Aktenzeichen: 2 Ss 927/92 OLG Hamm
Leitsatz: Eine Bestrafung wegen Unterhaltspflichtverletzung kommt nur dann in Betracht, wenn zwischen der Unterhaltsverweigerung und der ggf. gewährten fremden Hilfe ein innerer Zusammenhang besteht. Daran fehlt es, wenn die öffentliche Hand aus anderen Gründen als zum Zweck der Unterhaltssicherung eingegriffen hat.
Senat: 2
Gegenstand: Revision
Stichworte: Ausreichende Feststellungen bei Verletzung der Unterhaltspflicht, Einstellung in der Revisionsinstanz, Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten, JWG
Normen: StGB 170 b
Beschluss: Strafsache gegen S.D. wegen Verletzung der Unterhaltspflicht.
Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der XV. Kleinen Strafkammer des Landgerichts Dortmund vom 5. Juni 1992 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 18.04.1994 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht mit Zustimmung der Generalstaatsanwaltschaft und des Angeklagten beschlossen:
Das Verfahren wird gem. § 153 Abs. 2 StPO auf Kosten der Staatskasse, die auch die notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen hat, eingestellt.
Gründe:
Der Strafrichter beim Amtsgericht Castrop-Rauxel hat den Angeklagten am 2. Juli 1991 wegen Verletzung der Unterhaltspflicht, § 170 b StGB) zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist. Die XV. kleine Strafkammer des Landgerichts Dortmund hat durch Urteil vom 5. Juni 1992 die Berufung des Angeklagten verworfen und auf die Berufung der Staatsanwaltschaft das Urteil des Strafrichters dahin abgeändert, dass die Strafaussetzung zur Bewährung entfällt.
Die Strafkammer hat folgende Feststellungen getroffen:
"Der Angeklagte ist von Beruf Pflasterer. Seine Einkommensverhältnisse sind geregelt. Er ist ehelicher Vater des am 15.06.1982 geborenen Kindes B. Die Ehe des Angeklagten ist am 18.09.1990 geschieden worden. Das Kind befindet sich seit dem 14.04.1989 in einer Pflegefamilie. Mit Beschluss des Amtsgerichts Castrop-Rauxel vom 07.04.1989 wurde die elterliche Sorge für das Kind auf das Jugendamt der Stadt Castrop-Rauxel übertragen. Seit April 1989 leistete das Jugendamt Hilfe zur Erziehung des Kindes gem. §§ 5, 6 Jugendwohlfahrtsgesetz. Mit Schreiben vom 30.06.1989 wurde der Angeklagte aufgefordert, Auskunft über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu geben. Es wurde ihm mitgeteilt, dass seit dem 14.04.1980 Jugendhilfe in Höhe von 574,00 DM monatlich gewährt werde und er verpflichtet sei, entsprechend seinen Vermögensverhältnissen dem Jugendamt diesen Betrag zumindest teilweise zu ersetzen. Eine weitere Aufforderung erfolgte am 16.11. und 06.12.1989. Der Angeklagte reagierte hierauf jedoch nicht. Vielmehr erklärte er am 02.02.1990, er werde keinen Unterhalt zahlen, wenn er seine Kinder nicht wiederbekomme.
Gegen diese Entscheidung des Landgerichts hat der Angeklagte form- und fristgerecht Revision eingelegt, mit der er die Verletzung materiellen Rechts geltend macht.
Das Rechtsmittel führt mit Zustimmung der Generalstaatsanwaltschaft und des Angeklagten zur Einstellung des Verfahrens gem. § 153 Abs. 2 StPO, weil die Schuld des Angeklagten allenfalls gering wäre und ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung - zumindest gegenwärtig - nicht (mehr) besteht (§ 153 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Die Gründe des angefochtenen Urteils tragen den Schuldspruch nicht.
Zunächst wird in den Urteilsgründen nicht ausdrücklich festgestellt, in welchem Zeitraum der Angeklagte seiner Unterhaltsverpflichtung nicht mehr nachgekommen ist. Aus den festgestellten Tatsachen, dass sich das geschädigte Kind seit dem 14. April 1989 in einer Pflegefamilie befindet und das Jugendamt der Stadt Castrop-Rauxel Hilfe zur Erziehung des Kindes seit April 1989 leistet, könnte jedoch der Schluss gezogen werden, dass der Angeklagte seit April 1989 keinen Unterhalt mehr gezahlt hat.
Im angefochtenen Urteil fehlen konkrete Feststellungen, die den Rückschluß auf eine Leistungsfähigkeit des Angeklagten zulassen. Die "Feststellung", die Einkommensverhältnisse des Angeklagten seien "geregelt", stellt vielmehr eine durch das Revisionsgericht nicht nachprüfbare Wertung dar. Die Einkommensverhältnisse des Angeklagten im fraglichen Zeitraum werden im angefochtenen Urteil nicht mitgeteilt. Die Richtigkeit der mitgeteilten Einlassung des Angeklagten, er sei "zahlungsfähig", ist nicht nachprüfbar. Im übrigen ist nicht erkennbar, ob sich die angebliche Zahlungsfähigkeit des Angeklagten auf den - von der Strafkammer nicht konkret festgestellten - Tatzeitraum bezieht.
Es kann nicht zweifelsfrei davon ausgegangen werden, dass durch die unterbliebene Zahlung des Angeklagten der Lebensbedarf des unterhaltsberechtigten Kindes B. ohne die Hilfe anderer gefährdet gewesen wäre.
Da der Angeklagte keinen Unterhalt gezahlt hat, kommt eine Bestrafung nur dann in Betracht, wenn zwischen seiner Unterhaltsverweigerung und der fremden Hilfe - die Hilfe zur Erziehung des Kindes durch das Jugendamt Castrop-Rauxel - ein innerer Zusammenhang besteht (vgl. BGHSt 26, 312 = NJW 76, 1273 f-; OLG Düsseldorf, JMB1 NW 78, 195; Dreher/Tröndle, StGB, 46. Aufl. 1993, 170 b, Rn. 8 m.w.N.; Schönke/Schröder/Lenckner, StGB, 24. Aufl. 1991, 170 b, Rn. 30 f. m.w.N.), d.h. wenn für die Gewährung der öffentlichen Hilfe die Unterhaltsverweigerung ursächlich war, die öffentliche Hand ihre Leistung zur Deckung des Lebensbedarfs des Unterhaltsberechtigten also gerade deshalb gewährt hat, weil der Angeklagte seine Unterhaltspflicht nicht erfüllt hat. Hieran fehlt es, wenn die öffentliche Hand aus anderen Gründen als zum Zweck der Unterhaltssicherung eingegriffen hat. Es kommt also entscheidend darauf an, welchen Anlass die öffentliche Hilfe hatte, welche Vorschrift sie rechtfertigte und welchen Zwecken sie diente (OLG Hamm NJW 75, 457; Dippel in Leipziger Kommentar, 10. Aufl. 1988, § 170 b StGB, Rn. 60, 63).
Die Übertragung der elterlichen Sorge auf das Jugendamt, die Unterbringung des Kindes und die finanziellen Aufwendungen sprechen dafür, dass es sich um eine Maßnahme im Rahmen einer vormundschaftlich angeordneten Fürsorgeerziehung i.S.d. §§ 64 ff. JWG handelte, die gem. § 4 Nr. 3 JWG zu den Aufgaben des Jugendamtes gehört. Fürsorgeerziehung kann angeordnet werden, wenn der Minderjährige zu verwahrlosen droht oder verwahrlost ist (§ 64 JWG). Zur Verwahrlosung kann es gekommen sein, weil der Unterhaltsverpflichtete keinen Unterhalt geleistet hat; es kann aber auch die Verletzung anderer Pflichten der Erziehungsberechtigten (mangelnde Aufsicht, häufige Abwesenheit, Mißhandlungen, unsittlicher Lebenswandel) zur Verwahrlosung geführt haben. Ob die Sicherung der Lebensgrundlage des Kindes oder der Erziehungszweck ursächlich für die Fürsorgerziehung war, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Nur im ersten Fall besteht ein innerer Zusammenhang zwischen Unterhaltsverweigerung und öffentlicher Hilfe.
Das angefochtene Urteil kann im Hinblick auf die mangelhaften Feststellungen keinen Bestand haben. Der Senat hält es jedoch nicht für angezeigt, das Urteil aufzuheben und die Sache an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Dortmund zurückzuverweisen. Es ist aus heutiger Sicht fraglich, ob in einer neuen Hauptverhandlung festgestellt werden könnte, dass das Jugendamt im April 1989 (auch) zum Zweck der Unterhaltssicherung bezüglich des Kindes B. eingegriffen hat. Zwar ergibt sich aus dem Beschluss des Amtsgerichts Castrop-Rauxel vom 7. April 1989 (Bl. 7 ff. GA), dass das Jugendamt im April 1989 aus anderen Gründen als zum Zweck der Unterhaltssicherung eingegriffen hat. Die Gründe dieses Beschlusses schließen jedoch andererseits nicht eindeutig aus, dass der Eingriff auch zum Zwecke der Unterhaltssicherung bezüglich des Kindes B. vorgenommen worden ist. Bei erneuter Verhandlung und Entscheidung würde der Angeklagte deshalb nicht ohne weiteres freigesprochen werden; der Schuldvorwurf wäre allerdings - insbesondere im Hinblick auf den mehrere Jahre zurückliegenden Tatzeitraum - gering. Ein öffentliches Interesse an der weiteren Strafverfolgung besteht somit - zumindest gegenwärtig - nicht.
Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO. Sie trägt dem Umstand Rechnung, dass die Prognose für eine Verurteilung im Falle der Zurückverweisung unsicher ist.
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