelich geborenen Sohnes O.S. Die Ehe wurde im August 1979 geschieden. Die elterliche Sorge über das Kind O.S. wurde der Mutter übertragen.
Der Angeklagte verpflichtete sich, am 20. Juni 1980 vor dem Urkundsbeamten des Jugendamtes der Stadt Essen unter Beurkundsverzeichnis Nr. 975/80 dem Kind O.S. einen monatlichen Unterhalt zu zahlen.Dieser Verpflichtung kam der Angeklagte jedoch nicht nach. Daher wurde 1985 unter dem Az.: 37 Ls 19 Js 390/84 (229/84) AG Essen ein Strafverfahren wegen Verletzung der Unterhaltspflicht durchgeführt. Das Verfahren wurde in der Hauptverhandlung am 19.02.1985 mit der Auflage vorläufig eingestellt, in der Zeit vom 01.03.1985 bis zum 01.11.1985 je 150,-- DM monatlich an Unterhalt an O.S. zu zahlen. Der Angeklagte zahlte in diesen neun Monaten jeweils die 150,-- DM.
Daraufhin stellte das Amtsgericht im November 1985 das Verfahren endgültig ein.
Seit der Einstellung des damaligen Verfahrens hat der Angeklagte bis zum Tag der Hauptverhandlung im Berufungsverfahren keinen Unterhalt mehr für seinen Sohn bezahlt. Das Sozialamt Essen mußte dem O.S. laufende Hilfe zum Lebensunterhalt gewähren, weil sein Lebensunterhalt anderweitig nicht sichergestellt werden kann. Die Unterhaltsverpflichtung des Angeklagten für seinen Sohn betrug in dem angeklagten Tatzeitraum vom 01.01.1986 bis zum 31.12.1988 monatlich 203,-DM und ab dem 01.01.1989 monatlich 226,-- DM.
Der Angeklagte hatte sich in der Zeit vom 1. Dezember 1985 bis zum Tag der Hauptverhandlung vor dem Landgericht in Essen nicht arbeitslos gemeldet, sondern führte Aushilfstätigkeiten in Schwarzarbeit durch, die ihm monatlich zwischen 500,-- DM und 700,-- DM einbrachten.
Das Landgericht ist unter Zugrundelegung dieser Feststellungen davon ausgegangen, dass der Angeklagte bei den durch Aushilfsarbeiten monatlich erzielten Einkünften zwischen 500,-- DM und 700,-- DM nicht in der Lage war, seiner Unterhaltspflicht gegenüber seinem ehelichen Sohn nachzukommen. Die Strafkammer hat die Verurteilung wegen Verletzung der Unterhaltspflicht aber darauf gestützt, dass der Angeklagte Maßnahmen unterlassen hat, durch die er leistungsfähig geworden wäre, und dazu u.a. folgendes ausgeführt:
"Da der Angeklagte mit seinen Aushilfsarbeiten nicht genug Geld verdient, um auch den Unterhalt für seinen Sohn O. sicherstellen zu können, wäre er verpflichtet gewesen, sich eine neue Arbeit zu suchen. Dies hat der Angeklagte nicht getan. Zwar hat er sich nach seiner nicht zu widerlegenden Einlassung ab und zu als Kfz-Elektriker beworben, jedoch nur Absagen bekommen, da er bereits 20 Jahre nicht mehr in diesem Beruf tätig war. Diese aussichtslosen Bewerbungen als Kfz-Elektriker sind nicht geeignet, den Tatvorwurf entfallen zu lassen. Der Angeklagte ist gegenüber seinem minderjährigen Sohn verstärkt unterhaltspflichtig. Diese verstärkte Unterhaltspflicht hat eine erhöhte Arbeitspflicht zur Folge. Das bedeutet, dass der Angeklagte verpflichtet ist, seinen Beruf zu wechseln, wenn er - wie in diesem Fall - in seinem alten Beruf nicht mehr arbeiten kann. Um eine Nachschulung in seinem alten Beruf oder um einen Berufswechsel hat sich der Angeklagte jedoch nicht bemüht. Er hat sich noch nicht einmal als arbeitssuchend beim Arbeitsamt gemeldet.
Bei der bestehenden guten Konjunkturlage wäre es für das Arbeitsamt kein Problem gewesen, dem erst 40-jährigen und gesunden Angeklagten eine Arbeit zu vermitteln, die es ihm ermöglicht hätte, den geringen Mindestunterhalt von 203,-- DM bzw. 226,-- DM an seinen Sohn zu zahlen.
Diese bisherigen Feststellungen des Landgerichts sind materiell-rechtlich unvollständig und tragen den Schuldspruch wegen Verletzung der Unterhaltspflicht gemäß § 170 b StGB nicht. Sie ermöglichen nämlich nicht die Prüfung, ob das Landgericht rechtsfehlerfrei von einer Leistungsfähigkeit des Angeklagten ausgehen konnte.
Zwar ist dem Landgericht zuzustimmen, dass die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen nicht immer nur nach seinem tatsächlichen Einkommen beurteilt werden darf, vielmehr kann sich auch derjenige der Unterhaltspflicht im Sinne des § 170 b.StG8 entziehen, der seine Arbeitskraft nicht voll einsetzt. Daher ist ein Unterhaltspflichtiger, der mangels ausreichender Einkünfte den Unterhalt nicht voll leisten kann, grundsätzlich verpflichtet, sich solche Einkünfte durch entsprechende Ausnutzung seiner Arbeitskraft zu beschaffen (BGHST 14, 105). Jedoch lässt sich die Leistungsfähigkeit nicht mit allgemeinen Behauptungen, bei der bestehenden guten Konjunkturlage wäre es für das Arbeitsamt kein Problem gewesen, dem erst 40-jährigen und gesunden Angeklagten eine Arbeit zu vermitteln, die es ihm ermöglicht hätte, den Mindestunterhalt an seinen Sohn zu zahlen, zu unterstellen, sondern nur nach einer Auseinandersetzung mit der persönlichen Situation des Angeklagen. Eine Unterhaltspflicht und damit eine Strafbarkeit nach § 170 b StGB ist insoweit nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil der Angeklagte, da seine jetzige Ehefrau einer Berufstätigkeit nachgeht, als Hausmann den ehelichen Haushalt führt, dadurch vorrangig seine Unterhaltspflicht gegenüber der in seinem Haushalt, lebenden Tochter aus dieser Ehe erfüllt und infolgedessen zu Unterhaltsleistungen gegenüber seinem Sohn O. nicht mehr in der Lage ist. In Rechtsprechung und Schrifttum ist anerkannt, dass ein wiederverheirateter Elternteil durch die Übernahme der Haushaltsführung in der neuen Ehe von seiner Unterhaltspflicht gegenüber minderjährigen unverheirateten Kindern aus einer früheren Ehe jedenfalls dann nicht (völlig) entlastet wird, wenn in der neuen Ehe keine betreuungsbedürftigen Kinder vorhanden sind (vgl. nachweise in der nachgenannten BGH-Entscheidung).
Der Bundesgerichtshof (NJW 1980, 340, 341) hat darüber hinaus entschieden, dass, wenn - wie im vorliegenden Fall - auch in der neuen Ehe ein betreuungsbedürftiges Kind vorhanden ist, grundsätzlich die Unterhaltsansprüche minderjähriger Kinder aus verschiedenen Ehen gleichrangig sind und dass der Unterhaltspflichtige seine Arbeitskraft zum Unterhalt aller Kinder einsetzen muß. Der unterhaltsspflichtige Elternteil wird daher in allgemeinen seine Auslastung durch die Betreuung des Kindes aus der neuen Ehe und die Haushaltsführung auf das infolge der Funktionsteilung zwischen den Ehegatten unbedingt notwendige Maß beschränken und im Übrigen wenigstens eine Nebentätigkeit aufnehmen müssen, um auch zum Unterhalt seines Kindes aus der früheren Ehe beitragen zu können.
Dieses gilt vorliegend in besonderen Maße, da die Ehefrau des Angeklagten ohnehin nur eine Halbtagstätigkeit ausübt, ihn jedenfalls halbtags von der Haushaltsführung und Kinderbetreuung entlasten und ihm dadurch die Möglichkeit zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit verschaffen kann.
Die Nichtannahme einer bezahlten Arbeit kann dem Angeklagten allerdings strafrechtlich nur zum Vorwurf gemacht, werden, wenn sicher ist, dass Bemühungen in dieser Richtung Erfolg gehabt hätten und er zur Leistung des Unterhalts in der Lage gewesen wäre. Dabei sind die Beurteilungsgrundlagen (tatsächliches oder mögliches Einkommen, Eigenbedarf, zu berücksichtigende Lasten) im Urteil so genau darzulegen, dass eine Überprüfung der vom Tatrichter angenommenen Leistungsfähigkeit möglich ist. Wird - wie im vorliegenden Fall - die Leistungsfähigkeit mit erzielbarem Einkommen begründet, sind die beruflichen Fähigkeiten und die daraus resultierenden beruflichen Möglichkeiten unter Berücksichtigung der Lage am Arbeitsmarkt im betreffenden Zeitraum festzustellen. Das erzielbare Einkommen ist unter Zugrundelegung der allgemeinen Erfahrung über Arbeitsmöglichkeiten und durchschnittliche Einkommenssätze zu ermitteln, so dass feststeht, welche Beträge der Angeklagte in etwa durch eine zumutbare Arbeit monatlich hätte verdienen können (vgl. OLG Köln, StrafVert. 1983, 419; Bay OBLG, NJW 1990, 3284) .
Derartige Feststellungen können dem angefochtenen Urteil nicht entnommen werden mit der Folge, dass es mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und an das Landgericht Essen zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch Über die Kosten der Revision - zurückzuverweisen ist.
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