Aktenzeichen: 2 Ss 735/94 OLG Hamm
Senat: 2
Gegenstand: Revision
Stichworte: unzulässige Berufungsbeschränkung wegen nicht ausreichender tatsächlicher Feststellungen, nicht geringe Menge BtM, Fortsetzungszusammenhang, Mittäterschaft, Wirkstoffgehalt
Normen: StP0 318, BtMG 29
Beschluss: Strafsache gegen J.P. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln.
Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der XVIII. 'kleinen Strafkammer des Landgerichts Dortmund vom 16. Februar 1994 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 26.07.1994 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gem. § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Dortmund zurückverwiesen, die auch über die Kosten der Revision zu entscheiden hat.
Gründe:
Das Amtsgericht - Schöffengericht - Dortmund hat den Angeklagten am 13. September 1993 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Zum Tatgeschehen hat das Amtsgericht u.a. festgestellt:
(UA 4/5)
(Nach Haftentlassung Mitte 1992) ist der Angeklagte wieder betäubungsmittelabhängig geworden. Er hat in der Zeit von Ende Juli/Anfang August 1992 bis zum 19.10.1992 seine Wohnung in Dortmund, Luisenstraße 33, dem gesondert Verfolgten P. und der H. zur Verfügung gestellt, damit diese Handel mit Heroin betreiben konnten. Er selber hat in dieser Zeit den o.g. Konsumenten zugeführt und teilweise selber auch an den anderweitig Verfolgten S. in der Zeit von Ende September bis 19. Oktober (1992) jeweils 2 Gramm Heroin pro Tag verkauft. Die anderweitig Verfolgten P. und H. haben in dem Zeitraum an mindestens zehn Personen pro Tag Heroin in einer Menge von jeweils 1/4 Gramm verkauft.
Darüber hinaus hat der P. an den gesondert Verfolgten M. in mindestens acht Fällen 20 bis 30 Gramm Heroin abgegeben. Der P. hat im Übrigen auch an andere Personen 2 bis 3 Gramm und jeweils auch 20 Gramm zwei- bis dreimal verkauft.
Der Angeklagte hat für seine Hilfe beim Verkauf des Heroins von dem P. jeweils 3/4 Gramm Heroin pro Tag erhalten."
Zur rechtlichen Würdigung heißt es u.a.:
(UA 5)
"Das Gericht war der Überzeugung, dass es sich hier um eine einheitliche Handlung des Angeklagten gehandelt hat und dabei auch ein einheitlich fortgesetztes Handeln mit Heroin vorlag. Soweit eine Beihilfe angeklagt war, hat die Beweisaufnahme ergeben, dass der Angeklagte aktiv am Handel mit P. und seiner Mittäterin beteiligt war, indem er für eine bestimmte Menge Rauschgift Kunden zuführte und auch selber Heroin verkaufte. Er hatte sich dabei auch die große Menge verhandelten Heroins zurechnen zu lassen, so dass die Voraussetzungen des § 29 Abs. III Ziff. 4 BtMG vorlagen."
Gegen dieses Urteil haben sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft Dortmund Berufung eingelegt, die die Rechtsmittelführer mit Berufungsbegründung vom 2. Dezember 1993 (Staatsanwaltschaft) und Erklärung in der Hauptverhandlung vom 10. Februar 1994 (Angeklagter) auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt haben. Mit Urteil vom 16. Februar 1994 hat die XVIII. kleine Strafkammer des Landgerichts Dortmund die Berufung des Angeklagten und die Berufung der Staatsanwaltschaft verworfen. Obwohl sie die Rechtsmittel "in zulässiger Kreise auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt (UA 3) angesehen hat, hat sie aufgrund "des rückhaltlosen und von großer Offenheit getragenen Geständnisses des Angeklagten" in tatsächlicher Hinsicht (im wesentlichen) dieselben Feststellungen getroffen wie das Amtsgericht (UA 9/10).
Mit seiner form- und fristgerecht eingelegten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision gem. § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.
I.
Die Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des angefochtenen Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
1. Die von Amts wegen (vgl. BGHSt 27, 70, 72) vorzunehmende Prüfung des Revisionsgerichts, ob die in formgerechter Weise erklärte Beschränkung der Berufungen auf den Rechtsfolgenausspruch zulässig - und damit die dem Schuldspruch zugrundeliegenden Feststellungen des Amtsgerichts für das weitere Verfahren bindend (vgl. § 327 StPO) - ist, führt zu dem Ergebnis, dass die Rechtsmittel als im vollen Umfang eingelegt (vgl. BGHSt 21, 256, 258) anzusehen sind. Die Voraussetzungen einer wirksamen Rechtsmittelbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch liegen nämlich nicht vor.
a) In der Sache setzt eine wirksame Berufungsbeschränkung voraus, dass die im vorangegangenen tatrichterlichen Urteil getroffenen Feststellungen --um Schuldspruch eine ausreichende Grundlage für die vom Rechtsmittelgericht zu treffende Rechtsfolgenentscheidung bilden. An der maßgeblichen Grundlage dafür fehlt es insbesondere, wenn die Feststellungen zum Tathergang den Unrechts- und Schuldgehalt der Tat nicht erkennen lassen (KK-Ruß, 3. Aufl. (1993) § 318 StPO Rn. 7 a m.w.N.).
b) Das Amtsgericht ist davon ausgegangen, dass der Angeklagte wegen fortgesetzten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gem. § 29 Abs. 3 Nr. 4 BtMG zur Verantwortung zu ziehen sei, weil er sich "auch die große Menge des verhandelten Heroins zurechnen zu lassen" habe (UA 5). Ausreichende Feststellungen hat es dabei weder zur angenommenen Mittäterschaft, noch zum Rechtsbegriff der nicht geringen Menge getroffen; schließlich liegen die Voraussetzungen einer einzigen Tat im Rechtssinne, einer "fortgesetzten Tat", nicht vor. Wegen der Einzelheiten wird auf die späteren Ausführungen (BA 5 ff) verwiesen.
Das Berufungsgericht hat sich deshalb im Einklang mit der Rechtslage selbst von den tatsächlichen Grundlagen der Verurteilung des Angeklagten überzeugt.
2. Allerdings hält die angefochtene Entscheidung der revisionsrechtlichen Überprüfung aufgrund der Sachbeschwerde des Angeklagten nicht stand, weil auch das Landgericht ausweislich der Urteilsgründe seine rechtliche Würdigung tragende Feststellungen nicht getroffen hat.
a) Die Annahme von mittäterschaftlichem Handeltreiben des Angeklagten mit den gesondert Verfolgten P. und H. bezüglich der Gesamtmenge des im Zeitraum Ende Juli/Anfang August 1992 bis zum 19. Oktober 1992 von allen Beteiligten veräußerten Heroins ist auf der Grundlage des festgestellten Sachverhalts nicht frei von rechtlichen Bedenken.
Hat der Beteiligte einer Täterverbindung einen Beitrag zur Tatbestandsverwirklichung geleistet, so ist er als Mittäter des Handeltreibens anzusehen, wenn er die Tat als eigene wollte. Die innere Willensrichtung muß beim Mittäter so beschaffen sein, dass sie seinen Tatbeitrag nicht als bloße Förderung fremden Tuns, sondern als einen Teil der Tätigkeit aller und dementsprechend die Handlungen der anderen als eine Ergänzung seines eigenen Tatanteils erscheinen lässt. Wesentliche Anhaltspunkte bei der wertenden Betrachtung, ob ein derartiges enges Verhältnis vorliegt, bilden der Grad des eigenen Interesses am Erfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder doch wenigstens der Wille zur Tatherrschaft, so dass Durchführung und Ausführung der Tat maßgeblich auch vom Willen des Tatbeteiligten abhängen (BGH NStZ 1984, 413 m.w.N.). In Betracht kommt Mittäterschaft vor allem, wenn der Beteiligte in der Rolle eines gleichberechtigten Partners mitgewirkt hat (vgl. Schönke/Schröder/Cramer, 24. Aufl. (19911) Vorbem.§ 25 ff StGB Rn. 94 ff).
Dem Urteil lässt sich nicht entnehmen, dass das Landgericht eine Prüfung in dieser Richtung vorgenommen hat. Einer dahingehenden Erörterung bedurfte es aber, weil ein gemeinschaftliches Wollen der voll umfänglichen Tatbestandsverwirklichung hier nicht auf der Hand lag. Soweit der Angeklagte von Ende September bis zum 19. Oktober 1992 an den gesondert Verfolgten S. täglich 2 Gramm Heroin veräußerte, das von P. stammte (UA 9), mag ein gegenseitigem Interesse am Taterfolg noch erkennbar sein; das gilt allerdings nicht für die als Absatzhilfe umschriebenen weiteren Handlungen des Angeklagten, erst recht nicht für die von P. allein vorgenommenen größeren Verkaufsgeschäfte. Der Angeklagte erhielt für die Überlassung seiner Wohnung als Unterschlupf und Stützpunkt für den von P. und H. (UA 9) bzw. von P. (UA 10) betriebenen schwunghaften Handel mit Heroin sowie für die "teilweise" (UA 9) Vermittlung von Abnehmern täglich 3/4 Gramm Heroin (UA 10). Für ein über diese Unterstützungshandlungen hinausgehendes sachliches Interesse an konkreten Geschäftsabschlüssen bieten die Feststellungen keine Anhaltspunkte. Von einer - gar partnerschaftlichen - Tatbeteiligung durch P. und H., einer Tatherrschaft des Angeklagten oder jedenfalls dessen Willen in dieser Richtung kann nach den Urteilsgründen keine Rede sein. Es ist auch nicht ohne weiteres ersichtlich, warum dem Angeklagten an einer gemeinsamen Tatbestandsverwirklichung gelegen gewesen sein sollte.
Feststellungen - bzw. Darlegungen - dazu sind um so notwendiger, als die Belastung des Angeklagten mit der Gesamtmenge in erster Linie von der Richtigkeit der Auffassung abhängig ist, dass dieser als Mittäter gehandelt.
b) Unabhängig von den zuvor aufgezeigten Zweifeln an dem vom Berufungsgericht angenommenen Schuldumfang kommt hinzu, dass der Rechtsbegriff der nicht geringen Menge von Betäubungsmitteln, mit denen Handel getrieben wird, Ermittlungen des Tatrichters zum Gewicht, zum Wirkstoffgehalt und zur Wirkstoffmenge des Rauschmittels voraussetzt (BGH NStZ 1985, 273 (st.Rsp.); vgl. Körner, 3. Aufl. (1990) § 29 BtmG Rn. 770 ff). Soweit für die Bestimmung des Strafrahmens, aus dem die Strafe zu entnehmen ist, in Frage steht, ob der Angeklagte gem. § 29 Abs. 3 Nr. 4 BtMG a.F. mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel getrieben hat, geht es um Strafzumessungserwägungen, die Ergebnis tatrichterlicher Würdigung der festgestellten Tatumstände unter Berücksichtigung des Grundsatzes in dubio pro reo sind (vgl. BGH a.a.O.; Körner a.a.O. § 29 BtMG Rn. 772 m.w.N.). Rechtsfehler sind insoweit schon deshalb zu besorgen, weil die Urteilsgründe ohne jede Konkretisierung lediglich den Hinweis auf die "große Menge des abgesetzten Heroins" (UA 11) enthalten.
c) Schließlich stehen der Annahme einer fortgesetzten Handlung die Grundsätze der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen des Bundesgerichtshofs vom 3. Mai 1994 (BGH DRIZ 1994, 214 ff) entgegen. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob die Feststellungen zum Schuldspruch bei Zugrundelegung einer fortgesetzten Handlung ausgereicht hätten. Nach dem genannten Beschluss des Großen Senats für Strafsachen setzt eine Verbindung mehrerer Verhaltensweisen, die jede für sich einen Straftatbestand erfüllen, zu einer fortgesetzten Handlung voraus, dass dies, was am Straftatbestand zu messen ist, zur sachgerechten Erfassung des verwirklichten Unrechts und der Schuld unumgänglich ist. Auf die Fragen eines Gesamtvorsatzes oder eines "open-end-Vorsatzes", eines Beziehungsgeflechts oder eines eingespielten Bezugs- und Vertriebssystems kommt es nicht mehr an. Allein entscheidend ist, ob der Straftatbestand zur sachgerechten Erfassung des Gesamtunwerts eine solche Verbindung unumgänglich gebietet. Das ist (auch) bei dem Straftatbestand des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln nicht der Fall (vgl. BGH, Urteil vom 8. Juni 1994 - 3 Str 570/93).
Da - wie dargelegt - nicht auszuschließen ist, dass die Verurteilung des Angeklagten auf rechtlich fehlerhafter Grundlage beruht, war die Entscheidung des Landgerichts aufzuheben.
Auf weitere Bedenken braucht der Senat deshalb nicht mehr im einzelnen einzugehen. Vorsorglich wird jedoch darauf hingewiesen, dass die Feststellungen zur Persönlichkeit des Angeklagten (UA 11) und seiner Drogenkarriere im einzelnen (UA 4, 8) dem Tatrichter hier hätten Anlass sein müssen, ggf. unter Zuziehung eines Sachverständigen die Voraussetzungen des § 21 StGB zu prüfen (vgl. Dreher/Tröndle, 46. Aufl. (1993) § 21 StGB Rn. 4).
Die Kostenentscheidung war dem neuen Tatrichter vorzubehalten, da der Erfolg der Revision des Angeklagten i.S. des § 473 StPO noch nicht feststeht.
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